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I.

Ich fand dort das Verhängniß der geselligen Ordnung wieder, das mich überall verfolgte.

Eduard, – die Herzogin von Düras.

Jean Thomas.

Die Kutsche von Lambeseleq wollte Brest eben verlassen, als ein langer, in einen langen Seemannsrock gehüllter Mann, von Jean Thomas begleitet, die Hand auf den Wagenschlag legte und rief: »Einen Augenblick, he! – Du hast es wohl sehr eilig, das Weite zu suchen. Du Teufels-Kutscher!«

»Ja, meiner Treu, wir brachen auf, denn auf Sie, Herr Capitain, rechneten wir nicht mehr,« rief der Automedon und zog sein Fuchspelzmützchen.

»Nun sieh, da bin ich; so warte denn ein wenig,« fuhr der Capitän fort, und wandte sich darauf zu Thomas. »Also, Thomas, wie wir's verabredet; gieb wohl Acht auf meine Gemahlin und wache über das Getreide.«

»Ich verspreche Dir nicht, etwas zu verhindern, denn ich fühle mich nicht stark genug, auf eines Weibes List und Trug Sturm zu laufen; was ich aber nur erfahren kann, das sollst auch Du wissen; was ich erspähe, Du sollst es wissen, sei's gut oder böse; bei meiner Ehre, ich werde Dir nichts verbergen.«

»So war's auch verabredet, Thomas; und sieh, wenn es was Gutes ist, so will ich ein König für sie sein; wenn es was Schlechtes ist, heiße ich »der rothe Jacob.« Das ist Alles, und nun leb' wohl, Thomas!« rief der Kapitän und warf sich in die Kutsche, die schwerfällig dahinrollte.

Als dieses gewichtige Fuhrwerk aus Thomas Blicken entschwunden war, wandte er sich zu den Wällen.

Auf dem Zwinger traf er den Doctor Gédeon.

»Ach, sich da, Thomas, ich suchte Dich,« rief der Doctor.

»Und weshalb?«

»Dich um eine Gefälligkeit zu bitten.«

»Sprich, welche?«

»Ach, über das Unglück, Thomas! der Kannibale hatte mir befohlen –«

»Was? – Welcher Kannibale?«

»Nun, der Kommandant!«

»Weiter!«

»Nun sieh, der Unmensch hatte mir befohlen, täglich den Bord zu besuchen, und nach dem Gesundheitszustände der Mannschaft zu sehen, und dies bloß aus seiner erbärmlichen Höflingslaune; deshalb habe ich nicht –«

»Es ist sein Befehl, dem muß man folgen; er ist Commandant, Du mußt gehorchen,« unterbrach mit ernster Stimme Thomas den Doctor.

»Allerdings, auch gehorche ich; aber zufällig – gestern – denke Dir nur – ich kann Dir's gar nicht so sagen, Dir, der so feindselig gegen alle Liebe ist.«

»Weiter, weiter!«

»Nun sieh, gestern hatte ich ein Rendez-vous mit einem schönem Kinde draußen in der Recouvrance, das mich anbetet.«

»Dich, alter, dummer Narr, Dich anbetet! Du bist wahnsinnig, oder Du bezahlst sie mit schwerem Gelde. Weiter!«

»Still, Du Isegrimm!« rief der Doctor, seinen Groll unter einem scheinbaren Scherze verbergend. – »Daß Du doch bei jedem Worte gleich Spaß machen mußt! aber hier paßt es nicht. Um mein gestriges Rendez-vous nicht zu versäumen, habe ich meine beiden Gänge an Bord vernachlässigt; nun aber ist der Unmensch in der Disciplin so streng, daß er mich wohl arretiren lassen dürfte, und ich so auch mein anderes Rendezvous auf morgen versäumen müßte, da ich hingegen völlig straflos bleiben würde, wenn Du nur dem Commandanten sagen wolltest, Du hättest mich drei Stunden von hier in's Kerlo-Spital geschickt, um dort die Seeleute, die wir zur Verstärkung der Mannschaft von daher erwarten, zu besuchen, und dann–«

»Es ist eine Lüge, die Du verlangst, nicht wahr?«

»Das ist keine Lüge, das ist Freundespflicht.«

»Eine Lüge ist's doch, nicht wahr? und sie soll Dir Pflichtvergessenem zur Entschuldigung dienen, und Dir Mittel und Wege zu neuen Sünden geben? – Nimmermehr!«

»Aber, Thomas –«

»Nimmermehr; Du hast Deine Strafe verdient, Du magst sie auch fühlen.«

»Aber die Freundschaft –«

»In Dienstpflichten kenne ich keine Freundschaft.«

»Aber –«

»Leb' wohl.«

Und Jean Thomas ging, und ließ den Doctor in seiner Angst, aber nicht in Verwunderung zurück, denn schon längst kannte er des Lieutenants unbeugsamen und harten Sinn.

Wirklich war Jean Thomas ein Mann von strenger Tugend, unglaublicher Sittenreinheit, untadliger Rechtlichkeit und stets probehaltigem Werthe; aber seine Seele hatte nicht nur des Stahles Reinheit, sondern auch seine Härte und Kälte.

Jeder Schwäche unfähig, enthüllte und verfolgte er mitleidslos Anderer Schwächen, und keine Menschenspeculation konnte ihn von seiner Pflichterfüllung, wie er sagte, und von seiner Bestimmung abhalten, das Laster, gleichviel in wem? und wo? zu verfolgen.

Da er seinen für einen Menschen seiner Classe ziemlich hohen Rang allein seinem Verdienste verdankte, war sein einziger Fehler ein eingewurzelter Neid, ein verächtlicher Haß gegen Alles, was der Geburt nach über ihm stand. Und doch, wäre Jean Thomas von Adel gewesen, würde er gewiß unverzeihlich aristokratisch stolz gewesen sein. Dies bewies er auch schon durch die Grobheit, womit er seine Untergebenen commandirte.

Doch eigentlich schadete er durch diesen Fehler nur sich selbst; es war der Wurm, der an seinem Herzen nagte; jener unersättliche Neid verzehrte ihn. Doch nie verrieth er sich in seinen Dienstverhältnissen; denn obgleich er mit den ihm untergebenen Matrosen und Officieren grob war, so war's ihm doch unmöglich, sich das leichteste Unrecht gegen sie zu erlauben; dagegen durften sie auch von ihm, wenn sie gefehlt hatten, nicht die geringste Nachsicht erwarten.

Außer dem Dienste wußte seine strenge und ungestüme Tugend sich eben so wenig fügen. Weder Verhältnisse noch Herkommen, noch die Anforderungen einer veralteten Gesellschaft konnten in seinen Augen für Entschuldigungen gelten.

Tadellos in seinen Sitten, verlangte er, die Anderen sollten auch so sein. Leute, die dem Laster die Brücke traten, sah er für Mitschuldige an dem von ihnen beschönigten Laster an, und machte keinen Unterschied zwischen dem Mörder, und dem, welcher den Mörder nicht sogleich dem Henker überlieferte.

Kurz und gut, Jean Thomas war das ächte Musterbild eines streng tugendhaften Menschen, tugendhaft ohne Nachsicht, tugendhaft ohne Erbarmen, tugendhaft bis auf den Buchstaben, daß ich mir diesen Volksausdruck erlaube, der allein die algebraische Genauigkeit des Lieutenants in seiner unbeugsamen Tugend schildern kann.

Jean Thomas besaß dabei weder Glauben, noch Religion. – »Die Religion,« meinte er, »mag wohl ein gutes Mittel sein, diejenigen, die ohne dies Gefolge von ewigen Strafen und Belohnungen elende Wichte sein würden, im Zaume zu halten. Ich aber bin reinen Sinnes und mein Geist ist stark genug, das Gute um des Guten willen, ohne Furcht und Hoffnung vor der Zukunft, zu thun.

»Noch,« meinte er, »ist die Religion gut für die Schwachen, die diese Welt ungern verlassen, oder droben eine bessere zu finden hoffen, und so jenes zweite ewige Leben ersonnen haben. Ich meinerseits,« dachte er ferner, »bin hienieden weder glücklich noch unglücklich genug, um mein Dasein zu verwünschen, oder den Tod fürchten zu müssen, und werde dereinst wieder in das Nichts, aus dem ich hervorgegangen bin, zurückkehren. Auf Erden aber soll mir das Gewissen Religion, und die Tugend Gott sein.«

Verlorne Mühe ist es, wenn ich noch sage, daß, da die philosophischen Träumereien der Encyclopädie, die Theorien von geselliger Gleichheit und Wiedergeburt vor Jean Thomas Augen die wichtigsten Systeme waren, er sich als einen der hitzigsten Vertheidiger der neuen Ideen bewies. Bei diesen bestimmten Grundsätzen und seiner unerschütterlichen Festigkeit und strengen Tugend, hatte Thomas keinen vertrauten Freund, als höchstens etwa den Capitän Jacob Lerouge, den eine gewisse Charakterähnlichkeit mit ihm verbunden hatte.

Jacob Lerouge, Capercapitän, hatte seine Laufbahn zur See mit Kauffahrteischifferei begonnen, und war daher schon seit vielen Jahren mit Jean Thomas näher verbunden, denn obgleich Jacob Lerouge nicht so streng und hart war, wie der Lieutenant, so war er doch das, was man einen rechtlichen Seemann nennt, und betrieb zur Kriegszeit sein Caperhandwerk, und zur Friedenszeit sein Kauffahrteiofficiersamt mit gleicher Gewissenhaftigkeit.

Ein Zug von ihm ist folgender. – Im letzten Kriege commandirte Jacob eine schöne Brigg von 26 Kanonen; er machte Jagd auf einen herrlichen englischen Dreimaster, der mit Gewürzen aus Indien kam, und holte ihn ein. – Da sich dies Fahrzeug gefangen sah, steckte es schnell eine Parlamentär Flagge auf, und schickte einen Officier an Bord der Brigg, dem Capitän Jacob zu melden, daß ein neutrales Schiff, das aus Spanien gekommen wäre, ihm versichert hätte, der Friede sei geschlossen. Als Beweis von der Wahrheit dieser Behauptung verlangte der Capitän Jacob blos das Ehrenwort des Officiers, und ließ dann den Dreimaster ruhig weiter fahren. – Der Dreimaster mit seiner Ladung mochte mehr als eine Million werth sein, und ward durch einen minder gewissenhaften Collegen, als Jacob Lerouge war, doch noch gekapert.

Dies war der einzige Freund, den Jean Thomas besaß, denn unter den Seesoldaten hatte er keinen. Seine Sitten waren so streng, sein Geist so verschwiegen, sein Sinn so düster, seine Sprache so rauh, daß er oft während ganzer acht Tage, – um mich des geweihten Ausdrucks zu bedienen – in Quarantaine lag, d. h. daß Niemand ihn anredete.

Seine Verhältnisse zu den Matrosen waren noch kläglicher; seine übertriebene Strenge, die nichts übersah, und sein Stolz und seine Grobheit, womit er sie behandelte, machten ihn überall verhaßt; aber der Einfluß seiner Tapferkeit und seine Festigkeit vermochten dennoch, sie in den Schranken der Ehrerbietung und völligsten Unterwürfigkeit zu erhalten.

Also diesem Jean Thomas hatte der Capitän Jacob Lerouge die Aussicht über seine Frau anvertraut.


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