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Die Wahrheit wechselt nicht: Wer von Euch oder von Uns hat sich verändert?
Abbé de la Mennais, vermischte Schriften. – Von der Opposition.
Sicher hat der Leser die Beschreibung der kleinen Wohnung der Witwe Thomas noch nicht vergessen; in jenem Zimmer ereignete sich nun folgende Scene.
Das Gesicht der Witwe, das sonst gewöhnlich so heiter und ruhig war, verrieth einen Zustand wilder Unruhe; heiße Thränen rollten in den Runzeln ihrer Wangen herab, ihre Hände zitterten, und neben ihr lag der umgeworfene Rocken, ein sprechender Zeuge von der schrecklichen Begebenheit, die so eben hier Statt gefunden hatte.
Vor ihr auf den Knien, sie mit beiden Armen umklammernd, und ihr Haupt in der Witwe Busen bergend, wand sich ein junges Weib mit wild flatternden Haaren, und stieß unarticulirte Seufzer aus.
Pauline war's, die Frau des Capitän Jacob Lerouge.
Am andern Ende des Zimmers saß Jean Thomas auf einem Sessel, und heuchelte, mit gekreuzten Armen, eine Kaltblütigkeit, die aber seine Blässe Lügen strafte. –
»Beruhige Dich,« begann die Witwe zu dem unglücklichen Weibe, – »beruhige Dich, mein liebes Kind; mein Sohn kann nicht so grausam sein, – glaube mir; – und dann habe ich auch zweitens, –« fügte sie ganz leise hinzu, – »an seinen Commandanten geschrieben; er wird kommen und ihn von dieser Abscheulichkeit abhalten! –«
»Ach, gute Mutter! –« rief das unglückliche Weib und erhob das schöne, in Thränen gebadete Gesicht, – »ach, gute Mutter, mein Mann würde mich umbringen – Sie kennen seine Heftigkeit nicht; – er würde mich sicherlich umbringen.«
»Dann würde der Ehebruch gehörig bestraft sein,–« rief Thomas mit dumpfer Stimme.
»Mein Gott! – mein Gott! – Herr Thomas, warum wollen Sie so hart an mir handeln? – Ich habe Ihnen ja nichts gethan, –« rief bittend Pauline.
»Ich thue Ihnen nichts. Ich weiß, daß Sie ein Verbrechen begangen haben, und muß es meinem Freunde sagen; das ist meine Schuldigkeit, und die will ich thun.«
Das arme Weib sank wieder auf der Witwe Knie nieder, und brach von Neuem in ein herzzereißendes Klaggeschrei aus.
»Du bist also ganz fühllos, Thomas?« rief die Witwe. – »Du hast kein Herz im Leibe, da der Anblick solchen Elends Dich nicht rühren kann, und Du in Deiner Grausamkeit dies arme Opfer seinem Henker überliefern willst? –«
»Muth, liebe Mutter, – Muth; so ist's schön,« rief Jean Thomas; »wohlan, – Du, die Du stets den Namen des lieben Gottes im Munde führst, – vertheidige jetzt den Ehebruch, und zürne einem Biedermann, der seine Pflicht thut –«
»Deine Pflicht, – Thomas, – Deine Pflicht! Aber giebt's denn gar keinen Mittelweg zwischen der tollen Strenge, die Du Dir angeeignet hast, und einer sträflichen Mitverschuldung? – Wer gab Dir Fug und Recht, Deines Freundes Weib bekehren zu wollen? Versuch' es, Herr, aber laß dies unglückliche Weib nicht ermorden, ohne ihr Zeit zur Reue zu geben. Wenn Du ein Herz im Busen hättest, würde Dich dieser Anblick rühren.«
»Mit meiner Pflicht verfeinde ich mich nie, meine Mutter.«
»Deine Mutter? – ja, Deine Mutter, die sich aber schämt, daß sie einem so entarteten Geschöpfe, wie Dir, das Leben gegeben hat. –«
»Schäme Dich denn, daß Dein Sohn ein rechtlicher Mann ist, schäme Dich, daß seine Tugend so fest und unerschütterlich steht … Ich bin der Enkel eines Fischhändlers am Hafen, nicht wahr, liebe Mutter? –« rief Thomas mit einem tückischen und bittern Lachen. »Nun denn, für so einen Lump, für so eine Bürgerseele, ist bloß die Tugend der Adel; und bei Gott im Himmel, darin kann ich mich so adlig, wie ein Montmorency, nennen. Sagt man auch nicht: Thomas der Edelmann, Thomas der Herr, Thomas der Wilde, Thomas der Freche, so sagt man doch: Thomas der Biedermann. Das ist allerdings ein Unglück für Dich, Mutter, aber es ist einmal so.«
»Ich aber sage, nicht Liebe und Tugend treibt Dich zu dieser That, sondern ein schrecklicher Haß, den Du gegen Alles hegst, weil Du Alles beneidest. Ja, Deine Wuth fordert ein Opfer; weil der Stolz Dich quält, muß Deiner eignen Schmerzen Ausbruch einen Andern treffen, und die Tugend dient Dir zum Vorwand. Ja, ich sage es, Du entweihst dies Wort, und wenn Du nur das geringste Gefühl für Religion und dies himmlische Buch hättest,« fuhr sie fort, und zeigte auf die Nachahmung Jesu Christi, »würdest Du wohl Mitleid und Milde gefühlt haben. Sieh, Sohn, lies, was der gebeut, der für unser Heil starb, – lies: Ihr habt nicht für Andere zu stehen, sondern bloß für Euch selbst. – Was ängstigt Ihr Euch denn?«
»Mein Gewissen zeigt mir meine Pflicht, Mutter, und nicht diese, wer weiß von wem, geschriebenen todten Buchstaben, –« rief Thomas verächtlich; – »ein Verbrechen ist geschehen, der Schuldige wird büßen; das ist gerecht. – Meines Freundes Glück und Ehre vor Allem, liebe Mutter.«
»Aber, Unglücklicher,« rief die Witwe, »Du denkst nicht an Deines Freundes Glück, wenn Du so handelst, denn da er gar nichts weiß, da er seinem Weibe traut, weshalb willst Du ihm dies schreckliche Geheimniß entdecken? Ja, glaube mir, Sohn, durch diese Lehre hinlänglich bestraft, wird das arme Weib zu ihrer Pflicht, zu ihrem Selbst zurückkehren; ich verspreche es Dir; – darum sage nichts, und der Friede dieser Ehe bleibt ungestört. Thomas, lieber Sohn, Deine Mutter bittet Dich darum; erspare dieser Unglücklichen den Tod, ihrem Manne ein Verbrechen, und Dir schreckliche Gewissensbisse.«
»Du scherzest, Mutter; Gewissensbisse? – Mein Benehmen, mag die Prüfung noch so schwer kommen, soll stets das eines Biedermannes, wenn auch etwas hart, sein.«
»Ach, Herr Thomas! –« rief Pauline, und rutschte auf den Knieen bis vor des Seemanns Füße, – »Herr Thomas, ich that Unrecht, ich weiß es, schweres Unrecht; – mein Vergehen ist nicht zu entschuldigen, ja, ich bin eine Elende, die Verachtung, aber nicht den Tod verdient! Mitleid! – Herr Thomas! – sagen Sie es nicht; ich schwöre Ihnen bei Gott, – bei dem Leben Ihrer Mutter, – ich will mein Leben, mein ganzes Leben der Reue weihen, und meinen Mann, soviel ich kann, zu beglücken streben; ohne Murren will ich Alles von ihm dulden. Ach, Herr Thomas! Barmherzigkeit!–«
»Für das Verbrechen giebt's keine Barmherzigkeit; rein mußten Sie bleiben, – so konnten Sie sich diese Qualen ersparen. Jetzt ist's zu spät, –« rief Thomas hart.
»Aber ein unglückliches Weib dem Tode zu entreißen, Herr Thomas, ist's noch nicht zu spät,« rief Pauline mit dem Ausdruck des wildesten Schmerzes, und rang die Hände, – »denn Sie wissen ja, er wird mich umbringen, wenn er erfährt –«
– »Sie waren eine Ehebrecherin, und mein Freund soll das erfahren. Das Uebrige geht mich nichts an, also sparen Sie ihre Bitten. – Noch ein Mal, ich werde meine Pflicht thun.«
»Ach, mein Gott, so bleibt mir denn nichts mehr übrig, als der Tod! –« rief das Weib des Capitäns und stürzte ohnmächtig zu Boden.
Da sprang die Wittwe, trotz ihres hohen Alters, der Unglücklichen zu Hülfe, und rief, Hände und Augen zum Himmel gewendet: – »O, du mein Gott! Vergieb dem Unsinnigen all das Unglück, das er angerichtet hat.«
»Unsinnigen! Ja, der brave Mann ist das, es ist wahr. So denkt die Welt. Aber ich bin kein Weltmann,« rief Thomas bitter.
»Geh, geh von dieser Stätte, hörst Du? – Verlaß mein Haus, Bube, –« rief die Witwe und wies Thomas die Thür.
»Ich bin hier in meines Vaters Haus, –« versetzte der Lieutenant.
»Wenn Du nicht augenblicklich gehst, so rufe ich um Hülfe, Du böses Kind.«
»Böses Kind? Etwa, weil ich zu dem Verbrechen sagte: du bist das Verbrechen? Böse, weil ich meine Pflicht als Biedermann erfüllte? – Aber, wahrlich, Mutter, das hohe Alter macht Dich zur –«
»Das hohe Alter macht mich zur Närrin? das hohe Alter macht mich verrückt? nicht wahr? –« unterbrach ihn die Witwe. – »Ha, Du beleidigst Deine Mutter! Nun, so sei verflucht, Unglücklicher! Sei verflucht!«
Da öffnete sich die Thür, und der Graf trat herein.