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Diese Überraschungen der Traurigkeit, diese kurzen Ausschweifungen der Einbildungskraft, helfen mir gewissermaßen, das Unglück von einer Schulter auf die andere zu nehmen, und dadurch die Last minder druckend zu machen.
Baron von Haussez, Philosophie der Verbannung.
Bodlerei heißt der Theil des falschen Verdecks, welcher sich über dem ersten Plan des untersten Schiffsraumes schließt, unter der Luke des Vordertheils gelegen.
Von diesem Orte aus werden Lebensmittel an das Schiffsvolk vertheilt. Hier wohnt auch gewöhnlich der Schreiber des Proviantmeisters.
Die Bodlerei ist ein düsterer, finsterer, schmutziger Ort, ansteckend gemacht durch die Ausdünstungen der darin eingeschlossenen Lebensmittel; ein erstickender Raum, wohin die Luft und das Tageslicht niemals dringen; ein schmales und feuchtes Gefängniß, dessen Wände unaufhörlich von den Wogen gepeitscht werden, welche sich an seinem Vordertheile brechen.
Hier war es, wo Rita und Perez seit sechs Tagen in einem kleinen, niedrigen, kaum acht Schuh langen Zimmer mit einander wohnten.
Die Herzogin, in männlicher Kleidung, lag auf einer Pritsche; Perez, zu ihrem Haupte sitzend, schien ihr seine Sorgfalt zu widmen; denn durch das Luftloch dieser Art von Keller hatte auch die unglückliche Herzogin, wie Heinrich, ja in demselben Augenblicke mit ihm, den Thurm von Koat-Vën gesehen, welcher ihr, weiß an dem durch die annähernde Nacht verdunkelten Himmel hervortretend, wie ein Gespenst in seinem Leichentuch erschienen war.
»Ich fühle mich besser, Perez,« sagte die Herzogin, … »besser …; allein ich konnte der schrecklichen Gemüthsbewegung nicht widerstehen, welche der Anblick dieses verwünschten Thurms in mir erweckte … ach … Perez … Perez, wer hätte mir gesagt, als ich vor sechs Monaten so glücklich, mit so vieler Freude im Herzen dorthin kam, um ein Wesen zu trösten, welches ich leidend und verlassen glaubte; als ich mir eine so schöne Zukunft träumte, als ich mich zum ersten Mal aufleben fühlte … ach! Perez, wer hätte mir da gesagt, daß ich heute diese Orte wiedersehen sollte, aber vergessen, verwelkt, häßlich, unbekannt, schiffend auf diesem Meere, auf welches wir, er und ich, so oft unsere Augen gerichtet hielten, wenn wir von unsrer Liebe sprachen; auf diesem Meere, welches wir so schön und so groß fanden, dessen Rauschen unsere Küsse unterbrach! Ach! welch schrecklicher Gedanke, Perez … wie ist es möglich, daß ich bei Sinnen bleibe … Wenn ich den Verstand verlöre …«
Die Herzogin schwieg jetzt, nahm aber bald wieder mit bewegter Stimme das Wort:
»Ach! ich leide, … ich ersticke … mein Gott, wie ist die, Luft, die man hier einathmet, so verpestet und schwer!« – und mit herzzerreißendem, schmerzvollen Tone rief sie aus:
– »Ach, mein Schloß Kervan, meine grünenden Wiesen, meine schattigen Wäldchen, o Madrid! fein Prado! seine schönen Sommernächte! o mein fast königliches Leben! … meine Ländereien … meine Paläste … wo seid ihr? … Aber was sage ich? … Wozu diese Klagen … gehört nicht dennoch alles dies noch mir? … Bin ich nicht fortwährend die Herzogin von Almeda, und was hilft mir eine fruchtlose Rache? … Ich werde diesen Menschen durch einen meiner Diener tödten lassen, und dann wird es beendigt sein; ich werde meinen Rang, meine Titel wiederfinden; ich werde nicht mehr mit Dirnen ins Gefängniß geworfen, nicht mehr mißhandelt, noch durch Soldaten im Kothe herumgeschleppt werden; ich werde nicht mehr in einem Schiffe mit Matrosen eingeschlossen sein; ich werde die Sonne sehen, Bäume; ich werde mein Haus, meine Edelleute, meine Frauen wie ehemals haben, weil ich immer noch die Herzogin von Almeda bin, ich,« rief Rita in wahnsinniger Begeisterung. –
… Denn die neuen Gemüthsbewegungen, die sie niedergedrückt, die Klagen, der Haß, die Leiden hatten für einen Augenblick ihre Vernunft zerrüttet.
»Die Frau. Herzogin von Almeda ist todt, edle Frau; … todt, … hört Ihr?« – sagte Perez mit dumpfer und hohler Stimme in der unbiegsamen Kaltblütigkeit, die ihn charakterisirte.
Diese wohlbekannte Stimme brachte Rita wieder zu sich selbst, und ihre abgezehrten Hände fest auf ihre Stirn drückend, sprach sie: –
»Ach! verzech, Perez, ich verirrte mich, ich stieß Klagen aus; aber nach Allem, was ich gelitten habe, ist dies einer armen Frau wohl erlaubt, nicht wahr? … Aber, sieh' doch, nach meinen Klagen zu urtheilen,« – fügte sie mit einem bittern und in sich verschlossenen Lächeln hinzu, – »fleh' doch! daß ich wohl von Gott begeistert gewesen bin, mich für todt auszugeben und meine Züge zu verändern … als Herzogin und in meiner Schönheit, siehst du wohl, hätte ich die schrecklichen Qualen nicht ertragen … Bei dem ersten Versuche würde ich feig meine Rache aufgegeben, ich würde ihn nur getödtet haben; während ich, je mehr ich leide, je mehr ich ertrage, mich desto weniger entschließen kann, ihn zu tödten. Ihn tödten! Ihn tödten … was wäre dies im Vergleich zu meinen Leiden, … zu meinen Leiden, und dann ist es noch immer Zeit dazu.
»Nein, nein, erst muß er entehrt, verrathen, gemartert werden, und das Gift, welches wir in die Lebensmittel seines Schiffsvolks mischen, soll zu diesem Ende führen: … Ach! ich bin dessen gewiß, … sieh', Perez, lies noch ein Mal,« sagte die Herzogin, indem sie das Buch des Jose Ortez aufschlug und Perez jene Zeilen zeigte:
»Und ihre Gesichter wurden braun und blau, und ihr Schlaf war von fürchterlichen Träumen beunruhigt; sie verloren ihre Kräfte und die Fröhlichkeit; aus Tapfern wurden sie Feige, ihre jungen Hände zitterten wie bei Greisen, sie wurden mager und wie Gespenster, ihre verirrten Augen rollten in ihren Höhlen, und sie starben in einem fürchterlichen Wahnsinn.«
Sie schlug das Buch mit Heftigkeit zu: – »Sage, Perez, wenn diese Unglücklichen sich auf solche Weise überfallen sehen, und er allein davon befreit sein wird, welche Rache werden sie nicht an ihm nehmen, … welche schreckliche Ideen wird der Aberglaube nicht in diesen rohen Leuten erwecken? Und dann, siehst Du, Perez, nicht meine verschmähte Liebe allein fordert jetzt Rache, nicht nach diesem Menschen sehne ich mich, … nein, nach meinem Namen, nach meinem Vermögen, nach meinem prächtigen Leben, kurz nach meinem Wohlsein, meinem Wohlsein, dessen ganzen Werth ich jetzt erst erkenne, da ich in Elend und Schmach lebe. Es ist fürchterlich, es ist feig, es eingestehen zu müssen; aber es ist wahr: Ich habe zu viel auf meine Kräfte vertraut; ich war nicht rein genug zu einer solchen Rache, oder vielmehr, er ist derselben nicht würdig, er –
»So viele Klagen um ihn allein, wären zu ehrenvoll für ihn … sollte ich ihn bedauern, und dieses schmutzige und entehrende Leben, welches ich führe, für nichts rechnen? Nein, nein, alles dies, Perez, alles dies gilt jetzt eben so viel und mehr vielleicht noch in meiner Wuth, als sein schändlicher Verrath. Der Bach ist zum Strom geworden, Perez, ein Strom, der in seinem Laufe Alles mit sich fortreißen wird; … denn wenig liegt mir an den Mitteln; ich will mich schrecklich rächen … schrecklich, weil ich Alles geduldet, Alles ertragen habe; Alles ertragen, Perez, den Druck der Fesseln, den Koth, den man mir ins Gesicht warf, die Schläge, die man mir gegeben, mir, Perez; … Deiner Gebieterin … Schläge! … mir! … Hölle, Fluch, o! Aber wenn es nicht ein unsäglicher Genuß wäre, gegen das, was ich ihm bereite, … so würde ich ihm das Herz ausreißen, diesem Menschen, um es zu verschlingen … ganz blutend …«
Und Rita, sich halb erhebend, ihre Arme ausstreckend, war scheußlich anzusehen … ihre wildumherblickenden Augen rollten in ihren Höhlen … und schmerzliche Zuckungen bewegten ihre Glieder.
In diesem Augenblicke hörte man eine Glocke anschlagen; – es war die Glocke zum Abendgebet.
»Was ist das, Perez?« sagte Rita, welche der Schall wieder zu sich brachte.
»Es ist die Stunde des Gebets, edle Frau; denn diese Leute da beten …«
»Wohlan, ich, ich werde auch beten,« rief die Herzogin; – »aber ich werde zu Satan beten, zu dem Gotte des Bösen. Satan, du, der einzige und wahre Gott dieser schändlichen Welt, denn der andere ist ein grausamer Spott, ich flehe Dich an … Satan, ich habe mich Dir ergeben, … verlaß mich nicht, Satan!«
Und Rita kannte sich selbst nicht mehr.
»Beruhigt Euch, edle Frau, beruhigt Euch,« sagte Perez, »ich höre Jemanden.«
Und Perez, eine Schiffslaterne ergreifend, stürzte nach der Thür, öffnete sie, … aber er sah nichts.
Die Finsterniß des falschen Verdecks blieb stumm. Als er zu Rita zurückkam, fand er sie wie vernichtet in gänzlicher Entkräftung, welche, als Folge ihres aufgeregten Zustandes, etwas Ruhe in die Sinne der unglücklichen Frau brachte.