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VI.

Alphons.
Sei willkommen, Du, der Du uns zugleich Dich selbst und eine gute Nachricht bringst.

Tasso, A. I. Sc. 5.

Die Rhede.

Es war ein erhabenes Schauspiel, das der Rhede von Brest während der ersten Tage des Monats Januar 1781, denn man zählte darin zwanzig Linienschiffe, neun Fregatten und eine große Zahl leichter Fahrzeuge vor Anker.

Nein! es gab in Wahrheit nichts Prächtigeres, als diese Hauptschiffe, diese unförmlichen Massen von Holz und Eisen, mit ihrem gewaltigen Tauwerk und ihren drei Reihen schweren Geschützes.

Und des Morgens erst, wenn diese großen Schiffe ihre Segel trockneten, mußte man sie sehen, wie sie sich majestätisch aufrollten, diese ungeheuern Tücher, und sich entfalteten, wie ein Seevogel seine vom Thau befeuchteten Fittige den ersten Strahlen der Sonne entgegenbreitet.

Und dann, welcher Contrast zwischen diesen riesenförmigen Schiffen und den leichten Fregatten, den schlanken Corvetten, den zierlichen Briggs, den Kutters, den Dogerbooten, welche sich unter dem Schatten jener schwimmenden Citadellen leise wiegen, wie junge Eisvögel sich um das Nest der Alten belustigen.

Und dann, welche unzählige Menge von Kähnen aller Art, welche gehen, kommen, sich einander nähern oder sich kreuzen!

Sieh da! Eine wundervoll vergoldete Gondel mit der königlichen Flagge an ihrem Hintertheile, und ihren reichen, mit Lilien durchwirkten Teppichen. – Sie fliegt über die Wellen dahin, geführt von zwölf Ruderern mit breiten, scharlachrothen Gürteln; der Schiffsherr ist geschmückt mit einer glänzenden silbernen Kette; es ist die Jolle eines Admirals.

Dort wieder fährt langsam eine lange Schaluppe, beladen mit Früchten und grüner Waare, daß man sie für eine der schwimmenden Inseln der Flüsse Amerika's halten möchte, welche bedeckt mit Lianen und Blumen daherschwimmen. Diese reiche Proviantschaluppe kehrt an ihren Bord zurück, mit den Vorräthen für den Tag und ihrer Küchenequipage von Haushofmeistern und Köchen.

Hier erblickt man ein Fahrzeug von Plougastel, geführt von seinen langhaarigen Matrosen, deren malerisches Costüm an das der Griechen des Archipels erinnert. – Diese Barke enthält ungefähr zwanzig Frauen von Chateaulin oder Plouinek, welche aus der Stadt zurückkommen, – frische und lachende Gesichter, noch belebt durch eine schneidende Kälte. Sie haben sich fest in ihre braunen Mäntel gehüllt, und wechseln in ihrem Kauderwelsch einige fröhliche Worte mit den Matrosen der Kriegsschiffe, an welche sich ihr Fahrzeug anlegt.

Weiterhin verkündet das Klirren der Fesseln, welches sich unter den abgemessenen Ruderschlag mischt, die Ankunft einer Galeere und deren rothgekleideter Sklaven; – sie bugsiren mit großer Mühe ein Schiff, welches aus dem Hafen kommt; die Einen singen unzüchtige Lieder, die Andern lästern, oder krümmen sich unter dem Stocke der Aufseher. Bei dem Anblicke dieser verworfenen, welken, schmutzigen Gestalten, bei dem Anhören ihres Wuthgeschreis oder ihrer wilden Freude, schaudert man, wie bei dem Anblick einer Barke Verdammter aus der Hölle des Dante …

Endlich giebt es, um dieses so verschiedenartige Schauspiel vollständig zu machen, noch eine Myriade von Kähnen, welche sich in allen Richtungen kreuzen; die einen beladen mit adeligen Officieren des Königs, die andern mit zierlich geschmückten Frauen; dazu kommt noch das Wirbeln der Trommeln, der Lärm des Kleingewehrfeuers, der gellende Ton der Pfeifen, das Getöse der Lenkung der Schiffe, der Schall der weittönenden Kriegstrompeten, die Verschmelzung jener tausendfältigen weißen, grünen, gelben und rothen Flaggen, welche sich an dem blauen Himmel wie Regenbogen spiegeln. Hiermit verbindet sich das erhabene und großartige Brausen des Meeres, welches hinter der Küste brüllt, und dessen wohlvernehmbarer, langgedehnter Wiederhall jenes verschiedenartige Getöse übertönt, und es in eines verschmilzt, groß und imposant, wie das Meer selbst!

In der Mitte dieses Waldes von Mastbäumen, dieser Wolken von Segeln, muß man die Sylphide suchen.

Aber seht sie, immer anmuthig, glänzend, wie sie sich schaukelt neben zwei großen Schiffen von 74 Kanonen, ganz schwarz mit weißer Batterie; da schaukelt sie sich … wie ein kleiner blau- und goldschuppiger Fisch zwischen zwei unermeßlichen Wallfischen mit braunem Rücken.

An eben diesem Tage, dem 6. Januar 1781, – hatte sich der Graf von Vaudrey an das Land begeben, um die Befehle des Marschall von Castries einzuholen, welcher erst kürzlich in Brest angekommen war.

Der Lieutenant Jean Thomas kommandirte die Fregatte in der Abwesenheit Heinrichs, und ging auf dem Hintertheile mit seinem vertrauten Freunde, dem Doctor Gédeon, spazieren, indem er wie gewöhnlich gegen Alles donnerte, was Edelmann, Priester oder Privilegirter war. Der Baron von St. Sauveur hatte Heinrich ans Land begleitet, Monval war auf der Wache, und von Miran schlief in seinem Zimmer.

Aus dem Vordertheile des Schiffes plauderten einige Schiffsmeister und Matrosen mit leiser Stimme, aber mit lebhaften, ausdrucksvollen Mienen, denn man erwartete von einem Tage zum andern, unter Segel zu gehen.

Meister Kergouët (der bürgerliche Kanonier, den man vielleicht noch nicht vergessen hat), sitzend aus dem Verdeck, unterhielt sich mit dem Equipagemeister, Namens Frank, einem kleinen, lebhaften, untersetzten, von der Sonne gebräunten Manne; angethan mit einer blauen Jacke mit goldbetreßtem Kragen, leicht gepudert und mit ungeheuren Ringen in den Ohren.

Vor dem Meister Frank stand, unbeweglich, mit bestürzter Miene und schüchtern niedergeschlagenen Augen, ein großer Bursche von 18 Jahren, untersetzt, stark, aber blond und munter wie ein Mädchen. – Ungeachtet der Kälte war dieser Matrose bloß mit langen, breit und blaugestreiften Pantalons und einem wollenen Hemde bekleidet, eine Kleidung, welche seine athletischen Glieder deutlich verrieth; – er hielt seine Mütze in den Händen und zerknickte sie durch immerwährendes Herumdrehen, ein Zeichen seiner Verwirrung und seiner Verlegenheit; – dieser Seemann war Daniel, ein Neffe des Meister Frank, ein wahrer Bretagner, wenn es je einen gab; kurz, ein Bursche von Abrevrak. –

»Aber so antworte doch! sprich doch! segle ab! Du bleibst da stehen, gerade und einfältig, wie ein verunglücktes Manöver!« … sagte Meister Frank mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit, indem er seinen Neffen bei einem seiner Hemdärmel schüttelte.

»Aber Ihr macht ihn dumm durch Eure Hitze, Meister Frank,« – unterbrach ihn der Bürger-Kanonier, »laßt ihm doch seine Ruhe!«

»Warum nur wieder diesen neuen Streit?« sagte der Onkel zu seinem Neffen, dessen sanfte, gefällige und schüchterne Miene jedoch gegen diese Anklage zu protestiren schien.

»Laß sehen, schütte Dein Herz aus, mein Kind,« – sagte der Kanonier. – »Die Thatsache ist, daß Du den Losophen durch eine Menge von Faustschlägen beleidigt hast; warum dies, Daniel?« …

»Meister Kerg« …

»Ich bin nicht Meister, … ich habe es Dir schon wiederholt gesagt, Daniel, ich bin ganz bürgerlich Herr Kergouët,« – sagte der Kanonier, welcher mehr als je auf eine bürgerliche Stellung Anspruch machte.

»Nun wohl! Herr Kergouët« – antwortete der Matrose mit einer leisen und zitternden Stimme, – »deswegen, weil der Losophe mir meinen Rosenkranz genommen und ihn an den Schwanz seines Hundes gehängt hatte, welchen, mit Ehren zu melden, er die Niederträchtigkeit gehabt hat, St. Médard zu taufen.«

Und Daniel kreuzigte sich bei der bloßen Erinnerung an diese Entheiligung.

»Einen Hund St. Médard zu taufen! … in der That, das ist gar nicht schicklich,« sagte Herr Kergouët in einem mißbilligenden Tone.

»Wenn dem so ist,« – fügte Meister Frank hinzu, – »so ist hier die hohe See … Denn dieser Losophe ist ein Aas, der Allen, wenn er nur kann, Noth macht. Da aber nach unserm Heiland: man den Andern thun muß, was Ihr nicht wollet, daß man Euch thue, – so hast Du sehr wohl gethan, ihn abzuprügeln, Daniel! … denn, sobald es eine Religion giebt, muß man sie befolgen, mein Kind.«

»Ei, Ihr habt es schön getroffen, Ihr verdreht ja die heilige Schrift, mein lieber Frank,« – sagte der Kanonier, indem er mit einer zufriedenen Miene lächelte– »doch kurz, wenn sich das so zugetragen hat, wie Du es sagst, Daniel, so sind Deine Faustschläge zu entschuldigen, mein Junge.«

»Was das betrifft, so wißt Ihr, daß ich niemals lüge, Herr Kergouët,« erwiederte Daniel.– »Bei unsrer lieben Frau von Recouvrance, … jener Rosenkranz war von meiner verstorbenen armen Mutter; und er war so kraftvoll geweiht, daß er mir von der Brust die Hälfte eines Beilhiebs abgehalten hat, als wir den schwarzen Kutter enterten; Ihr wißt es wohl, Onkel! … Und als ich nun meinen geweihten Rosenkranz auf diese Weise an den Schwanz eines Hundes gebunden sah, sagte ich zu dem Losophen, welchen ich unter meinen Knien gekrümmt hielt: – siehst Du, Losophe, es wird für Dich hier eben so viele Ohrfeigen geben, als Kügelchen an meinem Rosenkranze sind; und so habe ich meine Paternoster und Ave Maria mit großen Faustschlägen auf den Losophen hergebetet; aber das ist auch Alles, lieber Onkel,« – fügte Daniel bescheiden hinzu, indem er roth wurde, wie eine Kirsche.

»Das lasse ich mir gefallen,« – meinte Frank, »sobald es wegen der Religion und des Rosenkranzes meiner Schwester geschieht (und Frank nahm seinen Hut ab), so geschieht es von Rechtswegen. Aber fange nicht wieder an; oder wenn Du wieder anfängst, so geschehe es kurz und lieber öfters, denn Du hättest ihm bald den Wind abgeschnitten.« –

»Die Sache ist,« – sagte Herr Kergouët – daß der Losophe sich rühmen kann, für eine Viertelstunde in der Haut eines Menschen gesteckt zu haben, der einen tüchtigen Tanz hatte; und das ist zu viel … denn –«

Aber ein auf ohrenzerreißende Weise auf der Violine heruntergekratztes Lied, das ohne Zweifel mit den Worten:

»In der französischen Garde
Hatte ich einen Geliebten« …

beginnen sollte, unterbrach den Kanonier, welcher ausrief: »Beklagte ich ihn mit Recht? … diesen dummen Menschen von Losoph, … seht, … da erlaubt er sich noch Unschicklichkeiten auf seiner Violine, ungeachtet Ihres Verbotes, mein lieber Frank …« –

»Wirst Du schweigen, oder ich komme hinunter; und … Gnade Gott Deinem Rücken, wenn Du wieder anfängst, ungeschliffener Losophe!« … schrie Meister Frank, indem er sich am Eingange der kleinen Lucke am Fuße des Fockmastes herabneigte.

Aber der verdammte Violinspieler, gleichsam um nicht nachzugeben, ohne wenigstens diesem brutalen Befehle einen ehrenvollen Widerstand entgegengesetzt zu haben; der Violinspieler, sage ich, spielte, freilich gedämpft, ungefähr die Hälfte des Liedes; nachher schwieg er glücklicherweise; … denn ein kräftiger Schwur verkündete, daß Meister Frank diesmal hinuntersteigen wollte. –

Aber jetzt schien das Bellen eines Hundes, welches sich von derselben Seite wie die Violine hören ließ, auf eine andere Art gegen die Tyrannei dieses neuen Befehls zu protestiren.

»Sie werden nicht nachgeben, die Bösewichte, weder er, noch sein Hund« – rief Frank –; – »man würde sie eher in Stücken hauen können, ehe sie zuerst aufhören, das Gewürme,« … fügte der Meister hinzu, indem er sich ohne Unterschied an das zweifüßige und vierfüßige Thier, an den Philosophen und an den Hund zu wenden schien.

Dieser Philosoph nun, in der abgekürzter See- oder vielmehr Matrosensprache, dieser Losophe, welcher so gut auf der Violine spielte, und dessen Hund so kraftvoll gegen die herrischen Befehle des Meisters protestirte, – dieser Losophe war geboren zu Paris; er war Perrückenmacher, Lakai, Buchdrucker, Soldat, Schuhmacher und Leinweber gewesen; und da unter andern Talenten seine Geschicklichkeit, die Nadel in dem Leder, der Leinwand oder dem Tuche zu führen, sehr bemerkenswerth war, – so stellte man ihn seit zwei Jahren, wo er sich hatte anwerben lassen, am Bord als Segelmeistergehülfe und Matrose an. – In seinen müßigen Augenblicken frisirte, barbirte, pomadisirte der Losophe, und gab Tanz- und Gesangstunden, lehrte die Anstandsregeln, die Philosophie, … die Magie oder den Atheismus, … nach eines Jeden Geschmack.

Die zügellose Unabhängigkeit seiner politischen und religiösen Meinungen waren die Ansprüche, welchen er die so lächerliche Abkürzung der Benennung verdankte, welche man ihm an Bord der Sylphide beilegte, wo er bei den Matrosen wegen seiner Talente, seines Geschwätzes, seiner Lügen und seiner kurzweiligen Geschichten ziemlich beliebt war. – Dagegen war der Philosoph von der Meisterschaft (von den Schiffsmeistern) seiner Unverschämtheit, seiner Widersetzlichkeit, seiner Violine und seines Hundes wegen allgemein verabscheut.

Dieser Hund und diese Violine werden auf einem so gut ausgerüsteten Schiffe, wie es damals eine königliche Fregatte war, anfangs befremdend erscheinen; aber was den Hund betrifft, – so verhält es sich also damit: – Wie Leute, welche für die Zukunft Straflosigkeit für eine Menge von Uebelthaten durch eine gute Handlung erkaufen, die oft nur dem Zufall verdankt wird, so auch hatte einst dieser Hund ein Kind, welches aus einem Kahne in das Meer gefallen war, gerettet. Von diesem Tage an hatte St. Médard Bürgerrecht am Bord der Sylphide erlangt, und, ungeachtet seiner außerordentlichen Strenge, hatte Jean Thomas selbst den Bitten des Schiffsvolks, welches die Zulassung des menschenfreundlichen und heilig gesprochenen Hundes verlangte, endlich nachgegeben. Das Dasein der Violine aber ist so zu erklären: Der Losophe, wie wir gesagt haben, obgleich Schwarzkünstler, Atheist, Philosoph und Perrückenmacher, war auch noch Tanzmeister. Daher durfte das Instrument dieses letztern Standes ihm nicht entzogen werden, denn, damals, wie jetzt, begünstigte man alle Zerstreuungen, welche die Matrosen auf langen und gefahrvollen Kreuzzügen erheitern konnten. Aber, die Stunde ausgenommen, welche man ihm zu seinem Unterricht angewiesen hatte, war die Musik dem Professor stark verboten.

Das ist also die Geschichte des Hundes und der Violine des Losophen.

Der Losophe nun selbst, wenn es erlaubt ist, ihn ohne Violine und Hund anzuführen, trat in sein fünf und zwanzigstes Jahr, sah wie ein Marder aus und hatte kleine rothfahle Augen, voll List und Schalkhaftigkeit, – er war schmächtig, schlank und doch kräftig; aber leicht und geschmeidig, spöttisch, unverschämt und ziemlich muthig; kurz, er stach sonderbar durch seine Leichtigkeit von jenen guten, unbefangenen bretagnischen Matrosen ab, die, sie mochten stehen oder sitzen, immer untersetzt und kräftig erschienen; – man hätte glauben sollen, einen Fuchs in der Mitte von Bullenbeißern zu erblicken.

Diese Abschweifung hat uns ein wenig die andern Personen aus dem Gesichte verlieren lassen, welche auf dem Hintertheile der Fregatte auf und ab gingen, – nämlich den Lieutenant und den Doctor. Ueberdrüssig, sich zu den höchsten Betrachtungen über Moral und Politik zu erheben, beobachteten unsere beiden Freunde aufmerksam die gegenseitigen Signale, welche seit einiger Zeit zwischen dem Seetelegraphen des Thurmes von Brest und einer Wache gewechselt wurden, die auf der Küste ausgestellt war, welche den nordwestlichen Theil von Bertheaume bildet.

»Man bemerkt irgend ein Kriegsschiff auf der hohen See –« sagte der Lieutenant, – »aber hört … hört, Doctor … den Kanonendonner … ja, es ist Kanonendonner …«

In der That wurde ein entferntes dumpfes Rollen von dem Echo der Rhede von Zeit zu Zeit wiederholt.

»Ich wette, es ist die Minerva, welche von ihrem Kreuzzuge zurückkommt,« – rief Jean Thomas, aufmerksam horchend.

»Die Minerva …, die Fregatte, welche der Ritter von Grimouard befehligt?« – fragte der Doctor. – »Ja … ja … aber hört …, stille vorn!« rief Thomas mit wiederhallender Stimme.

Und am Vordertheile des Schiffes ward es mäuschenstill.

Obgleich diese Begebnisse seit dem Beginn des Krieges ziemlich häufig waren, und viele Kämpfe fast im Angesicht des Hafens stattgefunden hatten, so theilte doch ziemlich schnell das ganze Schiffsvolk der Sylphide die Aufmerksamkeit seiner Officiere, und nur noch mit leiser Stimme unterhielten sich die Matrosen über ihre Beobachtungen, ihre Besorgnisse oder ihre Hoffnungen mit einander.

Meister Kergouët und Meister Frank, den Vorzug benutzend, den ihnen ihr Rang gab, näherten sich so viel als möglich dem Hintertheile des Schiffes, wo der Lieutenant, Monval und der Doctor sich befanden.

Die Kanonade dauerte immer fort und schien lebhafter und stärker zu werden, je mehr sie sich der Küste näherte.

»Wenn wir heute unter Segel gegangen wären, wie wir es thun konnten –« sagte Monval, – »so hätten wir doch das Glück gehabt, sogleich beim Auslaufen aus dem Hafen in einen Kampf verwickelt zu werden, ohne uns weit umsehen zu müssen, und das ist recht bequem …«

»Wenn es anders bequem ist, mit einem weit überlegenen Feind zu kämpfen« … sagte der Lieutenant mit einer wichtigen Miene, – »denn, allem Anscheine nach, schlägt sich jetzt die Minerva gegen überlegene Streitkräfte …«

»Das ist etwas Anderes,« erwiederte Monval mit verächtlicher Miene; »wenn es auch nicht bequem ist, so ist es doch ruhmvoll, … und ich würde mich dabei sehr wohl befinden …«

Jean Thomas unterdrückte eine Aufwallung des Zorns und antwortete mit Ironie: – »Dieser Ehrgeiz gehört Ihrem Alter an, mein Herr, und er ehrt Sie; allein diese Kampflust dient gewöhnlich nur dazu, das Schiff genommen zu sehen und unnützerweise Menschen und Schiffe aufzuopfern. Nun heißt das, meiner Meinung nach, seinem Lande schlecht dienen, es heißt als Kind oder wie ein Unsinniger handeln, nicht aber als Mann. Verzeihen Sie, mein Herr, daß ich mit Ihnen so frei spreche, aber es ist so meine Gewohnheit. Ich bin geradezu, wie man sagt.«

Monval hatte eben eine beißende Gegenantwort in Bereitschaft, als der Lieutenant ihn unterbrach, indem er rief: – »Hört, … hört, … das Fahrzeug, auf welches man Jagd man, nähert sich der Küste, und wenn ich mich nicht irre, so wird der Kampf unter Westwind geliefert.«

»Das ist sehr wahrscheinlich, –« sagte Monval, den ärgerlichen Streit, den er so eben mit dem Lieutenant gehabt hatte, vergessend, um die Schiffsfahne zu beobachten, welche auf einen ziemlich starken nordwestlichen Wind hindeutete. – »Der Kanonendonner ist so stark, als wären wir ganz in der Nähe, –« fügte er hinzu.

In der That hörte man jetzt ganz deutlich den Donner der Artillerie.

»Was sagt Ihr dazu, Meister Kergouët? –« fragte Monval den bürgerlichen Kanonier, welcher, da er von seinem Vorgesetzten die Civilbenennung, die er unerbittlich von seinen Untergebenen erheischte, nicht fordern konnte, mit unzufriedener Miene seinen Hut abnehmend, antwortete: –

»Ich, mein Herr, ich glaube, daß es eine arme Fregatte ist, welche vor überlegenen Streitkräften sticht, … denn hören Sie! – … da giebt sie ihre Lage, hören Sie? … und dann sehen Sie … eine … zwei andere entferntere, aber stärkere Lagen, … das sind die des Feindes, welcher unter Wind liegt, und dies ist die Ursache des Getöses, welches bis zu unsern Ohren dringt. O! wenn ich mich nicht täusche, so schlägt sich die Fregatte gegen zwei Schiffe.«

»Arme Fregatte! –« rief Meister Frank; »wenn sie nur den Wind gewinnen und nordwestlich die Landspitze von Corbeaux umschiffen und die Straße du Four erreichen könnte, um unter ihren Topmastsegeln zu laviren, so würde sie gerettet sein. Denn wenn es die Minerva ist, so hat sie den alten Karadek zum Steuermann, und dieser würde mit verschlossenen Augen über die Glenans oder in der Todtenbucht segeln können.«

»Ihr habt Recht, Meister Frank, –« nahm Monval das Wort, »aber, beim Teufel, es ist unbequem, Brandungen zu sondiren und zugleich Feuer zu geben, und was mich betrifft, so will ich lieber mit 80 gut gerichteten Kanonen über dem Wasser zu thun haben, als mit diesen feigen schwarzen Felsenspitzen, welche sich verrätherisch und heimtückisch unter den Wogen verbergen, um den Haifischen gleich ihren Raub zu erlauern; auch könnte mich nur die äußerste Noth zwingen, eine so gefährliche Straße zu versuchen.«

»Doch, mein Herr, –« sagte Meister Kergouët, – »wenn es mir den Weg beschleunigte und erleichterte, würde ich der Meinung meines Kameraden, des Meister Frank, beistimmen.«

»Stimmt bei, Meister Kergouët, stimmt bei, –« sagte Monval lächelnd. -

»Ei nun, mein Herr, wenn ich gleich nicht geschworener Steuermann bin (hier nahm der Meister seinen Hut ab), so habe ich doch in dem Kriege von 1771 die Brigg Le Rubis glücklich nach Belle-Isle geführt, indem wir den Kanal der Inseln D'Houac und D'Hédic passirten; wir konnten uns rühmen, durch das Schiff Charlestown von 74 Kanonen, welches ein mörderisches Feuer auf uns unterhielt, recht in die Enge getrieben worden zu sein; aber als es uns jene mit Brandungen bedeckte Straße befahren sah, blieb es zurück, und zwar versteinert wie eine Katze, welche eine junge wilde Ente untertauchen sieht: dann wendete es um, nachdem es uns eine Ladung als Abschiedszeichen zugeschickt hatte, eine schwache Salve, welche, abprallend, kaum eine Spur auf unserm Laufe zurückließ, und das war Alles … Seit jener Zeit, mein Herr, habe ich mir gegen diese Felsen unter dem Wasser nie wieder eine ungünstige Meinung erlaubt.«

»Aber seht doch den Telegraphen, wie er fortwährend in Bewegung ist,« sagte der Doctor – die Lobrede des Meister Kergouët unterbrechend: »– wahrscheinlich sieht man von da aus weit auf das Meer hinaus, und signalisirt dem Hafen den Wechsel des Kampfes.«

In diesem Augenblicke rief die Wache: – »Das Boot des Commandanten! –«

In der That, beschäftigt, wie man war, mit dem Telegraphen und den Signalen, bemerkte man das Boot erst, als es sich nur noch zwei Tau-Längen vom Schiffe befand.

»Zum Teufel! es giebt was Neues,« – sagte Monval, – »der Commandant hat Eile, denn niemals sind seine Bootsknechte so schnell gefahren, sie, die bei jedem Ruderschlage immer mit einem gewissen Anstand ausruhten, … die Ruder erhoben, fahren sie Schlag auf Schlag wie Kauffahrteimatrosen.«

»Und wir sind nun vollzählig, –« sagte der Doctor, – »denn der Commandant bringt Herrn von St. Sauveur, den Abbé, den Astronomen und dessen Schatten, oder sogenannten Bruder mit. –«

Das Boot des Commandanten legte Steuerbord an; … und ehe man Zeit gehabt hatte, ihm die Falltaue zuzuwerfen, stieg Heinrich flink längs dem Bord des Schiffes herauf, indem er rief: »Heraus, meine Herren, heraus! … man entdeckt eine französische Fregatte, im Kampfe mit zwei englischen Schiffen begriffen; heraus meine Herren! Der Herr Marschall hat so eben Befehl gegeben, den Vengeur und den Tonnant zu lichten. Bei Gott! sputen wir uns, oder wir werden die Zeit verfehlen und später ankommen, seht, … seht, da ist schon der Commandant des Tonnant, welcher sein Schiffsvolk versammelt!« Dies sprach er mit Kraft und Begeisterung, während er die Leiter hinaufstieg; aber als er den Fuß in seine Fregatte setzte, fand Heinrich alle die Kaltblütigkeit wieder, welche dieser Lage angemessen war.

»Mein Sprachrohr!« rief er dem Steuermanne zu, welcher es zu holen hinabstieg. –

Hierauf wandte er sich an den Lieutenant mit den Worten: »Der Wind ist gut und wir haben Ebbe, mein Herr; wir wollen unsere Ankertaue kappen … die Zeit drängt …«

»Unsere Taue kappen?« sagte der Lieutenant, »und wo werden wir im Nothfalle andere finden, Commandant? –«

»Die Engländer haben deren immer in Vorrath,« erwiederte Heinrich scherzend, »wenn wir nicht ihre erste Fregatte in den Grund bohren.«

Jean Thomas beeilte sich, jenen Befehl auszuführen. Heinrich, der sein Sprachrohr erhalten hatte, bestieg die Quartierbank. – Dem Herrn von Miran war die Lenkung des Tauwerks zugetheilt.

Auf das Pfeifen des Equipagemeisters nahm jeder seinen Posten ein, und man hörte kein Wort mehr.

»Commandant, das kleinste Tau ist durchgezogen und an die Windspille befestigt,« – sagte St. Sauveur zu Heinrich.

»Hisst die Focksegel, spannt das kleine Tostmastsegel und befestigt es!« – rief Heinrich mit starker Stimme, – »und bindet den Knoten der zwei Taue fest!«

– Als er hierauf die Fregatte in der rechten Lage sah, … »hisst das Bramsegel des Hintermast's und kappt das Tau,– kappt!«

Ein Hieb des Beils hallte dumpf wieder.

»Kappt das kleine Tau, kappt!« – rief endlich Heinrich mit heller durchdringender Stimme, so daß die Freude daraus hervorleuchtete, mit welcher er diesen Befehl ertheilte.

Ein zweiter Hieb des Beils ertönte.

Als die Sylphide sich hierauf durch nichts mehr gehalten fühlte, neigte sie sich leicht unter dem West, faßte den Wind und schoß in einem Laufe bis an den Felsen Mingan, um die Rhede zu verlassen.

Dieses Manöver war so gut und so schnell ausgeführt worden, daß der Tonnant sich noch auf seinen Ankern herumwendete, als die Sylphide sich schon der hohen See näherte.

Auch gab ihr das Schiff, gleichsam neidisch über die Schnelligkeit, mit welcher die Fregatte die Befehle des Marschalls vollzogen hatte, das Signal, sich auf die Seite zu legen und es zu erwarten, denn da der Commandant dieses Schiffes der älteste Befehlshaber der drei Fahrzeuge war, so hatte er diese kleine Abtheilung unter seinem Befehl und führte ihre Flagge.

»Der Tonnant giebt das Zeichen, beizulegen,« sagte Miran zu Heinrich, welcher, den Rücken gewendet, dieses Signal nicht bemerken zu wollen schien.

Und doch mußte er es endlich sehen – und demselben murrend gehorchen.

»Bedarf es denn der Hülfe dieser zwei schwerfälligen Schiffe? –« sagte der Graf. – »In Wahrheit, zwei Linienschiffe und eine Fregatte, um das Gleichgewicht herzustellen, wie der Marschall sagt, das ist ein starkes Stückchen.«

Während der Zeit, daß seine Fregatte still lag, musterte Heinrich mit einem schnellen Blick sein Schiffsvolk, welchem dieser schnelle Aufbruch überraschend gekommen war.

Er fand seine Matrosen ruhig und antheillos, wie gewöhnlich. – Nur eine Schattirung von Neugierde las man auf ihren sich um nichts bekümmernden Gesichtern.

Heinrich schöpfte gute Hoffnung aus dieser Kaltblütigkeit; – auch rief er mit wahrer innerlicher Freude, als er den Tonnant, welcher unterdessen gelichtet hatte, ihm das Zeichen, voraus zu segeln, geben sah: – »Endlich … endlich … ist der Befehl da, diesen schweren Schiffen den Weg zu bahnen; das ist herrlich!«

Indem er hierauf das große Fockmastsegel ausziehen und das große Topmastsegel wenden ließ, brachte er die Sylphide wieder in Gang.

»Jeder begebe sich an seinen Kampfposten! –« rief der Graf, und sich an das Schiffsvolk wendend, sagte er: »Wohlan, meine Kinder! laßt uns Frankreich Lebewohl sagen und auf den Engländer Jagd machen, es lebe der König!«

»Es lebe der König!« schrie mit kräftiger Stimme das Schiffsvolk, »führt die Fregatte auf die hohe See.«

»Mein Herr,« sagte Heinrich, indem er sein Sprachrohr dem Lieutenant übergab, »ich will die Batterie und die Castelle mustern …«

»Seine Taue zu kappen, … verrückter Mensch, Narr … Prahlhans, dieser Graf,« – sagte der Lieutenant, als er den Commandanten sich entfernen sah.

Dann fügte er mit in sich verschlossenem Unmuth, zu sich selbst sprechend, hinzu: – »und doch muß man gestehen, daß dieses Lichten gut vor sich gegangen ist: der Ausdruck in dem Commando dieses Gecken zeugt von einer praktischen Uebung … Tod und Hölle! verwünscht! er hat also Alles für sich, der –! …

»Und doch besitze ich eben so viel Muth und Kenntniß als er, … ich; … und bleibe dennoch bei alle dem unbekannt! – aber er ist auch der Herr Graf von Vaudrey … der Herr Graf« … – wiederholte der Lieutenant mit bitterer Ironie, » der Herr Graf! während ich nur Jean Thomas bin, … ein blauer Officier; … Jean Thomas, der Enkel des Fischhändlers an dem Hafen, … man schätzt mich gering; Hölle und Teufel! wenn man mich verachtete! … Doch man ist artig gegen mich; aber welche Artigkeit ist dies auch! … ich wollte lieber, man behandelte mich grob; … an der Grobheit rächt man sich, indem man tödtet oder getödtet wird … Alle Donner und Wetter! … ich werde noch verrückt werden am Bord dieses verdammten Schiffes … o! dieser Graf! … dieser Graf! … endlich werde ich ihn im Feuer sehen; das ist meine einzige Hoffnung … – Aber woran dachte ich? dazu müßte man Glück haben; … und war wohl schon jemals dem Jean Thomas das Glück günstig? … Wenn ich eine gute Handlung verrichte, so schlägt sie zu meinem Nachtheil aus; – wenn ich einem Freunde ein Verbrechen anzeige, wenn ich ihm sage: deine Frau betrügt dich, ich habe es gesehen; – siehe da, so lügt meine Mutter sogar, nur um mich Lügen zu strafen, zum ersten Mal in ihrem Leben, und ich, ich gelte für einen Meineidigen oder für einen Narren, und meine Mutter verwünscht mich noch im Tode; – und ich sollte die Welt lieben? … Ich sollte den Edelleuten freundlich zulächeln? Ich sollte die Augen über die Schwachheiten Anderer verschließen? … Nein, nein, Jedem sein Recht, es entstehe daraus was da wolle; wenn ich so handle, spricht mich mein Gewissen frei, und beim Himmel, zu was würde denn das Gewissen helfen, wenn es nicht dazu diente, die Unversöhnlichkeit gegen die Fehlenden zu nähren … Uebrigens … wie viel würde ich nicht darum geben, wenn dieser adlige Commandant den Kopf verlöre im Feuer … Oft erblassen diese gelassenen und ruhig scheinenden Parade-Officiere bei dem Donner der Kanonen; – aber nein, dieser Graf ist vielleicht tapfer … nun, bei alle dem, wenn er nun tapfer wäre, was würde dies am Ende beweisen? … er würde nur seine Pflicht thun. Ja, aber ich hätte nicht das Recht, ihn zu verachten; … und ich möchte ihn so gern verachten, … ihm Gleiches mit Gleichem vergelten; denn ich bin gewiß, daß er mich innerlich verachtet, nicht mich, aber meine Abkunft … Mich verachten! der Geck! als wenn nicht ein Mensch so viel gälte, wie der andere! Adlig oder, bürgerlich; … als ob ein Mensch befugt wäre, einen Andern zu verachten, weil er ein Wappenschild hat oder einen höhern Rang einnimmt, als der Andere!« – sagte Jean Thomas wüthend,  … und als er hierauf gewahr wurde, daß die Segel ein wenig flatterten, rief er dem Steuermann zu: »Such den Wind, den Wind, Einfaltspinsel, Lumpenhund, Schuft du!« – und stieß ihn mit seiner gewöhnlichen Rohheit.

Der Steuermann vollzog schnell den ihm gegebenen Befehl, indem er ganz leise sagte: »Herrlich, da ist noch so ein von Lieutenant, welcher nach der Art unseres verstorbenen Schweins erzogen ist.«


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