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Sechstes Kapitel.

Andren Morgens, als sie sich gegenüber saßen und nur hin und wieder ein verlorenes Work redeten, sagte sie ihm: »Du wirst wohl heute beichten gehen.«

Er sah sie, halb verschlafen und verdrossen, von der Seite an. Was war das nun wieder? Sollte das heißen, sie wolle beichten gehen und, damit es nicht auffiel, sollte er mitkommen! Aber er dachte garnicht daran. Und sie wollte doch nicht etwa gar dem Priester alles bekennen? Das blieb Beichtgeheimnis, jawohl. Aber wenn Padre Gioacchino nun von ihr forderte, sie solle hingehen und ihre Tat auch bei Gericht eingestehn, sonst werde er ihr keine Absolution erteilen, wie dann? Wenn er ihr mit allen höllischen Strafen drohte und sie von der heiligen Kommunion ausschloß, falls sie das nicht tat? Und er würde so verfahren, würde sie ängstigen, schrecken und quälen bis zum Äußersten, – bis sie nicht mehr anders konnte, bis sie wirklich hinging und sich anzeigte. Padre Gioacchino kannte man ja. Er war keiner von den Schlimmsten, gewiß nicht, man brauchte mit den Weibern nicht vor ihm auf der Hut zu sein, und er machte es einem nicht zu schwer mit den Pönitenzen. Er lebte und ließ leben. Blos in einem Punkte war er eigen: er hielts mit den Behörden, er wollte keinerlei Konflikte zwischen Staat und Kirche. Er sei ein Streber, sagten sie ihm nach, wolle es mit dem weltlichen Regiment nicht verderben und habe Gott weiß was für hochfliegende Zukunftsaussichten. Jedenfalls redete er stets seinen Beichtkindern zu, auch vor der Welt solche Sünden zu bekennen, die nach dem weltlichen Gesetz strafbar waren. Und nun gar hier, wo die Sache solch' Aufsehen gemacht hatte, wo es sich um eine Todsünde handelte! Kein Gedanke daran, daß er dafür Absolution erteilt hätte, – nach den härtesten Pönitenzen noch nicht einmal. – wenn man nicht die weltliche Strafe zugleich auf sich zu nehmen gelobte. War denn Serafina toll, daran nicht zu denken, das nicht zu begreifen?

»Ich werde nicht beichten gehen,« sagte er. »Und Du auch nicht.« Es klang fast drohend.

Sie nahm an, daß er fürchte, sie werde im Beichtstuhl etwas davon sagen, daß sie um seine Tat wisse und sich durch diese Mitwissenschaft beschwert fühle. Für was er sie nur eigentlich hielt? Sie wußte ja garnichts, – Gott sei Dank, daß sie nichts wußte! Sie brauchte also auch nichts zu sagen. Nicht einmal, daß sie ihn für den Mörder hielt, brauchte sie zu sagen. Das war keine Sünde, Und sonst – ihr Stolz bäumte sich auf. Was kam ihm denn eigentlich in den Sinn, ihr verbieten zu wollen, daß sie beichten ging? War sie seine Dienerin, daß er sich solchen Ton gegen sie anmaßte, wo er doch fürchten mußte, – wo er doch eigentlich in ihre Hände gegeben war! Nur durch seine Unvorsichtigkeit ihrerseits ließ sich das entschuldigen. Und nun würde sie erst recht beichten gehen. Mochte er tun, was er wollte! Und sie sagte es ihm: »Ich gehe heute beichten, – auf jeden Fall gehe ich.«

In Severos Augen funkelte es wild auf. Wie sich ihr Gewissen beschwert fühlen mußte! Womöglich würde sie den Mord garnicht beichten wollen, – so verblendet war sie denn doch wohl nicht, – sondern sich nur ihres sträflichen Verhältnisses zu Aristide Vomero zeihen und dafür Absolution erbitten. Das war's, was mit einem Male in ihm aufstieg, ihn mit Zorn und Erbitterung erfüllte, ihn die beiden Fäuste gegen sich ballen ließ. Wenn es das war – und was könnt' es denn sonst etwa sein?

Er trat dicht auf sie zu, er reckte sich drohend vor ihr auf. War's das, was sie drückte? Aber auch ihre Schande, die zugleich seine Schande war, sollte sie dem Priester nicht eingestehen, – dem nicht und keinem. Nicht über ihre Lippen sollte das kommen. Er wollte es nicht. Nun Aristide Vomero tot war, war ja auch das tot, – tot und begraben. Kein Mensch brauchte je davon zu erfahren, auch der Priester nicht. Sie hatte ja dem ein Ende gemacht, hatte sich gerächt, hatte es gesühnt, – wie man es nun nennen wollte. Und dann: das eine beichten und das andere verschweigen, – das war ja Wahnsinn, das konnte man ja garnicht. Das hing beides doch unlöslich zusammen und Padre Gioacchino, selbst wenn sie ihm die Mordtat verschweigen wollte, würde sie erraten, würde von ihr verlangen, daß sie nun auch das weitere berichtete, und nicht eher ruhen, als bis sie es getan. »Du, was hast Du denn eigentlich zu beichten?« fragte Severo voll Hohn und Groll. Seine Augen bohrten sich förmlich in die ihren.

Sie lächelte verächtlich. Was für Angst er hatte, daß sie ihn verraten könnte! »Mein Gott, man hat doch immer allerlei zu beichten. Ich weiß nicht, wie Du Dich anstellst. Ich bin lange nicht mehr beichten gegangen.«

Seine Augen ließen sie nicht. »Von – von Aristide Vomero wirst Du doch nichts sagen in Deiner Beichte?«

Sie hielt seinen Blick voll aus. Dann zuckte sie die Achseln. »Von Aristide Vomero? Ich glaube, Du bist toll. Wenn's nicht früher Morgen war', könnte man meinen, Du wärest schon in der Osterie gewesen.« Sie wandte sich ab und ging in die Küche hinüber.

Als sie nach einer Weile zurückkam, war sie zum Ausgehen gerüstet. Severo saß auf dem Schwellenstein und rauchte. »Du gehst also wirklich?« fragte er. Im Grunde hatte er garnicht daran gezweifelt, daß sie gehen würde, er kannte sie ja: wenn sie sich etwas vorgenommen hatte, ließ sie nicht davon. Und sein Drohen hatte sie nur in ihrem Trotz bestärkt. So war sie nun einmal.

»Gewiß gehe ich,« sagte sie. »Und Du?«

»Ich gehe nicht.«

»Gehst Du nicht einmal zur Messe mit?«

Er schüttelte den Kopf. Warum? wußte er eigentlich nicht. Aber er wollte ihr den Gefallen nicht tun, – nun gewiß nicht. Sie lehnte sich ja offen gegen ihn auf. Und hätte doch wahrhaftig alle Ursache gehabt, jetzt fügsam und nachgiebig zu sein. Wo ihr Schicksal – ihr Leben in seiner Hand lag!

Einen Augenblick schien sie sich wirklich zu besinnen, ob sie nicht bleiben sollte. Aber dann ging sie, – ohne ihm einen Gruß zu gönnen, mit raschen Schritten, als ob sie fürchte, zu spät zu kommen. Severo wollte nun also ganz zum Heiden werden. Eine Todsünde auf der Seele und weder beichten noch zur Messe gehen! Aus bloßer Angst, irgendwie, durch irgend was könnt' er sich verraten. Oder er fürchtete sich auch vor der Madonna, vor dem Priester, – vor aller Welt. Und von ihr glaubte er, sie würde sein Geheimnis preisgeben, – von ihr! Wie das geklungen hatte: ›Von Aristide Vomero wirst Du doch nichts sagen?!‹ Ebensogut hätte er fragen können: ›Mich dem Gericht ausliefern willst Du doch wohl nicht?‹ Und nun hatte er ihr also verraten, er wisse, daß sie sein Geheimnis kannte, – das hatte er sich selber wohl nicht einmal klar gemacht. Und deshalb ging er in seiner Scham und Angst jetzt nicht einmal mit ihr zur Messe, wie er sonst doch alle Sonntagmorgen getan hatte. Und hatte doch Blut vergossen und die Barmherzigkeit Gottes wahrlich vonnöten. Mit solchen Gedanken betrat Serafina die Kathedrale.

Als sie die Messe mit angehört hatte, die gerade begann, sah sie, daß alle drei Beichtstühle besetzt waren. Sie hätte warten müssen, bis die Reihe an sie kam, und doch trieb sie etwas nach Hause. Während sie unschlüssig noch im Betstuhl kniete, überlegte sie sich, daß sie ja im Grunde auch garnichts zu beichten hatte. Wenn sie verschweigen wollte und mußte, daß sie um Severos blutige Tat wußte, konnte sie nichts vorbringen. Sie war eigentlich bloß hierher gegangen, um ihren Willen zu haben. Wenn Severo nicht mitging, hatte dieser Kirchgang gar keinen Zweck gehabt, sie für ihre Person hatte nicht nötig, sich die Seele frei zu beichten, auf ihr lastete nichts. Und wenn sie jetzt, wie sonst, dem Priester ein paar nichtige Kleinigkeiten eingestand und Absolution dafür erhielt, ohne ihm das wichtigste zu beichten, daß sie wisse, ihr Mann habe eine Todsünde begangen, und sie selber trage die Mitschuld daran, weil sie ihn zur Eifersucht gereizt und auch innerlich gewünscht und gewollt habe, er möge auf diese blutige Art einem unerträglichen Zustande ein Ende machen: was konnte solch' eine Beichte frommen? Das war ja gar keine. Und wenn der Priester sie gefragt hätte, ob sie sich weiter keiner Schuld bewußt sei, und sie hätte dann mit einem »Nein« geantwortet, würde sie sich schwere Sünde aufgebürdet haben und ihre Beichte wäre also dann keine Entlastung, sondern im Gegenteil eine Verschuldung gewesen, in die sie sich verstrickte. Besser, sie ging dem aus dem Wege, sie ließ erst Gras über das alles wachsen.

Mit raschem Entschluß stand sie auf und ging. Draußen wollten von den Leuten, die in sonntäglichem Müßiggang in ihren Festkleidern auf dem Kirchplatz umherstanden und schlenderten, etliche sie anrufen und aufhalten, aber sie wich ihnen aus. Was würd' es da wieder anderes zu reden geben, als von dem Morde und von dem Begräbnis gestern! Sie hatte wahrlich genug davon. Auch nach Severo fragte man. Warum man Severo nicht sähe? Und nachmittags kämen sie doch in die Canova del Mugnone hinaus? Alle Welt würde da sein und Sor Niccolò hatte wieder von seinem Pomino bekommen, man konnte sich auf einen guten Tropfen gefaßt machen. Serafina war froh, als sie nur endlich auf der Straße zu ihrem Hause war. Aber da ging wieder dicht vor ihr Pietro Mariani, der ebenfalls von der Messe zu kommen schien. Er war im Sonntagsstaat und hatte sein Gebetbuch mit Goldschnitt unterm Arm, der leere, linke Ärmel schlotterte ihm an der Seite. Da er ganz langsam bergan schlenderte, mußte sie ihn einholen, oder er würde über kurz oder lang ihre Schritte doch hinter sich hören. Nach kurzem Zaudern wollte sie mit einem Gruß an ihm vorüber. Aber nun rief er sie an und hielt sich neben ihr.

»Sora Fina, wie geht es Euch? Eben hab' ich mit dem Brigadier unten gesprochen. Morgen wird Severo Rocca verhört. Es ist ganz sicher. Er kann sich gefaßt machen.«

»Immerhin!« Sie war sehr erschrocken, aber sie würde das doch diesem hier nicht zeigen, – dem am allerwenigsten.

»Wie ich Euch gesagt habe: einer nach dem andern. Wo nur irgend ein Häkchen von einem Verdacht eingeschlagen werden kann. Die lassen nicht locker.«

»Severo hat ja nie etwas mit Aristide Vomero gehabt,« sagte Serafina leichthin, aber doch mit einem ausforschenden Ton.

»Hm«, machte er. »Blos das sie sagen, Aristide Vomero hätte es mit Euch gehabt, Sora Fina. Und das erstemal wär's ja wohl nicht, daß einer einen unbequemen Besucher so überseit geschafft hätt'. Mich haben sie im Verhör darüber ausgefragt, ob ich 'was wüßte, wie Ihr und Aristide Vomero zusammen gestanden habt; ich wohnte ja nahe genug, haben sie gemeint, um darüber Auskunft zu geben.«

Er sagte das alles in harmlosem Ton und ohne sie dabei anzusehen, langsam neben ihr bergauf schreitend. Serafina fühlte, daß sie bis an die Haarwurzeln von einem heißen Rot überflammt wurde. Es kochte in ihr. »Nun,« fragte sie nach einer Weile verächtlich, »was habt Ihr ihnen denn da geantwortet, Sor Pietro?«

»Die Wahrheit. Vor Gericht muß man so gut die Wahrheit sagen, wie im Beichtstuhl. Man wird sonst meineidig.«

»Und was nennt Ihr die Wahrheit?« Ihre Lippe bebte vor Spott und Empörung.

»Daß ich Aristide Vomero in der letzten Zeit alle Tage – auch am Tage vor seiner Ermordung – habe zu Euch gehen sehen, während Severo Rocca in den Brüchen war.«

»Nun?« Ihre Zähne halten leise aufeinander geknirscht.

»Weiter nichts. Weiter habe ich nichts gesehen. Weiter kann ich auch nichts sagen.« Er blieb stehen und schlug Feuer an, um sich seine Virginia wieder in Brand zu stecken, die ihm ausgegangen war.

Serafina zuckte ein paarmal nacheinander die Achseln. Sie stellte sich ganz ruhig. »Wen das wohl zu kümmern hat! Severo kann niemand etwas nachweisen. Severo war in jener Nacht garnicht draußen.«

Hierauf schwieg der Einarmige eine kleine Weile, dann sagte er, langsamer weiter gehend, die Augen am Boden: »Ja, wenn ihn niemand draußen gesehen hat, dann ist's gut, dann ist alles gut. Kein Teufel kann dann an ihn. Aber wenn man einen Zeugen hat – man muß nur keinen Zeugen haben, wißt Ihr. Ein Zeuge ist schlimm. Daran hängen sie sich, das wirft einen zu Boden. Ist kein Zeuge da, so kann Severo Rocca ganz ruhig sein. Guten Morgen, Sora Fina. Auf Wiedersehen!«

Er lüftete seinen Hut und ging, da sie den Eingang zu seinem Anwesen inzwischen erreicht hatten. Heute hatte er ihr nicht ein einziges Mal einen seiner lauernden Blicke zugeworfen, und was er gesprochen, hatte so unbefangen geklungen, als unterhielte er sich mit ihr über das Wetter und die Aussichten der Weinernte. Aber nie hatte sie ihn so gehaßt, wie in dieser Stunde, und mehr, als das: nie ihn so gefürchtet. Ja, sie fürchtete ihn jetzt plötzlich. Dieser Mann wußte etwas, wußte mehr, als er sagen wollte. Schon gestern Abend hatte er ihr gedroht, sie werde ihre Sprache ihm gegenüber schon wiederfinden. Und heute – jetzt eben – wie hatte er doch gesagt: »Man muß nur keinen Zeugen haben – aber wenn man einen Zeugen hat – ein Zeuge ist schlimm.« Was sollte das anderes bedeuten, als daß es einen Zeugen dafür gab, daß Severo in jener Nacht doch draußen gewesen war und der ihn also als Lügner vor Gericht entlarven konnte, wenn er das Gegenteil behauptete? Serafina begriff auch ganz gut, daß er dadurch noch viel verdächtiger werden mußte, als wenn er von vornherein zugegeben hätte, draußen sei er zwar gewesen, aber Aristide Vomero habe er dennoch nicht erstochen. Seine Lüge mußte ihn verderben, – einer, der sich unschuldig wußte, brauchte nicht zu lügen. Und warum sprach Pietro Mariani von diesem Zeugen für Severos Draußensein, wenn er nicht selber es war? Natürlich war er's und kein anderer. Es war ja auch klar genug; Pietro Mariani war damals aus der Osterie nach Hause gegangen, in der Aristide Vomero noch zurückgeblieben war, und auf seinem Heimweg hatte er mit Severo zusammenstoßen müssen, der auf dem gleichen Wege talab geschlichen war, um jenem aufzulauern. Wahrscheinlich hatte Severo Pietro Mariani gar nicht gesehen, er ahnte also auch nichts von der Gefahr, die ihm durch diesen drohte! Sonst wäre er nicht so gemütsruhig und selbstsicher gewesen. Ob sie ihn warnen sollte? Aber was konnte er denn tun, um sich gegen Pietro Mariani zu schützen? Und warum sollte dieser ihn verderben wollen? Die Wahrheit müsse man vor Gericht bekennen, wie im Beichtstuhl, hatte er gesagt. Aber wenn ihn niemand darnach fragte, ob er Severo in jener Nacht draußen gesehen habe, brauchte er auch zu niemand davon sprechen. Wenn er es tat, geschah's nur aus bösem Willen, nur um Severo zu verderben. Und wenn dazu kein Anlaß für ihn vorlag –

Serafina kam mit ihrem Nachsinnen zu keinem Ergebnis. Nur das Bewußtsein einer großen Gefahr, die über Severo und ihr schwebte, war in ihr, und diese Gefahr drohte von Pietro Mariani. Sie nahm sich vor, Severo wortgetreu zu wiederholen, was dieser ihr gesagt hatte, dann mochte er selber mit sich zu Rate darüber gehen, was zu tun blieb. Ihr Grauen vor Pietro Mariani war also nicht grundlos gewesen; so viel stand fest, die Madonna selbst hatte es ihr in die Seele gepflanzt.

Severo war gar nicht zu Hause, als sie heimkam. Erst um die übliche Essensstunde kam er wieder, ohne ihr zu sagen, wo er gewesen war. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte er getrunken. War es schon so weit mit ihm, daß er lieber seine Gewissensbisse vertrank, als sich im Beichtstuhl zu erleichtern? Sie sah ihn an. Er kam ihr gedunsen im Gesicht vor und sah mürrisch aus; offenbar wußte er nicht recht, wie er ihr begegnen sollte, und ihm selber war nicht gut zu Mute. Sie brachte ihre Warnung jetzt nicht über die Lippen, sie wollte ihn nicht noch mehr ängstigen. Der da war ja sichtlich verängstigt durch und durch. Halb erbarmte sie das, halb fand sie es aber auch verächtlich – für einen Mann. Warum hatte er es getan? Sie dachte schon kaum mehr daran, daß sie selber es innerlich von ihm verlangt und erwartet, daß sie die Tat für unvermeidlich gehalten hatte. Plötzlich wäre es ihr recht gewesen, sie ungeschehen zu machen.

»Du warst beichten?« fragte er sie, ohne sie anzusehen.

»Ja,« erwiderte sie. Sie begriff kaum selber, warum sie es ihm vorlog. Aber um keinen Preis hatte sie ihm jetzt eingestanden, daß sie nicht gebeichtet habe. Das wäre ihr wie das Eingeständnis einer Schwäche und Schande vorgekommen. Ihr Trotz gegen ihn war im Wachsen. Und es stachelte sie auch, ihn noch mehr in Sorge und Angst zu stürzen, ihn im Ungewissen zu lassen, – sie wußte nicht recht, weshalb?

Sein Gesicht verfinsterte sich, aber er sagte nichts und fragte sie auch nicht weiter aus. Es war ihnen beiden merkwürdig: sie hatten geglaubt, daß nun alles gut, alles zwischen ihnen wie früher sei, da Aristide Vomero tot war, und am ersten Abend war es auch wirklich so gewesen. Sie waren sich beide wie erlöst vorgekommen und jeder war dem andern dankbar gewesen und hatte ihn gerührt als Helfer und Befreier betrachtet. Weich, fast beschämt war ihre Stimmung gewesen. Wie und warum das dann plötzlich anders geworden war, wußten sie nicht. Sie hatten nachzudenken begonnen. Sie hatten sich nicht mehr blos gesagt: der einzige, der zwischen uns stand, ist tot; sondern sie fragten sich: warum hatte er sterben müssen? War es nötig, daß Blut vergossen, daß eine Todsünde begangen wurde? Und das schreckte sie jählings wieder auseinander, nachdem sie kaum sich in die Arme gefallen waren, – das erfüllte sie mit einem gewissen Grauen vor einander. Sie schlichen umeinander herum, ohne mehr zu wissen, wie sie sich behandeln sollten. Sie scheuten sich einer vor dem andern und sie grollten sich deswegen, daß dies alles so war. Es war kein Frieden und keine Sicherheit in ihnen. Sie waren sich weder klar über sich selber, noch jeder über den andern, und gerade das quälte sie nur noch mehr. Und dann kam in beiden die Furcht dazu. Sie fürchteten sich vor der Entdeckung, vor etwas Unbestimmtem, was über ihnen und zwischen ihnen lag. Und diese Furcht machte sie verbissen, trotzig, ließ sie so handeln, daß sie mit sich selber unzufrieden waren, ohne sich doch aus diesem Zustande mehr herauszufinden. Das Unausgesprochene, das früher zwischen ihnen gewesen war und langsam das Glück zerstört hatte, – jetzt war es in anderer Art abermals da, noch drohender, noch dumpf-gefahrvoller. Damals war es mit einer Bluttat zerrissen worden. Wohin würde es jetzt sie treiben? Aus der blutigen Saat konnte kein friedliches Glück keimen. Das wars, was unklar auf ihnen lag und in ihnen gährte. Und doch war jeder entschlossen, den andern vor der Entdeckung und den Folgen seiner Tat zu bewahren.

Severo warf sich, nachdem sie gegessen hatten, auf sein Bett und schlief. Er war oben in Siriano gewesen und hatte mit ein paar Kameraden, die der Zufall ihm in den Weg geführt, in der Osterie gesessen. Nun war er müde. Er wußte garnicht, was ihn eigentlich dort hinauf getrieben hatte. Nur daß er sich selber hatte hindern wollen, Serafina in die Kathedrale nachzulaufen, was er sonst vielleicht doch getan hätte. Das vormittägige Trinken, das er nicht gewöhnt war, hatte ihn schläfrig gemacht. Natürlich war auch in Siriano fast nur von dem feierlich-großartigen Leichenbegängnis Aristide Vomero's die Rede gewesen und da hatte er aus Ärger und Unbehagen noch mehr getrunken, als er sonst getan hätte. Nun schlief er ganz fest, und Serafina grollte, daß er den einzigen freien Nachmittag, den sie in der Woche zusammen hatten, so benutzte. Früher waren sie an diesen Sonntagnachmittagen immer auf die Hügel gegangen, waren in einer ländlichen Weinwirtschaft eingekehrt, wo man tanzte, Boccia und Morra spielte, und waren fröhlich gewesen unter den Fröhlichen. Immer war Severo der geschickteste unter den Spielern, der unermüdlichste unter den Tänzern gewesen und wenn die Wandermusikanten zur Guitarre ein toskanisches Volkslied anstimmten, war keiner mit hellerer Stimme eingefallen, als er. Alle hatten auf ihn geblickt, alle hatten sie beneidet. Und sie selber war immer stolz auf ihn gewesen. Das war all' die Zeit so gegangen, – ehe Aristide Vomero ein Auge auf sie geworfen hatte. Und nun, da er doch tot und begraben war, lag Severo auf seinem Bett und schnarchte, wenn es Sonntagnachmittag war. Es konnte also nie wieder werden, wie es einmal gewesen war? Sie hätte weinen mögen vor Zorn und Gram. Und während sie auf der Schwelle saß und seine gleichmäßig tiefen Atemzüge bis zu ihr herausdrangen, verhärtete sich ihr Herz immer mehr gegen ihn.


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