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Dreizehntes Kapitel.

Löhr verließ den Wagen vor dem Gute und schwenkte nach dem Birkhause ab.

Komteß Helene kam dem Vater entgegen,

»Du kommst allein, Papa?«

Luckner überlegte, ob er sein Geheimnis noch wahren könne. Aber nach kurzem Erwägen entschied er sich für die Offenheit.

»Komm auf mein Arbeitszimmer, Lene,« sagte er bedrückt.

Er legte rasch ab.

»So, und da setze dich hin und höre mir zu. Lene – Kind, ich bringe nichts Gutes. Sag mal, hältst du unseren Herbrinck für einen Ehrenmann – oder nicht?«

»Du siehst nicht aus, als ob du scherzen möchtest, Papa. Aber die Frage brauche ich doch nicht zu beantworten.« . »Nein, ich weiß, du schätzest ihn auch. Und du bist im Recht. Er ist ein Mann, auf den gebaut werden kann wie auf Felsengrund. Aber Schweres hat ihn betroffen. Und uns mit ihm. Sie haben ihn einfach weggerissen von uns –«

»Papa, was soll das heißen?«

»Höre nur weiter. Ich muß schon etwas ausholen. Alles kommt von dem elenden Flaps, dem Kruse. Gott behüte mich, daß ich nicht noch einmal aufs Gericht muß. Ich bin Soldat; ich würde, gehorsam dem Rufe meines Königs, allzeit die Brust dem Kugelregen des Feindes darbieten, oder mit dem Säbel in der Faust zehnfacher Uebermacht stand zu halten suchen. Mit Gott für Kaiser und Vaterland! Mein Leben gälte mir nichts. Aber noch einmal vor Gericht – dagegen würde ich mich nicht wehren können, aber das würde mich kränken. Dazu gehört kein Mut, wahrhaftig nicht. Aber mehr, Ueberwindung. Die Ueberwindung des Ekels vor den Verbrecherphysiognomieen, die Unterordnung unter Menschen, die einem fremd und gleichgültig sind, die einen aber fragen, meistern und verweisen, als ob man ihr ergebenster Diener wäre. Ich will von mir absehen, obgleich ich selbst auch ein Sprüchlein mitreden könnte. Aber Herbrinck – den hat man in Stücke gerissen und den Brandstifter halb weiß gewaschen –«

»Ich verstehe nicht, Papa.«

»Nein, kannst du auch noch nicht. Ich selbst nicht. Mir ist so dumm, als wäre mir der halbe Mond auf den Kopf gefallen. Aber laß nur. Ich erzähle nach der Reihe. Da wirst du schon klüger werden. Oder auch nicht. Mich nahmen sie zuerst aufs Korn. Ist mein Auge noch verschwollen? Nicht? Da kann ich von Glück sagen. Dann wurde Herbrinck ins Feuer gerufen. Ich bin nicht dabei gewesen. Ich habe meine Entlassung erhalten in Gnaden. Ich will mir's merken, Kind, wie's getan hat. Für meine Leute. So'n kräftiges Donnerwetter, das schad't mal nichts, wenn einer was ausgefressen hat. Aber so von oben – ich weiß, wie ich's auch gewesen bin – und gegen Menschen, die nichts verbrochen haben – das wurmt, Lene, das reißt und zehrt am guten Mark. Herbrinck hat die Wahrheit gesagt. Die belastete den Schuldigen. Aber der Richter muß auch das zu ermitteln suchen, was zugunsten des Angeklagten spricht – und dann kommt der Verteidiger, der erst recht die Aufgabe hat, den Mohren weiß zu waschen. Versucht hat er es auch bei Kruse. Die Zeitungen, die bringen es brühwarm – sprechen von unerwarteter Wendung. Ich habe das Blatt nicht mitbringen mögen. Herbrinck hat sich zu dem Verbrechen hinreißen lassen, dem achtzehnjährigen Laps eine Schelle zu geben. Dadurch soll er sein Geständnis erpreßt haben. Er soll überhaupt ein Schläger und jähzorniger Raufbold sein von früh auf. Lene – –«

Luckners Polterstimme wurde weich.

»Lene, Herbrinck hat in seiner Jugend – einen Fehler gemacht. Wie, das weiß ich nicht. Das wird er schreiben –«

»Schreiben, Papa?«

»Ja.«

»Kommt er denn nicht?«

»Vorläufig nicht. Er soll dafür – bestraft worden sein. Weh tut es mir – aber schlecht, nein, schlecht kann er nicht gehandelt haben. Uebereilt, im Aufbrausen, eigenmächtig – aber nie aus Schlechtigkeit. Er – ist hart bestraft worden. Ich würde es dir verschweigen, wenn du es nicht doch erfahren würdest. Mit – vierzehn Tagen Gefängnis ...«

Das Mädchen sah ihn groß an.

»Herbrinck – –?« sagte sie erschreckt.

»Unser Freund,« bestätigte Luckner bedauernd. »Das ist ihm vorgehalten worden. Daraus sollte auf seine Unglaubwürdigkeit geschlossen werden.«

»Ist – Kruse – freigesprochen?« fragte die Komtesse stockend.

»Nein, verurteilt, trotz alledem. Das Beil, das zwanzig Jahre vergraben war, war nicht mehr scharf genug. Die Geschworenen haben dem Verteidiger die Gefolgschaft verweigert. Aber das Unglück, die Bloßstellung Herbrincks, konnten sie nicht mehr gut machen. Von dem faulen Stamm ist der Blitz auf den gesunden übergesprungen und hat auch den, wenn nicht tödlich, so doch schwer getroffen. Um den Lumpen wäre es nicht schade gewesen; das zweite Opfer zu treffen, war eine unmenschliche Grausamkeit. Du bist noch nicht zwanzig Jahre alt; du weißt nicht, was das für ein Zeitraum ist. So lange hat er an der Wiederherstellung seiner Ehre vergebens gearbeitet! Für die Welt, für die Gesetze – nicht für uns. Wir sind ihm lange Freunde geworden, und, bei Gott, ich will es ihm bleiben!«

Die Komtesse hing ihren Arm in den des Vaters und sah warm zu ihm auf.

»Ich mit dir, Papa!« sagte sie schüchtern und doch mit überzeugendem Herzenston.

»Das habe ich nicht anders erwartet, mein Kind. Und sein Brief wird uns bald die Gewißheit bringen, daß wir ihn weiter schätzen und lieben dürfen. Morgen schon kann er da sein, und morgen wird er da sein. Vorher noch die Zeitungen. Aber mögen sie ruhig herumschwätzen – hat Herbrinck Feinde, die sich freuen und die ihm schaden könnten? Ich wüßte keine, wohl aber viele aufrichtige Freunde. Eveline! – an die hatte ich nicht gleich gedacht. Sie soll ihr Zünglein hüten!«

Vater und Tochter blieben zusammen und kamen immer von neuem auf den Fall und seine Folgen zurück.

»Und wenn seine Schuld mehr als Uebereilung war,« sagte Luckner entschieden, »sein Platz ist bei uns! Die Depesche ist nicht maßgebend, die ist in der Eile geschrieben. Er muß furchtbar gelitten haben. Löhr hat ihn für krank gehalten. Ist's auch vielleicht ...«

»Denkst du noch an das ›edle Blut‹, Papa?« fragte die Komtesse still.

»Jawohl, und ich verstehe ihn jetzt besser. Das ›große L‹ hatte gefehlt und gesühnt – und mußte doch zum zweitenmal büßen und das ›kleine L‹ mit sich reißen. Herbrinck auch, und wir mit ihm. Die Sühne muß einen Inhalt haben, forderte er damals. Hat sie den bei ihm gehabt? Nein, die Strafe war eine Form. Sie ließ die Schuld selbst fortbestehen, statt sie wegzuwischen. Beim Militär ist manches besser. Ein Schwubber ist bald gemacht. Der muß auch gesühnt werden. Und er wird es. War das Vergehen nicht zu groß, und hält sich dann der Mann, so wird ein tilgender Strich durch sein Schuldkonto gemacht. In sein Führungsattest kommt nichts davon, und niemand hat ihn danach zu fragen. Und will doch jemand später davon stänkern – er hat sein gutes Attest schwarz auf weiß. Da, lest und seid so gut, mich ungeschoren zu lassen!«

Am Nachmittag, als die Kieler Zeitungen die Nachricht auch aufs Land getragen hatten, fuhren Tönndorp und Menge fast zugleich vor dem Verwalterhause vor. Tönndorp traf, nachdem er vergebens Einlaß begehrt hatte, auf den Neurader Freund und nahm mit ihm sogleich den Weg ins Schloß.

»Luckner, hat es mit dem verdammten Klatsch seine Richtigkeit?« fragte Tönndorp drängend.

»Leider ja!«

»Wo ist Herbrinck?«

»Verreist,« sagte der Hausherr trübe.

»Er kommt nicht wieder –?«

»Ich hoffe doch, Tönndorp –«

»Du hoffst, hoffst! Ist das auch zwischen dich und ihn getreten?«

»Die Frage beleidigt mich,« entgegnete der Hausherr fest.

Tönndorp bot ihm impulsiv die Hand.

»Ich wollte nur deine Abweisung hören, Luckner. Du bist nicht der Freund, der in der Not versagt. Und Menge und ich halten mit! Das wollten wir Herbrinck sagen. Wo ist er?«

Luckner mußte seine Erzählung von vorne beginnen.

»Wir wollen ihm depeschieren. Weißt du seine Adresse?«

»Dann wäre ich euch lange zuvorgekommen. Morgen mittag, wenn der Brief sie nicht auch verschweigt.«

»Wissen deine Kinder –?«

»Die Jüngste. Sie ist verständig wie immer.«

»Und Eveline?«

» Lupus in fabula,« murmelte Menge für sich.

Die ältere Komteß platzte ins Zimmer, als ihr Name kaum genannt war.

Sie war aufgelöst in Entrüstung und streckte dem Vater schon von der Tür aus ein zerknülltes Zeitungsblatt entgegen. Selbst vor den Gästen legte sie sich keinen Zwang auf.

»Die Schmach!« zeterte sie. »Mit einem Sträfling unter einem Dache!«

Luckner stampfte auf, daß der Boden erzitterte.

»Ruhe!« donnerte er zornig, riß das Blatt in flatternde Fetzen und stand keuchend, kaum eines Wortes mächtig.

»Meine Frau läßt grüßen,« unterbrach der Neurader Gutsherr die peinigende Stille. »Wenn Herbrinck zurück ist – wir erwarten ihn bald als unsern alten Gast.«

Die Komteß lachte schrill.

»Schöner Gast! Behalten Sie ihn doch!« höhnte sie rücksichtslos.

Tönndorp gewahrte eine drohende Haltung des Vaters und schob sich rasch zwischen sie und ihn. Aber Luckner ließ sich nicht zurückdrängen. Er machte einen Bogen, bot der Tochter mit zwingend herrischer Gebärde den Arm und führte sie an den Ausgang. Knallend schlug er die Tür hinter ihr zu.

»Lassen Sie sich durch den Zwischenfall nicht stören, meine Herren,« sagte er unnatürlich ruhig. »Und verzeihen Sie noch einen Augenblick.«

Er drückte zweimal aus den Knopf einer am Schreibtisch angebrachten Klingel.

Nach einigen Augenblicken erschien aufgeregt die Mamsell.

»Wann sind die Zeitungen gekommen?« fragte Luckner drohend.

»Eben, Herr Graf.«

»Warum sind sie mir nicht gebracht worden?«

»Herr Graf hatten Besuch –«

»Ausrede! Wer hat darin gestöbert?«

Die Mamsell schwieg halb trotzig.

»Wer hat sie der Komteß überbracht?«

»Ich – –«

»Sie! Wie kamen Sie dazu?«

»Das von dem Brande – –«

»Genügt! Sie sind entlassen – auf der Stelle!«

Er entnahm einem Portefeuille zwei Hundertmarkscheine.

»Da! Packen Sie sich und Ihre Sachen. In einer Stunde will ich Sie fort wissen.«

Das Mädchen stand wie angewurzelt.

Ein erneutes Schellen rief Siebenlist.

»Die Mamsell wünscht Timmhusen zu verlassen,« erklärte Luckner hart. »Helfen Sie ihr beim Packen und bestellen Sie einen Wagen, der sie an die Bahn bringt.«

Er wandte sich wieder den Gästen zu, und der alte Diener führte die Entlassene mit halbem Zwang hinaus.

»Meine Herren, ich bitte um Entschuldigung ...«

Luckner präsentierte ein Kistchen Zigarren und tat, als ob sich nichts weiter ereignet hätte. »Lieber Menge, meine gehorsame Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin. Wollen Sie mir beide morgen nachmittag die Ehre geben? Danke verbindlichst! Du natürlich auch, Tönndorp?«

»Selbstredend. Und ›mit‹, Luckner. Oder meinst du, meine Frau möchte zurückbleiben? Bewahre. Gradaus, Luckner – sie war zuerst perplex, hat es nicht begreifen können, war verschnupft. Dann haben wir uns ausgesprochen. Und ich hab's ja gewußt: ich habe eine Frau, die Verstand hat. Mehr brauch' ich nicht zu sagen.«

»Danke, Tönndorp! Die Nacht wird vergehen und der neue Tag doppeltes Licht bringen.«

Die Freunde leisteten Luckner bis zum Abende Gesellschaft und dachten erst an den Heimweg, als in der ›Stadt Hamburg‹ in Kiel ein unerwartetes Strafgericht über den ›Lindwurm‹ im drohenden Anzuge war.

Ein Artikel in der Abendausgabe des Kieler Hauptblattes widmete dem ›Fall Herbrinck‹ eine nähere Betrachtung und rückte in einer Beschreibung der Vorgänge hinter den Kulissen den ›Schauspieler‹ Detlev Kruse in eine Beleuchtung, die den Kommödianten beim Lesen in ohnmächtiger Wut die Fäuste ballen und die in der Verhandlung ihm erstandenen Gegner zu einem rächenden Schlage sich sammeln ließ.

»Es braucht nicht erörtert zu werden,« schrieb das angesehene Blatt, »daß dem Verteidiger das formale Recht zustand, den Zeugen nach einer etwaigen Strafe zu befragen, wenn er wirklich hoffen konnte, damit dem Angeklagten einen tatsächlichen Dienst zu erweisen. Wer sich aber vergegenwärtigt, weswegen seinerzeit eine Verurteilung des Zeugen erfolgt ist, und wie lange schon der Bestrafte sein Vergehen durch eine hochehrenhafte Laufbahn gutgemacht hat, der kann nicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß mit der Frage des Verteidigers etwas anderes als eine nicht nur überflüssige, sondern auch bedauerliche Sensation zu erzielen war. Das Bedauerliche des Falles wird noch verstärkt, wenn man erwägt, welche Kräfte zu seiner Herbeiführung im geheimen tätig gewesen waren. Der Verteidiger genießt den Ruf eines fähigen und gewissenhaften Anwalts, der von seiner Aufgabe kaum besonders erbaut gewesen sein dürfte. Er wurde jedoch von einem Verwandten des Angeklagten, einem ›Schauspieler‹, geschoben, der in einem hiesigen Variété als Humorist auftritt und das Bedürfnis gehabt zu haben scheint, die ihm auf der Bühne versagte Intriguantenrolle einmal im Leben zu spielen. Er hat, obwohl er wußte, daß Herbrinck auf dem Rittergute Timmhusen ein allen gerechter Vertreter des Gutsherrn war, der in unerschöpflichem Wohlwollen auch für den Geringsten der Arbeiterschaft sorgte, dessen Vergangenheit nachgespürt und seine Bemühungen – auf welchem Wege, bleibt dahingestellt – von Erfolg gekrönt gesehen. Die Familie des Angeklagten ist infolge eines Vorfalles, an dem auch der ›Schauspieler‹ unvorteilhaft beteiligt gewesen war, von dem Grafen Luckner entlassen worden; der Verwalter von Herbrinck hat sie weiter unter seinen Schutz genommen, sie durch seine Fürsprache auf einem Nachbargute untergebracht – und den Dank für seine Großmut an Gerichtsstelle in Empfang genommen. Ja, wenn noch der Haß der Kruse gegen den Grafen selbst gerichtet gewesen wäre! Er wäre auch dann, nach allem, was über den Timmhusener Gutsherrn bekannt ist, nicht berechtigt, wenigstens aber erklärlich gewesen. Seine Entladung gegen den Zeugen von Herbrinck war einfach sinnlos. Das hat auch die Haltung der Geschworenen erwiesen, die über den an den Haaren herbeigezogenen Makel des Zeugen hinweg seiner Aussage vollen Glauben beigemessen und den Angeklagten nach nur kurzer Erwägung schuldig gesprochen haben. Der Zeuge von Herbrinck kann gewiß sein, daß niemand ihm aus dem Jugendfehl einen ernstlichen Vorwurf machen wird, zumal auch die kurze Aufklärung an Gerichtsstelle keinen Zweifel ließ, daß er die rasche Tat in Erregung und an einem mehr als fragwürdigen Subjekte begangen hat. Der Ernst des Falles legt aber wohl die Frage nahe, ob solchen zwecklosen Sensationen nicht lieber vorgebeugt werden sollte und wie das am besten geschehen könnte. Wir unterbreiten die Frage der öffentlichen Diskussion und werden auch Veranlassung nehmen, die eingeforderten gutachtlichen Aeußerungen bekannter Rechtslehrer nach Eingang an dieser Stelle zum Abdruck zu bringen.«

Das bemerkenswerte Vorgehen des Blattes fand in weiten Kreisen Anklang. Stellte es aber eine Verfolgung des Falles in ernster publizistischer Erörterung in Aussicht, der vielfach mit belebtem Interesse entgegengesehen wurde, so begnügte sich eine Anzahl derjenigen, die als Zuhörer bei der Verhandlung zugegen gewesen waren, nicht mit der theoretischen Entrüstung gegen den edlen Lindwurm, sondern ging zur Tat über.

Jeder hatte unter seinen Freunden gut geworben, und wenn der Saal der ›Stadt Hamburg‹ sich auch nicht gleich zu Beginn der Vorstellung füllte, weil die meisten der Demonstranten bis spät in den Geschäften festgehalten wurden, so war beim Auftreten Kruse-Lindwurms zur Genugtuung des ahnungslosen Wirtes doch kaum ein Stuhl frei.

Der Wirt hatte den Zeitungsartikel selbst mit einigem Mißbehagen gelesen und seinen Komiker nicht gerade höflich einen alten Faseler genannt. Der im Lokal losbrechende Sturm kam ihm aber völlig überraschend. Kaum hatte Erhard Lindwurm mit einem Fuße die Bühne betreten, als sich ein Zischen, Füßetrampeln und Schreien erhob, daß die uneingeweihten Gäste sich erstaunt umsahen und der Wirt verblüfft hinter dem Büffet voreilte. Schrilles Pfeifen mischte sich in den Lärm, und Schmährufe flogen zur Bühne. »Rrraus!« brüllte ein halbes Dutzend Stimmen. »Bist du auch bestraft? – Hast du auch gebrummt?« schrieen andere. Und dann wieder ein betäubendes »Rrraus! Rrraus!« untermischt mit neuen derben Schimpfnamen.

Detlev Kruse stand zuerst blaß und ratlos, dann zuckte er höhnisch die Achseln.

Dreimal zog er sich zurück, versuchte sein Glück von neuem und wurde immer energischer hinausgewiesen, bis der besorgte Wirt hinter der Bühne verschwand und bald darauf eine Sängerin an Stelle des Ausgezischten das Podium betrat und die Erregung sich beschwichtigte.

Der Lindwurm trat nicht mehr auf. Er harrte bis nach dem Schlusse der Vorstellung in dem Verschlage, der den Namen ›Garderobe‹ führte, und wagte sich erst durch den Saal, als auch die letzten Zuschauer gegangen waren und die Demonstranten teils auf der Straße, teils in den umliegenden Wirtschaften ihren Sieg feierten.

»Meinen Sie, ich lasse mir von Ihnen meine Gäste weggraulen?« fuhr am Büffet der Wirt den ›Künstler‹ schnaubend an. »Da! – bis auf drei Mark haben Sie Ihre Gage weg. Versetzen Sie Ihre Lumpen, damit Sie wenigstens von Kiel fort können!«


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