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Viertes Kapitel.

»Wenn ich mal nicht mehr reiten kann, hab' ich den ganzen Rummel satt, Herbrinck,« sagte der Graf unterwegs, als er seinem tänzelnden Braunen den Hals klopfte.

»Na, das hat noch Zeit,« klang es zurück.

»Ich habe mitunter so Anwandlungen zur Selbsteinkehr und sehe dann so ziemlich deutlich, daß ich dem blauen Briefe des Herrgotts mit jedem Jährchen um einen fatalen Schritt näher komme.«

»Sie stehen auf der Höhe des Lebens –«

»Sagen Sie! Ist aber verflixt windig da oben. Nee, Herrschaften, man immer sachte einpacken, sage ich mir –«

»Hast du Aerger gehabt heute morgen, Papa?« fiel die Komteß ein, deren schlanke, biegsame Figur in dem schlichten, eng anliegenden graugrünen englischen Reitkleide zu bestechender Geltung kam.

»Nein, Kleine, diesmal hast du vorbeigeschossen,« versicherte der Graf. »Hast aber recht, daß die Schwarzseherei in diesen weißen Tag schlecht hineinpaßt. Guck dir bloß mal den Nettelsee an! Mit dem Eiskollier ordentlich bräutlich. Und der Knick! Wie mit Marzipanguß auf den kahlen Ruten. Und der mächtige blaue Baldachin über uns! Und die reine, demantklare Luft! – Köstlich, was?«

Einzelne Landleute waren auf dem Kirchgange. Sie wichen den Reitern aus und wateten abseits durch den fußhohen Schnee. Die Frauen nickten, die Männer zogen grüßend die Sonntagsmützen. Ihr ›Gu'n Morgen‹ wurde von den reitenden Herren mit lautem Gegengruß, von der Komtesse mit freundlichem Lächeln erwidert.

»Eine Lust, die Landbevölkerung in unserem schönen Holstein,« sagte Herbrinck voll Stolz. »Alles gesund und tüchtig; von wirklicher Armut kaum irgendwo die Spur –«

»Nur in den Arbeiterfamilien auf den großen Gütern,« versuchte Luckner zu reizen.

»Auf Timmhusen?« fragte Herbrinck. »Haben Sie die Leute schon einmal beobachtet, wenn sie sich an Feiertagen zusammenfinden und sich in ihrer Art vergnügen? Meines Wissens haben Sie weder den ›Pfeifenkopf‹, noch den ›Braunen Hirsch‹ oder die ›Weintraube‹ je mit Ihrem Besuche beehrt, wenn da einmal etwas ›los‹ war. Und doch muß man, wenn man den einfachen Mann ganz verstehen will, ihn nicht bloß bei der Arbeit, sondern auch einmal bei seinen Festen sehen. Mit dem Sonntagsrocke zieht er gewissermaßen auch den Sonntagsmenschen an, und der zeigt, daß die nährende Arbeit ihm recht gut auch einen klingenden Taler für ein Vergnügen übrig läßt –«

»Das glaube ich – bei Ihrer Noblesse, mein lieber Herbrinck!«

»Suum cuique, Herr Graf. Und bei dem, der mal nicht mitkommen kann, noch etwas mehr, damit er nicht dauernd zurückbleibt, sondern die kritische Zeit ohne Schaden übersteht.«

»Zufrieden sind die Leute deshalb aber doch nicht –«

»Doch, Herr Graf. Aber wenn die eine Hand streichelt, soll die andere nicht kratzen.«

»Das geht auf mich, Lene. Herbrinck streichelt, ich kratze. Dafür haben sie aber auch vor mir mehr Respekt. Wenn einer weiß, daß ihm einer auf die Füße tritt, dann nimmt er sich in acht. – Dein Fuchs denkt wohl, er ist mit dir in der Tanzstunde, Kleine? Gib ihm mal die Kandare zu fühlen, die tut manchmal Menschen und Tieren gut.«

An einer Wegebiegung kam in einiger Entfernung Neurade in Sicht, dessen Herrenhaus gerade zwischen den langen Wirtschaftsgebäuden hindurch den Ankommenden entgegengrüßte.

»Was, haben die von der Ehre unseres Besuchs eine Ahnung, daß sie gar geflaggt haben?« fragte Luckner, auf eine vom Morgenwinde träg geblähte Fahne in den holsteinischen Farben deutend.

Die Komteß half seiner Erinnerung nach.

»Hast du vergessen, Papa, daß Herr Menge einen Tag nach seinem Sohne Geburtstag hat?«

»So? Die Rechnung stimmt aber nicht, Kleine. Erst kommt logisch der Vater, und dann feiert der Herr Sohn – – i, das ist kurios – wie kann der Sohn vor dem Vater – – das ist ja ein richtiger Witz in der Zeitrechnung – –«

Alle drei lachten.

»Na, hoffentlich sind noch nicht zu viele Gäste da. Höchstens schwärmt Tönndorp noch für so'n Ritt ums Morgenrot. Sie, Herbrinck, wenn der da ist, hat die Hausfrau wieder mal ihren Aerger.«

»Von wegen dem Spiel?«

»Das kann er doch nicht lassen.«

»Ich mache nicht mit.«

»Haben Sie die Katze zu Hause gelassen? Ich werde Ihnen borgen.«

»Danke. Ich kann mich beherrschen.«

»Also morgen wird noch Eis gefahren?« warf Luckner ein. »Ich werde ein bißchen zusehen und meine Spazierfahrt nach Kiel – auf Mittwoch verschieben. Willst du mit, Kleine?«

»Du bekommst einen Kuß, Papa!«

»Schön. Abgemacht.«

»Sie sind übrigens ein schlechter Wetterprophet, Herbrinck. Zu dem Froste haben Sie kein Vertrauen? Wenn Sie so lange schlafen könnten, bis der weg ist, würden Sie ein neues Weltwunder.«

»Ist das Ihr Ehrgeiz?« fragte die Komteß schelmisch.

»Ach wo,« schnitt Luckner die Antwort ab. »Der möchte noch am liebsten andere für sich hinlegen und für sich selbst fünfundzwanzig Stunden aus dem Tage machen. Haben Sie in der Nacht überhaupt kein Auge zugetan?«

»Das war eine Ausnahme, Herr Graf.«

»Lassen Sie die nicht zu oft vorkommen. Selbst der beste Radreifen geht in die Brüche, wenn die Kutsche immer unterwegs ist. Wir scheinen wirklich die ersten zu sein, denen der blau-weiß-rote Festgruß entboten wird. Ist noch alles still auf dem Hofe.«

»Sie haben uns aber schon bemerkt,« rief die schlanke Reiterin, indem sie ihren Fuchs auf dem gefährlichen Hofpflaster zum langsamen Schritte verhielt.

»Von einem der Mittelfenster aus weht ein Taschentuch – siehst du es nicht, Papa? – Das gilt besonders dem Herrn Paten,« fügte sie neckend hinzu und lachte Herbrinck mit den sonnigen Blauaugen an.

Aus den Ställen kamen Leute heran und nahmen die Pferde vor dem Herrenhause in Empfang.

Unter dem Hauptportale des Schlosses stand der Gutsherr und schüttelte seinen Gästen die Hände.

»Willkommen auf Neurade!«

»Meinen Glückwunsch, ganze Menge!« scherzte Luckner in gehobener Stimmung.

Im Salon gab es ein heiteres Begrüßen mit der noch jungen, sympathischen Schloßherrin und ihrem Stolz, dem dreijährigen, dicken, rosig gesunden ›Thronerben‹. Der Bengel begrüßte zuerst die junge ›Tante Uckner‹ und hing sich dann ziemlich stürmisch an den von seinem kleinen Bubenherzen zärtlich geliebten Paten, den er möglichst eilig an seinen Geburtstagstisch zu schleppen versuchte.

»Ontel – Ontel!« – – das verstümmelte Wort kam immer wieder über die frischen, plappernden Kinderlippen, und dazwischen verstreut ein rufendes: »Tante Ene, Tante Ene«, wenn die junge Dame sich einmal von der Bescherung entfernt hatte und sich auch mit den anderen unterhielt.

Die Gutsleute hatten dem Schloßherrn eine lange Pfeife und ein Säckchen mit fünf Pfund ›Pastorentabak‹ geschenkt, die einer der Kutscher bei einem Besuche in Neumünster im Auftrage mit Bedacht und Sachkenntnis eingekauft hatte.

»Man sieht die Liebe,« sagte Menge erfreut.

»Das edle Kraut werden Sie aber auf dem Dach verpaffen müssen,« meinte Luckner.

»Ich denke nicht daran. Im Gegenteil: es wird mir schmecken.«

»Na, denn guten Appetit.«

Frau Lucie Menge erzählte von dem Buben.

»Also heute ist dein Geburtstag, Waldemar, sagte ich ihm gestern früh. Da machte er die großen Augen noch weiter auf und fragte: ›Wo it er – wo it er?‹«

»Wo ist dein Geburtstag, Schlingel?« wiederholte Luckner lachend das Experiment.

»Da, Ontel!« Und der Bengel wies mit seinem verständigen Kinderernst auf das Faßbare, den Gabentisch.

»Den Donner –«

Luckner beteiligte sich amüsiert an der Besichtigung der kleinen Herrlichkeiten.

Nach einer Stunde kam Graf Tönndorp im Schlitten.

»Donnerkiel, ich glaube, der schleppt doch noch von dem Kuhnschen Segen mit sich herum!« platzte Luckner heraus und drängte sich ans Fenster. »Ach nee, da hinter dem Kutscher kraucht noch was aus den Decken heraus – – ah, die Gnädige, und nicht mal im Kuhnschen Kunterbunt. Herbrinck, mit dem Skat oder Solo wird es nichts. Wenn die dabei ist, hat's vormittags Feierabend geschlagen. Sie sind beneidenswert, Sie kommen glücklich um die Anleihe herum.«

Tönndorp brachte doch ein umfangreiches Paket mit, und Luckner wurde schon wieder zweifelhaft, ob er nicht doch noch auf seinen Ulk kommen sollte. Aber das Geschenk war mehr praktischer Natur.

»Eine Brotschneidemaschine,« erklärte Tönndorp, ein behäbig korpulenter Fünfziger mit vergnügt blinzelndem Augenpaar. »Ist zwar weniger für Sie, lieber Menge, kommt Ihnen ja wohl aber auch zugute.«

»Nanu, wer hat dir denn den Spahn abgehauen?« forschte Luckner.

In das ›Du‹ der befreundeten Nachbarn war der um vieles jüngere Neurader Gutsherr, obgleich er beliebt war, noch nicht eingeschlossen.

»Ich selbst,« gab Tönndorp zur Antwort und wandte sich an die Hausfrau: »Ist auch eine Arbeit, das Brotschneiden, und weil das Mäulchen – oder wenigstens der Magen – Ihres Prinzen immer größer wird, hab' ich Ihnen das Stopfen etwas erleichtern wollen. Wer dabei der Beschenkte ist, er oder sie, das ist unter Kameraden ja wohl ziemlich egal.«

Aber das Geburtstagskind selbst kam auch nicht zu kurz. Ein halbes Dutzend Spiele neuer Karten war mit dem nützlichen Angebinde geschickt mit eingeschmuggelt worden.

»Heute brauchen wir keine, das weiß ich allein,« bemerkte der Spender, der ein verständnisvolles Schmunzeln Luckners aufgefangen hatte. »Aber der Winter ist noch lang und Menges Knickrigkeit groß. Da wollte ich mit dem Zweckmäßigen einen kleinen Hieb verbinden. Herrjeh, Kleine, so was Schmuckes wieder – – ich sag's ja immer, die Timmhusener Jüngste – Spieglein an der Wand – ist die schönste im ganzen Land. – Natürlich, meine liebe Frau Menge, Sie konkurrieren mit – – und meine Gnädige – früher auch,« schloß er mit einer kleinen Anzüglichkeit auf seine Gattin, die im Rufe stand, trotz ihrer Gutmütigkeit ein wenig den Pantoffel zu schwingen.

Die Gräfin fühlte sich nicht verletzt.

»Früher sah er in dem bewußten Spiegel nur mich,« versetzte sie, auf den Scherz eingehend. »Das geht bei den Männern aber immer so; mit den Jahren werden sie – oder der Spiegel – blind. Womit ich übrigens der gegenwärtigen Timmhusener ›Schönsten im Land‹ nicht zu nahe treten will.«

»Onkel Tönndorp,« mischte sich Komtesse Helene ein, »Papa nimmt mich am Mittwoch mit nach Kiel, da will ich Ihnen einen anderen Spiegel mitbringen –«

»Soll sogar auch – von Kuhn sein –« ergänzte Luckner boshaft und hatte die Lacher auf seiner Seite. Selbst die Gattin des Angegriffenen stimmte herzlich mit ein.

»Nee, Luckner, Scherz beiseite: reinlegen kannst du mir den Kerl mal helfen. – Na, ich hab' doch wenigstens den Weizen gerettet, der zu dem alten auch noch hätte futsch gehen können.«

Ein politisches Thema verdüsterte einen Moment den lachenden Horizont, und gerade die beiden verwandten Naturen Tönndorp und Luckner waren es, die aneinander gerieten.

Frau Lucie Menge suchte zu vermitteln.

»Luckner, lassen Sie sich in den Reichstag wählen, und Sie auch, Tönndorp –«

»Nee, da liegen wir uns dort auch in den Haaren,« protestierte Tönndorp.

»Stören aber wenigstens Menges Geburtstag nicht,« gab der Timmhusener einlenkend zu. »Sie haben recht. Gnädige. Der Tönndorp hat aber zu sticheln angefangen –«

»Nee, mein Bester! Ich habe bloß das Karnickel bei den Löffeln gefaßt,« verteidigte sich Tönndorp schnell versöhnt.

Hans von Herbrinck beschäftigte sich meistens mit dem Jungen, und zu seiner Beunruhigung war die junge Komteß von der Hausfrau immer nur vorübergehend zu fesseln, dann kehrte sie stets zu dem Prinzen zurück und gab Herbrinck die Empfindung ein, daß doch weniger der kleine dicke Bengel als er selbst der Magnet war, der sie, ihr selbst vielleicht unbewußt, anzog. Aber das Mädchen bewahrte ihre Unbefangenheit, und Herbrinck nahm sich zusammen, ihr seine Gedanken nicht zu verraten.

Die Einladung zum Diner wurde von Tönndorp angenommen, von Luckner abgelehnt.

»Da hätte ich meine Große um Erlaubnis fragen müssen,« scherzte er. »Aber Herbrinck, wenn der will – –«

»Der bleibt natürlich!« fiel die Hausfrau lebhaft ein.

Herbrinck zögerte und traf auf einen gespannten Blick der Komteß.

»Wenn Sie mich behalten wollen,« entgegnete er entschlossen.

In den jungen Zügen der Komteß malte sich Enttäuschung.

»Ontel, dableiben,« schloß sich Waldemar energisch an. »Tante Ene, dableiben.« Er stiefelte zu dem Grafen Luckner, schmiegte sich an seine Kniee und reckte die Aermchen hoch. »Ontel Uckner, dableiben!«

»Geht nicht, mein Kerl – heute nicht, aber bald mal.« Luckner zog den Bengel auf den Schoß. »In'n paar Tagen kommen wir wieder, mein Jung', und da bring' ich dir auch was mit. Was soll's denn sein? Ein Hase, ein Pferd, eine Peitsche?«

Aber der Eigensinn beharrte bei seinem Willen.

»Dableiben!« wiederholte er kategorisch, befreite sich und stellte sich breitbeinig vor die Tür.

»Du bist ein süßer Bengel!«

Die Komteß flog durch das Zimmer und hob den kleinen Wächter ausgelassen empor.

»Sieh mal einer an, in dem Dreikäsehoch steckt aber Rasse!« Luckner schüttelte sich vor Lachen. »Na, Kleine, wollen wir's riskieren?«

»Natürlich, Papa.«

»Liebe Frau Menge, Ihr kleiner Lumpus hat gesiegt.« Luckner verbeugte sich verbindlich vor der Hausfrau. »Aber den Gefallen müssen Sie mir tun, einen Boten nach Timmhusen zu schicken.«

»Zwei, lieber Graf!«

Am Nachmittage war der Erbprinz für eine Stunde in sein Bettchen gepackt, und der Abschied ging ungehindert von statten.

»Komm' mit rüber, du bist meine beste Entschuldigung,« lud Luckner den Grafen Tönndorp ein.

»Gern, Karnickel,« sagte der und klingelte mit seinem Schlitten der kleinen Kavalkade voran.

Unterwegs fiel unerwartet ein Frost in die beflügelte Laune.

Bei einem Arbeiterhause, das einsam am Wege lag, hielt Graf Luckner plötzlich horchend an. Das Haus sollte das Ueberbleibsel eines ehemaligen Klosters sein und führte den Klosternamen noch bis in die Gegenwart, obgleich nichts an ihm mehr an seine vorzeitliche Bestimmung erinnerte. Höchstens wurde seine Weltabgeschiedenheit noch dadurch angedeutet, daß es nach der Wegseite hin völlig fensterlos war und in der niedrigen, bläulichweiß getünchten Wand nur eine kleine, im Winter mit Stroh verstopfte Oeffnung zeigte, die allenfalls als Auslug dienen konnte.

Aus einem Stalle meckerte eine Ziege; durch die nach dem engen Hof zu gelegene, halb offene Eingangstür des Klosters drang jedoch ein Juchzen und Lärmen, das nicht gerade klösterlich war und zu dem stillen Sonntagsfrieden in ziemlich auffallendem Gegensatze stand.

Herbrinck und die Komteß ritten weiter, Luckner aber lenkte seinen widerstrebenden Braunen auf den Hof und suchte den Lärm zu ergründen. Füßetrampeln, Lachen und Gesang wechselten ab.

Eine kräftige und nicht unangenehme Männerstimme setzte nach verstummtem Stampfen und Lachen allein ein, und der Horcher konnte jedes Wort verstehen:

»Söben Klucken un een Hahn,
Kikiriki, dat mutt gahn;
Doch wenn de Graf mit kraien wull,
Denn wier he ginzli dull.«

Und der Chor wiederholte:

»Denn wier he ginzli dull.«

Kreischen und Beifall. Dann wieder der Solosänger:

»Mandag is't, wenn't Sünndag west,
De Sünnahmd is de best;
Doch wenn de Graf mal arbei'n möß,
Denn geiw dat Fierdag söß sechs. – –
:,:Denn geiw dat Fierdag söß. :,:

Schauster is en goden Mann,
De ok wat verdeenen kann;
Doch wenn des Graf sien Bütel leer,
Denn kümmt 't von Dreekart her – –
:,:Denn kümmt 't von Dreekart her. :,:

Fischen is en grot Vergnög'n,
De Gräunrock kann am besten lög'n;
Doch wenn de Graf dat Mul makt up,
Denn geiht dat knallerarup.
:,:Denn geiht dat knallerarup. :,:

Döschen dreschen. ist keen Kinnerspeel,
Int Sloß da snackt man geel; gelb.
Doch wüll Een mal wat up de Snut:
Uns' Graf, denn kam man rut heraus.
:,:Uns' Graf, denn kam man rut. :,:

»Gaud, Dedl, gaud!« lobte eine heisere Baßstimme. »Herrjeh, dat sull De man hürn!«

Dem Grafen schwoll die Zornesader; das war ja wie die reine Rebellion.

Wütend hämmerte er mit dem Silberknopfe seiner Reitpeitsche gegen die Tür. Aber er brauchte lange, ehe er den Lärm drinnen übertrumpfen konnte.

»Himmelkreuzschockschwerebrett!« schrie er fluchend.

Drinnen wurde es plötzlich still.

»Nu kamt man rut! Nu kamt man rut!« forderte Luckner erbost.

Ein Klappen von Holzpantoffeln auf der Lehmdiele und ein gedämpfter Ruf: »Herrjeh, de Graf!«

Dann wieder Totenstille.

»Soll ick rinkamen?« donnerte Luckner und zerrte seinen schnaubenden Braunen bis dicht an die Tür.

Ein älterer Mann kam schleppend zum Vorschein.

»Ah, Sie sind das, Kruse. Natürlich Kruse!«

Der Mann war der Vater des Burschen, den der Gutsherr mit der Reitpeitsche traktiert hatte.

»Jo, ick, Herr Graf –« Das klang devot, aber auch verhalten grollend.

»Melden Sie sich morgen bei dem Verwalter! Und binnen acht Tagen sind Sie hinaus, sonst pack' ich Sie noch selbst. Wer ist noch von der Blase?«

Luckner schwang sich aus dem Sattel.

»Raus, halten Sie mir den Gaul!«

Er bückte sich in der Tür und stampfte durch den halbdunkeln Flur. Drohend stand er mitten unter der verdutzten Gesellschaft.

»Der Körten, der Dütje, der Maulaffe! Wer sind Sie?« fragte er einen städtisch gekleideten Vierten, dessen bartloses, verschminktes Gesicht den Komödianten verriet.

Der Befragte, ein Bruder des Klosterbewohners, der zu Besuch gekommen war, suchte eine würdevolle Haltung anzunehmen.

»Detlev Kruse, zu dienen. Bekannter unter dem Pseudonym Erhard Lindwurm, derzeit Komiker am Walhalla-Variété in Kiel.«

»Und von dem Wurm sind die Spottverse?«

Rietsch – sauste die Peitsche. Aber der ›Wurm‹ hatte rechtzeitig ausweichen können.

»Na, ist gut, daß ich nicht getroffen habe,« fauchte Luckner und sah sich um. »Ist das sein Schafspelz?« fragte er und deutete auf einen schäbigen, in der ländlichen Umgebung immerhin auffallenden Pelzmantel. »Rein in das Fell!« donnerte er, und der Angefahrene kam dem Befehl gehorsam nach.

»Herr Graf –« wollte sich die Frau des Arbeiters einmischen.

»Schweigen Sie! – Wo ist sein Deckel?«

Dütje reichte einen altersschwachen Zylinder.

»Nu raus!«

Der Humorist stolperte eilig über die Schwelle, drückte seinem Bruder draußen mit flüchtigem Achselzucken die Hand und schloß im Verschwinden den Pelz.

»Unsere Abrechnung kommt nach!« wandte sich Luckner drohend an die kleinlauten Gutsleute, schwang sich in den Sattel und fuchtelte grimmig mit der Peitsche, als er den ausgewiesenen Lindwurm überholte. Er hielt sich aber nicht mehr mit ihm auf, sondern folgte in schlankem Trabe den Vorangerittenen, die er erst nahe vor dem Gute wieder in Sicht bekam.

Auf dem Hofe harrte seiner eine weitere Ueberraschung, die ihn erneut aufbrachte.

Das große Einfahrtstor eines langen, scheunenartigen Baues, der als Stallung für die einigen hundert Kühe des Gutes diente, zeigte in weithin sichtbarer, roher Kreidezeichnung eine lebensgroße Frauenfigur. Es war kein Künstler gewesen, der die Karikatur zustande gebracht hatte; aber die Art, wie das Gesicht gezeichnet war, ließ doch eine gewisse urwüchsige Begabung nicht ganz verkennen, und der Graf war nicht lange im Zweifel, wer mit dem Bilde gemeint sein sollte. Die leicht gebogene, spitze Nase der älteren Komtesse war übertrieben vergröbert, der hochmütig zurückgeworfene Kopf aber, wahrscheinlich zufällig, leidlich gut getroffen. Die ungelenk hingekritzelte Unterschrift ›der dragge‹ deutete noch nicht notwendig auf die junge Gräfin, aber die auf dem Hute in derben Umrissen angebrachten Straußenfedern wurden in der ganzen Gegend allein von ihr mit ausgeprägter Vorliebe getragen.

Graf Luckner war entrüstet. Die Komteß Eveline war nicht beliebt, er wußte es; aber das gab einem Spötter noch kein Recht, über sie herzufallen.

Luckner gab sein Pferd ab und suchte Herbrinck im Verwalterhause auf.

»Haben Sie gesehen –?« fragte er abgerissen.

Herbrinck hatte sich mit seiner Begleiterin unterhalten und nichts wahrgenommen.

Luckner erzählte zornig.

»Eine Frechheit!« resümierte er. »Ueberhaupt ein Geist jetzt unter der Horde, als ob der Teufel dreingefahren wäre!« Er schilderte zugleich den drastischen Auftritt bei Kruse. »Das haben Sie von Ihrer übertriebenen Gutmütigkeit,« warf er dem Verwalter vor.

»Mit der Faust dreinfahren muß man, das zieht mehr. Stellen Sie mir den ›Draggenmaler‹ fest, der soll mich auch abkonterfeien. Nee, Herbrinck, erst das Idyll von Neurade, und dann die spitzbübische Fratzerei hinterher! Ganz miserabel könnte einem werden, wenn man nicht den Kopf hochhalten und sich sagen müßte: ach, larifari, Daumen aufs Auge! – Kommen Sie nachher rüber. Die Damen unterhalten sich allein, und wir machen, Tönndorp zuliebe, doch noch ein Spielchen ...«

»Ich bitte um Dispensation. Ich werde das Spottbild entfernen lassen und mal nach Kruse sehen.«

»Mir auch recht. Aber dabei bleibt es; den Kerl will ich nicht mehr behalten, um keinen Preis. – 'djüs.«

Prustend ging er.

Herbrinck verharrte noch eine Weile gedankenvoll.

Darin stimmte er mit dem Gutsherrn überein: der Geist, der seit einiger Zeit auf Timmhusen seinen Einzug gehalten hatte und anscheinend mehr und mehr an Boden gewann, war kein besonders guter.

Die träge Ruhe der Landleute war ihnen ein starker Schutz gegen leichtfertige Exzesse. Aber schließlich rollte doch auch in ihren Adern ein Blut, das einmal in Wallung geraten konnte.

Luckner war ein liebenswürdiger Gesellschafter im Verkehr mit seinesgleichen, aber eine Herrennatur im Umgange mit den unter ihm stehenden Leuten. Er war sich dessen vielleicht nicht einmal bewußt und reizte noch weniger absichtlich; es war allein das anerzogene Vorurteil in ihm, das ihn ohne bösen Willen, aber doch unbedacht aufstachelnd über der plebejischen Umgebung thronen ließ.

Herbrinck fühlte sich etwas beunruhigt. Um die Leute sorgte er sich einstweilen noch nicht; aber die Stimmung des Grafen war nicht ungefährlich und ließ Unbesonnenheiten, die sich rächen und die unerfreuliche Lage verschlimmern konnten, nicht ausgeschlossen erscheinen.

Er begab sich nach der Stallung und betrachtete nachdenklich die primitive Kunstleistung. Das hochmütige Wesen der Komteß und ihre an Geiz streifende Genauigkeit waren von ihm selbst wenig beachtet worden; aber auch der schlichte Volkssinn hatte die Untugend erfaßt, und wie sie auf ihn wirkte, das bezeugte die boshafte Karikatur, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.

Er rief nach einem Stallknecht und verwies die Ungehörigkeit.

Der Knecht kraulte sich hinter den Ohren und protestierte dagegen, daß ihm etwa die Urheberschaft zugeschrieben würde.

»Das habe ich nicht sagen wollen. Einer von euch muß es aber doch gewesen sein.«

»Ick ni,« lautete die lakonische Verteidigung.

»Wer denn?«

Der Mann zuckte die Achseln und suchte den Verdacht ins Unbestimmte abzulenken.

»Dat kann von uns keen Een,« behauptete er.

»Nicht? – Wischen Sie die Schmiererei fort,« forderte Herbrinck.

Der Mann holte einen leeren Sack, der gerade zuerst bei der Hand gewesen sein mochte, und begann zu scheuern. Die ›Straußenfedern‹ konnte er nicht erreichen, und der Verwalter, der größer war, mußte die Arbeit selbst vollenden. Wortlos warf er dem Knecht den Sack über den Arm und setzte zu Fuß den Weg nach dem ›Kloster‹ fort.

Dort hatte natürlich auch der Bruder Komiker sich wieder eingefunden. Sobald der Graf seinem Gesichtskreis entschwunden gewesen war, hatte er Kehrt gemacht, um sich wenigstens noch über den Ueberfall mit der gehörigen Entrüstung auszusprechen. Aber Herbrinck fand eine reichlich bedrückte Gesellschaft. Die Frau trocknete mit dem Schürzenzipfel Tränenspuren ab, und der Mann stand stumm, einer Strafpredigt gewärtig, vor dem Vertrauten des Schloßherrn.

»Wie ist das gekommen?« fragte Herbrinck in seiner ruhigen Art.

Der zungenfertige Humorist wollte ihm antworten.

»Sie glaubte ich glücklich wieder unterwegs,« kam ihm Herbrinck zuvor. »Ihre Anwesenheit mag geduldet sein, aber ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen.« Der strenge Ton ließ keinen Widerspruch aufkommen. »Erzählen Sie, Kruse!« forderte er von dem Arbeiter.

»Jo –«

Der Mann suchte sich zu sammeln.

»Genau kann ick dat ni mal segg'n. Den Herrn Grafen harrn wi ni hürt bi den Larm, bet he – bet he kloppen deh. Wo wier dat gliks? Jo – wi süng'n. Mien Broder süng. Ganz gehüri wier dat woll ni, awer doch man all dumm Tügs, un dar is doch nichts bi.«

»Was wurde gesungen?«

»Wat? Jo, wenn ick dat segg'n künn. Weetst du dat ni mihr, Dedl?« fragte er den Bruder. Der Humorist hatte die Verse nach dem Mittagessen gedrechselt und flüchtig in sein Taschenbuch gekritzelt. Er riß den kaum leserlichen Entwurf mit seinen Korrekturen heraus und reichte die Blätter devot dem Verwalter.

Herbrinck warf einen Blick auf die Hieroglyphen.

»Ich werde das zu Hause zu entziffern suchen,« entschied er und steckte die Wische ein. »Ich will hier vor Ihren Verwandten nicht mit Ihnen verhandeln, Kruse. Melden Sie sich morgen früh um sieben bei mir,« befahl er nach kurzem Ueberlegen. »Dütje und Körten auch; bestellen Sie ihnen das. Gun Dag.«

Die Frau haschte nach seinen Händen.

»Herr von Herbrinck,« stieß sie jammernd aus, »wenn – wenn Se dat nu ni wedder in Ornung bring'n, denn – denn is dat ut mit uns – ganz rein ut. Ick wull Se doch beden hewwen – wi sünd ol Lüd –«

Herbrinck wollte nicht schroff sein.

»Das hätten Sie bedenken sollen. Aber gut,« wehrte er ab. »Wir wollen morgen früh das Weitere besprechen.«

»Harmlose Schnadahüpfeln,« rief der Humorist noch hinter ihm her.

Als er vom Kloster aus nicht mehr beobachtet werden konnte, blieb er stehen und quälte sich mit der Entwirrung der fürchterlichen Krähenfüße und noch fürchterlicheren Orthographie ab. Durch die Erfahrung der langen Jahre in das Idiom eingeweiht, gelang ihm die Entzifferung endlich, und er gestand sich mit einiger Verwunderung, daß er von dem simplen Urheber weniger Sinn erwartet hatte. Der aus der Dorföde in das Artistenleben verschlagene Poet schien weder unintelligent noch ohne einen gewissen derben Witz zu sein.

Daß der leicht erregbare Graf an den gegen ihn gerichteten Spitzen Anstoß genommen hatte, begriff er; aber auf die Frage, ob es sich dabei wirklich um eine Todsünde handle, wollte ein Ja nicht in ihm aufkommen.

Behagen empfand er freilich auch nicht.

»Gärt es?« fragte er sich.

Das Spottbild, und das Spottgedicht waren jedes für sich nicht so ganz harmlose Warnzeichen.


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