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Du bist ein von Arglist erfülltes Geschöpf.
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Mein Gott, Mein Gott! Was ist zu thun,
Herr Burin?
Burke, das thörichte Weib.
Seit acht Tagen war die Sylphide von Brest ausgelaufen und kam rasch vorwärts, denn der Nord-West ließ nicht nach, ihren Lauf zu begünstigen.
Obgleich sie sich ziemlich nahe bei den Gewässern befand, welche als Versammlungspunkte der englischen Kreuzer dienen, so hatte sie doch noch kein feindliches Schiff gesehen.
Aber, ach! besser wäre es für die Fregatte gewesen, zehn Linienschiffen zu begegnen, sich von Feuer und Flammen umgeben zu sehen, oder in das Meer zu versinken, als diese todtenähnliche und eisige Ruhe zu genießen, welche sie einem unermeßlichen Grabe ähnlich machte.
Denn Perez hatte den Plan Rita's ausgeführt.
Da eine ziemlich starke Dosis von Tscheltik unter das Mehl, woraus man das Brot für das Schiffsvolk buk und in den Branntwein, den es trank, gemischt worden war, so hatten sich bald schreckliche Symptome gezeigt …
Am Morgen des achten Tages endlich versammelte Heinrich einen Rath, bestehend aus dem Lieutenant, dem Doctor und dem Abbé.
Das Gesicht Heinrichs, gewöhnlich so lebhaft und so fröhlich, verrieth ein Gefühl von Kummer und tiefer Niedergeschlagenheit.
Der Lieutenant und der Doctor schienen ganz in sich versunken zu sein, der Abbé allein behielt seine angeborne Ruhe und Kaltblütigkeit.
Als Jeder Platz genommen hatte, – sagte Heinrich: »Meine Herren, – seit drei Tagen besonders wird das Schiffsvolk von einer unerklärlichen Krankheit ergriffen, was denken Sie davon, Herr Doctor? und welche neue Beobachtungen haben Sie über diese befremdende Epidemie angestellt?«
»Ich denke, – Herr Commandant,« sagte der Doctor Gédeon, welcher unter diesen ernsthaften Umständen die Politik und Philosophie ganz zu vergessen schien, – »ich denke, daß dies eine unbegreifliche Krankheit ist, deren Wirkungen ich zwar sehe, aber deren Ursachen mir unerklärlich sind; was ich bei den Kranken bemerkt habe, ist: daß sie mit einer großen Müdigkeit, mit Kopfschmerzen und Schwindel begonnen hat; am andern Tag traten Verzuckungen ein, Verlust des Appetits und ein glühender Durst; den Tag nachher zeigte sich eine außerordentliche Schwäche und ein Schlaf, beunruhigt durch fürchterliche Träume … heute dauern dieselben Zufälle fort, aber heftiger; so viel habe ich beobachtet, Herr Graf; … aber, was ich fürchte, ist, daß die Krankheit sich verschlimmert, denn es herrscht bei unsern Leuten eine große Abstumpfung; mit Mühe nur kann ich sie bewegen, ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen. Das Sonderbarste ist, daß alle gesunde Matrosen von dieser Krankheit ergriffen, fünf oder sechs Kranke aber, welche das Bett hüten, und die ich in strenger Diät halte, davon ausgenommen sind.«
»Es kann dieses Uebel doch unmöglich von verdorbenem Wasser herrühren?« fragte der Commandant; »denn, kaum seit acht Tagen eingeschifft, muß es so gesund als möglich sein.«
»Ohne Zweifel« – nahm der Doctor das Wort, – »ist das Wasser vollkommen gut und klar; – Sie haben übrigens so gut wie wir, Commandant, bei unserm Besuch in der Bodlerei gesehen, daß die Lebensmittel vortrefflich waren, und daß der Proviantmeister, dieser Spanier, nichts vernachlässigte, um das falsche Verdeck zu lüften, und sich alle erdenkliche Mühe gab, die Vorräthe vor Verderbniß zu schützen; noch ein Mal, Commandant, ich kann nicht klug daraus werden …«
»Und Sie, Lieutenant, was sind Ihre Bemerkungen?« sagte Heinrich; – »wie ist das Schiffsvolk in moralischer Hinsicht beschaffen?«
»Herr Commandant, kaum haben wir genug Leute, um die Fregatte unter dem kleinen Segelwerk manövriren zu lassen. Sie sind wie entnervt, ohne Muth und ohne Kraft; und selbst die Bande der Disciplin scheinen nachzulassen. – Ich bin außerdem durch die Polizei des Schiffs unterrichtet, daß eine dumpfe Reizbarkeit, ich weiß nicht welcher Art, herrsche, deren Gegenstand ich nicht kenne; aber besonders unter einer gewissen Anzahl von Matrosen, welche nächtliche Vereine bilden, von denen ich bis jetzt weder den Ort noch den Zweck habe entdecken können. Da man oft Drohungen, Verwünschungen gehört hat, so habe ich geglaubt, einigen auserwählten Mast-Wächtern Befehl geben zu müssen, ungeachtet ihres kränklichen Zustandes auf der Hut zu sein, in dem Falle, daß die Rebellen etwas gegen den Stab versuchen sollten.«
»Und Sie, mein Herr Abbé, können Sie uns einige einzelne Fälle mittheilen oder sonst einen guten Rath geben?«
»Das, was ich wissen könnte, wäre mir unter dem Siegel der Beichte anvertraut worden, Herr Graf, und es ist mir nicht erlaubt, es zu entdecken,« – sagte der Schiffsprediger.
»Alle Teufel! – mein Herr,« rief der Lieutenant, »es handelt sich hier nicht um Heuchelei, Scheinheiligkeit und Verstellung! es gilt das gemeinschaftliche Wohl, dieses gilt …«
»Was den guten Rath betrifft,« – fuhr der Abbé fort, ohne daß er die Unterbrechung des Lieutenants zu bemerken schien, – »was den guten Rath betrifft, Herr Graf, – wenn die unglückliche Lage, in der sich die Equipage befindet, von einer physischen Ursache herrührt, so ist das Sache des Arztes; ist die Ursache eine moralische, so kommt es Ihnen zu, sie durch den Einfluß zu bekämpfen, den Sie über den Geist Ihrer Seeleute besitzen müssen. Ich werde mich übrigens beeilen, Herr Commandant, in den verdrießlichen Umständen, worin sich die Equipage befindet, zu Hülfe zu kommen und durch die Lehren einer Religion beruhigen, welche aus Hoffnung und Ergebung besteht.«
»Und ich, Herr Commandant!« rief der Doctor Gédeon, erfreut, eine Gelegenheit zu finden, den Abbé, welcher nie mit ihm sprach, zu ärgern und ihm einen Hieb zu versetzen, »ich erkläre Ihnen, daß ich mich nicht mehr mit meinen Kranken abgebe, wenn der Herr Abbé sich das Ansehen giebt, sie durch seine Possen und seine Thorheiten von Religion erschrecken zu wollen; so lange sie am Leben sind, gehören sie mir; einmal todt, mache er mit ihnen was er wolle. Denn, da es nach dem Tode weiter nichts mehr giebt, als Materie, wie die Religion nichts ist …«
»Schweigen Sie, mein Herr!« – sprach Heinrich mit strengem Tone, indem er den Doctor unterbrach, dessen wüthendes Gespräch nicht vermochte, den Abbé außer Fassung zu bringen, – »schweigen Sie; – was Sie da sagen, ist äußerst unschicklich. Der Herr Abbé bürdet Niemandem seinen guten Rath auf. Die, welche Zuflucht zu ihm nehmen, schätzen sich sehr glücklich, ihn zu finden; was Sie betrifft, so werden Sie meine Matrosen pflegen, weil Sie dazu hier sind. Sie verstehen mich, mein Herr, und wenn Sie sich noch einmal erlauben, in meiner Gegenwart und so unanständig einen so ernsthaften und hohen Stand zu beleidigen, als den des Herrn Almoseniers, so werde ich gezwungen sein, Sie zu bestrafen, mein Herr, und zwar mit Strenge …«
»Es scheint mir, Herr Commandant,« – sagte Jean Thomas, – »daß ein solcher Streit die Grenzen der Disciplin überschreitet, und daß, wenn der Schiffsprediger nicht zufrieden ist, … derselbe …«
»Das scheint Ihnen sehr zur ungelegenen Zeit, – mein Herr,« – sagte Heinrich, indem er Thomas unterbrach, – »und ein für alle Mal wissen Sie, ich dulde nie, daß Jemand sich die geringste Bemerkung über meine Worte und Handlungen erlaube. Ich habe schon, Herr Thomas, Zeichen von Unzufriedenheit und übler Laune an Ihnen wahrgenommen. Damals waren Sie nur kindisch, allein in der verdrießlichen Lage, in der wir uns jetzt befinden, würde das geringste Zeichen des Ungehorsams ein sehr gefährliches Beispiel geben; auch bedinge ich mir Gehorsam ohne Widerspruch, in all und jeder Hinsicht, mit einem Wort: Gehorsam ohne alle Zögerung, – sonst, mein Herr, werden Sie mich hart und streng finden!«
»Ich weiß, daß der Herr Commandant das Recht hat, mir Arrest zu geben,« sagte Thomas mit ironischer Miene – »Arrest, obgleich ich 40 Jahre alt bin; aber unglücklicherweise verändern die Bestrafungen ein Kind von diesem Alter nicht mehr!«
Heinrich antwortete kalt:
»Wenn ein Kind von dreißig Jahren sich nicht ändert, wissen Sie, was einem Commandanten, dem man nicht gehorcht, zu thun übrig bleibt, Herr Thomas? Wenn man ihm nicht in der Minute, in der Secunde gehorcht; wissen Sie es …?«
»Das hängt« – sagte Thomas mit unverschämter Miene.
»Das hängt in der That von dem Charakter ab, also nach dem meinigen, mein Herr, werd' ich Ihnen bei dem geringsten Zeichen des Ungehorsams von Ihrer Seite eine Kugel durch den Kopf jagen.«
»Tod und Teufel, … Commandant, das müßte ich sehen,« rief Jean Thomas, indem er wüthend aufsprang, – wider seinen Willen über die Grenzen der Achtung und des Gehorsams fortgerissen, welche er einem Vorgesetzten, wer er auch sein mochte, stets bezeigte; allein er theilte den Zustand des Leidens und des allgemeinen Elends, von dem der Graf allein ausgenommen zu sein schien.
»Setzen Sie sich, mein Herr,« sagte Heinrich mit der größten Kaltblütigkeit von der Welt, »die Sitzung ist noch nicht aufgehoben.«
Hierauf sich an den Doctor und den Schiffsprediger wendend, welcher Letztere gefühllos bei dieser Scene geblieben war, – eben so gefühllos, als wenn sie ihn gar nichts angegangen wäre, – nahm der Graf das Wort:
»Fahren Sie fort, meine Herren, sorgsam über das Schiffsvolk zu wachen; berichten Sie mir über die geringsten Zufälle, und suchen Sie besonders, ich bitte Sie, meine Herren, die Moralität unserer Matrosen zu befördern. Herr Doctor, ich habe meinem Haushofmeister Befehl ertheilt, meinen Keller und meine Speisekammer zu Ihrer Verfügung für die Kranken zu öffnen; vernachlässigen Sie nichts, ich empfehle es Ihnen nochmals, und suchen Sie uns aus dieser verhängnißvollen Lage zu ziehen. Meine Herren, die Sitzung ist aufgehoben. –«
Man stand auf.
»Tausendmal Verzeihung wegen jenes unschicklichen Ausfalls des Doctors,« sagte der Graf zum Abbé, welcher vortrat, um sich ihm zu empfehlen.
»Der Herr Graf sind zu gütig,« erwiederte dieser, »aber ich habe nichts von Allem verstanden; ich spreche diese Sprache nicht.«
Und er ging hinaus, begleitet von dem Doctor, welcher sagte:
»Aha! er spricht vielleicht gar türkisch …«
Der Lieutenant wollte sich zurückziehen, als der Graf zu ihm sagte:
»Sie werden 14 Tage in Arrest gehen; mein Herr.«
Thomas machte eine Bewegung, die er aber gleich wieder unterdrückte, zurückgehalten durch seine unwillkürliche Achtung für die Disciplin; aber eine Thräne des Zorns und der Demüthigung zitterte in seinen Augen.
Heinrich wurde es gewahr, und sagte zu Jean Thomas, indem er ihn an die Thür der Gallerie zurückbegleitete:
»Herr Thomas, wenn einer meiner Officiere sich ungerecht bestraft glaubt, so nehme ich keinen Widerspruch an, so lange er an meinem Bord ist; – doch bin ich nach vollendeter Expedition stets gewöhnt, meine Epauletts in die Tasche zu stecken, um für das Unrecht, das ich unwillkürlich zugefügt haben könnte, Genugthuung zu geben. –«
»Ich danke Ihnen für dieses Anerbieten, Commandant; allein ich habe meiner Mutter den Schwur gethan, niemals den Degen aus Rache, oder wegen einer persönlichen Genugthuung zu ziehen. – Sie legen mir den Arrest auf, – es steht in ihrer Macht; – ich werde mich demselben unterwerfen, weil ich muß. –« Er grüßte den Commandanten und entfernte sich.