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Johanna.
Ja Du hast Recht, das weiße Banner
Bringt Glück den Freunden Frankreichs,
Unglück seinen Feinden.
Schiller, Jungfrau. A. 4. Sc. 3.
Habt Ihr irgend einmal an einem schönen Sommerabende, unter dem bezaubernden Himmel von Zante und Cephalonia, wenn ein säuselnder Westwind kaum die Oberfläche des Meeres kräuselt, und uns den Orangenduft vom nahen Ufer herüberträgt; wenn die glühende Sonne gleichsam mit Schmerz ihre letzten goldenen Strahlen herabsendet, habt Ihr da irgend einmal die köstliche Kühlung der klaren und ruhigen Gewässer der Levante gesucht? Saht Ihr da nicht einen kleinen, lieblichen Fisch rubinenähnlich funkeln, purpurnfarbig mit Veilchenblau gemischt, dessen dunkler Glanz durch prächtige silberne Schuppen und Flossen wie Perlmutter erhöht wurde? … Wenn Ihr dessen Anmuth und Schönheit bewundertet, hieltet Ihr ihn da nicht für irgend einen guten Genius der Gewässer, für irgend einen niedlichen Ariel, welcher diese Hülle angenommen, um unbekannt die durchsichtigen Tiefen des Meeres zu durchstreichen und unter dem schönen grünen Seegras zu spielen, welches sich in Smaragdkränzen an den versteinerten Aesten der rothen Korallen dahinschlängelt? …
Entzückt über diesen Juwel des Oceans, seid Ihr dann auf ihn zugeschwommen … um ihn zu ergreifen … aber er, nicht wahr, fröhlich und scherzend, blieb bald unbeweglich, ließ Euch nahe kommen, bald tauchte er fliehend unter, kam dann wieder zurück, entschlüpfte noch einmal, und so aus dem bläulichen Gewässer tausend silberne Kreise bezeichnend, riß er Euch hin zu seiner Verfolgung. Wenn Ihr nun aber endlich voll Entzücken glaubtet, Euch seiner zu bemeistern … saht Ihr da nicht plötzlich in der Spur dieses glänzenden Lootsen, – saht Ihr nicht die beiden runden Augen eines riesenhaften Haifisches von röthlichschwarzer Farbe schimmern, welcher, mit seinem ungeheuern Schweife das Wasser peitschend, mit fürchterlich geöffnetem Rachen Euch schnell entgegenschwamm, geleitet durch jenen reizenden Lootsen, der ihm stets vorausgeht, und ihm so gutmüthig seine Beute entgegenführt? …
Dann, nicht wahr? dann botet Ihr alle Eure Kräfte auf, um den scharfen Zähnen dieses Feindes zu entfliehen und suchtet, wenn es Euch anders möglich war, die gastfreundliche Küste zu erreichen? …
Gleich lebhaft, anmuthig und goldglänzend, aber auch eben so treulos, wie dieser gefährliche und verführerische Lootse, geleitete die voraussegelnde Sylphide die schweren, furchtbaren Kriegsschiffe, welche, durch die hochgelegenen Südküsten von Ouessant verborgen, in dem Fahrwasser der Fregatte schwammen.
In diesem Augenblicke verminderte sich der Kanonendonner, welchen man fortwährend vernahm, und verlor sich bald ganz; hieraus konnte man urtheilen, daß das verfolgte Schiff entweder genommen worden, oder unerschrocken die Straße du Four eingeschlagen hatte, und so dem Feinde entgangen sei.
Heinrich zweifelte nicht mehr an dieser letztem Vermuthung, als er die Wache von Ouessant dem Kriegsschiffe le Tonnant das Signal geben sah: – daß man unter dem Winde der Insel die zwei feindlichen Fregatten erblicke, die so eben eine französische Fregatte verfolgt und bekämpft hätten, welche letztere gegenwärtig in die Straße du Four geflüchtet wäre, wohin sie nicht zu folgen gewagt hätten.
Sogleich gab das Schiff der Sylphide ein Zeichen, die Spitze von Porklas, welche die französischen Schiffe verbarg, zu umschiffen, sich allein dem Feind zu nähern, unter dem Scheine, sie zu recognosciren, dann die Flucht zu ergreifen und so zu manövriren, bis sie die englischen Fregatten nahe bis an die Spitze und fast in die Gewässer der beiden Schiffe herbeilockte, welche letztere alsdann erscheinen und sich des Feindes leicht bemächtigen würden.
»Ein feiges Unternehmen,« – sagte Heinrich mit übler Laune; – »diesen armen Fregatten als Lockspeise zu dienen, sie verrätherisch in die Falle zu führen, und sie vielleicht ohne einen Kanonenschuß nehmen zu lassen: bei Gott, das ist die Sache eines elenden Kauffahrteischiffes und nicht einer edlen Kriegsfregatte. – Weiß das der Seemann nicht, der dieses Schiff commandirt?« – fügte er hinzu, indem er auf den Tonnant zeigte … »Ich möchte hundertmal lieber allein, den Kampf gegen diese beiden Schiffe bestehen, als so handeln.«
Aber da Heinrich vor Allem sich den Befehlen seiner Vorgesetzten stets mit ergebenem Gehorsam unterwarf, so ließ er jetzt die Segel anziehen und führte das befohlene Manöver aus, während die beiden Schiffe, geschützt durch das Land, die leichte Beute erwarteten, welche der Graf ihnen zuführen sollte.
Die Sylphide, schön und geschmückt, wie sie war, umschiffte jetzt die Spitze von Porklas und schwamm allein auf dem Ocean dahin, mit der beschämten und schüchternen Miene einer jungen Braut, welche zitternd sich in einen Saal wagt und auf allen Seiten ein freundliches Gesicht zu finden sucht … Bald bemerkten die englischen Schiffe die Französin, und im Vertrauen auf ihre Stärke ließen sie sie dicht herankommen.
Die Sylphide, immer den Wind fassend, näherte sich auf gleiche Weise dem Feinde und befand sich bald kaum noch eine Viertelmeile von ihm.
Dann, gleichsam wie unentschlossen, zog sie nach und nach ihre Segel ein. Die Engländer setzten alle die ihrigen bei, kamen in die Nähe und begleiteten das Aufziehen der britischen Flagge mit zwei Kanonenschüssen, deren Kugeln einige Ellen entfernt von der Fregatte in die Wogen schlugen. Hierauf lenkte die Sylphide, als wenn sie die Gefahr, welche sie lief, jetzt erst wahrgenommen hätte, plötzlich um, zog alle Segel aus und ergriff die Flucht, indem sie ihren Lauf gegen die verhängnißvolle Landspitze nahm, unter deren Schutz die beiden Schiffe gleich Haifischen verborgen lagen.
Die englischen Fregatten ahmten das Manövre der Sylphide nach und verfolgten sie ganz nahe in der Absicht, sie zwischen zwei Feuer zu bringen und zu verhindern, daß sie den Hafen gewönne …
Aber weh! weh! kaum hatten sie, die armen Engländerinnen, die verwünschte Landspitze von Porklas umschifft, als die Sylphide, von der Seite segelnd, ihnen den Wind abgewinnt, die königliche Flagge von Frankreich aufzieht, dieses Signal mit einem Schuß in's Dickholz begleitend, und die beiden im Hinterhalte liegenden Schiffe mit vollen Segeln herbeikommen, – so daß die beiden englischen Fregatten, da sie sich auf diese Weise umzingelt und ohne Rettung sahen, gezwungen waren, ihre Flaggen zu streichen und nach einem kurzen, nur scheinbaren Widerstande sich zu ergeben.
Man erfuhr jetzt, daß das französische Schiff, mit welchem die Engländer gekämpft hatten, in der That die Fregatte Minerva war.
Nach dieser so glücklichen Ausführung einer ganz unerwarteten Expedition gab der Capitain des Tonnant Heinrich ein Signal, an Bord zu kommen, um die Befehle zu empfangen, die er ihm von dem Marschall von Castries mitzutheilen hatte.
Die Sylphide legte an und eine Viertelstunde nachher war Heinrich am Bord des Tonnant. –
»Bravo, Herr von Vaudrey,« – sagte der Commandant des Schiffs zu ihm. »Sie hätten Ihre Rolle nicht besser spielen können!«
»Und doch, Herr Marquis,« sagte Heinrich mit verdrüßlicher Miene, – »ist dies ein Ruhm, den ich recht gern jedem Andern überlassen wollte; ich bin grade nicht gewissenhaft, aber in Wahrheit werde ich mir mein ganzes Leben hindurch deshalb Vorwürfe machen …
»Gehen Sie doch; Sie wissen nicht, was Sie wollen,« – sagte der Marquis; – »diese Art Krieg zu führen ist ja ganz gerecht; die Engländer griffen ja auch die Minerva, die nur 24 Kanonen hatte, mit 2 Fregatten von 36 an. Meiner Treu, was mich betrifft, so habe ich weniger Bedenklichkeiten als Sie, und ich freue mich herzlich darüber, mein lieber Graf.« – Indem er dies sagte, nahm er Heinrich beim Arm und führte ihn in die Gallerie seines Schiffs. – »Der Herr Marschall von Castries hat mir Depeschen für Sie übergeben, Herr Graf,« sagte er zu ihm: »hier sind sie; überdies ist hier noch eine versiegelte Ordre, welche Sie nicht eher, als auf der Höbe der azorischen Inseln eröffnen sollen, – in dieser werden sie die weitern Verhaltungsmaßregeln finden. – Der Herr Marschall, welcher Sie vollkommen kennt, hat mich noch gebeten, Ihnen besonders anzuempfehlen, jedem etwanigen ungleichen Kampfe auszuweichen, denn die Depeschen, welche Sie nach Neu-England bringen, sind von der größten Wichtigkeit und werden von dem Herrn des Touches mit Ungeduld erwartet. Leben Sie wohl, Herr von Vaudrey, ich wünsche Ihnen viel Glück und Ruhm; Sie sind glücklicher, als wir, denn wir müssen nach Brest zurückkehren. – Vielleicht sehen wir uns bald wieder,« sagte er Heinrich mit einer vertraulichen Miene in's Ohr.
»Wie so, Herr Marquis?« fragte dieser.
»O! mehr kann ich Ihnen nicht sagen,« erwiederte der Schiffscommandant mit geheimnißvoller Miene.
Endlich führte er Heinrich auf das Verdeck zurück und drückte ihm herzlich die Hand; der Graf erreichte sein Boot, begleitet von den Glückwünschen der Offiziere des Tonnant, welche die Leichtigkeit, Schönheit und den Gang seiner Fregatte nicht genug bewundern konnten.
»Nochmals, leben Sie wohl, meine Herren,« – sagte Heinrich zu den Offizieren, welche sich über die Gallerie des Schiffs herausbeugten, »grüßen Sie tausendmal meine Freunde in Frankreich.«
Und sich nach seiner Fregatte begebend, hatte er bald ihren Bord erreicht, … nicht ohne zuvor einen stolzen Blick auf seine Sylphide geworfen zu haben, welche sich sanft unter ihren Masten schaukelte.
Als der Graf einmal an seinem Bord war, gab er sogleich die nöthigen Befehle zur Abreise, und indem er den Wind benutzte, welcher von Nordwest nach Südost wehte, schickte er sich an, west-süd-westlich die hohe See zu erreichen, nachdem er befohlen hatte, die Pulverkammern zu schließen und die Zurüstungen zum Kampf bis auf weitere Ordre aufzuschieben …
»Nun! Meister Frank,« sagte Herr Kergouët, welcher ganz verdrüßlich von seiner Batterie heraufstieg, – »was sagt Ihr dazu? … Verlohnte es sich wohl der Mühe, unsere Kanonen von ihren Takeln loszumachen, und sie abzufeuern, ohne ihren Appetit zu stillen, indem man ihnen nur einen elenden Streifschuß erlaubte? … Und dieser hatte überdies noch mehr das Ansehen von dem Gruße eines gutmüthigen Kindes als eines Kartätschenfeuers … Noch einmal, was sagt Ihr dazu, Meister Frank? In einem gut eingerichteten Kramladen würde dies nicht so gehen; wenn der Herr zu seinen Dienern sagt: ›Heute ist Festtag,‹ nun, so ist Festtag; … aber hier … hier … kurz, was sagt Ihr dazu, Meister Frank?«
»Was ich sage, Meister Kergouët? Ich sage, daß mir's gar nicht gefällt, wenn ich ein Schiff, auf dem ich bin, dem Feinde als Lockspeise dienen sehe, um ihn in die Falle zu ziehen … ich sage, daß ich keinen Geschmack daran finde, zum Aase zu dienen, welches man an die Spitze einer Angel hängt, um einen Stockfisch zu fangen.«
»Sprecht nicht vom Aase … denn dies bringt mich auf, Meister Frank, …« – rief Meister Kergouët mit Ekel; – »das ist ein zu unedler Ausdruck: ›Fäulniß.‹ Sprecht mir nicht mehr davon.«
»Genug, wenn ich mich nicht täusche, so war der Commandant eben so wenig mit dem Geschäft zufrieden, als wir, welches man uns zur Eröffnung eines Feldzugs zumuthete, denn er machte auf mich den Eindruck eines Leoparden, welcher so viel Zähne als Haare hat, wie man zu sagen pflegt. Ich habe den seligen Giroux gekannt, den Bootsmeister am Bord des Robuste, wo der Commandant diente, der, wie er mir gesagt hat, ein Kaninchen war, welches …«
»Er war also nicht ein Leopard, sondern ein Kaninchen,« – sagte Meister Kergouët mit ironischer Miene. – »Ach! seht doch den Spötter, weil er wie ein Buch redet,« – sagte Meister Frank verächtlich. – »Kaninchen oder nicht, er ist ein Seemann, … und als Seemann ärgert es ihn, daß er zur Lockspeise dienen soll.«
»Noch immer dieses Aas, Meister Frank, das ist empörend; aber seht, dies bei Seite, und ohne daß Ihr mich für abergläubisch haltet, ist es langweilig für vernünftige Leute, welche an Vorbedeutungen glauben, zu …«
»Ach! Ihr wollt Eure Thorheiten wieder beginnen,« – sagte Frank ihn unterbrechend. – »Seht, Meister Kergouët, Ihr seid's, der meinen Neffen Daniel durch Euer Geschwätz von guten und schlechten Vorbedeutungen, durch Eure thörichten Erzählungen vom St. Elmsfeuer, von Hexereien u. s. w. dumm gemacht hat; aber seht Ihr, bei mir haftet das nicht mehr; ich habe ein zu hartes Fell, alter Schwätzer.«
Und indem er den Meister vertraulich auf die Schulter klopfte, schob er ihn in das falsche Verdeck hinab.
»Du hast sehr Unrecht, Du Hottentotte, denn die Weissagungen sind wie der Barometer … beide verkünden das Gute und Schlimme, so wie ich es unserm Proviantmeister sagte, diesem Spanier, der immer traurig ist, wie ein Todter, und den man niemals zu sehen bekommt; immer steckt er allein in seinem Loche. Der würde gewiß nicht die Nachkommenschaft Adams bekommen, wenn die Worte Kinder wären,« – fügte der bürgerliche Kanonier hinzu, indem er noch einmal einen Blick auf seine Batterie warf, welche er so erfinderisch seinen Kramladen nannte.
Es war ungefähr um 4 Uhr Nachmittags. Die Januarsonne glänzte am reinen Himmel und senkte sich langsam vom Horizonte herab, welchen sie mit einem lebhaften, glühenden Roth färbte.
Die Sylphide schiffte mit Anmuth auf dem herrlichen Meere und ließ zu ihrer Linken und hinter sich die hohen Gestade der Bretagne, welche die letzten Strahlen der Sonne vergoldeten.
Aller Augen waren gegen die Küsten gerichtet, wo Jeder eine Erinnerung oder einen Schmerz zurückließ. Denn eine solche Abreise ist stets ein feierlicher Augenblick, in Kriegszeiten besonders, wenn man sein Land verläßt, seine Lieben, seine Gewohnheiten, für eine eben so ungewisse, eben so verschleierte Zukunft, als es der durch den Nebel verborgene Ocean ist …
Dieses ernsthafte und tiefe Gefühl erkaltet den Muth nicht, aber es versetzt den gefühllosesten Menschen in eine ernste und schwermüthige Träumerei.
Auch ist der erste Tag einer Abreise am Bord immer traurig, besonders so lange man noch das Land sieht, welches lächelnd erscheint, wie ein Freund, der Euch das letzte Lebewohl sagt; oder zornig, wie ein am Ufer stehender Gläubiger, welcher seinen Schuldner, oder lustig, wie der Schuldner, welcher seinen Gläubiger abreisen sieht; oder in Thränen, wie ein junges Mädchen, welches nur noch die Erinnerung eines eben so süßen als grausamen Fehlers hat … wie alle Fehler eines jungen Mädchens.
Oder … aber die Geschichte dieses wundervollen Prisma, welches so verschiedenartig die Erde färbt, wäre die Geschichte des menschlichen Herzens.
Allein, wenn man einmal auf der offenen See ist, überläßt man sich ganz diesem neuen Leben, mit seinen Zufällen, seinen Gefahren, und diese ewig neu auflebenden Gemüthsbewegungen, von denen man ganz ergriffen ist, gönnen uns kaum die Zeit, uns unsern Erinnerungen hinzugeben.
Ungeachtet seines frivolen Charakters war der Graf diesen Eindrücken nicht entgangen; auch stieg er, nachdem er dem Lieutenant seine Reisebefehle gegeben hatte, in seine Gallerie herab, und dort, auf das blausammtne Kissen gestützt, welches sein vergoldetes Fenster schmückte, warf er einen langen Blick auf die Küsten dieses Frankreich, wo er so viele fröhliche Augenblicke zugebracht hatte, als Monval, durch den Kammerdiener gemeldet, eintrat und ihm sagte:
»Commandant, die Küstenwache verlangt uns die Parole ab …«
»Nun gut, so geben Sie sie, mein Herr,« – sagte Heinrich, ärgerlich, in diesem Augenblicke und in dieser Stimmung gestört zu werden; – »was ist denn das für eine neugierige Wache?« …
»Es ist die, welche man kürzlich auf dem Thurme von Koat-Vën aufgestellt hat, Commandant; sehen Sie, da erblickt man sie von hier.«
Es würde schwer sein, die Wirkung zu schildern, welche dieser Name, in diesem Augenblicke, zu dieser Stunde, in dieser Gemüthsbewegung ausgesprochen, auf Heinrich hervorbrachte; er verzog seine Augenbrauen, grüßte den Offizier mit einer Handbewegung, gleichsam um ihn aufzufordern, ihn zu verlassen, und begann, mit großen Schritten in der Gallerie auf und ab zu gehen. Diese Gallerie, welche von dem Geschmack des Herrn Doquin zeugte, bildete ein langes Viereck, dessen Wände mit einem dichten Stoff von blauem damastartigen Atlas, eingefaßt von breiten Goldleisten, bekleidet waren; ein prächtiger türkischer Teppich bedeckte den Fußboden, und zwei breite Ruhebänke von vergoldetem Holz zogen sich an jeder Seite der mittleren Thür hin, welche durch einen Vorhang von demselben Stoffe wie die Tapete verschleiert wurde. Diesen Ruhebänken gegenüber in der Länge des Zimmers öffneten sich die vier Fenster des Hintertheils vom Schiffe mit ihren Sammetkissen und ihren Drapperien, welche anmuthig über eine Art Pfeil gezogen und von reichgeschmückten goldenen Franzen zusammengehalten waren. An jedem Ende dieser Gallerie sah man eine Spiegelthür; die eine führte in ein Toilettenzimmer, die andere in ein Badegemach. Die besondere Eintrittsthür, welche, wie erwähnt, mit einem Vorhang verschleiert war, bildete den Eingang zum Speisesaal; – links befand sich das Schlafzimmer Heinrichs, welches in nichts dem ausgesuchtesten Putzzimmer nachstand. Endlich ging diesem Speisesaale noch ein erstes Zimmer voran, in welchem sich sein Haushofmeister und seine Kammerdiener aufhielten. An der Thüre dieses Zimmers, in der Batterie, hielten zwei mit Lanzen bewaffnete Matrosen Wache, und Seeleute, auf Bänken sitzend, erwarteten die zu gebenden Befehle des Commandanten. In der Gallerie befand sich über jeder Ruhebank ein durchsichtiger Compaß, an der Deck ausgehängt, damit der Commandant, sitzend oder liegend, immer der Richtung, welche das Schiff nahm, folgen konnte.
Und auf Erhöhungen, welche zwischen den Fenstern aufgestellt und kunstvoll mit Perlmutter, Elfenbein und Silber ausgelegt waren, befanden sich die reichen Waffen Heinrich's, seine Karten, seine Seeinstrumente, eine kleine Sammlung von freisinnigen Werken und Moderomanen, und alle bekannte Werke der Strategie und Seetaktik, sowohl in französischer, englischer als spanischer Sprache; denn Heinrich besaß auch die praktische Kenntniß dieser zwei letzteren Sprachen, da er lange Zeit in den Besitzungen dieser verschiedenen Länder gelebt hatte.
Endlich war inwendig an jedem Fenster ein kleines Behältniß von erhaben ausgemeißeltem Holzwerk, welches die kostbarsten Blumen enthielt, die der treue Germeau mit großer Sorgfalt pflegte; auf Rolltafeln an der Decke mit goldnen Ketten befestigt, glänzte eine ausgezeichnete Auswahl von Porzellan aus Sevres und von böhmischem Krystall, mit ihren Schaalen und röthlichen Löffeln.
Endlich verdienen der Erwähnung noch die leichten chinesischen Vorhänge, besäet mit Cardinalvögeln mit blendendem, scharlachrothen, silberfarbigen und blauen Gefieder; diese Vögel schienen lebendig und an den wohlduftenden Blättern der Blumen zu schweben, von welchen jedes Fenster schimmerte. Unter den Zimmern sämmtlicher Kriegsschiffe, so schön sie auch ausgeschmückt sein mochten, konnte keines dieser zierlichen Pracht gleich kommen. Nur Heinrich hatte bei seinem bedeutenden Vermögen in diesem kleinen Raume einen so geschmackvoll ausgesuchten Luxus entfalten können.
Gestützt also auf eines der Fenster dieser glänzenden Gallerie begann Herr von Vaudrey, des unruhigen Auf- und Abgehens überdrüßig, den Thurm von Koat-Vën zu beobachten, welchen man, ohngeachtet des zunehmenden Schattens der Nacht, an der Küste erblickte.
Denn in der That bei dem Anblicke dieses Thurms, welcher ihm so plötzlich die Erinnerung an das Abenteuer mit der Herzogin zurückrief, hatte Heinrich, wenn auch nicht bitterer, doch wenigstens trauriger Gedanken sich nicht enthalten können, … Gedanken, deren Trauer süße und wehmüthige Erinnerungen zugleich in ihm zurückließ.
Denn, wie schon erwähnt, empfindet man niemals schmerzliche Qualen bei dem Gedanken, daß man durch seine Unbeständigkeit oder seine Verachtung einer Frau den Kummertod bereitete.
Diese schrecklichen Qualen würden vielmehr den peinigen, welcher glauben müßte, die Verlassene tröste sich über seine Unbeständigkeit und Verachtung, und befinde sich in einem eben so langen als fröhlichen Leben vollkommen glücklich.
Aber was ich hier von den Männern sage, ist noch in höherem Grade auf die Frauen anwendbar; denn nach einem ungetreuen Geliebten verabscheuen sie in der Welt nichts mehr, als einen getrösteten Liebhaber.
Kurz, die Sonne war seit langer Zeit am Horizont verschwunden, und noch immer blickte der Graf nach Frankreichs Küsten.
Aber Heinrich war nicht der Einzige, bei welchem der Thurm von Koat-Vën Betrachtungen und Erinnerungen erweckt hatte.
Auch Rumphius, der so viele Nächte auf dessen Platform zugebracht, um die Gestirne zu beobachten!
– Und Sulpiz, der gute Sulpiz, welcher dort eben so oft über seinem Bruder gewacht.
– Endlich Rita und ihr Stallmeister.