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Schöne Wissenschaft, auf mein Wort.
Schiller.
Wir haben schon erwähnt, seitdem Perez blindlings den Befehlen der Herzogin Gehorsam geleistet, erkannte man die unglückliche Equipage der Sylphide nicht mehr.
Man hörte nicht mehr jene fröhlichen Gesänge, jenes Geschrei, jene Lästerungen, welche die Gegenwart der Officiere kaum zurückhalten konnten, nicht mehr jene Plaudereien auf dem Vordertheile des Schiffs, jene spaßhaften Geschichten, deren Homer der Losophe war. Die Erzähler schwiegen, gleich den Vögeln, welche ihren Gesang bei der Annäherung eines Gewitters einstellen …
Die ehemals so blühenden, so vollen Gestalten waren eingefallen und abgemagert, die so gelenkigen und kräftigen Glieder waren träge und wie zerschmettert. Zutrauen, – Fröhlichkeit – waren verschwunden; man sah die unglücklichen Matrosen sich in diesem beschränkten Raume absondern und scheue und mißtrauische Blicke auf einander werfen.
Die ganze Macht, die Drohungen, die Versprechungen des Commandanten und der Officiere konnten die Seeleute zwingen, nur mit Mühe die so viel als möglich vereinfachten Manövres zu machen.
Die Meister selbst verloren jeden Tag an ihrem Ansehen und waren beinahe darüber unbekümmert; so sehr hatte die physische Abstumpfung auf ihre moralische Lage Einfluß. Meister Frank, sonst immer lebhaft und aufbrausend, schien wie erstarrt zu sein. Der bürgerliche Kanonier ließ sich ungestraft gefallen, daß man ihn unter das Militär zählte, und sprach jetzt wie jeder Andere.
Der Losophe und sein Hund theilten den allgemeinen Zustand der Schwäche, und weder die Violine des Tanzmeisters, noch das Bellen des St. Médard reizten ferner die zarten Nerven des bürgerlichen Kanoniers.
Rumphius und Sulpizius, die mit den Commandanten aßen, waren von der allgemeinen Krankheit verschont geblieben, von welcher der Astronom, versunken in seine Berechnungen und Betrachtungen, nichts ahnte.
Sulpizius eilte, so oft er glaubte seinem Bruder unnütz zu sein, sich zur Verfügung des Doctors zu stellen, indem er ihn demüthig bat, ihm zu erlauben, die schwächsten Kranken zu pflegen, und er entledigte sich dieser Pflicht mit der ihm eignen engelgleichen Sanftmuth. Von Einem zum Andern gehend, munterte er die Aengstlichsten auf und suchte sie zu beruhigen, welches ihm auch bisweilen gelang, und dadurch hatte er es endlich so weit gebracht, daß das Schiffsvolk, welches nach seiner Gewohnheit ihm den Beinamen » Bon-Jesus,« so wie dem Perez den » Grand-gibet,« gegeben hatte, ihn wahrhaft anbetete.
Das Sonderbarste war das Abstechende zwischen dieser christlichen und frommen Benennung und den Flüchen und Lästerungen, welche sie begleiteten, gleichsam als kräftige Beweise von Bewunderung und Dankbarkeit von Seiten der Matrosen.
Bald hieß es: – das ist ein gutes L…, dieser Bon-Jesus, oder: – dieser ver … Bon-Jesus verdient, beim Teufel recht verehrt zu werden.
Aber ach! ungeachtet so vieler Sorgen und so vieler Ergebenheit, nahm die Gesundheit der Equipage täglich ab, und die Herzogin war dem Ziel ihrer Rache ziemlich nahe …
Ungefähr zwei Stunden nach Aufhebung der Berathschlagung begann der Wind, welcher bis dahin ziemlich kräftig von Nord-Osten geweht hatte, an Stärke nachzulassen, wurde immer schwächer, und nach Verlauf einer Stunde trat gänzliche Windstille ein.
Der reine Horizont trübte sich dabei im Westen, und als die Sonne unterging, verschwand sie hinter einem breiten Gürtel dichter, schwarzblauer Wolken, … welche sie da und dort mit einem Strahl glühenden Roths färbte; … übrigens war die Windstille vollkommen, … und nicht der geringste Luftzug schwellte die Segel; – die Wellen waren ruhig und die Fregatte schlich nur dahin.
Man schlug den Zapfenstreich und der Schiffsprediger stieg auf das Verdeck, um das Abendgebet zu verrichten.
Der Commandant, die Offiziere erschienen auf dem Hinter-Castell in Uniform, und der Equipagemeister ließ die gewöhnliche Pfeife ertönen, welche den Augenblick dieser frommen Uebung anzeigte.
Die Matrosen stiegen herauf; die Einen konnten sich kaum auf den Beinen erhalten, die Andern, welche stärker waren, unterstützten die Schwächern.
Das Gebet wurde mit der ernsthaftesten Aufmerksamkeit angehört, denn die Sonderbarkeit der Uebel, welche das Schiffsvolk seit einigen Tagen heimsuchten, hatte alle diese, wenn auch nicht religiösen doch wenigstens abergläubischen Gemüther auf ernsthafte und traurige Gedanken gelenkt.
Unter den eifrigsten Betbrüdern machten sich Daniel und fünf oder sechs seiner Landsleute bemerkbar, gebürtig, wie er, aus Abrevrak, welche seit dem Anfang der Epidemie sich nicht verließen, und so mitten in dem Zustande des allgemeinen Mißtrauens, welcher einer der Hauptcharaktere dieser sonderbaren Krankheit zu sein schien, eine kleine, fest unter sich vereinte Gesellschaft bildeten.
Meister Kergouët mischte sich oft in diese Art von Clubb, welcher seine Versammlungen bei Nacht in dem falschen Verdeck hielt, und der Anschließung dieses Meisters verdankten Daniel und seine Freunde eine Art stillschweigenden Schutzes, der sie in den Stand setzte, sich ungestraft zu versammeln, denn der Meister machte sie auf die Kundschaftern des Lieutenants aufmerksam …
Der Grund dieser Parteilichkeit des bürgerlichen Kanoniers für Daniel und seine Freunde war ganz einfach. Da Meister Kergouët vollkommen an allem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Aberglauben hing, so fand er ein unerwartetes Glück darin, an Daniel und seinen Freunden Zuhörer zu finden, die am meisten geneigt, waren, ihn anzuhören und sich überzeugen zu lassen. Auch trug der bürgerliche Kanonier, der sich bisweilen mit seinen Proselyten vereinigte, noch dazu bei, durch seine schrecklichen Erzählungen ihre leichtgläubigen und beschränkten Köpfe zu entflammen.
Nach dem Gebete stiegen hie Matrosen düster und stillschweigend in die Batterie hinab, um daselbst ihre Hängematten zu befestigen.
Die halbe Wachmannschaft blieb auf dem Verdeck, wo Heinrich getheerte Leinwand und Zelte hatte aufhängen lassen, um die Wache weniger ermüdend zu machen, obgleich sie um die Hälfte der Zeit verkürzt war.
Der Lieutenant war mit St. Sauveur auf dem Verdecke. Heinrich zog sich, in grausamer Verzweiflung über die Schwäche seines Schiffsvolks, in seine Gallerie zurück; und an ein Fenster gelehnt, beobachtete er den Untergang der Sonne, welcher ihm eine unruhige Nacht zu verkündigen schien.
In der That, die Sonne warf, beinahe untergegangen, nur noch einen röthlichen Schein, und ihre letzten Strahlen färbten kaum den Saum der großen finstern Wolken, welche mit jeder Minute an Höhe zunahmen, und sich nach und nach auf der tiefen krummen Linie des Horizonts entwickelten.
Es herrschte vollkommene Windstille …
Heinrich sah voraus, daß der Wind nach Westen umsetzen, daß aber noch Zeit genug vergehen würde, ehe er sich erhöbe. Er blieb also in seiner Stellung, den dunkeln Himmel betrachtend, und dachte an das Mißgeschick, welches über sein Schiffsvolk zu herrschen schien. Besonders fürchtete er, Kriegsschiffen zu begegnen, die ihn zu einer schimpflichen Flucht gezwungen, oder in die Nothwendigkeit versetzt hätten, seine Fregatte in die Luft zu sprengen; denn Heinrich hätte nicht einen Augenblick gezögert, es zu thun, fest entschlossen, der geringsten Demüthigung der königlichen Flagge auszuweichen.
Der Abbé ging am untern Bord spazieren, – und der Lieutenant, welcher auf die Quartierbank gestiegen war, beobachtete ebenfalls das Wetter mit ängstlicher Aufmerksamkeit.
Da ereignete sich ein merkwürdiger Auftritt bei der Bodlerei.
Ehemals, wie heut zu Tage, befand sich im falschen Verdeck der Schiffe eine kreisförmige Gallerie, eine Art von Gang, welcher, das Innere des Schiffes umgebend, so zwischen den Flanken und einer Art Gitterverschlage, der die Säcke und die Equipirungsstücke enthielt, einen leeren Raum ließ.
Diese Gallerie war bestimmt, den Dienst der Calfaterer und der Zimmerleute während des Kampfes zu erleichtern, damit sie bequemer die Lecks verstopfen könnten, welche sich in dem unter dem Wasser gehenden Theile des Schiffs zeigten.
In dieser dunkeln Freistätte hielten Daniel und seine Landsleute ihre nächtlichen Zusammenkünfte.
Da diesen Abend keiner der Landsleute Daniels auf Wache war, hatten sie sich, sechs an der Zahl, nach dem Gebete hier versammelt.
Da aber zwei neben einander in dieser engen Gallerie sich nicht scheu konnten, so hatten sie sich einer hinter den andern gesetzt, und Daniel allein, in seiner Eigenschaft als Redner, drehte seinen Zuhörern das Gesicht zu.
Dieser dunkle Gang war nur durch den röthlichen Strahl einer Lampe erleuchtet, welche nahe bei dem Hel brannte.
Die Gestalt des sonst gewöhnlich fröhlichen und offenherzigen Daniel trug einen düstern und schmerzlichen Ausdruck; er schien sehr nachdenkend, seine Wangen warm hohl, sowohl durch die Wirkung der Krankheit, als in Folge der thörichten Mittheilungen des Losophen, welche einen lebhaften Eindruck auf seine glühende und leichtgläubige Phantasie gemacht hatten.
Da er auf diese Erscheinungen und übernatürlichen Erzählungen ein hohes Vertrauen setzte, so befand sich Daniel in einem Zustande gänzlicher Verblendung, welche die sonderbaren, am Bord sich zugetragenen Ereignisse noch vergrößert hatten. – Auch machten seine aufbrausende und kurze Rede, sein zerstreuter und bisweilen funkelnder Blick, seine abergläubischen Vorstellungen einen Propheten niedern Ranges aus ihm, dessen Einfluß nichts desto weniger auf seine Landsleute, jene sechs Matrosen, unmittelbar und mächtig wirkte, welche, da sie sich seit der Epidemie mit ihm vereinigt hatten, fast maschinenmäßig seine Furcht, seinen Aberglauben, seine Zweifel und seine Pläne theilten, und nur ein Wort, nur ein Zeichen von ihm erwarteten, um blindlings seine Befehle auszuführen; denn in schwierigen Umständen wird der dumme oder der vernünftige Mensch, welcher auf seine eigene Faust einen Plan fassen will, immer Hände finden, um ihn zur Ausführung zu bringen.
Daniel hielt also in der niederbretagnischen Bauernsprache folgende Rede:
»Matrosen, lieben Bursche, Landsleute, bitten wir zuerst unsere heilige Mutter von Recouvrance, unsere Fürsprecherin zu sein, wenn es Euch beliebt, … und uns zu erleuchten, …«
Und jeder Matrose, Daniel nachahmend, welcher seinen Rosenkranz küßte, sagte mit leiser Stimme: –
»Heilige Mutter von Recouvrance, sei unsere Fürsprecherin und bitte für uns, nach deinem Willen! …«
Dann herrschte Stillschweigen, und Daniel fuhr fort:
»Matrosen, lieben Bursche, Landsleute, waren wir nicht fröhlich, wie ein Lugger bei Windstille, wenn er den Westwind kommen fühlt, als wir unsere Säcke an Bord gebracht hatten? …«
»Das ist wahr,« antworteten seine Zuhörer mit leiser Stimme. –
»Waren wir nicht stark und kräftig, so kräftig, unser Schiff mit einer Guirlande von Engländern zu schmücken, welche wir gewunden hätten, indem wir den Einen an den Andern mit den Aermen, die wir als Bindfaden benutzt, befestigen konnten?«
»Wahrhaftig!« bejahrten die Zuhörer.
»Hatten wir nicht solchen Appetit, daß wir den Koch selbst in den Kessel geworfen hatten, um die Suppe stärker zu machen?«
»Hol' der …« erscholl es aus Aller Munde.
»Was sind wir aber jetzt … Matrosen, Leute ohne Hunger, Weichlinge, welche den Haifisch vergiften.«
»Wahr!! Daniel, wahr!!« sagten die Zuhörer.
»Wohlan! Matrosen, wißt Ihr, warum wir so heruntergekommen sind? weil Zauberei im Spiele ist! … wir befinden uns auf einem behexten Schiffe, das ist klar … warum? Würden wir sonst so krank sein, wie wir es sind, … Alle … Landsleute … Alle …? Ist das vernünftig? … kann das was anders sein, als Zauberei, welche von heute bis morgen Euch auf's Commando, eine Equipage von starken Burschen, in elende Hunde verwandelt; noch ein Mal, es ist Zauberei, … es kann nichts anderes sein.«
»Ja, ja, das ist bekannt; … übrigens hat es Meister Kergouët gesagt,« wiederholte der ganze Chor.
»Also! Landsleute, das muß ein Ende nehmen, wir müssen dies ändern, so lange wir noch die Kraft dazu haben, weil uns morgen vielleicht der Teufel holt; das Aergerlichste ist aber, daß, wenn man auf einem bezauberten Schiffe stirbt, man verdammt wird,« sagte Daniel, sich bekreuzend.
»Verdammt!« sagten die Matrosen, indem sie seine Zeichen nachahmten.
»Verdammt!« – nahm Daniel wieder das Wort, »verdammt wie Hunde. Meister Kergouët, der Weise hat es mir gesagt; also, damit dies ein Ende nehme, Matrosen, ist nur eins zu thun; das ist, denjenigen zu ergreifen, der uns den Zauber angethan; aber das ist noch nicht Alles, – da es immer der Teufel in Person ist, oder einer seiner Diener, welches soviel sagen will, als ein Lehrling seiner Equipage, so darf man nicht ermangeln, ihm einen geweihten Rosenkranz um den Hals zu werfen, welcher ihn ohne Gnade in den Abgrund des Meeres hinabzieht, in Folge der Last, welche ihm die Religion giebt, die, wie Ihr wohl wißt, ihm äußerst zuwider ist, nach dem, was mir der Losophe davon gesagt hat. – Ohne dies würdet Ihr ihn vergeblich in's Wasser werfen; … je öfter Ihr ihn würdet hineinwerfen, desto öfter würde er wieder kommen; … anstatt daß mit einem geweihten Rosenkranze am Halse und ein Paar Kettenkugeln in den Klauen, man keine Sorge tragen darf, daß er wieder erscheine …«
»Aber Daniel, wenn der Teufel einen Rosenkranz zum Gewichte hat, zu was helfen denn die Kugeln?« fragte ein Matrose.
»Dummkopf,« sagte Daniel, »weil der geweihete Rosenkranz ihn Dir und mir gleich macht; es bedarf also wohl der Kugeln, sonst würde er auf das Wasser wieder heraufkommen, wie wir Beide. Auch dies hat der Losophe gesagt.«
»Richtig,« bekräftigten die Zuhörer.
»Kurz,« sagte Daniel mit einer schreckenerregenden Stimme, »wollt Ihr so fortfahren? Wollen wir in unserer Lage verharren? Wollt Ihr krepiren? Ja oder nein! – Oder wollt Ihr den Ruhm erwerben, sagen zu können, daß wir unsere Kameraden und unsern braven, angebeteten Commandanten gerettet haben?«
»Ja, ja, es ist unser Wille,« sagten die sechs Bretagner.
»Wohlan! nun will ich Euch sagen, was zu thun ist.«
»Der Losophe, welcher Lieutenant in der Magie ist, hat mir anfangs ein Zauberspiel gemacht, das nicht angeschlagen hat, weil die Henne nicht weiß genug war; – aber da ich ihn dann in Güte mit dem Ellenbogen so sehr gestoßen habe, daß ich ihm beinahe ein Auge aus dem Kopfe geschlagen, – hat er sich eines Andern besonnen und mir einen andern Zauber mit einer grauen Henne gemacht, welcher gelang, so daß ich durch ein Loch, wie ich Euch erblicke, sah, daß ich sah …
»Nun! was? … was? Daniel,« fragten die Matrosen.
»Den Teufel …«
»Den Teufel! … wie das? Daniel … den Teufel!«
» Beim Grand-gibet, durch ein Loch, welches in der Thür der Bodlerei war.«
» Beim Grand-gibet!« wiederholten die Zuhörer Daniels mit einem tiefem Schrecken … indem sie sich unwillkürlich gegen die Thür der Bodlerei wendeten, wo Perez und Rita wohnten.
»Beim Grand-gibet …,« nahm Daniel wieder das Wort, »ich habe ihn gesehen, ein wahres Ungeheuer mit einem großen schwarzen Gewande, welches seine Klauen, und mit einer Mütze, die seine Hörner verbarg. Der Bösewicht plauderte mit Grand-gibet, wie wenn sich's um nichts handelte. Aber er sprach in einem Kauderwelsch, das so stark nach Schwefel roch, daß ich darüber beinahe geborsten wäre, weil ich mir das Husten verhielt, so daß ich geglaubt hätte, der Losophe brenne Schwefelhölzchen an, wenn es nicht der Teufel selbst gewesen wäre. Der Geruch der kauderwelschen Sprache muß sehr stark gewesen sein, he? …«
In diesem Augenblicke hörte man ein leichtes Geräusch, und ein Schiffsjunge, der als Wache ausgestellt war, kam, und verkündigte die Ankunft des Meisters Kergouët.
»Meine Kinder,« sagte dieser zu den Matrosen, »man muß ein Tau legen lassen … das Wetter wird schlecht, und es könnte wohl kommen, daß uns bald ein hübscher voller Wirbelwind von Westen den Kopf zerzauste. Man wird Alle hinaufrufen, wir müssen bereit sein.«
»Wir kommen, Meister Kergouët,« – sagte Daniel; »aber Ihr, der so viel erfahren, saget uns doch, was Ihr in Indien gesehen habt; Ihr wißt schon, am Bord der Brigg Belle-Jeanne.«
»Wohlan! meine Kinder,« – sagte der Meister, welcher dem Vergnügen, eine Geschichte zu erzählen, nicht widerstehen konnte. – »Die Brigg la Belle-Jean hatte am Bord einen Cipayen, welcher, wahrscheinlich in der Absicht, seine Frau Gemahlin zu ärgern, ihr schreckliches Gift beigebracht hatte, welches ihren Tod auf so abscheuliche Weise herbeiführte, daß sie ihm bloß sagte: » Du bist ein Lumpenhund, dies wird Dir Unglück bringen.« – Von da an, meine Bursche, wurde der Cipaye Matrose am Bord der Belle-Jeanne, und seit dieser Zeit verging nicht ein Tag, wo die Belle-Jeanne nicht den Vortheil eines weißen Wirbels oder eines Sturmes hatte, so daß eines Tags der Cipaye, welcher dessenungeachtet kein schlechter Seemann war, durch einen Windstoß von der Spitze der großen Segelstange fortgerissen wurde. Und nun! seit dieser Zeit hat die Belle-Jeanne immer herrliche Fahrten gehabt, weil der Cipaye verdammt und durch seine Verdammung auch dem Schiffe gefährlich war – und da einmal dieser Verdammte weg war, war auch Alles vorbei. – Ganz natürlich, meine Kinder – aber, zum Beispiel,« fügte Meister Kergouët mit einer ernsthaften Miene hinzu, – »besonders, meine Bursche, muß man sich mit solchen bezauberten Menschen nichts zu thun machen, oder sie beleidigen, weil, wenn man sich irrte, derjenige, der sich in der Speisekammer der Haifische befindet, ohne es zu verdienen, das Recht haben würde, es übel zu nehmen, um so mehr, da er dort zu bleiben gezwungen wäre.«
»Aber,« – sagte Daniel, indem er mit einem Blick seinen Zuhörern Stillschweigen auflegte: – »an was erkennt man einen behexten Menschen, Meister Kergouët? …«
»Den erkennt man,« – sagte der Meister mit einer ernsthaften, gewichtigen Miene: – »den erkennt man daran, daß er Jemand bezaubert hat; – also, wenn ein Mensch Jemanden bezaubert, so ist er ein behexter Mensch.«
Was diesen Schluß betraf, so zeigte sich Meister Kergouët als Schüler des Losophen, wie man sieht; eine konsequente Lehre, wenn es in seiner Logik eine gab. Auch überraschte die Klarheit dieser Definition Daniel und seine Zuhörer ungemein.
»Aber hier,« nahm der Bretagner das Wort, »Herr Kergouët, wen halten Sie hier für den Hexenmeister? – denn Hexerei ist hier im Spiele, nicht wahr, Meister?«
»Was die Behexung betrifft, so findet diese wirklich hier Statt, unbestreitbar,« – sagte der Kanonier; – »denn Jedermann fühlt die Folgen davon und ich merke selbst etwas in mir, als wenn ich keine Knochen mehr unter der Haut hätte; aber was den Hexenmeister anlangt, so bin ich hierin noch nicht ganz mit mir einig; denn das ist eine sehr kitzliche Sache. Jemanden über Bord zu schicken, um ihn in der großen Tasse aufzulösen; … so ist hier wohl Jemand … aber,« indem er sich bei einem starken Windstoße, der das Schiff erschütterte, unterbrach, – »seht, Kinder,« sagte der Meister: »das ist ein schlechter Tag heute, von so etwas zu sprechen … seht, fühlt Ihr? … das Schiff fängt an, sich auf die Seite zu legen; da kommt der Wirbelwind. Hinauf, Bursche, hinauf! ich gehe wieder in meine Werkstatt.
Und Meister Kergouët eilte zur Batterie.
»Wohlan! meine Bursche,«– rief Daniel, »Ihr habt es gehört, der Meister hat es wohl gesagt, daß Zauberei im Spiele wäre, und daß man den Hexenmeister erkennte, wenn eine Behexung vor sich ginge. Wohlan! es ist eine Behexung vorhanden, wie ich befürchtete; und wer anders ist der Hexenmeister, als dieser Grand-gibet? Weil er mit dem Teufel befreundet ist, … weil er Matrose bei ihm ist … das ist noch so ein Sturm, um uns zu verderben; das ist sein letzter Streich, den er versucht, das Ungeheuer; es ist vielleicht unsere letzte Stunde, wenn wir nicht der Sache mit diesem Lumpenhunde ein Ende machen. Wohlan, vorwärts! wir müssen ein Ende machen, Bursche!« – schrie Daniel fast im Wahnsinne, indem er aufstand und mit der einen Hand seinen Rosenkranz und mit der andern ein unter seiner Weste verborgenes Pack Stricke ergriff. –
»Ins Wasser mit dem Grand-gibet,« rief er; … »steht auf, Bursche, steht auf! … die Stunde ist gekommen;« und Alle standen auf.
Daniel, durch seinen Aberglauben, die Krankheit, durch die Furcht, durch das Echo des brüllenden Sturmes auf's äußerste gereizt, zeigte mit der Faust nach der Thür der Bodlerei, welche man am Ende der Gallerie erblickte.
Nichts ist so elektrisch, als die Furcht, der Zorn, und der Aberglaube. – Diese unglücklichen Matrosen, gewöhnt, in Allem eine übernatürliche Ursache zu suchen, gereizt überdies durch ein dunkles, unerklärbares Gefühl von Schmerz und Krankheit, fest überzeugt, daß diese Art von Aufopferung des Höllenbocks ihrer Angst und ihren Leiden ein Ende machen würde, nahmen nicht Anstand Alles zu vollziehen, was der fanatische Daniel ihnen vorschrieb.
»Ja, ja,« riefen alle mit verhaltener Wuth, – »ins Wasser mit Grand-gibet, ins Wasser! …«
»Stille! … Bursche, stille! …« – rief Daniel, die Hand mit gebieterischer Miene erhebend, … – »Stille! … hört den Sturm; … es ist die Stimme des guten Gottes. Aber, was wir beginnen wollen, ist vielleicht schlecht,« … fügte er niederkniend hinzu, denn ein unbeschreibliches Gefühl von Schrecken kämpfte in seinem Herzen mit der Wuth gegen Grand-gibet.
Und alle Matrosen, deren Handeln, Thun und Wollen nur von Daniel abzuhängen schien, schwiegen, erschrocken wie er, und warfen sich auch, einander furchtsam ansehend, auf die Knie nieder.
In der That, die Sylphide krachte in ihren Grundfesten, und das Pfeifen des Sturmes, welcher mitten durch das Takelwerk brüllte, hallte im falschen Verdeck wieder. Aber indem dieses dumpfe Getöse sich verlängerte, schien es den Zorn oder die Furcht Daniels zu verdoppeln, der mit eitler unbegreiflichen Begeisterung und mit verzweifelter Miene rief: … »Nein, nein, im Gegentheil, der gute Gott will es, der gute Gott befiehlt es … es muß so geschehen … wir werden bei Grandgibet eintreten, ihn ergreifen, ihn festbinden; ich werde ihm meinen Rosenkranz um den Hals hängen und in's Meer …«
»In's Meer, … in's Meer, …« ließen sich einige Stimmen vernehmen …
»Folgt mir also!« rief Daniel.
Und in der Dunkelheit herumtappend, hielten sich die sechs Elenden an der Wand des Schiffes an, und begaben sich, Einer den Andern an der Hand führend, schweigend nach dem von Perez bewohnten Theile des Schiffs.
Angekommen an der Thür der Bodlerei, guckte Daniel noch ein Mal durch das Loch, welches er hier angebracht hatte.
Was er da sah und den andern Matrosen zeigte, mußte die abergläubische Furcht dieser Unglücklichen noch vermehren.
Der schwache Schein einer in einer Glaskugel eingeschlossenen Lampe erleuchtete allein den Auftritt, welcher in der Bodlerei Statt fand.
Perez, das Gesicht mit Thränen benetzt, kniete vor der Herzogin, welche mit einer Art Pudermantel oder Negligékleid von schwarzer Wolle verhüllt war.
Stehend, ihr blasses und verstörtes Gesicht durch eine breite schwarze Mütze fast verdeckt, hatte sich Rita mit der rechten Hand auf das Buch von Jose Ortez gestützt, welches geöffnet auf einem Tische lag.
Rita's eingefallene Gestalt schien sich aus ihrem langen, schwarzen Gewande aufrichtend, einen Zauber auf den zu ihren Füßen sich krümmenden Perez zu werfen, und gewährte einen schauderhaften Anblick, ähnlich einer phantastischen Erscheinung …
Die Herzogin sprach spanisch:
»Nun wohl, Du siehst es, Perez, Alles gelingt uns, wir sind am Ziele unserer Rache, es handelt sich gegenwärtig nur darum, die letzte Hand ans Werk zu legen, und ihn dem Schiffsvolke als die Ursache dieses schrecklichen Unglücks zu bezeichnen: … die Gelegenheit ist günstig; … bis jetzt habe ich Dein Bedenken getheilt; … der Zustand dieser Leute war nicht ernsthaft genug; … aber heute, in dieser Stunde zögerst Du noch? … Du zögerst während dieses brüllenden Gewitters? … es ist abscheulich! Perez! … beim Satan …«
»Beim Satan! … hört Ihr? Macht das Zeichen des Kreuzes und dann vorwärts!« – sagte Daniel, durch diese befremdende Scene bis zum Wahnsinn wüthend gemacht.
Und mit einem Stoße seiner mächtigen Schulter warf er die Thür der Bodlerei ein.
Bis hierher hatte das Getöse, welches die Wände der Fregatte, die sich unter dem Andrang des Sturmes krümmte, erschütterte, Perez verhindert, die Gegenwart Daniels und seiner Gefährten zu argwöhnen, allein als er die Thür fallen sah und die unglückdrohenden Gestalten erblickte, welche hereinbrachen, stürzte er ihnen mit den Worten entgegen: – »Elende! … was wollt Ihr? …«
»Ergreift den Grand-gibet,« – rief Daniel seinen Landsleuten zu, – »ich und zwei Andere wollen diesen fassen,« – schrie der Bretagner, indem er sich auf Rita stürzte. – »Warte, Höllenbrand, … Beelzebub, Du sollst mir nicht entwischen, … bei unsrer lieben Frau! « – heulte Daniel und schlang mit Wuth den Rosenkranz um Rita's Hals. Während zwei seiner Landsleute sie banden und knebelten, thaten die vier Andern dasselbe mit Perez, welcher ihnen keinen Widerstand entgegensetzen konnte.
Alles dies geschah mit der Schnelligkeit eines Gedankens. Die zwei Schlachtopfer lagen auf der Erde, gebunden, umwickelt, daß sie nicht eine Bewegung machen, nicht den schwächsten Schrei ausstoßen konnten …
Der Sturm wurde fürchterlich, und mitten in der Gefahr bemerkte man ohne Zweifel die Abwesenheit der sechs Matrosen auf dem Schiffe nicht.
»Erwartet mich,« sagte Daniel, – und ging eiligst hinaus.
Die Gesichter der sechs Matrosen waren mit einer todtenähnlichen Blässe bedeckt, … der Schweiß rieselte von ihren Stirnen, ihre Haare sträubten sich aus dem Kopfe … Mit einem Gefühle unbeschreiblichen Schreckens bekreuzten sie sich mit der einen Hand unaufhörlich und zeigten sich Einer dem Andern Perez und Rita, welche, auf der Erde liegend, diesen Wüthenden noch den Schrecken einflößten, den der von Netzen umschlungene Tiger verursacht.
Nach Verlauf einiger Augenblicke kam Daniel mit einem großen getheerten Stück Leinwand und zwei Kettenkugeln, welche er aus der Batterie geholt hatte, zurück …
»Der Sturm ist trocken, Matrosen,« sagte er, … »in's Meer, … in's Meer mit dem Zauberer, … es ist noch Zeit!« –
Als sie diese letzten Worte hörten, öffneten Perez und Rita, wie aus einem fürchterlichen Traume erwachend, die Augen; – kein Wort, keine Geberde war ihnen möglich.
»Ha! ihr niederträchtigen Teufel! … unglückbringende Zauberer!« – sagte Daniel im wüthenden Wahnsinne, indem er Perez und Rita in jenes ungeheure Stück Leinwand, wie in ein großes Leichentuch, einwickelte … – »Ha! Teufelskinder! ihr bezaubert arme Matrosen; aber ihr hattet nicht auf meinen Rosenkranz gerechnet; der Losophe hat es mir wohl gesagt.
»Nun, Matrosen,« fügte er hinzu, »bindet das fest zu, steckt ihnen den Kopf hinein, hängt die Kugeln an die Füße und tragt das Ganze durch die kleine Lucke hinauf.«
Dies geschah.
Man kam in der öden Batterie an, da alle Matrosen auf das Verdeck beordert waren.
Daniel öffnete, ungeachtet der Gefahr, ein Windloch.
Die vier Männer, welche die schreckliche, sich von innen bewegende Last trugen, setzten sie auf die Luckenlade nieder, so daß die eine Hälfte außerhalb und die andere Hälfte innerhalb des Schiffs hing.
»Auf die Knie!« sagte Daniel, indem er seine Mütze, abnahm, »und laßt uns unsrer lieben Frau von Recouvrance danken …«
Die vier Matrosen hielten die convulsivisch zuckende Bürde.
Die zwei andern Seeleute ahmten Daniel nach und sprachen: – »wir sagen Dir Dank, liebe Frau von Recouvrance, die Du uns von der Zauberei und den Zauberern erlös't …«
Dann bekreuzten sie sich und standen wieder auf.
Daniel aber rief: »In's Wasser! … in's Wasser! …«
Und die Wüthenden stießen ihre Bürde vollends hinaus.
Sie verschwand mitten unter dem Toben der Wogen …
Und es war geschehen um Perez und um Rita … um die Herzogin von Almeda und ihren treuen Stallmeister …
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In diesem Augenblicke drang durch die offene Luckenlade eine ungeheure Woge in die Batterie und überschwemmte sie theilweise.
»Das ist Satan, welcher Abschied von uns nimmt,« schrie Daniel, indem er den Laden schloß, – »nun laßt uns hinaufgehen; und reinen Mund gehalten! … das Schiff ist gerettet!«
Als sie auf das Verdeck hinaufstiegen, fanden sie das Schiffsvolk düster, traurig, und alle Segel eingezogen, denn obgleich ein Wetter war, bei welchem man mit Marssegeln niedrig manövriren konnte, waren doch die Leute so matt, daß Heinrich befohlen hatte, ohne Segel dem Wetter auszuweichen …
Der Graf stand, sein Sprachrohr in der Hand, auf der Quartierbank und gab ruhig seine Befehle – sein Gesicht, erleuchtet durch das rückstrahlende Licht des Compaßhäuschens, verrietst nicht die geringste Bewegung. Vorübergehend und veränderlich, wie die Stürme dieser Gewässer sind, nahm der Wirbelwind bald an Heftigkeit ab und legte sich … Er ließ nichts zurück, als das sichtbare Wogen des Meeres, und zwei Stunden nachher, als der Wind nach Norden umsprang, befand sich die Sylphide wieder auf der Fahrt.
»Ich weiß nicht,« sagte Heinrich zu Monval, indem er das Verdeck verließ, sobald ersah, daß der Sturm sich gelegt,– »ich weiß nicht, warum dieser so schnell vorübergegangene Sturm mir von einer glücklichen Vorbedeutung scheint; es ist eine Narrheit, wenn man will; aber eine innere Stimme sagt mir, daß unser Elend seinem Ende nahe sei; und, da wir uns bald unter den Passatwinden befinden, wird ihr Einfluß heilbringend für unsere Seeleute sein; … kurz, ich bin weit weniger traurig gestimmt, als bisher …«
»Ich theile aufrichtig Ihre Wünsche,« erwiederte der Officier …
»Zum Henker!« – sagte Heinrich, als er seinen Haushofmeister erscheinen sah, »machen Sie etwas Besseres, kommen Sie, mein Abendessen mit mir zu theilen, … denn ich fühle in mir einen verteufelten Appetit, da ich, ohne zu wissen wie, dieser verdammten Epidemie bis jetzt entgangen bin; Sie, werden über die Talente meines Koches, welcher früher beim Herrn von Gévres war, ein günstiges Urtheil fällen.«
Und Monval, des Grafen Einladung annehmend, stieg mit ihm hinab.
Herr von Miran hatte die Wache.
Den andern Morgen um acht Uhr, in dem Augenblicke, wo die Lebensmittel an die Equipage vertheilt werden sollten, gingen die dazu beorderten Matrosen in die Bodlerei.
Man wartete vergeblich auf Grand-gibet.
Da er sich nicht zeigte, so stellte man die genauesten Nachsuchungen am Bord an, um ihn auszufinden, – was jedoch unmöglich war. – Dann glaubte man mit vieler Wahrscheinlichkeit, daß er durch einen Zufall bei dem Sturme in das Meer gefallen sei, und die Nacht und das Getöse des Sturms verhindert hätten, es zu bemerken und sein Geschrei zu hören.
Er wurde am Bord der Sylphide wenig bedauert, und man sprach gar nicht von seinem Gehülfen, da ihn fast Niemand kannte. Diejenigen, welche ihn vor der Abreise von Brest gesehen hatten, glaubten, daß er am Lande geblieben sei, weil man unerwartet schnell unter Segel gegangen war.
Daniel und seine verbündeten Landsleute beobachteten das tiefste Stillschweigen über diese Begebenheit, und kamen nicht einmal in Versuchung, es zu entdecken, bis das Schiffsvolk seine Kräfte und seine Gesundheit wieder erlangt hatte; denn da nach dem Verschwinden des Perez und der Herzogin die Lebensmittel nicht mehr vergiftet waren, so hörten die erschreckenden Symptome, welche sich gezeigt hatten, sogleich auf.
Diese heilsame Umgestaltung des physischen und moralischen Zustandes seiner Equipage erfüllte Heinrich mit Freude und erregte in ihm die glühendste Begierde, sich mit dem Feinde messen zu können.
Man setzte einen Gehülfen des Hochbootsmannes an die Stelle des Perez ein, dessen Tod in dem Tagebuche des Schiffes auf folgende Weise gesetzlich eingetragen wurde:
… Den 15. Februar 1781. – Da der sogenannte Charles Dalés, ein Spanier, und durch den Herrn General-Proviantverwalter zur Vertheilung der Lebensmittel am Bord der Sylphide bestellt, – sich weder in der Bodlerei, noch an irgend einem andern Orte des Schiffes aufgefunden, so vermuthet man, daß der besagte Charles Dalés, während eines Wirbelwindes, welcher die verwichene Nacht schrecklich getobt hat, durch einen Windstoß über Bord gerissen worden sei, ohne daß man diesen unglücklichen Zufall hätte ahnen können. – Zur Steuer der Wahrheit haben dies, nebst dem Schreiber, der Herr Commandant, der Herr Lieutenant u. s. w. unterschrieben.
So starb Perez von Sibeyra, so starb die Herzogin von Almeda.
Unglückliche Herzogin, die du von einer solchen Höhe so tief herabsankest!
Arme Rita, deren Dasein so glänzend, so prachtvoll gewesen war! Arme Frau, welche, bevor sie den Grafen kannte, durch ihren Rang und ihre Reichthümer mit den größten Häusern Frankreichs wetteiferte! … So zu enden! Nach Monaten eines bittern, ehrlosen und erbärmlichen Lebens – so zu enden! Erstickt, ertränkt, ohne ein Wort aussprechen, ohne nur ihren Mördern zurufen zu können: –
»Saget ihm, daß ich hier war; … er zittere wenigstens, wenn er erfährt, daß er, unter seinen Füßen gekrümmt, ganz nahe bei sich, in seinem Schiffe, eine unversöhnliche Feindin hatte, welche ihn hätte tödten können, die ihn aber nicht getödtet hat, weil dies nur ein Tod gewesen wäre, während sie ihm einen tausendfachen, von tausendfachen Martern begleiteten Tod zugedacht hatte.
»Wenn er dieser fürchterlichen Gefahr entgangen ist, so wisse er wenigstens, daß sie ihm drohte, denn man stirbt bisweilen an Beklemmung bei dem Anblicke der schrecklichen Gefahr, der man entronnen ist; … er wisse besonders, daß nur der tiefste und unheilbarste Haß es war, welcher mein Leben fristete; … daß ich mich nicht mehr mit blutigen Thränen nach seiner Liebe sehnte, die ich verachtete, sondern nach meinem Range, meinem Namen, meinem Vermögen; … er wisse es, … ja, … er wisse es …«
Nein, Frau Herzogin, nein, der Graf von Vaudrey weiß nichts von alle dem, er wird nie etwas davon erfahren. – Wenn er in müßigen Stunden an Sie denkt, so werben seine Gedanken süß und schmeichelhaft sein; sie werden ihn an einen Engel von Liebe und Ergebenheit erinnern, welcher mit dem Namen »Heinrich« auf den Lippen diese Welt verließ; … an eine anbetungswürdige Frau, welche lieber auf ihr Dasein verzichten wollte, als ohne die Liebe desjenigen leben, der sie doch so schändlich getäuscht hatte.
Wenn er an Sie denkt, so wird es nur geschehen, um die Erinnerung der Genüsse durchzugehen, welche Sie ihm ehemals bereiteten, um sich zu erinnern und zu den Genossen seiner Ausschweifungen zu sagen: »Ich zählte unter meinen Geliebten eine spanische Herzogin, deren Zähne blendend weiß, deren Wuchs göttlich, und deren Haare prächtig waren; … aber diese unvergleichliche Frau ist aus Verzweiflung gestorben, weil ich sie vernachlässigte …«
Mit einem Worte, Ihr Bild wird sich seiner Phantasie nie anders, als lachend, wollüstig, golden, aber des Contrastes wegen, eingefaßt von einem schwarzen Todtengewande darstellen.
Nein, Frau Herzogin, nein; der Graf wird nie erfahren, wie sehr Sie ihn gehaßt haben; er wird nicht die tausendfachen Todesqualen erleiden, welche Sie ihm zudachten. Sie mußten diese tausendfachen Todesqualen erleiden; Sie, die Sie auf Schönheit, Rang, Vermögen Verzicht leisteten; Sie, die ein Polizeidiener mit Freudenmädchen und Dieben gepaart, Sie, die ein Kerkermeister gemißhandelt, … Sie, Frau Herzogin, keusch und rein; … Sie, die Sie nur einen einzigen Fehler begingen, … einen erhabenen Fehler, denn rein und edel ist die Liebe, welche eine Frau aus dem Gipfel des menschlichen Glückes für ein Wesen empfindet, das sie für niedrig, fromm, leidend und ergeben hält, … Ihre Liebe für den unglücklichen Heinrich im Thurm von Koat-Vën; ja es war dies fast die Liebe der Mutter zu ihrem Kinde; die Liebe Gottes zu seinem Geschöpfe.
Kurz, diese Liebe wollten Sie durch die Gesetze geheiligt sehen; Sie wollten Ihre Verbindung mit heiligen, unverletzlichen Banden umschließen, um die Schätze der Welt und Ihres Herzens dem zu sichern, in welchem, wie Sie glaubten, eine schöne Seele wohne …
Und dessen ungeachtet mußten Sie sterben, einen schrecklichen Tod sterben: die bittere Verzweiflung, der schmerzliche Haß, die moralischen und physischen Qualen, welche Sie erduldet, sollten fast die Grenzen der Möglichkeit überschreiten. – Sie sollten die grausamsten Täuschungen erfahren: die Täuschung der Liebe, der Rache; denn ein gleiches Vertrauen wie auf Ihren Geliebten, sollten Sie auch auf Ihre Rache setzen, ein Vertrauen, als wäre dieselbe ein Orakel … Ja! aber dieser Glaube sollte dennoch täuschen, und die in wahnsinnigem Hasse ausgebrüteten Pläne sollten durch den gewöhnlichsten Zufall, durch das Vergessen eines Passes, durch die dumme Leichtgläubigkeit eines Matrosen scheitern.
Ihr Tod sollte schrecklich und unbekannt sein, Niemand Sie beklagen, Niemand erfahren, was die Herzogin von Almeda vor und seit ihrem Tode gelitten hat.
Ihren Tod vor der Welt, als große Dame, verspottete, beschimpfte und verleumdete man, und seit langer Zeit spricht man nicht mehr davon.
Ihr Tod – er hat doch die Eigenliebe Derer, die Sie haßten oder beleidigten, befriedigt.
Ihr Tod! – er war für Heinrich ein Vermittler in seinen neuen Liebeshändeln mit Frau von Cernan: er hat ihm die Freundschaft des Sir Georges erworben und Anlaß zu dem schönen Zweikampf gegeben, wo Heinrich so ehrenvoll den Herrn von Cernan tödtete und den Herrn von St. Cyr verwundete.
Ihr Tod! – er verwandelte den Grafen in den größten Modeherrn seiner Zeit, ohne der Schwermuth zu gedenken, in welche er ihn versetzt, wenn er lange Weile hat oder das Wetter trübe ist; und so verdankt ihm Herr von Vaudrey einen Reiz und eine Zerstreuung mehr.
Das Schrecklichste ist, daß Sie so viel geduldet haben, daß Sie für einen Gecken gestorben sind; für einen hübschen, ziemlich geistreichen Mann von edler Abkunft; er ist tapfer und reich, aber kein Genie, kein edler Mann; kurz, Sie gaben Ihr Leben für einen jener reizenden Männer hin; für eine jener goldnen, aber unschmackhaften Früchte, welche in Menge an der matten Sonne der Höfe reifen.
O! es ist fürchterlich! fürchterlich für Sie, Rita, ich glaube es wohl; aber das wird stets die Folge der Leidenschaft sein, wenn sie mit dem Egoismus in Kampf geräth, und nicht in einer Religion voll Hoffnung und Ergebung ihr Unglück zu vergessen gesucht.
Es geschieht auch, weil die unerforschliche Vorsicht gewöhnlich solche Art Menschen, wie der Graf, beschützt. – Ja, sie haben immer das, was man Glück nennt; sie geben sich in diesem großen Spielhause der Menschheit gute Karten. – Sie betrügen und gewinnen; – es ist gehässig, aber sie haben doch Genuß davon. Es ist nicht recht, aber doch faktisch. Stellen Sie es in Abrede und ich nenne nur: – Lucullus, Alcibiades, Falkland, Rochester, den Regenten, Buckingham, Ludwig XV., Grammont, Lauzun, Richelieu … und noch tausend Andere. Gewiß, diese ehrenvollen Männer mußten während ihrer langen Laufbahn von Ausschweifungen, von Vergnügungen und Schwelgereien vielen Haß erregen, viele Eifersucht entzünden … was war die Folge? Nichts. – Sie haben lange Zeit ruhig in ihrer Wollust geschwelgt, und sind eben so ruhig dahingegangen …
Aber wie wird auch ihr Erwachen sein!!
Noch ein Mal, Rita's Tod ist unwiderruflich, – sie starb zur rechten Zeit; ihr Tod war bestimmt; ihre Freuden und ihre Leiden hatten dem Grafen so viel als möglich genützt, wozu sollte sie also noch leben? …
Wenn ich sage: der Graf und Rita, so spreche ich von dem Egoismus und der Entsagung, von dem Starken und Schwachen, von dem Bösen und dem Guten.
Denn was stellt in den Augen der von der Natur bewundernswerth begabten und auserwählten Wesen der große Haufen der Menschen anders vor, als jene Orange, welche Friedrich so schön zerdrückte, nachdem er ihren Saft ausgesogen; was ist sie anders, als eine gefällige und angenehme Beute, welche von jeher dem Egoismus anheimgefallen ist?
Dem Egoismus! diesem funkelnden, kalten und diamantharten Mittelpunkte, diesem magnetischen Pole, von welchem alle demüthige Wesen … vielleicht durch die unwiderstehliche Macht des Gesetzes der entgegengesetzten Eigenschaften angezogen werden.
Denn in der That, es ist ein sonderbarer Gedanke, daß in jedes menschliche Wesen ein Naturtrieb gepflanzt ist, welcher es als handelnden oder als leidenden Theil zum Bösen treibt, welcher sagt: wenn du nicht Henker bist, so sei Schlachtopfer.
Also, … schaut hinaus in eine schöne Sommernacht, wenn ein sanfter Westwind weht, und die alten Eichen lieblich unter feinem Hauche rauschen; wenn jede Blume, ihre Wohlgerüche ausduftend, ihren thaubefeuchteten Kelch öffnet; wenn jedes Blatt, jeder Grashalm den Myriaden von Schmetterlingen und Infekten eine frische und aromatische Freistätte darbietet, deren leichtes Murmeln, vermischt mit dem Rauschen der Bäume, die stumme Sprache der Nächte erzeugt. Herrscht dann nicht Glück und Freude in jener, von den Blättern einer Rose oder dem Kelche einer Viole gebildeten Freistätte?
Unendliche Spiele aus der Scheibe eines Gänseblümchens, verliebte Kämpfe in der goldnen Tiefe einer Lilie! …
Aber bringet eine goldne Lampe mitten in diese Scene voll Freuden, lastet plötzlich ihre blendende Flamme schimmern …
Warum wird jeder Schmetterling, jedes Insekt in diesem Augenblicke seine Blume, seinen Honig und seine Wohlgerüche verlassen, um dem falschen Glanze dieses übelriechenden und tödtlichen Lichtes nachzufliegen?
Seht, das Eine nähert sich ihm, es flieht, es kehrt zurück, es flieht wieder; allein die Flamme ist so ruhig, so schön, so blendend, daß es nicht mehr widerstehen kann: es stürzt sich hinein … und verschwindet; verstümmelt, verbrannt, stirbt es unter schrecklichen Qualen. Tausende werden eben so sterben, eben so leiden, eben so verschwinden …
Die Flamme wird jedoch deshalb weder weniger rein noch weniger hell sein … sie wird immer anziehend, verhängnißvoll bleiben.
So ist der Egoist, der Geck, der Schwelger immer von einem falschen, verführerischen Glanze umgeben; so werden schwache Geschöpfe immer leiden und sterben, verblendet durch die lügnerische und glänzende Außenseite!
Warum das? Warum fühlt sich das reine und gefühlvolle Herz immer unwiderstehlich zu einer schlechten Seele hingezogen?
Warum wird sich der Vogel ewig in den Rachen des Basilisken stürzen?
Warum wird jenes düstere Symbol der verführerischen Schlange und der verbotenen Frucht – wahr … wahr bis an's Ende der Welten bleiben? .
Denn es giebt auf diese Art drei oder vier schreckliche Wahrheiten, welche die Sittengeschichte des Menschengeschlechtes in sich fassen und seinen traurigen Leidenschaften als ewige Axen dienen.
Noch ein Mal, warum diese unabänderlichen Stege des Egoisten, des Gecken, des Schwelgers, lauter unförmliche Spielarten einer und derselben Gattung?
Falsche und niedrige, thörichte und gemeine Wesen, welche für den Mann von Herz und Geist das sind, was der Schein einer Lampe gegen den Glanz der Sonne ist, … was ein erkünsteltes Licht, welches brennt, ohne zu befruchten, gegen die blendenden Strahlen des Gestirns sein kann, von dem Welten belebt werden.
Das ist wahr, hundert Mal wahr! wer läugnet es? Der Geck ist ein Elender im Vergleich zu dem Mann von Genie; der Schein einer Lampe ist häßlich im Vergleich zur Pracht der Sonne.
Aber wie Viele giebt es wohl, die sich mit dem Lichte der Sonne begnügen? Wie Viele giebt es, die sich im Dunkeln ihren Gedanken hingeben und, die Geheimnisse der Nacht durchschauend, mit Wonne die Stimme der Einsamkeit hören?
Wie Viele giebt es, welche sich mit der Liebe einer reinen und erhabenen Seele begnügen, welche Gefallen daran finden, ihre Träumereien zu verwirklichen, und eine unvertilgbare Freude, in der Stille den Schlag eines edlen Herzens zu beobachten?
O! die Zahl Solcher ist sehr klein, denn die meisten lieben die erkünstelte Helle der Wachskerzen mehr, als die Finsterniß einer schönen Nacht; – mehr das betäubende Geschwätz eines Dummkopfs, als die tiefe und ernste Betrachtung eines geistreichen Mannes.
Dies setzt, wie ich glaube, hinreichend den übertriebenen Werth der Wachskerzen und der Glücksritter auseinander.
Der Graf gehörte unter die Zahl der Letztem; er war ein unverschämter, egoistischer Geck; – und als ein solcher konnte er Ansprüche auf das empörendste Glück machen.
Rita, liebend und ihm ganz hingegeben, Rita, deren Herz edel und groß war, konnte, mußte sogar … sterben, wie sie starb, wenn man anders den Gesetzen der Erfahrung und dessen, was man die menschliche Vernunftlehre nennen könnte, glauben darf.
Sterben nach schrecklichen Qualen …, während der Graf auf dem Fußboden, der sie von ihm trennte, spöttisch, fröhlich, unbekümmert und eitel, an sie eben so wenig dachte, als wenn sie nie gelebt hätte, mit seinen rothen Absätzen auf- und abging, und wer weiß, von welcher verworrenen Zukunft träumte, in der hier und dort anmuthige Frauengestalten auftauchten, auf kriegerischen Trophäen ruhend.
Druck von Otto Wigand in Leipzig.