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Achtes Kapitel.

Als der Wein endlich ausgetrunken war, stand er auf und schob sich etwas schwankenden Ganges vor die Haustür hinaus. Er hatte fast Lust, nach Borgunto hinab und in die Osteria zu gehen, – bloß weil es Serafina erbosen würde. Aber er war zu müde und dann hatte er jetzt auch nicht mehr weit bis zu einem Rausch, im Rausch aber hätte er ausschwatzen können, daß er den Mörder Aristide Vomeros kenne oder sonst etwas, was man besser nicht erfuhr und was an ihm hängen geblieben wäre. Er blickte zu dem Madonnenbilde hinüber. Ob er beten sollte? Er wußte nicht, was? Für Serafina? Aber ihm selber drohte ja mehr Gefahr, als ihr, an sie dachte niemand, sie wollte niemand verhören. Und dann hatte sie ja gebeichtet heute, würde ihre Pönitenz absolvieren und war ihrer Sünden ledig. Und für sich selbst? Er hatte ja nichts getan.

Nein, er würde nicht beten. Die Madonna würde ihm ohnedies gram sein, weil er heute die Messe versäumt hatte. Besser, er ließ sich heute nicht mit ihr ein.

Als er endlich zu Bett ging, sah er, daß Serafina schon vor ihm schlafen gegangen war. Sie lag da, als ob sie schliefe. Das wurmte ihn. Damals hatte sie auch so dagelegen, und dann hatte sie doch gehört, wie er aufgestanden und hinausgegangen war. Es war also Spiegelfechterei. Sie wollte bloß nicht, daß er heute Nacht noch mit ihr sprach, sie zur Rede setzte, er kannte sie jetzt. Warum hatte sie ihm das nicht eher gesagt, sie habe ihn damals gehört, war erst heute plötzlich damit herausgekommen? Das Heimlichtun wieder! Und was sie wohl damit bezweckte? Das war ihr wohl gar gerade recht gewesen, daß er damals draußen gewesen war und, wenn es darauf ankam, war sie imstande, den Verdacht daraufhin von sich ab und auf ihn zu lenken. Deshalb riet sie ihm, im Verhör nur ja zu gestehen, daß er nicht die ganze Nacht geschlafen habe und im Hause gewesen sei, – deshalb! Denn was ging das sonst den Brigadier und die Richter an? Es hätt' ihn einer können gesehen haben, meinte sie. Wer denn wohl? Doch bloß sie, ganz allein sie. Und sie wollte wohl gar gegen ihn Zeugnis ablegen, damit es nur nicht ihr selber an den Kragen ging? Sie fühlte sich ja so merkwürdig erhaben über allen Verdacht, hatte ihn ausgelacht, als er darauf hingedeutet hatte, auch sie könne verdächtigt werden; warum nur? Warum anders, als weil sie im Notfalle lieber ihn wollte die Suppe auslöffeln lassen? Und wenn nun sie selber einer gesehen hatte?

Eine wilde Blutwoge war wieder in ihm aufgestiegen. Wie gut, hatte er geglaubt, sei alles geworden, nun Aristide Vomero tot war! Und statt dessen – es brachte ihn beinahe außer sich. Sinnliche Glut, Eifersucht, Zorn, Furcht, Unzufriedenheit mit sich selber, das alles quirlte, wirbelte, siedete in ihm durcheinander. Und plötzlich warf er sich über Serafina, würgte sie mit seinen beiden Händen am Halse und schrie ihr in's Ohr: »Wie weit warst Du mit ihm gekommen, Du? Gesteh's! Jetzt gesteh's endlich einmal ein!«

Serafina hatte nicht geschlafen. Sie war's nur müde, immer dasselbe mit ihm zu bereden, sie wollte Ruhe haben. Und es stieß sie auch etwas von ihm zurück, – sie wußte selbst nicht genau, was es war. Ob es das war, daß er Blut vergossen hatte, oder daß er jetzt so furchtsam war und seine Furcht im Wein betäuben wollte. Sie hatte Scheu vor ihm. Der Mann, der sich fürchtete, war für sie auch Severo Rocca nicht mehr, der Severo Rocca, den sie geliebt hatte wegen seiner Wildheit und Kühnheit. Wie er jetzt unvermutet über sie herfiel, hätte sie ihm alles wieder verziehen, nur weil er wieder so ganz der alte war, wenn er nur nicht diese wahnsinnige, empörende Frage dazu an sie gerichtet hätte, diese Frage, die jeden Blutstropfen in ihr zur Empörung brachte, ihre Zähne in Haß und Zorn aufeinanderknirschen ließ. Und eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, eher hätte sie selber ihn gewürgt, als sie sich dazu herbeigelassen hätte, ihm Rede zu stehen, ihm auf seine schamlose, beleidigende Frage auch nur eine Antwort zu gönnen. Sie wehrte sich, sie rang gegen ihn an, aber sie verteidigte sich nicht. Nichts stieß sie aus, als ein verächtliches: »Feigling!«

Und das traf, damit hatte sie das beste Abwehrmittel gefunden. Gleich ließ er sie los, aber er röchelte vor wilder Erregung. Und ohne sie mehr zu berühren, aber doch immer noch über sie gebeugt, beharrte er bei seiner Frage: »Wie weit warst Du mit ihm gekommen? Sag' es mir! Sag' es mir doch!« Er bat und bettelte zuletzt förmlich darum, er heulte ihr die Frage ins Ohr, die Stimme brach ihm dabei. Es war ein widriges Schauspiel. Und Serafina zuckte nur immer die Achseln. »Du bist toll,« sagte sie, »Du weißt nicht mehr, was Du redest, Du bist kindisch. Geh' zu Bett! Schlaf' Deinen Rausch aus!«

Allmählich beruhigte er sich. Er schämte sich, daß er sich so weit hatte fortreißen lassen. Aber es gärte in ihm, und endlich mußte er doch einmal Klarheit haben. Wenn ein Weib einen Mann niedersticht, muß sie doch schon weit mit ihm gekommen sein. Aber, wenn er sie vergewaltigt hatte, warum hatte sie es ihm, Severo, nicht eingestanden, nicht ihm das überlassen, was geschehen mußte? Sie hatte also nur den Mitwisser und Mittäter ihrer Schuld stumm machen wollen, damit sie Ruhe hatte. Was denn sonst? Und so heiß er sie auch begehrt haben mochte, jetzt verlangte ihn nicht mehr nach ihr, jetzt ganz und garnicht. Eine, die ein anderer besessen hatte, und eine Mörderin obendrein – nein, ihre Tat hatte ihr nichts geholfen, ihr nicht und ihm nicht. Schlimmer gemacht hatte sie alles, viel schlimmer. Er begriff nicht mehr, daß er auch nur einen Augenblick lang hatte denken können, nun sei alles gut geworden mit Aristide Vomeros Tod. Ja, wenn er ihn getötet hätte, vielleicht. – Aber sie, Serafina, hatte es nicht dürfen, hatte, selbst wenn sie unschuldig gewesen wäre, dadurch sich ja verdächtig gemacht. Und das hätte sie nicht wissen sollen, sie, die so klug und umsichtig jetzt sich zeigte? Natürlich hatte sie es gewußt. Aber sie war ihres Liebhabers überdrüssig geworden, und hatte gewußt, daß er ja nun doch sterben müsse, – wenn nicht durch sie, dann durch Severo. Und lieber hatte sie ihn gleich selber niedergestochen, damit er nur in der letzten Stunde nicht noch ausschwatzen konnte. So war's, das begriff sich.

Severo hatte sich in seine Kissen geworfen, ein innerliches Stöhnen ließ ihn sich, seinen Körper durchrüttelnd, hin- und herwälzen. Er fühlte, daß er sich eben kläglich benommen hatte. Serafina hatte ganz recht, ihn einen »Feigling« zu nennen und ihn für betrunken zu halten. Aber was sollte er denn tun, um hinter die Wahrheit zu kommen? Und das mußte er doch, das wollte er doch. Er konnte sonst garnicht weiterleben. Der einzige Mitwisser war tot, und freiwillig würde Serafina ihm die Wahrheit nicht eingestehen, – natürlich nicht, sonst wäre ja ihre Tat überhaupt nicht nötig gewesen. Wenn er sie also nicht bedrohte, nicht einschüchterte –. Nur: die ließ sich eben nicht einschüchtern. Eben erst hatte er ja den besten Beweis davon gehabt. Die legte noch nicht einmal ein Bekenntnis ab, wenn er sie am Halse würgte, verstockt wie sie war. Dem Pfaffen, ja, – ihm aber nicht. Und doch hätte sie begreifen sollen, daß er sie eines Tages erdrosseln würde – erdrosseln mußte, wenn sie die Wahrheit nicht eingestand. Begriff sie das denn nicht? Oder hatte sie ihm deshalb dies Verhör morgen eingebrockt und wollte ihn durch ihren Überredungsversuch, er solle eingestehen, daß er in jener Mordnacht außer dem Hause gewesen, ans Messer liefern, weil sie es begriff und weil sie sich seiner entledigen, sich vor ihm sichern wollte? Ein grauenhafter Argwohn, der da in ihm aufstieg, an ihn herankroch, wie eine vielfüßige, ekelhafte Spinne, und ihn eingarnte, mit seinem Gewebe umkrallte und gefangennahm! Aber ein Weib, das einen getötet hat, – wessen ist solch ein Weib nicht fähig? Er oder sie, – darauf wird es schließlich wohl hinauslaufen. Nun einmal Blut geflossen war, gab es kaum etwas anderes. Blut wollte Rache – auch dies Blut würde sich rächen wollen.

Allmählich ließ die Müdigkeit Severos die wühlenden Gedanken in ihm zur Ruhe kommen und er schlief ein, weil er nicht weiter zu denken vermochte, – es gab da keinen Ausweg für ihn. Am Morgen weckte ihn Serafina in alter Art, und schlaftrunken taumelte er empor, um in seine Kleider zu fahren. Erst allmählich besann er sich wieder auf das, was geschehen war, und ein harter Zug trat um seine Mundwinkel. Als er gehen wollte, trat Serafina, die sich bis dahin garnicht wieder vor ihm hatte sehen lassen, an ihn heran und raunte ihm zu: »Denk' d'ran, daß heute das Verhör ist!« Ihr Atem wehte heiß an seinem Gesicht vorüber.

»Nun? Und was weiter?« erwiderte er verdrossen.

»Du mußt sagen, daß Du draußen warst damals.«

Er stieß einen wilden Fluch aus und erhob drohend seine Faust. »Sieh Dich vor, daß ich nicht ganz andres noch aussage – Du – Du – Das sag' ich nicht! Kannst mich ja meineidig machen nachher vor Gericht. Aber ich tu' Dir den Gefallen nicht. Lauf' zum Pfaffen d'rum!« Und er warf sich die Spitzhacke über die Schulter und ging, ohne ihr einen Gruß zu gönnen.

Jedem, mit dem er zusammenstieß, vor und in den Steinbrüchen, schrie er zu, ob er denn schon wisse, daß er, Severo, heute als verdächtig des Mordes an Aristide Vomero verhört werden solle. Dazu lachte er rauh auf, schlug sich an die Brust und schrie: »So sieht also ein Mörder aus! Weißt's schon? Sieh' ihn Dir recht an, Du! So sieht er aus!«

Alle Welt in den Brüchen wußte also: heute wird Severo Rocca verhört werden. Und alle nahmen's als guten Spaß, lachten und witzelten darüber; auch an derben Anzüglichkeiten fehlte es nicht. Die nahm aber Severo heute scheinbar mit lächelnder Gelassenheit hin. Im allgemeinen gab es nichts als Spott für die Behörden, die nun wirklich auch Severo Rocca schon verdächtigten. Und als die Carabinieri dann wirklich kamen, ihn abzuholen, gab es ein Halloh und ein Gejohle, daß man hätte denken können, ein Faschingsscherz solle in Szene gesetzt werden. Die Carabinieri wußten garnicht, was sie davon denken sollten, lachten am letzten Ende aber selber mit. Von allen Seiten erklangen Zurufe: »Wann komm' denn ich d'ran, Giambattista?« »Wollt Ihr nicht lieber gleich die ganze Einwohnerschaft von Borgunto auf einmal verhören?« »Schickt uns alle zusammen ins Bagno, dann habt Ihr den Schuldigen doch vielleicht drunter.« Und so fort. Der Lärm wuchs noch, als die Gendarmen nun wirklich dazu schritten, außer Severo noch drei andere Burschen zum Verhör mitzunehmen. Die Steinarbeiter machten Miene, alle zusammen in langem Zuge den Vieren der Ihrigen nachzufolgen und sie mit dem Absingen von lockeren Ritornellen bis zum Brigadier zu begleiten. Erst die Aufseher mußten sich ins Mittel legen, um das zu verhindern und dem tollen Gehaben überhaupt ein Ende zu bereiten; es dauerte lange, bis die Ruhe in den Brüchen wiederhergestellt war.

Das Lärmen fing erst wieder an, als die Burschen sämtlich nach ein paar Stunden zurückkamen. Man hatte ihnen nichts anhaben, überhaupt keinerlei Verdachtsmomente bei ihnen feststellen können. Alle vier hatten zugegeben, daß ihnen Aristide Vomero eine unliebsame Persönlichkeit gewesen sei, deren Wegräumung sie nicht bedauern konnten, – hatte er doch sie mit seinen Steuerforderungen bis aufs Blut ausgepreßt und nebenbei noch bei ihren Weibern gewildert, – aber die Tat begangen zu haben, wiesen sie weit von sich und konnten glaubhaft nachweisen, daß sie in der Nacht, wo die Tat geschehen, weitab davon in ihren Betten gelegen hatten und nichts von ihr wußten. So hatte man sie bald wieder laufen lassen. Severo hatte bei der Frage des Brigadiers, ob er in jener Nacht wirklich nicht außerhalb seines Hauses gewesen sei, sich einen Augenblick besonnen. Er hatte an Serafina gedacht. Aber, wenn er jetzt diese Frage bejahte, hätte er auch erklären müssen, weshalb er draußen gewesen war und was er damals bei sich umhergewälzt hatte, – daß er zuletzt entschlossen gewesen war, Aristide Vomero am Tage darnach niederzustechen, wenn er ihn wieder von seiner Frau würde kommen sehen. Und das durfte er doch nicht eingestehen, wenn er nicht in hohem Maße sich verdächtig machen wollte. So hatte denn auch er erklärt, nein, er sei nicht draußen gewesen. Aber es hatte ihm einen Stich durch die Brust gegeben, als er es tat, denn er war nicht gewohnt zu lügen. Und er sagte sich auch, daß nun Serafina, wenn sie beschwor, ihn in jener Nacht gesehen zu haben, wie er aufgestanden und nach draußen gegangen war, ihn verderben könne. Und wenn sie selber in Gefahr geriet, würde sie es tun. Vielleicht aber auch sonst, – um sich seiner zu entledigen.

Auf dem ganzen Rückwege zu den Steinbrüchen, während die andern sangen und johlten, mußte er wieder daran denken. Wenn er Serafina nicht ganz für sich hatte, konnte es nur noch zu einer Entscheidung kommen zwischen ihr und ihm. Und sich ihr zärtlich zu nähern, während der schimpfliche Verdacht gegen sie in seiner Seele brannte und ihre Hände befleckt waren vom Blut ihres Verführers, widerstrebte ihm im Tiefsten. Er hätte es garnicht über sich vermocht, nicht einmal, um sich selber zu retten. Um diesen Preis nicht! Und dann also: sie oder er. Einer von ihnen beiden schien zuviel zu sein auf der Welt.


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