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Zehntes Kapitel.

Endlich, nach wochenlanger, unbestrittener Herrschaft war dem Froste ein Ziel gesetzt worden, und der Februar beliebte eine fast aprillaunische Miene aufzusetzen.

Nur an wenigen geschützten Stellen waren noch Schneereste erhalten, die aber fast so schmutzig dunkel gefärbt waren wie die weiten, schwarz starrenden Feldflächen. Die Luft war feucht, und die Sonne strahlte, wenn sie in einer Regenpause durch die jagenden Wolken niederblicken konnte, spiegelnd auf eine einzige nasse, glitzernde Fläche. Zwischen den Steinen des gepflasterten Hofes sammelte sich die Flut in einem Netze von feinen Kanälen und erweiterte sich da und dort zu schimmernden Lachen; die Strohdächer trieften von Nässe, die Stämme und Ruten der Bäume und Gebüsche erschienen wie glänzend lackiert, und die Feldfurchen glichen kleinen Bächen.

Durch die Lust ging ein hohles Brausen wie unzufriedenes Murren des in seiner Herrschaft ernstlich bedrohten Winterkönigs, und hin und wieder mischten sich die Niederschläge noch mit rasch dahin sterbenden Schneeflocken.

Die Flagge auf dem Timmhusener Schlosse, die zu Ehren Herbrincks und seiner ins Schloß geladenen Braut aufgezogen war, wurde vom rasch umspringenden Winde nach allen Richtungen gebläht, und oft zerrte der Wind sie so heftig, daß ihr Knattern bis vor dem Schlosse vernehmbar war, wo die Gäste des Gutsherrn in dicht verschlossenen Kutschen vorfuhren.

Graf Tönndorp und Gemahlin waren die ersten, denen Luckner bewillkommnend die Hände schütteln konnte. Dann kamen Menge und Frau mit dem ›Erbprinzen‹, der bei dieser Gelegenheit gleichfalls nicht fehlen sollte, wenn auch durch Hinzuziehung seiner Erzieherin Vorsorge getroffen war, daß er sich nicht allzusehr bemerkbar machen und gegen Abend rechtzeitig wieder nach Neurade geschafft werden konnte.

Minder Intime als die nächsten Nachbarn einzuladen, hatte Luckner im Einverständnisse mit dem Bräutigam vermieden.

Die Verlobten kamen zuletzt. Die Kutsche des Grafen war erst vom Hofe gerollt, als Tönndorp bereits angelangt war. Das Erscheinen des Paares war sogar reichlich verspätet, wenn auch ohne eigene Schuld. Sophie Löhr hatte die letzte Hand an ihre Toilette gelegt gehabt und den Bräutigam nicht lange warten lassen; aber der Waldweg war ausgeweicht, die Räder sanken oft tief in alte, schlammig ausgefüllte Gleise, und die feurigen, schnaubenden Pferde mußten vorsichtig zum Schritte verhalten werden. Erst auf dem Hofe selbst konnte der Kutscher seine Fahrkunst zeigen und in elegantem Bogen die Tiere ausgreifen lassen, um sie dann geschickt und wie abgezirkelt gerade vor dem Portale zum Stehen zu bringen.

Das Brautpaar begleitete der Bruder der Braut, der zum erstenmal die kleidsame Försteruniform trug und frisch und stattlich aussah, aber eine hochgradige Befangenheit sichtlich nur mit Anstrengung meistern konnte.

Sophie Löhr trug ein graues Kleid, einfach und geschmackvoll in Schnitt und Farbe. Sie hatte Seide gewünscht, aber der Verlobte hatte ihr zu einem Tuchstoffe zugeredet und damit den Ausschlag gegeben. Eine Diamantbrosche und ein Kettenarmband von mattem Golde waren Herbrincks kostbarste Brautgeschenke gewesen.

Graf Luckner trat dem Brautpaare lebhaft entgegen und grüßte mit einer gewinnenden Herzlichkeit, die um so ehrlicher war, als er Herbrinck sogleich auszeichnen wollte, und auch die Braut mit ihrer frischen Jugendlichkeit ihn zu ihrem Vorteil überraschte. Komteß Helene trennte sich im Salon von den älteren Damen und gesellte sich mit vornehmer Höflichkeit zu dem Vater. Ihr Antlitz war im Moment der ersten Gegenüberstellung farblos, aber mit stolzer Energie wahrte sie die Form, und nicht ein Zucken irrte um den sein geschnittenen Mund. Die hohe Stirn leuchtete unter dem goldenen Blondhaar unnatürlich weiß, aber das blaue Auge begegnete fest dem Herbrincks und traf offen auf die junge Braut.

»Meine Hausfrau,« stellte Luckner freundlich vor. »Meine Aelteste –« er schluckte an der Unwahrheit – »befindet sich nicht Wohl und läßt um Entschuldigung bitten. Wir – werden dabei nicht zu kurz kommen. Meine Herrschaften!« Er wandte sich an die Gäste und führte die Braut mit liebenswürdiger Vorstellung ein.

Sophie Löhr, die das glatte Parkett der vornehmen Salons auf Timmhusen und Tönndorp früher in der untergeordneten Stellung betreten hatte, fand sich überraschend schnell in die veränderte Situation und bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit, die fast auffallend war und dem scharfen Empfinden der Damen mehr ihren Triumph als die von ihr erwartete Befangenheit und Bescheidenheit anzeigte. Der Konversationston stand ihr nicht zur Verfügung, und mit Worten suchte sie auch nicht zu imponieren; aber ein breites Hineinstellen ihrer Person und vertrautes Sichgeben führte zu einem nicht ganz angenehmen Eindruck.

»Halloh, lieber Löhr,« wandte sich Luckner plötzlich an den jungen Förster, der bescheiden an der Tür stehen geblieben war, »ja, so ein Brautpaar ist eine Wichtigkeit, da werden die anderen leicht übersehen. Seien Sie mir als künftiger naher Freund Herbrincks doppelt willkommen!«

Auch Helene begrüßte den schüchternen Gesellen freundlich, und Tönndorp band bald scherzend mit ihm an, um die Befangenheit von ihm zu nehmen.

»Herr Oberförster,« sagte er lachend, »wo eine Schwester ist, da kommt der Schwager von selbst. Erst recht, wenn sie so schmuck ist. Nun gehe hin, mein Sohn, und tue desgleichen. Oder – schon Ausschau gehalten?«

»Zu Befehl, Herr Graf, nein,« brachte Löhr ungelenk hervor.

»Na, na! Wer den Rock Seiner Majestät getragen hat, der hat auch meistens schon ein paar Herzen gebrochen. Wenn Sie jetzt eins finden, das lassen Sie aber hübsch heil. Eine schmucke Försterin ist auf Timmhusen lange nicht gewesen, überhaupt keine Försterin mehr, seit die vom alten Wöller ein bißchen sehr vorzeitig von ihm gegangen ist. – Erlaube, Luckner, wenn du nicht anders bestimmt haben solltest – den Herrn Förster hätte ich gern als Tischnachbar. Sieht verträglich aus und kann mir ein bißchen von seiner Soldatenzeit erzählen, was ich ja immer gern höre. Also – wenn's zu machen sein sollte – bitte gehorsamst.«

Der Hausherr durchschaute die wohlwollende Absicht des Freundes und entgegnete scherzend:

»Weißt du noch, daß ich mich mal mit Gedankenleserei beschäftigt habe, im Anschluß an die Cumberland und Genossen? Du wirst staunen, was das für Früchte getragen hat.«

»So? Na, die alte Geschichte von dem Huhn, das auch manchmal –, oder von dem Felsen, auf dem auch mitunter ein mageres Pflänzlein sein Dasein fristet. Aber die Hauptsache: ist gemacht – danke!«

Die Damen Tönndorp und Menge zogen die Braut in ein Gespräch, dessen Hauptanteil auf die Neurader Gutsherrin fiel, während die Tönndorper im geheimen die äußere Erscheinung der Braut einer kritischen Musterung unterzog. Ein lebhaftes Mienenspiel, reflektierte die erfahrene alte Dame, ein frisches Blut in den Adern, eine üppige ländliche Schönheit; Blüten auf den vollen Wangen, die Lippen zu voll, die Stirn frei, aber nicht hoch genug. Das Augenpaar – fast zu siegesbewußt. Die Toilette – ein fremder Geschmack, der des Bräutigams. Die Unterhaltung zögernd, tastend, aber nicht unsicher aus begreiflicher Erregung, sondern spröde und eintönig aus mangelnder Geistesschulung. Eine Krone würde zu dem kupferroten Haare, dessen Fülle zu einem modernen Knoten verschlungen ist, nicht passen und keinen Adel auf die Alltagszüge des jungen Gesichtes abglänzen lassen. Die arbeitsharten Hände kraftvoll und unschön.

Graf Luckner unterbrach die Damen, sobald der grauhaarige Siebenlist die Doppeltüren zum Speisesaal geöffnet hatte.

Die Festtafel war eine für das Timmhusener Schloß ungewöhnlich glänzende und ihr von Kiel beschaffter Blumenschmuck reich und kostbar.

Das Brautpaar nahm die Ehrenplätze gegenüber dem Hausherrn ein, und die hohen Lehnen ihrer Stühle waren mit frischen italienischen Rosen und kleinen Sträußen von Riviera-Veilchen umkränzt.

Komteß Helene saß zur Rechten Luckners und dem Bräutigam gegenüber. Sie sprach den Genüssen der Tafel wenig zu, aber sie unterhielt sich mit dem Vater und den Nachbarn und beherrschte ihr Mienenspiel vollkommen. Nur in der spärlichen Unterhaltung mit den Verlobten härtete und dunkelte sich ihr großes Augenpaar und versagte die dann leise vibrierende Stimme in ihrer Festigkeit. Die auf das Brautpaar gerichtete Aufmerksamkeit ließ aber die Gäste sie übersehen, und nur Herbrinck, der sie voll quälender Sorge heimlich beobachtete, ahnte ihre innere Erregung.

Nach den ersten Gängen erhob sich Luckner, schlug leicht an sein Glas und bat so um das Wort. Er strich etwas nervös den grauen Schnurrbart, und das soldatisch abgehärtete Antlitz war dunkelrot gefärbt.

»Meine Herrschaften!« klang seine Anrede in eine lautlose Stille. »Das Schloß Timmhusen liegt seitab vom Wege in einer Feld- und Waldeinsamkeit, in der es nur selten eine festliche Gastfreundschaft betätigen kann. Alte und neue Bande der Freundschaft haben meine Nachbarn zu mir Herzogen und die ehemaligen Kameraden aus den fernen Garnisonen in unseren stillen Winkel gelockt; aber die Freudentage waren doch spärlich in unsere Einsamkeit gestreut, find viel zu rasch für mich und die Meinen verflogen und – und – haben mich nie ganz offenbaren lassen, wie ich aus dem Grunde meines Herzens Dank und Liebe über alle hätte ausschütten mögen. Das Fest, das uns in dieser Stunde freudig bewegt vereinigt, krönt die besten Tage, die Timmhusen gesehen hat, und läßt uns voll hoffnungsfreudiger Zuversicht Ausblick in schöne kommende Zeiten halten. Freunde! Eine arme Scholle habe ich betreten, als mir das Erbe meiner Väter zufiel; in ein reiches, blühendes Stück Land ist diese Scholle in den Jahren seither umgewandelt worden. Ein Mann schneite in mir vor den langen Jahren unter Sie, der seinem König und Herrn in Ehren und mit Hingebung gedient, der für seinen König ehrlich gearbeitet und wohl auch ge – leistet hatte, aber der von einem vertrauten Arbeitsfelde Plötzlich abgerufen und auf ein neues, fremdes hingestellt worden war. Meine Haare waren schon von den Jahren gebleicht worden; aber wären sie es nicht gewesen, die Sorge, die bittere Sorge hätte sie über Nacht ergrauen lassen. Meine Kinder klein und unversorgt, und ich ohne Wissen und Können vor die Aufgabe gestellt, aus einem überschuldeten Besitze, aus dem Nichts heraus ihnen eine neue Existenz, eine gesicherte Zukunft zu schaffen! Meine Freunde, ich bin ein glücklicher Mensch! Ich habe in den dunkelsten Stunden meines Lebens den wahrhaften Freund gefunden, der mit seiner Kraft und Güte die Riesenarbeit, die mich Wehrlosen erdrückt haben würde, für mich und die Meinen vollbracht hat ...«

Graf Luckner machte einen Schritt zurück, als wollte er um den Tisch herum auf Herbrinck zugehen; aber dann trat er wieder vor und sprach direkt zu dem Gefeierten: »Herbrinck, ich habe Ihnen keine Gelegenheit gegeben, je an meiner lauteren und unwandelbaren Dankbarkeit Zweifel zu hegen, und es wird bis an mein Lebensende kein Wendepunkt kommen, an dem meine Freundschaft zu Ihnen versagen könnte. Aber leider, wie arm sind doch die Worte, wie viel zu arm, um Ihnen das auszudrücken, was ich in meinem besten Ich für Sie empfinde, was ich Ihnen aussprechen möchte mit unwiderstehlicher Ueberzeugungskraft. Meine Tochter wird Ihnen und Ihrer Braut überreichen, was mir an Käuflichem für Sie zu erstehen war – kleine Zeichen des Dankes, der Verehrung, der guten Wünsche. Aber damit ist es nicht getan. Ich habe nach einem anderen Ausdruck meiner Freundschaft gesucht, und –« er dämpfte seine Stimme – »und wenn Sie mich als ehrlichen Menschen schätzen gelernt haben – Herbrinck, wenn Sie mit der Annahme meines Geschenkes – mich selbst mit ehren wollen – – – Herbrinck, ich biete Ihnen das brüderliche ›Du‹ – ich leere mein Glas auf dein und deiner Braut Glück und lichte Zukunft!«

Er hatte sein Glas genommen, schritt rasch um die Tafel, stieß mit den Verlobten an und besiegelte das Du mit herzensoffenem Blick und festem Händedruck.

Die ganze Gesellschaft war aufgestanden und die überraschend herzliche Wendung des Toastes malte sich in den bewegten Mienen aller. Nur die junge Komteß war noch tiefer erblaßt, und ihr Glas zitterte, ihre Füße stockten auf dem weichen Teppich, als sie dem Zuge nach dem Brautpaar folgte. Ihre schlanken Finger kämpften sich um den Fuß des Glases, mit schmerzlichem Lächeln stieß sie an und wandte sich rasch, ohne dem Blicke Herbrincks zu begegnen, ab. Mit fast übermenschlicher Anstrengung mußte sie in einem Nebenraume verschwinden, um sich zu fassen.

Als sie zurückkam, hatte Herbrinck seine kurze Entgegnung nahezu beendet, und nur den von tiefer Erregung getragenen Schluß hörte sie noch: »Lieber Graf Luckner, dein ›Du‹ dankt mir hundertmal mehr, als mir für dich zu tun je vergönnt war, und es ist mir die schönste Freude, die deine übergroße Hochherzigkeit für mich hätte ersinnen können. Meine Hochachtung und mein Leben gelten dir und deinem Hause.«

»Luckner!« sagte Tönndorp, als das Gläserklingen verhallt war, mit ehrlicherer Rührung, als er zugeben wollte, »du bist doch ein Prachtkerl. Wenn du im Reichstage sitzen und über Zölle oder Steuern reden solltest, möchte dir das kaum so gelingen; aber was du auf dem Herzen hast, das bringst du heraus. And die großartige Idee – um die beneide ich dich. Hast mich aber auf einen Gedanken gebracht, und wenn die Hochzeit unseres Paares herangekommen ist, trage ich Herbrinck die Brüderschaft an – – Menge, die Priorität sichere ich mir im voraus. Prosit, Herbrinck! Prost, Herr Oberförster!«

Die Braut saß von Stolz geschwellt. Durch den Verlobten fühlte sie sich mit gehuldigt und sonnte sich im rasch eingebildeten eigenen Glänze. In der feierlichen Stimmung um sie war ihr auch die Erregung der jungen Komteß nicht entgangen; instinktiv brachte sie diese mit sich und dem Verlobten in Verbindung, wähnte sich beneidet und betrachtete die vornehme Rivalin, der sich nähern zu dürfen sie noch vor kurzem nicht hätte hoffen können, fast herausfordernd.

Ein Telegraphenbote wurde auf Instruktion des Grafen von Siebenlist unangemeldet vorgelassen.

Er brachte ein kleines Bündel von Telegrammen; Freunde aus Stadt und Land meldeten sich. Auch bekannte Geschäftsfreunde. Selbst Kuhn und Blanck fehlten nicht.

Luckners sentimentale Stimmung wich, und er brach in ein herzhaftes Lachen aus.

»Laß du dich aber nicht auch übers Ohr hauen, Herbrinck!« rief er seinem Gegenüber zu. »Tönndorp, ich fürchte, für die schöne Zitronenseide hat selbst meine Aelteste keine Verwendung. Ich habe wenigstens noch nichts davon bemerkt.«

»Die Line –? Ich denke doch –«

»Nee, denke lieber nicht. Die Kleine ist nicht undankbar, Tönndorp; aber wie 'ne Sonnenblume kann sie sich doch nicht rausstaffieren. Da hat die schwesterliche Liebe sich gnädig erbarmt – – Prost, Tönndorp – Kuhns Wohl!«

Eines der Telegramme, die von Menge vorgelesen wurden, bestand aus zwei Blättern.

»Nanu!« meinte der Schalk, der doch selbst der Verfasser war, »gleich 'n ganzes Buch per Draht? 's gibt doch noch noble Leute. ›Junges, liebes Paar!‹« las er ab. »›Eurem Bunde nahe ich mit göttlichem Segen. Solange die Sonne der Erde Frucht verleiht, so lange finden sich die Menschen, in Treue und Liebe Lust und Leid zu teilen. Und solange ein Menschenherz schlägt, ist die Liebe sein Höchstes. Treu sollen Eure Herzen für immer zusammenschlagen, eines für das andere und mit ihm, in Haus und Welt, in Jugend und Wer, in Sturm und Stille. Mein Segen geleite Euch! Freia.‹«

Sophie Löhr neigte sich ihrem Verlobten zu.

»Wer ist das?« fragte sie halb ins Ohr.

Die Frage gab Herbrinck einen Stich.

»Nachher.« flüsterte er. »Auf dem Nachhausewege.«

Sophie beruhigte sich. Irgend ein Bekannter, dachte sie. Natürlich von seiner Seite. Ihr war der Name fremd.

Nach Tische führte Komteß Helene das Paar an die Gabentafel.

»Von Papa – lieber Herr von Herbrinck.«

Sie zeigte auf eine kostbare, brillantenbesetzte Damenuhr mit Kette und ein mit Silber kunstvoll beschlagenes Album, das Photographie«! des Grafen und der Komtessen enthielt und daneben eine große Anzahl Ansichten von Timmhusen. Den Photographen hatte Herbrinck erst vor Tagen mit einiger Verwunderung auf dem Gute bemerkt. Er hatte seinen Auftrag rasch und geschickt ausgeführt.

»Von Tönndorp – – von Menge!« Die Komteß zeigte eins nach dem anderen. »Von Ihrem kleinen Paten –.« Eine Reitpeitsche mit silbernem Pferdekopf. »Von – Unbekannt – –.« Ein zierlicher, mit rotem Plüsch überzogener Pantoffel. »Von Ihrem Herrn Schwager –Ein gut gearbeiteter Hirschfänger. Der Graf selbst hatte Löhr bestimmt, die Gabe mit auf den offiziellen Tisch zu legen.

Der kleine Waldemar wollte ›seine‹ Peitsche auch selbst probieren. »Tante Ene, mir!« drängte er, fuchtelte ungeschickt und traf die Braut mit der Schnur über das rundliche Handgelenk.

Ein ›Au!‹ entfuhr ihr halb unter Lachen.

»Waldemar, entschuldige dich schnell,« mahnte die Mutter.

Der kleine ruppige Bengel war nur schwer dazu zu bewegen. Er schielte mit den treuherzigen Augen zu der ihm fremden und vielleicht nicht sonderlich sympathischen Dame empor und verstand sich erst nach langem Zögern dazu, ihr sein dickes Patschchen halb unwillig zur Versöhnung hinzustrecken.

Als die Stunde des Abschiedes für ihn geschlagen hatte, wiederholte sich sein Sträuben gegen die junge Braut, und um der Unterhaltung mit ihr, in die sie sich einlassen wollte, zu entgehen, schloß er sich seiner Erzieherin, die übrigens trotz ihrer erst kurzen Wirksamkeit schon seine Freundin geworden war, um so bereitwilliger an.

»Waldemar nicht mehr dableiben,« erklärte er resolut. »Haus gehen. Du, Fräulein Ene, kommst mit.«

Die junge Dame mit den klugen, sanften Braunaugen hieß zufällig auch Helene.

Erst im Wagen dachte der kleine Bengel an die Tante Ene, von der er übersehen worden war. »Tante Ene,« klagte er und strebte mit den kurzen Beinchen wieder von dem Sitze herunter.

»Die kommt zu uns nach Neurade,« beruhigte die Erzieherin.

»Tommt?« Er nickte verständig. »Ontel Herbrint auch mittommt?«

»Natürlich, mein Jung.«

Waldemar war zufrieden, lehnte sich an seine Freundin und schlief bei dem eintönigen Rumpeln des Wagens bald ein.

Der Kleine war glücklicher als sein Pate. Als Hans von Herbrinck sich in später Stunde von der Gesellschaft getrennt und seine Braut heimgeleitet hatte, saß er im einsamen Verwalterheim noch lange wach. Er gedachte des verlebten Tages und war von heißer Dankbarkeit gegen den Grafen und die Nachbarn und von qualvoller Sorge um die Komteß erfüllt. Das Du des alten Ehrenmannes schätzte er in immer wiederkehrender Wallung als die höchste Ehrung, die ihm hätte zuteil werden können, und auch der in Aussicht gestellte Anschluß des Grafen Tönndorp freute ihn von ganzem Herzen. Aber wie ein Schleier legte es sich um die Gestalten der wohlwollenden Freunde, wenn er der Komteß Helene gedachte, und ihr blasses Gesicht stand mit gespenstischer Deutlichkeit vor seiner Erinnerung. Und neben der Geliebten tauchte die Verlobte vor ihm auf. Ein Rebstock mit edlem Blute die eine, ein Feldbusch – die andere. Der Vergleich nicht so scharf in seinem Wollen, aber unabweisbar in seinem Empfinden. Er sträubte sich dagegen, mechanisch, dumpf, aus dem halben Bewußtsein der Pflicht heraus, und fühlte sich doch ohnmächtig in seinem Widerstande. Die Liebe, die er hatte begraben wollen, war an der Zweiten nur gemessen worden – nicht begraben, nicht verdrängt, nicht verkleinert – vergeistigt, verklärt, vergöttlicht.

Mit dem mangelnden Takte der Braut hatte er ungewiß gerechnet; aber er war ihm doch peinlich zum Bewußtsein gekommen und hatte ihn bedrückt. Ihr unterwegs Vorstellungen zu machen oder Belehrungen zu erteilen, hatte er nicht über sich gewonnen, nur ihre wiederholte Frage nach dem Absender der Freia-Depesche mit einiger Ungeduld beantwortet. Die nagenden Beunruhigungen wollte er zu Hause mit sich allein auskämpfen ...


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