Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Severo Rocca heute abend nach Hause ging, wieder mit den müden, schleppenden Schritten eines Mannes, der den ganzen Tag schwer in den Steinbrüchen gearbeitet hat, kam ihm abermals Aristide Vomero entgegen. Es war kein Zweifel, daß er wieder aus seinem Hause kam. Er hatte die Mütze mit dem silbergestickten Stadtwappen vorn, die er sonst nach Ablauf seiner Amtsstunden nicht mehr zu tragen pflegte, schief auf dem Kopfe und pfiff vor sich hin. Er mußte lange dort gewesen sein. Als Severo Rocca ihm nahe kam, grüßte er ihn fast ehrerbietig. Eine so wichtige Persönlichkeit wie Aristide Vomero mußte man so grüßen, es lag Severo im Blute, und man konnte auch nie wissen, wozu es gut war; Steuerrückstände gab es immer bei einem Seinesgleichen, und die auf dem Municipio konnten mit einem armen Teufel jederzeit machen, was sie wollten. Über Severos Lippen kam freilich kein Wort bei seinem Gruße. Vielleicht weil er bei dem harten Aufstieg ohnehin keuchte. Der andere schien sich auch wenig darum zu kümmern, rief, ohne an seiner Mütze zu rücken, einen »Guten Abend« hinüber und schlenkerte, die Hände in den Hosentaschen, auf dem schmalen Felswege talab. Noch eine ganze Weile hörte Severo sein pfeifen.
Er blieb kurz einmal stehn, holte tief Atem, und stieg dann weiter. Seine schweißbedeckte Stirn hatte sich in Falten gelegt; noch schwerer, als vorher, stützte seine Hand sich auf den Stiel der Spitzhacke, die er mit sich trug. Unweit von fernem Hause hörte er sich angerufen. Der einarmige Pietro Mariani saß auf der Weinbergsmauer drüben am Wege und schmauchte seine kurze Pfeife. »Kommst spät, Severo.«
»Wer früher kommen kann, kommt früher,« versetzte er mürrisch.
»He! Aber du versäumst die besten Besuche darüber – und die längsten.«
Severo brummte etwas unverständliches, zuckte die Achseln und ging weiter. Er sah sich gar nicht mehr um, er hörte auch nicht auf das, was der andere ihm nachrief. Dröhnend schlug die Tür seines Hauses hinter ihm zu. Er warf den Sack mit allerlei Geräten, den er über der Schulter getragen hatte, mitsamt der Hacke klirrend auf den Steinboden, riß seinen verwaschenen Filz aus den verklebten Haaren und hockte sich auf einem Holzstuhl nieder, die beiden Arme vor sich hin auf die Tischplatte gestemmt. Ein ächzender Laut brach von seinen Lippen. Dann sank sein Kopf, nachdem er eine Zeitlang mit starr glänzenden Augen vor sich hinausgeblickt hatte, langsam vornüber und vergrub sich in den Armen. Ein Rütteln ging manchmal durch den Leib des Mannes.
Es war allmählich ganz dunkel geworden. Serafina war schon ein paarmal auf der Schwelle erschienen, um nach ihrem Mann zu sehn, aber er hörte sie gar nicht. Sie hatte einen so sonderbar geräuschlosen Gang, und im Hause trug sie nie ihre Holzschuhe, sondern ging auf Strümpfen. Trotz der Dunkelheit sah sie Severo ganz genau, wie er da am Tische saß, ohne sich zu regen, aber sie rief ihn nicht an und schreckte ihn auch nicht auf, sondern ging immer wieder in die Küche zurück, wo das helle Herdfeuer um den rußigen Dreifuß flammte. In ihrem Wesen wie in ihren Mienen kämpfte zagende Scheu sonderbar mit trotziger Verdrossenheit. In ihren Blicken, mit denen sie den Mann am Tische betrachtete, lag ebensoviel heiße, verlangende Hingebung, als Furcht und Groll. Dann wieder stierte sie in die Flammen, deren Widerschein auf ihren herrlichen Zügen lag, als brüte sie über einem finstren Entschluß. Sie sah unter dem roten Licht, das ihr üppiges, in dicken Flechten am Hinterkopf zusammengeknotetes, blauschwarzes Haar da, wo es über der schmalen Stirn sich widerspenstig aufkrauste und zerfaserte, in lauter kleinen Feuerschlänglein zu verwandeln schien, stolz und gefährlich zugleich aus, wie eine unnahbare Rächerin. Die Arme über dem schwellenden Busen ineinandergefaltet, stand sie da, als wärme sie sich an der Glut.
Und so fand sie Severo; als er endlich aus seiner Dumpfheit sich aufgerafft hatte und schwankenden Schrittes gegangen war, sie zu suchen. Serafina hatte sein Kommen überhört bei dem Knacken und Prasseln des Reisigs oder sie wollte ihn nicht hören. Er stand eine Weile und weidete sich an dem prächtigen Anblick, den sie bot. Aber seine Mienen erhellten sich nicht darunter, sondern wurden nur noch finsterer, seine Lippen preßten sich fest aufeinander. Und seine Faust zuckte ein paarmal, als wollte sie nach dem Hüftgurt greifen, wo er sein Messer trug.
Dann rief er sie plötzlich mit ganz rauher Stimme an: »He, Serafina! Ich bin hungrig. Bist du fertig?«
Er hatte keinen Gruß vorangeschickt, und sie stellte sich, als schräke sie zusammen bei seinem Anruf. »Gleich.« Sie sah ihn nicht dabei an. »Kommst du erst jetzt?« setzte sie hinzu.
»Ja,« erwiderte er. Und sie fragte sich: »Warum lügt er?« Aber warum hatte sie ihn überhaupt gefragt, da sie ja wußte, wie lange er schon da war? Ihre Frage selber war schon eine Lüge gewesen. Es war eben alles zwischen ihnen anders geworden.
Er war wieder hinübergegangen und sah am Tische, als sie kam und das Essen auftrug. Dann aßen sie beide, hastig, fast gierig. Man hörte nichts als das Klappern der blechernen Löffel, das Klirren des Messers, und das krachende Geräusch starker, gesunder, zermalmender Zähne, zwischen denen das harte Graubrot förmlich splitterte. Beim Essen hatten sie auch sonst nicht viel gesprochen, heute wurde kein Wort laut. Serafina hatte nicht einmal Licht gemacht; es war, als ob sie nicht wollte, daß sie einander ansehen könnten. Er wenigstens dachte das. Und dann war's, nachdem die Suppe nun ausgelöffelt war, als drückten sie beide an etwas herum, was heraus sollte und mußte, und was sie doch nicht zu formen wußten, was ihnen Pein verursachte und wovor sie bangten. Ihre Hände schienen förmlich daran zu kneten, denn sie waren in rastloser Tätigkeit; die Finger verschlangen sich ineinander und packten die Tischplatte und trommelten dann wieder darauf, griffen nach dem Messer, warfen es wieder hin und gaben knackende Geräusche von sich.
Plötzlich entfuhr's ihm ganz hastig:
»War heute einer da?«
Er schoß die Worte gleichsam heraus.
»Ja,« sagte sie, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Aristide Vomero war da.«
Sie betonte den Namen so, daß es fast ein Schreien war. Sie wollte ihn also herausfordern, sie verlangte, daß er weiter fragen, daß er sich erhitzen sollte. Aber nun schwieg er, – gerade deshalb. Es kroch ordentlich alles in ihn zurück. Nur eine ungeheure Bitterkeit war in ihm. Aber das machte ihn stumpf, nicht jähzornig. Sie wollte über ihn spotten, aber er ließ sich nicht verspotten.
Er stand auf, reckte sich, stieß seinen Holzstuhl zurück, verschlang seine Arme hinter dem Genick und gähnte. Er stellte sich, als ob er gähnte.
»Ich bin müde,« sagte er. »Ich geh' schlafen.«
Und er ging wirklich.
Sie war nun doch erstaunt, aber sie sagte kein Wort. Er hielt es also nicht der Mühe für wert, loszubrechen, Warum nicht? Weil ihm an dem allen nichts lag, wie es war und was die Leute redeten? Oder wußte er sich anderen Rat, um es zu Ende zu bringen? Denn er glaubte ja doch an das, was man tuschelte. Es kam also immer auf dasselbe hinaus: er liebte sie nicht mehr, es galt ihm alles gleich. Ob sie sich mit Aristide Vomero einließ oder mit einem andern, er fragte nichts danach. Oder war ihm die Verunehrung seines Hauses so zum Ekel, daß er nicht sprechen konnte, daß es ihm unter seiner Würde däuchte? Denn eine andere liebte er doch wohl nicht. In den Steinbrüchen kam ihm schwerlich ein Weib zu Gesicht, und es hätte sich längst herumgesprochen, es blieb nichts derartiges verborgen. Also hatte er abgeschlossen mit ihr, hatte sie verdammt, ohne sie nur zu hören. Aber das kann keiner, der sein Weib lieb hat und etwas auf sie hält, das ist ungerecht und niedrig. Hören, – hören muß man jeden, auch den Verworfensten, und wenn alles gegen ihn spräche. Und vor allem: warum ließ er sich's denn gefallen? Darauf kam sie immer wieder zurück. Es war doch sonst seine Art nicht. Er war heißblütig wie nur einer, und wenn sie dachte, wie wild er gewesen war, als er sie noch lieb gehabt hatte, durchschauerte es sie. Sie hatte sich oft vor ihm gefürchtet, und doch ihn nie anders haben wollen, als er war, – nie. Und jetzt verachtete er sie so, daß er den Eindringling, über den man ihm Spottverse zurief, nicht niederschlug, nicht mit seinen Füßen zertrat. Nein, er ging an ihm vorüber und grüßte ihn. War er feige geworden? Aber danach sah er nicht aus. Nun also: was war's denn?
Es machte sie schier wahnsinnig, darüber zu grübeln. Wenn er doch nun endlich losgebrochen wäre! Sie fieberte vor Verlangen danach. Und wie ihr Zorn und ihre Empörung dann hätten auflohen können, um sich Luft zu schaffen, – endlich, endlich! Nur nicht diese dumpfe Ruhe, diese gräßliche Ungewißheit! Sie fühlte ja, wie darunter alles in ihr hinsiechte und erstickte, wie es sich in ihrem Herzen verhärtete und ihre Liebe zu ihm, ihr Stolz auf ihn wegstarben, als würden sie erwürgt. So ertrug sie es nicht länger. Gegen ihn ankämpfen, mit ihm ringen auf Tod und Leben, und wenn's ihrer beider Untergang wäre, – ihn zerreißen vor Wut, Haß und Entrüstung, sich von ihm niedertreten lassen, ihm alle wildesten und widrigsten Worte zuschreien und sich jauchzend von ihm erdrückt fühlen – warum das nicht? So wollte sie's, so hatte sie's erwartet. Und das alles, ohne daß sie schuldig war, ohne daß auch nur ein Hauch von Schuld an ihr haftete! Dann wäre ihr wieder wohl gewesen, dann hätte sie sich wieder frei gefühlt. Aber dies – dies war schlimmer als Mord und Tod.
Serafina hatte während all' dieser in ihr aufzuckenden Gedanken das Eßgerät wieder abgeräumt und in der Küche die Teller gespült. Einer zerbrach ihr dabei unter den Fingern. Und sie nahm die Scherben auf und zerbrach jeden einzelnen derselben noch einmal, mit aller Kraftanstrengung und ohne dabei auf die blutigen Schrammen zu achten, die sie sich zuzog. Ihre Zähne knirschten aufeinander. Dann warf sie sie alle fort und atmete schwer.
Sie trat vor die Tür hinaus in die sternklare Nacht, die über den Hügeln lag. In der Tiefe wogte ein durchsichtig weißes Nebelmeer, unter dem das Tal verschwand und das in der Ferne die Lichter der großen Stadt durchfunkelten. Sie zitterten auf dem silberigen Untergrunde. Ein Duft von blühenden Lorbeerbäumen, deren gelben Staub der Wind jeweilig durch die Luft trug, zog von den Gärten der weiter unten am Hange belegenen Häuser des Dorfes empor und mischte sich mit dem der wilden Blumen, von denen hier oben die Schluchten jetzt erfüllt waren. Eine schwellende Sehnsucht hob den Busen des jungen Weibes.
Und plötzlich mußte sie auflachen. Aristide Vomero, wenn man Severo Rocca zum Manne hatte! Es war wirklich zum Lachen. Und warum sie ihm nicht die Tür wies? Hätte das nicht geheißen, daß sie sich schwach fühlte? War sie nicht stark genug, um sich ihrer selbst gegen ihn sicher zu wissen, – allerorten und zu jeder Stunde? Und dann: wozu ihn sich zum Feinde machen? Die vom Munizipio waren nun einmal die Mächtigen und man mußte sie schonen. Was konnten sie einem nicht alles antun, wenn sie wollten! Und die Steuern – wann konnten so arme Teufel, wie sie alle hier, die Steuern pünktlich und vollständig bezahlen? Immer wieder gab's neue, kein Mensch kannte sich mehr darin aus. Wenn man da nicht gute Freundschaft mit den Steuerboten hielt, wurde einem eines Tages das Bett unterm Leibe und das Dach überm Kopfe abgepfändet; da gab's keine Nachsicht, Gründe fanden sich immer. Mit dem Steuerboten sich gut stellen, war ebenso wichtig, wie mit dem Priester, das mußten alle und taten danach. Wenn er wollte, stundete Aristide Vomero einem die drückenden Abgaben, bis man gerade einmal Geld in die Hände bekam. Und daß er lieber zu jungen Weibern in's Haus ging, als zu alten, konnte ihm niemand verargen.
Möglich auch, daß sich's andere gefallen ließen, wenn er ihnen schön tat. Man sagte ihm ja allerlei nach, – die Menschen schwatzten soviel. Aber man hätte wissen können, wer Serafina Rocca war, – zum mindesten Severo hätte es wissen können. Denn die andern, – was kümmerten die andern sie? Die hätten ihr immer gern was nachgeredet, denen war sie immer zu stolz – und den Weibern auch zu scheu gewesen. Daß sie ihrem Manne noch immer kein Kind geboren hatte, legten sie sich so aus, als ob ein Fluch auf ihr läge oder eine gerechte Strafe sie dadurch träfe. Weibern, die es mit mehreren Männern hielten, schenke die Madonna keine Kinder. Wieder lachte Serafina verächtlich vor sich. Warum ihr die heilige Jungfrau ein Kind vorenthielt, um das sie doch oft genug gebetet hatte, wußte sie freilich auch nicht. Aristide Vomero hatte ihr freilich gesagt, sie solle Gott danken, denn schöne Weiber müßten keine Kinder haben, aber was wußte der? Wenn sie jetzt ein Kind hätte, würde alles anders stehen. Severo würde von seinem entehrenden Verdacht lassen, um seines Kindes willen oder die Mutter seines Kindes erdrosseln, die es mit einem andern hielt, – wenn nicht diesen andern selbst. Die Mutter seines Kindes beargwöhnt man nicht, oder man wird zum wilden Tier gegen sie und gegen alle Welt. Diese dumpf grollende Feindschaft zwischen ihnen wäre dann unmöglich gewesen. Die war wie Sciroccoschwüle, die lähmt und lastet, aber sich nicht in krachendem Ungestüm entlädt.
Der Wind schauerte kühl durch die Schlucht herauf. Serafina hob ihm die Brust entgegen, ihre Nasenflügel blähten sich. Die unbestimmten Geräusche der Nacht machten sie plötzlich unruhig, beinahe ängstlich. Sie glaubte tappende, schleichende Schritte zu hören, die sich über dem harten, dunklen Felsboden dem einsamen Häuschen näherten. Und sie schrak zusammen.
Wie das töricht war! Wie oft hatte sie hier so gesessen, und auf Severo gelauert, wenn er abends aus den Steinbrüchen heimkam und die frühe Dunkelheit im Winter darüber hereingebrochen war! Nie hatte sie eine Regung von Furcht angewandelt.
Sie und Furcht! Sie kannte keine. Sie war eine Tochter der Berge, von denen herab Severo Rocca sie heimgeholt hatte. Da droben in ihrem einsamen Felsennest, das in schneereichen Wintern die Apenninenwölfe umzingelten, hatte sie die Furcht nicht gelernt. Und daß ihr Haus hier einsam und hoch über dem Dorfe lag, war ihr gerade recht; die engen Steilgassen dieser Ortschaften, in denen alles Lebendige so dicht beieinander hockte, als wäre nur ein Haus für sie alle da, waren ihr immer verhaßt gewesen. Beim Spinnrocken hatte sie vor sich hin gesungen und an Severo gedacht, wenn sie allein war, – oft genug auch an den Sohn, den sie ihm gebären würde. Besuch war mehr gekommen, als sie brauchte. Nie war ihr die Zeit lang geworden oder ihre Einsamkeit ihr zum Bewußtsein gelangt. Stark und trotzig ruhte sie auf sich selbst und wußte sich zudem in Severos Hut. Heute und hier, während er daheim war und sie hätte schützen können, überlief sie's mit einem Male, – sie wußte nicht warum und nicht wovor. Es schlich etwas an sie heran, es strich kalt über sie hin. Wenn sie es selber täte, was er nicht tat, zu tun nicht den Mut fand! …
Sie schüttelte den Kopf, sie machte mit der Hand eine unwillige Bewegung, halb abwehrend, halb drohend. Dann ging sie ins Haus zurück und schloß die Tür hinter sich, sogar den Riegel schob sie ein, was sie sonst zumeist unterließ. Warum war sie nicht lange zu Bett gegangen? Müde konnte sie doch wohl sein. Und Severo schlief schon.
Sie tappte sich in die Kammer hinüber. Richtig! sie hörte seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge. Ein heißer Widerwille stieg in ihr auf. Er konnte schlafen, – schlafen. Und sie – wieder schüttelte sie den Kopf. Nein, das war seine Sache, das war Mannestat. Sie kleidete sich rasch aus. Der Gedanke, daß er sie hören und dabei überraschen könne, peinigte sie plötzlich. Sie fühlte sich ihm fremd, er war ihr jetzt wieder wie ein anderer, noch fremder als damals, wo sie zum erstenmal hier neben ihm in der Kammer zu Bett gegangen war. Die Scham von damals war wieder in ihr. Wenn ein Mann das von seiner Frau glaubt und läßt sie diesem andern, den er beargwöhnt und teilt mit diesem andern, hat er keine Rechte mehr an diese Frau. Sie hätte ihm keine mehr eingeräumt.
Als sie unter ihrer Decke lag, fand sie es heiß zum Ersticken in der Kammer. Sie wäre gern noch einmal aufgestanden, um das Fenster aufzustoßen, aber sie scheute sich davor, denn Severo's tiefes Atmen hatte plötzlich aufgehört, er konnte erwachen. Unruhig warf er sich hin und her. Sonst hatte er nach der schweren Tagesarbeit immer so fest und tief geschlafen, daß sie Mühe gehabt hatte, ihn zu wecken, wenn es Zeit war; kaum daß er sich einmal auf die andere Seite gelegt hatte. Der dumpfe Groll war heute in ihm, der nicht zum Ausbruch kam und ihn deshalb nicht schlafen ließ.
Aber was kümmerte das sie? Warum war er kein Mann und handelte nicht wie ein Mann? Sie selber wollte schlafen, – schlafen.
Sie schloß die Augen und faltete ihre Hände über der Brust. Aber es schwirrte so vieles ihr durch den Kopf. Sie mußte immer daran denken, wie das alles denn gekommen war. Sie hatten doch aneinander gehangen, wie zwei, für die es nur ein Leben und ein Sterben geben kann. All' den andern Burschen, da droben in ihrem Heimatsdorfe, hatt' er sie abgetrotzt, als man die Schönste im Ort nicht zieh'n lassen wollte, es als eine Schmach für ihn ansah, wenn ein Fremder sie davonführen dürfe. Severo Rocca hatten sie endlich sie doch gelassen, keinem and'ren hätten sie nachgegeben; sie wußten, der würde mit jedem von ihnen bis auf's Messer um sie kämpfen und sich eher niederstechen lassen, als das Mädchen aufgeben. Und sie, Serafina, hatte ihn nicht anders gewollt, als er war. Um seiner Wildheit halber hatte sie ihn so geliebt, wie sie keinen andern je hätte lieben können. Sie gedachte noch dessen, wie sie sich mit heißem Erschauern ihm gebeugt hatte, wie ebensoviel Furcht als Wollust sie in seinen Armen durchrüttelt. Wenn es wieder so hätte sein können!
Warum war es nicht! Wie hatte es denn je anders werden können und wie konnt' es für so etwas ein Aufhören geben? Nun würde das Dumpfe und Unausgesprochene, das zwischen ihnen lag, sie einander immermehr entfremden, in Gleichgültigkeit, in Haß auseinander treiben, vielleicht sie gegeneinander anringen lassen. wie Todfeinde. Und das alles um nichts, – das alles, weil sie Aristide Vomero nicht die Tür wies, wenn er kam, um die Steuerrückstände einzutreiben, – als ob sie das überhaupt gekonnt hätte! Es war, um daran den Verstand zu verlieren. Und ein Stoß hätte das alles vereitelt, hätte ihren Leiden Ruhe und Frieden verschafft, sie wieder zu denen gemacht, die sie gewesen waren. Wozu denn also in dieser Ohnmacht verharren und, die Hände im Schoß, das alles über sich kommen lassen, das Glück und die Liebe sich zwischen den Fingern zerbröckeln lassen, wie wertlose Scherben?
Wieder kam der heiße, wilde Drang über sie. Gleich einem Feuerstrom schoß ihr's durchs Hirn. Wie, wenn sie selber täte, wozu er die Kraft oder den Entschluß nicht fand! Ob er sie dann nicht wieder würde lieben müssen, wie früher? Oder ob sie ihn dann würde verachten müssen und er sich vor ihr fürchten und schämen würde? Aber gleichviel, wenn es nur wurde, wenn es nur so nicht blieb, wie es jetzt war! So durfte es nicht bleiben.
Sie schickte sich an, aufzustehen. Wozu lag sie noch hier und erstickte fast unter der Glut, die auf sie drückte? Was sie tun wollte, konnte sie gleich tun. Schlafen konnte sie doch nicht. Wie sie es vollbringen würde, überlegte sie sich nicht, – was kam darauf auch an? Ein Weg würde sich schon finden. Aristide Vomero saß zu dieser Stunde doch wohl noch in der Osterie zum »Silbernen Mond« und wenn er nachher durch die dunkle Gasse heimwärts schwankte – oh, sie würde schon treffen, – so treffen, daß er keinen Laut im Zusammenbrechen mehr von sich gab. Sie mußte so treffen.
Eben als sie sich erheben wollte, sah sie, daß sich Severo unter seiner Decke aufrichtete. Da legte sie sich geräuschlos wieder zurück. Er konnte also auch nicht schlafen, ihm ließ es auch keine Ruhe. Das erfüllte sie mit Genugtuung. Und dann saß er eine Weile halb aufgerichtet im Bett, als ob er auf etwas hinaushorche. Da stellte Serafina sich ganz wie schlafend. Aber durch einen schmalen Spalt ihrer geschlossenen Lider gewahrte sie, daß Severo nach seinen abgeworfenen Kleidern tastete und sich vollends von seinem Lager erhob. Eine Weile schlug ihr Herz so laut und rasch, daß sie meinte, er müsse es hören können. Aber er blickte garnicht auf sie, er kümmerte sich um sie garnicht. Langsam zog er sich wieder an. Dabei wurde es Serafina seltsam ruhig zu Mute. Also gut, er würde es tun, – er. Sie brauchte ihm nicht den Weg zu weisen, geschweige denn ihm zuvorzukommen. Ein wohliger Frieden durchströmte sie, indem sie ihre Glieder dehnte. Endlich! Endlich!
Sie beobachtete wie gebannt jede seiner Bewegungen. Er zog sich notdürftig an, soviel ihm die Dunkelheit erlaubte, und schlich sich dann hinaus. Auf sie blickte er nicht. Sie hörte wie er die Haustür leise aufklinkte, dann war alles still. Also jetzt ging er. Er hatte begriffen, daß es sein mußte, daß es so nicht weiter ging. Und was einmal sein mußte, konnte auch gleich in dieser Nacht sein. Jetzt konnte sie schlafen, von jetzt an konnte sie immer ruhig schlafen.
Severo stand draußen in der lauen Nacht und wußte nicht, warum er aufgestanden war. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, es gab diese Nacht keinen Schlaf für ihn. Und da drinnen wäre er erstickt. Aber was wollte er hier? Wozu sollte das alles führen? Er reckte schlaftrunken die Arme. Dann kauerte er sich auf der steinernen Haustreppe nieder und stierte ins Dunkel. Nicht einmal mehr schlafen können! Er blickte auf das Madonnenbild, das drüben in der Mauernische hinter einem Gitterchen stand und vor dem ein matt glimmendes Ölflämmchen brannte. Dann bekreuzte er sich. Nein, er wollte es nicht tun, – das eine, was die Madonna nun und nimmermehr gutheißen oder auch nur verzeihen konnte. Er wußte wohl, daß es ihm im Blute lag, es zu tun, und daß jeder andere es an seiner Stelle getan hätte. Aber was konnt' es denn frommen? Wenn Serafina ihn nicht mehr liebte, wenn sie ihm mit dem Andren die Treue gebrochen hatte, – die Tat schaffte ihm ihre Liebe nicht wieder zurück und machte auch nicht ungeschehen, was einmal geschehen war. Die einmal ein anderer in den Armen gehalten hatte, die begehrte er nicht mehr, derer ekelte ihn, und wenn jeder Tropfen seines Blutes nach ihr gebrannt hätte.
Aber war es denn geschehen? Er wollte, konnte nicht daran glauben. Nur die neidische Bosheit der andern wollt' es ihm einimpfen. Wie der Marder um den Taubenschlag schlich Aristide Vomero ja wohl um sein Haus und nicht um sein Haus allein. Aber Serafina – nein! nein! tausendmal nein! Serafina ergab sich ihm nicht, so einem schon gewiß nicht. Und wenn er nun hinging, um mit einem einzigen Messerstich diesem Zweifel und dieser heimtückisch geifernden Verleumdung ein Ende zu machen, – was dann? Sich vor Gericht schleppen zu lassen? Oder in die Berge flüchten, bis ihn irgendwo die Karabinieri doch ausspionierten und niederschossen, wie ein wildes Tier? Was sollte das alles? So oder so war's dann zu Ende, – dann erst recht. Glücklich konnten sie beide dann nie mehr werden. Im besten Fall schlossen sie ihn in Eisen auf den Galeeren. Mocht' es denn doch lieber bleiben, wie es war! Wenigstens lastete dann keine Todsünde auf seinem Gewissen.
Und doch griff seine Hand wieder nach der Hüfte, und doch beruhigte es ihn nicht, was er sich da alles selber einredete. Ein Stoß und er hatte Frieden. Sie würden ihn ja auch nicht gleich entdecken als den Täter. Aristide Vomero hatte allerlei auf dem Kerbholz, dem konnten auch andere den Lohn gezahlt haben, den viele ihm zudachten und die meisten ihm gönnten. Und vor allem: was sollte Serafina von ihm glauben, wenn er es nicht tat, wenn er überhaupt keinen Finger rührte, um dem allen ein Ende zu machen? Daß er sie preisgab? Daß er ein Feigling war? Nein, nein, er mußte es tun. So, wie es war, konnt' es doch nicht bleiben. Morgen – wenn er Aristide Vomero morgen wiedertraf, wie er sich von seinem Weibe fortschlich, um eben die Stunde, wo er wußte, er Severo Rocca, würde heimkommen – mit diesen seinen Händen wollt' er ihn erwürgen, ihn über die Mauer dort in die Tiefe schleudern, ihm mit einem Felsstein den Kopf zerschmettern, – irgend etwas dergleichen. Lebendig sollt' er ihm dann nicht mehr fortkommen. Morgen!
Er wollte sich aufraffen und wieder ins Haus zurückkehren. Seltsam! Er hatte sein Messer gar nicht im Hüftgurt stecken, er mußt' es in der Dunkelheit vorher drinnen liegen gelassen haben. Jetzt hätt' er es also gar nicht vollbringen können. Denn noch einmal hineingehen, um es zu holen, getraute er sich nicht; Serafina würde dann sicher erwachen, sie hatte ohnehin einen so leisen Schlaf, und es war merkwürdig genug, daß sie sein Fortgehen nicht gehört hatte. Es hatte garnicht sein sollen. Morgen! morgen würd' es sich entscheiden.
Noch einmal bekreuzte er sich, gegen die ewige Lampe des Marienbildnisses gewandt, dann ging er, seinen Schritt dämpfend, ins Haus zurück. Er war jetzt ganz ruhig geworden, und eine schwere Müdigkeit lag über ihm. Er sehnte sich nach Schlaf.
Serafina lag ganz regungslos. Sie hörte ihn kommen, sie hatte die ganze Zeit hindurch, wo er fort gewesen war, wach gelegen und in herzklopfender Spannung auf sein Wiederkommen gewartet, aber sie stellte sich schlafend. So warf er sich in seinen Kleidern aufs Bett, und lösende Bewußtlosigkeit senkte sich über ihn. Nur einmal, kurz vor dem Einschlafen war's ihm noch, als erhöbe sich Serafina von ihrem Lager, tappte sich zu dem seinigen heran und beugte sich, die Arme auf den Bettrand gestützt, über ihn. Was sie wollte begriff er nicht. Es war, als ob sie auf etwas horche oder etwas untersuchen wolle. Er spürte die Nähe ihres Leibes, er fühlte ihren Atem. Aber er hatte die Kraft nicht, seine Arme nach ihr auszustrecken, und er wollte es auch nicht. Heute nicht, – heule noch nicht.
Dann war's ihm, als berührten ihre Lippen ganz flüchtig einmal seine Stirn oder sein Haar, und sie war fort. Er entschlief.