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Elftes Kapitel.

Den ganzen nächsten Tag wartete Severo, daß er aus den Sticheleien der Kameraden entnehmen könnte, wo Serafina war und was sie als Grund dafür angegeben hatte, daß sie ihn verlassen. Aber kein Wort davon verlautete. Fürchteten sie sich jetzt schon vor ihm oder wußten sie wirklich nichts? Er konnte darüber nicht klar werden. Sie erwähnten Serafina garnicht und man hätte glauben können, sie wüßten von ihrem Fortsein noch nichts. Dagegen war wieder viel von dem Morde die Rede. Adriano Micca war nun wirklich verhaftet worden. Man glaubte Verdachtsmomente genug in der Hand zu haben, um ihm den Prozeß machen zu können, und wollte ihn bis zur Verhandlung vor den Assisen in festem Gewahrsam halten.

Severo berührte das alles peinlich. Ein Unschuldiger, der da hinter vergitterten Fenstern saß und dem sie das Urteil sprechen würden, bloß weil sie den wahren Schuldigen nicht fanden! Er konnte sich nicht enthalten, darüber abschätzig zu sprechen. Verdachtsmomente! Was konnten sie denn wissen? Hatte ihn einer gesehn? Solange kein Zeuge da war, durften sie nicht an ihn. Er dachte an das, was Serafina ihm gesagt hatte. Die andern horchten hoch auf, zuckten aber nur die Achseln. Was ging es sie an? Und einer mußte es ja schließlich doch gewesen sein, einen mußte man haben. Severo fand das verächtlich. Er konnte den ganzen Tag an nichts andres denken, als daß ein Unschuldiger für Serafina jetzt hinter Schloß und Riegel saß, und daß man allen Ernstes an ihn wollte. Das durfte doch nicht sein; auch Serafina konnte ja keinen ruhigen Augenblick mehr haben, wenn sie sich das klar machte. Eine zitternde Unruhe ergriff ihn. Was also dann? Adriano Micca befreien? Aber er konnte das doch nicht um den Preis, sein Weib zu verraten. Und einen Unschuldigen büßen lassen, konnten sie auch nicht. Wie eine Zentnerlast lag es ihm auf der Brust. Und Serafina war nicht einmal zur Stelle, um mit ihm über das alles zu reden.

In halber Betäubung war ihm der Tag vergangen. Von Serafina hatte niemand gesprochen. Und wenn er jetzt nach Hause kam, würde er sie wiederum nicht finden, – er wußte das, er hätte darauf schwören mögen. Deshalb wollt' er auch garnicht nach Hause. Er fürchtete sich davor, mit dieser Unrast im Innern wieder diese verödeten Räume zu betreten. Er blieb unten in Borgunto, immer in dem geheimen Verlangen, in der Hoffnung, etwas von Serafina zu hören; er trieb sich unstät in den Gassen umher, er knüpfte mit denen, die auf dem Domplatz herumstanden, rauchten und spuckten, ein Gespräch an. Aber höchstens fragten sie ihn nach ihr, von ihr selber schienen sie nichts zu wissen. Endlich ging er zu Sora Giulia. Die war weitläufig mit Serafina verwandt, wurde »Tante« von ihr genannt und liebte sie zärtlich. Dazu war sie die wandelnde Dorfchronik von Borgunto und lief Sora Gioconda im Alleswissen fast den Rang ab, nur im Schwatzen wurde sie weit von dieser übertroffen. Wenn Sora Giulia von Serafina nichts wußte, konnte Severo das Suchen nach ihr nur getrost aufgeben.

Und sie wußte wirklich nichts, bei allen Heiligen des Kalenders versicherte sie das. Serafina war weder bei ihr gewesen, noch hatte sie ihr irgendwelche Botschaft geschickt. Daß sie nicht zu Hause war, wußte Sora Giulia schon, aber man hatte in Borgunto angenommen, sie sei dem dummen Gerede, das sich über sie und dem Einarmigen erhoben hatte, aus dem Wege gegangen, unter Vorwissen ihres Mannes, und jetzt bei ihrer Patin in Florenz, die sie ja alle Jahre einmal besucht hatte; das war auch ganz gescheit von ihr gewesen. Sora Giulia fügte noch ein paar bissige Seitenbemerkungen über Sora Gioconda hinzu, die den ganzen widerlichen Klatsch natürlich wieder einmal aufgebracht hatte und ohne so etwas ja nicht leben konnte, die aber nicht wagen würde, den Mund noch einmal aufzumachen, wenn Serafina nur erst wieder da sei, oder man werde ihn ihr zu stopfen wissen.

Ungetröstet ging Severo endlich nach Hause. Er glaubte nicht daran, daß Serafina bei der Patin in Florenz sei. Die lag seit Monaten schwer krank darnieder und Serafina hatte deshalb ausdrücklich ihren Besuch bei ihr aufgegeben; Kranke und Sieche waren ihr ein Gräuel, und helfen konnte sie der Patin nichts, die Pflege genug hatte. Trotzdem schrieb er noch am gleichen Abend nach Florenz, ob Serafina dort sei. Die halbe Nacht mußte er aufsitzen, um bei einer trüben Öllampe schwerfällig Buchstaben neben Buchstaben zu malen, so wenig war er das Schreiben seit seiner Schulzeit gewöhnt, und auch dann noch kam ein Schriftstück mit Bleistift und auf körnigem, weißem Papier zu Stande, in dem man sich nicht leicht auskennen konnte, das er aber am andern Morgen, ehe er in die Steinbrüche ging, selbst zu dem Frachtfuhrmann trug, der alle Tage den Weg nach Florenz hinuntermachte. Es schien ihm sicherer, diesem den Brief anzuvertrauen, als der Post. Ruhig war er gleichwohl nicht. Was sollte die Patin denken, wenn Serafina nicht dort war? Und wo war sie überhaupt? Ihre Eltern lebten nicht mehr und in ihrer Heimat hatte sie keine Verwandten. Am Ende war sie ganz fortgegangen, – geflohn, weil sie die Entdeckung ihrer Tat fürchtete und auch der Priester, dem sie damals gebeichtet, von ihr verlangte, daß sie sich der weltlichen Gerechtigkeit stellen sollte.

Dieser Gedanke setzte sich allmählich fest in ihm, daß er nicht mehr davon los konnte. Die Furcht vor den Folgen ihrer Tat hatte Serafina vertrieben, – was sonst? Und deshalb konnte die Hoffnung, sie zu finden, auch nicht in ihm aufkommen. Kopfhängerisch und finster kam er an seine Arbeit. Seit er Serafina neulich abends beschimpft hatte, war offenbar auch zu ihm ihr Vertrauen geschwunden, sie hatte nicht mehr darauf gebaut, daß er sie schützen werde, und da sie also keinen Halt mehr gesehn, war sie in Verzweiflung davongelaufen. Ja, vielleicht hatte sie auch Pietro Mariani's Annäherung nur geduldet, weil sie fürchtete, er wisse etwas von ihrer Tat und könne ihr schaden, wenn sie ihn zurückstieße. Selbst ihr neuliches, schroffes Benehmen gegen ihn am Abend des Begräbnisses erklärte sich dann und die damalige Abschiedsdrohung des Einarmigen, sie werde schon wieder mit ihm sprechen lernen. Severo tat es wohl, sich dies letztere klar zu machen. Serafina hatte also nur aus Furcht sich mit diesem Schurken wider ihren Willen einlassen müssen, wie denn Furcht überhaupt alle ihre Handlungen aus der letzten Zeit diktiert halte. Und nun war sie fort. Ihn, Severo, hatte sie nicht verdächtigen wollen, – das war ein häßlicher Argwohn gewesen, der einmal in ihm aufgestiegen war, – nur daß ihr davor gebangt hatte, die Gefahr rücke näher und immer näher auf sie selber zu. Er beurteilte jetzt alles sonderbar mild, was Serafina gedacht und getan hatte, er begriff es plötzlich, seit er es alles unter den gleichen Gesichtspunkt rückte. Sie tat ihm nur noch leid, seit sie fort war. Und er verlangte stürmisch nach ihr. Selbst das Blut an ihren Händen sollte ihn jetzt nicht mehr schrecken.

In düstrer Stimmung kam er auf den Heimweg. Von Serafina hatte in den Brüchen wieder kein Mensch gesprochen, keinem schien ihr Fortsein aufzufallen, keiner beargwöhnte sie. Nur Pietro Mariani lauerte sichtlich auf sie, denn Severo sah ihn, wie er sich bei seinem Nahen behend über eine Mauer schwang und verschwand. Er mußte kein gutes Gewissen haben und Severo rief ihm nach: »Das nächste Mal schieß' ich den Marder nieder, der mir um's Haus schleicht.« Einen Augenblick hindurch stieg die Hoffnung in ihm auf, Serafina könne zurückgekommen und der Einarmige eben bei ihr gewesen sein, aber je näher er seinem Hause kam, desto mehr schwand sie wieder. Und wirklich fand er auch heute wieder sein Haus öde und leer.

Andern Tages kam die Nachricht aus Florenz, daß Serafina bei ihrer Patin nicht sei und diese nichts von ihr wisse. Trotzdem Severo darauf vorbereitet gewesen war, drückte ihn jetzt vollends eine tiefe Niedergeschlagenheit. Er ging umher, wie einer, der nichts mehr mit sich anzufangen weiß. Sie zu suchen, war zwecklos, denn sie würde sich nicht finden lassen, vielleicht war sie garnicht mehr im Lande. Ihm aber war das Leben ohne sie zur Last. Er hatte noch nie vorher gewußt, wie er sie liebte. Zwar stiegen auch wilde, trotzige Gedanken in ihm auf. Es gab ja noch Dirnen genug im Lande und sein Blut war heiß. Wenn Serafina ihn so leichten Kaufs frei gab, brauchte auch er sich nicht mehr an sie gebunden zu fühlen. Aber es war ihm nicht ernst damit. Mit allen seinen Sinnen sehnte er sie herbei. Seine Einsamkeit lag wie eine Last auf ihm, und er kam sich vor wie ein Verbrecher. Scheu und gedrückt schlich er umher. Er hatte sich garnicht gewundert, wenn die Karabinieri ihn eines Tages aufgegriffen und weggeführt hätten, es mußte ja wohl aller Welt auffallen, wie verändert er war, und er selber fühlte sich als Übeltäter. Wenn man ihm den Mord auf den Kopf zugesagt hätte, würde er kaum noch Einspruch dagegen erhoben haben.

Ohnehin bedrückte es ihn täglich mehr, daß Adriano Micca im Untersuchungsgefängnis saß und daß sie ihn nächstens vor die Assisen bringen wollten. In den Steinbrüchen glaubte allmählich alle Welt, daß er der Schuldige sei, und man beruhigte sich dabei, man war im Grunde froh, daß die Sache damit abgetan war. Kein Mensch zweifelte auch daran, daß man Adriano Micca verurteilen würde. Zu lebenslänglichem Bagno natürlich, milder würden's die Herren nicht machen. Wenn Severo solche Reden mit anhören mußte, schwoll alles in ihm vor Angst und Empörung. Rein, es durfte kein Unschuldiger leiden für Serafina's Tat. Und wenn sie selber die Folgen dieser Tat nicht auf sich nehmen wollte, mußte er es tun. Eine zeitlang trug er sich mit dem Plan, Adriano Micca aus dem Gefängnis zu befreien. Er überzeugte sich aber bald davon, daß keine Aussicht dazu vorhanden sei; die Bewachung war strenge und Leute aus Borgunto wurden vor der öffentlichen Gerichtsverhandlung überhaupt nicht zu den Gefangenen hereingelassen, um jede Verdunkelung des Tatbestandes auszuschließen. Gewalt konnte nicht gegen die bewaffnete Aufsicht angewandt werden und zur Bestechung fehlte es Severo an allen Mitteln. So war er ratlos, wiederholte aber immer wieder bei sich, daß man den Unschuldigen nicht für die Schuldige auf der Galeere büßen lassen dürfe. Und er selber war, wenn nicht schuldig, doch sicherlich mitschuldig an dieser Tat, denn er hatte sie gewollt und hatte sie geschehen lassen; wenn Serafina sie nicht begangen hätte, würde er sie begangen haben. In solchem Kreislauf bewegten sich seine Gedanken. Wenn er gewußt hätte, daß Serafina aus dem Lande fort und in Sicherheit war, hätte er vor Gericht aussagen können, daß sie die Mörderin sei, und man hätte Adriano Micca dann freilassen müssen. So aber durfte er das nicht wagen. Vielleicht hätten die Sbirren sie dann doch noch aufgespürt und eingebracht und er war dann der Verräter seines Weibes.

Noch ein anderes kam ihm einmal in einer Stunde des Grübelns: wenn er erst wußte, wo Serafina war, konnte er sie und sich in Sicherheit bringen, und dann dem Gericht schreiben, wie alles gewesen war und daß man Adriano Micca freigeben müsse. Dies bohrte sich förmlich in sein Hirn. Es schien ihm alle Schwierigkeiten am einfachsten zu lösen. Serafina sollte für ihre Tat nicht zu büßen haben, denn es war eine der Not gewesen, sonst hätte sie sich schwerlich dazu entschlossen, und nur die himmlische Gerechtigkeit sollte darüber zu Gerichte sitzen.

Eines Tages ging er in seiner angstvollen Unruhe zu Padre Gioacchino, dem Priester. Es war ein Wochentag und schon fast dunkel, als er in seinem Arbeitsanzug, gerade so, wie er aus den Brüchen kam, in das Pfarrhaus eintrat, das der Kathedrale gegenüber lag. Er wußte gar nicht, was er dem Priester sagen sollte, er hatte sich nichts überlegt oder zurecht gemacht, er wollte auch nicht einmal beichten. Nur einmal zu einem Menschen sich aussprechen mußte er, oder es brachte ihn um. Und er hatte keinen, als den Priester. Wenn der ihm nicht raten konnte, mußte er hingehen und Serafina suchen bis an's Ende der Welt.

Padre Gioacchino empfing den Steinarbeiter in seiner schmierigen Haussoutane, mit der er eben von seinem Abendessen aufgestanden war. Ein paar frische Weinflecke waren noch darauf und im Zimmer roch es nach Knoblauch und Tomaten. Es war ein groß gewachsener, schöner Mann mit scharfen Zügen und klugen Augen, in mittleren Jahren und von weltklugem Benehmen. »Was führt Dich zu mir, Severo Rocca?« fragte er, »ich habe Dich lange nicht mehr im Beichtstuhl gesehen.« Seine Stirn runzelte sich leicht.

Severo wußte es nicht, wie er anfangen sollte. »Das, was ich Euch sagen möchte, Hochwürden,« brachte er endlich, seinen verwetterten Filz zwischen den Fingern drehend, heraus, »möcht' ich wie ein Beichtgeheimnis angesehen wissen. Sonst darf ich nicht reden.«

Der Priester setzte sich und ließ seine prüfenden Blicke Aber den Burschen hingehen, das Kinn in der Hand. »Du kommst also in Gewissensnot zu mir, mein Sohn?« fragte er dann.

Das bejahte Severo hastig. Padre Gioacchino ging, um die Tür zu verriegeln, setzte sich wieder und Netz Severo dann neben sich niederknieen. »Du siehst übel aus, mein Sohn,« sagte er, »erleichtere Dein Gewissen. Du hast gut daran getan, zu kommen.«

Severo wurde es sehr feierlich zumute, aber die Worte wollten ihm nicht kommen. »Mein Weib hat Euch gebeichtet, Padre,« stotterte er und blickte halb fragend, halb angstvoll zu dem Priester auf.

Aber Padre Gioacchino schüttelte den Kopf. »Sie hat lange nicht gebeichtet.«

Severo wurde immer verwirrter. »Wein Weib ist fort, Hochwürden,« stammelte er.

Der Priester runzelte die Brauen. »Was soll das heißen? Mit einem andern?«

»Nein, nein.«

»Weshalb also? Sprich deutlicher!«

»Wenn ich es nur selber wüßte, Padre!«

»Du solltest es nicht wissen? Bist Du etwa gekommen, um es von mir zu erfahren? Habt Ihr schlecht miteinander gehaust?«

Severo zog den Kopf zwischen die Schultern ein, er kroch immer mehr in sich zusammen. »Ich fürchte, es liegt Blutschuld auf ihr,« murmelte er.

Der Priester sah zu ihm herab, als ob er nicht recht gehört habe oder als wolle er sich davon überzeugen, daß der Beichtende dort unten bei klarem Verstande sei. »Weißt Du auch, was Du da redest?« fragte er strenge. Dann fiel ihm der Mord ein, der in seiner Gemeinde verübt worden war, und daß man auch Severo Rocca verhört hakte, weil Aristide Vomero mit dessen Weibe schön getan hatte, wie mit vielen andern. Und er dachte daran, daß Adriano Micca seine Schuld leugnete, die auch weder durch Zeugen, noch durch untrügliche Indizien zu erweisen war. Er selbst hatte ihn im Gefängnis ermahnt, zu gestehen, hatte ihn aber nur seine Unschuld mit allen Eiden bekräftigen hören. Hier lag vielleicht die Lösung des Geheimnisses, das über jener Bluttat immer noch schwebte, und wenn er zur Aufhellung desselben beitrug, erwarb er sich Verdienste, die reiche Frucht tragen würden. Schon die Befreiung eines Unschuldigen mußte ihm hoch angerechnet werden bei kirchlichen und weltlichen Behörden. Er war daher plötzlich lebhaft interessiert, begriff aber auch zugleich, daß er sehr vorsichtig zu Werke gehen müsse. Unwillkürlich war der Verdacht in ihm aufgetaucht, daß Severo Rocca selber der Täter sein könne und jetzt seine eigene Frau bezichtigen wolle, ja, womöglich hatte er diese, weil sie die Mitwisserin seiner Tat war, beseitigt und glaubte nun, ihr die Schuld aufbürden und sich selber dadurch von ihr reinigen zu können. Severos verstörtes Wesen und sein eigentümliches Gehaben ließen blitzgleich diesen Gedanken in dem Priester aufsteigen. »Es ist etwas Furchtbares, was Du da aussprichst!« setzte er hinzu, und seine Augen ließen von dem Burschen nicht ab. »Was für einen Anhalt hast Du dazu? Daß sie fort ist, kann doch kein Grund zu solch einem Argwohn sein.«

Severo berichtete stockend und zusammenhanglos, was ihm auf der Seele lag, – von der Zeit an, wo Aristide Vomero in sein Haus gekommen war, bis zu dem Augenblick, wo er heimkehrend Serafina dort nicht mehr vorgefunden hatte. Padre Gioacchino hörte zu, ohne ihn mit einer Frage zu unterbrechen, und ohne den Versuch, Ordnung in seine wirren Worte zu bringen. Er blickte ihn nur immer an, und allerlei widerspruchsvolle Gedanken zuckten in seinem Kopf. Als Severo geendet hatte und mit einem erleichternden Seufzer verstummte, fragte er: »Und Du hast wirklich keine Ahnung davon, wo Dein Weib ist, Severo Rocca?«

»Bei meinem Seelenheil, nein, Padre.«

Der Priester schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Und was gedenkst Du nun zu tun? Du bist gekommen, das von mir zu hören? Und wenn ich Dir nun sagte, Severo: geh' zum Gericht und zeige Dich an, – würdest Du es tun?«

Der Sprecher hatte erwartet, daß hierauf ein wilder Ausbruch erfolgen und der Bursche wohl gar wütend aufspringen und davonlaufen würde, aber Severo nickte nur düster vor sich hin. »Ich habe selber schon daran gedacht, Padre. Für meine Gedankensünden und um wieder gut zu machen, was ich an meinem Weibe versehen habe, wollte ich es tun. Auch damit kein Unschuldiger büßen müßte. Aber werden sie mir denn auch glauben?«

»Warum sollte man Dir nicht glauben?«

»Ich kann doch nicht sagen, daß ich den Mord begangen habe, ich wollte ihn ja nur begehen. Und ich kann auch vor Gericht nicht mein Weib anklagen. Nur zu Euch hab' ich davon reden können, weil das ist, als redete man zu Gott. Wenn sie noch lebt und man sie noch einfangen könnte, wär' ich ja schuld daran, daß sie auf die Galeeren käme. Lieber möcht' ich selber auf die Galeeren.«

Der Priester verzog keine Miene. »Nun, also. Ich sag Dir also noch einmal: geh' hin und zeige Dich an!«

Severo blickte mit brennenden, verständnislosen Augen auf. »Ich kann doch nicht lügen,« murmelte er.

» Wäre es denn auch eine Lüge, Severo Rocca?« Padre Gioacchinos Blicke funkelten wild.

Severo begriff ihn nicht. »Ist Deine Beichte wirklich schon zu Ende?« rief der Priester zornig.

»Ganz zu Ende, Hochwürden.« Und langsam stand er auf. Es dämmerte ihm, daß er auch hier keinen Rat oder Trost finden würde. Mit hängenden Schultern, finster vor sich hinstarrend, die Hände gefaltet, stand er da.

Padre Gioacchino hatte aus dem Bericht des Burschen nur eine Bestätigung seines jäh aufgestiegenen Verdachts entnehmen zu dürfen geglaubt und möchte sich nicht eingestehen, daß er ratlos sei, wenn dieser ihn täuschte. Er verbiß sich deshalb darin. Serafinas Schuld erschien ihm unglaubwürdig, und ihr rätselhaftes Verschwinden machte ohnehin die Verfolgung dieser Spur unrätlich. Aus all dem wirren Durcheinander konnte und wollte er nichts folgern, als daß Severo schuldig war. Weshalb war er auch sonst gekommen? »Severo Rocca,« sagte er und trat dicht vor den Burschen hin, um ihm beide Hände auf die Schultern zu legen, »siehst Du, mein Sohn, Du bist noch nicht ganz bußfertig und entschlossen, Deine Strafe auf Dich zu nehmen. Sonst wärest Du wahrscheinlich auch garnicht zu mir gekommen, sondern hättest selber gewußt, was Dir zu tun obliegt. Du wirst aber darüber klar werden, davor ist mir nicht bange; denn Dein Herz ist noch nicht verderbt von Grund auf. Dein Weib hat die Tat, deren Du sie bezichtigen möchtest, schwerlich begangen, und Dein Verdacht steht auf schwanken Füßen. Alles, was Du mir gesagt hast, zeugt noch nicht wider sie. Du hast Dir und mir etwas einreden wollen, wovon Deine Seele selbst nichts weiß, Severo.«

»Aber warum ist sie denn fort?« sagte Severo verständnislos stammelnd.

Der Priester sah ihn durchdringend an. »Vielleicht kann sie mit Dir nicht mehr zusammen leben, Severo.«

»Weil ich mich einmal vergessen und sie eine Dirne genannt habe?«

»Nein. Aber weil sie glaubt, daß Du die Blutschuld begangen hast.«

»Ich?« Severo war zurückgewankt und griff sich an den Kopf.

»Ich bin gewiß, daß sie das glaubt, Severo.«

Nur ein stumpfes Lächeln gab ihm Antwort. Severo fühlte, daß er bloß mit neuen Zweifeln und unruhig wogenden Gedanken von hier scheiden würde, wo er Klarheit zu finden gehofft hatte. Dieser Priester konnte ihm nicht helfen. Um sich aus allen Bedenken zu lösen, wollte der ihn auf die Galeere schicken! Aber dagegen bäumte sich seine Schuldlosigkeit auf. »Hochwürden,« sagte er bescheiden, »erlaubt mir, daß ich jetzt gehe. Ich muß alles in der Stille bedenken.«

Padre Gioacchino nickte: »Tu' das, mein Sohn. Und vergiß kein Wort von dem, was ich Dir gesagt habe! Am Sonntag erwarte ich Dich im Beichtstuhl. Willst Du aber eher zu mir kommen, so ist meine Tür immer für Dich offen. Denke daran, daß ein Unschuldiger als verdächtig des schwersten Verbrechens, welches Menschen begehen können, im Kerker schmachtet. Der Herr sei mit Dir und erleuchte Dich!« Er machte das Zeichen des Kreuzes ihm über der Stirn, dann riegelte er die Tür für ihn auf.


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