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II.

Valerie.
O, auf mein Wort, er ist in Allem der Sohn seines Vaters; ich schwöre darauf, daß er ein hübsches Kind ist.

Shakespeare, Coriolan, A. I. S. 3.

Daß der Handel das verbindende Band der Menschen ist.

Der Graf war kurze Zeit in Brest, und wohnte, wie schon gesagt, in seinem Hause am Place d'Armes. Eines Tages nun unterhielt sich Heinrich mit dem Tapezier, der die Gallerte der Sylphide zu decoriren hatte.

Dieser Handwerker war Herr Doquin, geschworner Meister seines Standes; in seinem ganzen Wesen herrschte Biederkeit, Einsicht und Rechtlichkeit; nur seine Augen schienen von kürzlich vergossenen Thränen geröthet; er mochte ungefähr 50 Jahre zählen, und stand ehrerbietig vor dem Grafen, seine letzten Befehle anhörend.

»Die chinesischen Jalousien,« sprach Heinrich, »sollen Sie spätestens bis morgen haben, so wie auch die indischen Zeuge zu den Fenstervorhängen. – Doch empfehle ich Ihnen die größte Schnelligkeit, denn wir können jeden Augenblick unter Segel gehen.«

»Der Herr Graf dürfen auf meinen Eifer rechnen.«

»Halt, – auch ist noch eine Rollkette nöthig, woran man ein Räucherkesselchen in dem kleinen Badegemache aufhängen kann, das ich an Bord habe; und auch die Blumenkisten darf man nicht vergessen zwischen die Fenster zu setzen.«

»Ich nehme mir die Ehre, dem Herrn Grafen bemerkbar zu machen, daß die Kisten schon seit diesem Morgen an Ort und Stelle sind.«

»Das ist schön, Herr Doquin; aber haben Sie vielleicht auch die Rechnung da, worum ich Sie so oft gebeten habe?«

»Weil der Herr Graf gütigst selbst davon zu sprechen anfangen, ist sie hier; sie beträgt 3200 Livres; doch wenn ich es wagen dürfte, möchte ich eine Bitte an den Herrn Grafen thun.«

»Thun Sie es, Herr Doquin.«

»Ich bin in der Gefahr, morgen schon ruinirt zu werden, Herr Graf; ich bin das Opfer eines schrecklichen Bankerott's, und wenn ich bis morgen nicht 10,000 Livres auftreiben kann, bin ich beschimpft, und was noch schlimmer ist, Herr Graf, muß zwanzig Arbeitern den Stuhl vor die Thür setzen; und beim jetzigen Elend und der Kälte – Herr Graf, – der Gedanke ist schrecklich.«

Es lag in der Rede dieses Unglücklichen solch' ein treffender Ausdruck des Grams, daß der Graf nicht ungerührt blieb, denn er fühlte wohl, daß dies ein wahres Unglück, das Unglück eines Biedermannes war, der nur erst im Augenblicke des Verderbens fremdes Mitleid anruft.

Heinrich schrieb einige Worte auf ein Papier, brach es zusammen, und gab es Herrn Doquin, mit den Worten: »Da ist eine Summe von 500 Louisd'or auf meinen Banquier in Brest, Herrn Gérard; Sie werden sie für spätere Arbeiten mit in Rechnung bringen. Glücklich schätze ich mich, einem Biedermanne, wie Sie, eine Gefälligkeit zu erweisen, Herr Doquin.«

»Man hat mich also nicht getäuscht, als man mir Ihren Edelmuth rühmte, Herr Graf; mein armes Söhnchen wird Ihnen mehr als das Leben, wird Ihnen die Ehre zu danken haben, und meine Arbeiter ihr Brod, Herr Graf!« rief der Tapezier mit thränennassen Augen und freudestrahlendem Blicke, und warf sich Heinrich zu Füßen, dem ein Lächeln den Mund umzog.

– Kaum war der Tapezier hinaus, da konnte der Graf sich nicht mehr halten. –

»Ha! das ist zum Todtlachen,« rief Heinrich, und brach in ein gellendes Gelächter aus. – »Sein Kind soll mir das Leben zu danken haben! – Der weiß gar nicht, wie wahr er spricht. – Aber vielleicht,« fuhr der Graf ernster fort, – »weiß es der Schelm doch, wie's steht. – Sein Ruin, – sein Bankerott – alles dies ist vielleicht bloße List, mir 500 Louisd'or abzuzwacken. Alle Teufel! da käme mir am Ende die Frau Doquin theurer zu stehen, als ein Landgut in Beauce; denn für den Preis der Frau Doquin kann ich ja zwei Opernmädchen, oder eine Sängerin der italienischen Oper haben. Allerdings, das weiß ich wohl, ist Frau Doquin eine tugendhafte Frau, und ihr Mann hat keinen schlechten Geschmack, und dies Alles zusammengenommen, ist sie nicht zu theuer, denn somit wird meine Gallerie charmant werden, und der Schelm hat gar keinen übeln Gedanken gehabt, die Fensterläden mit Spiegeln zu bekleiden, so daß sie, geschlossen, das ganze Zimmer abspiegeln. Denn man muß doch mindestens seinen Kerker so angenehm als möglich zu machen suchen. Am Bord habe ich zwar während eines Sturmes oder eines Gefechtes keine Langeweile, aber wenn die Windstille eintritt, ist es eine verteufelte Geschichte – da möchte man vor Einförmigkeit umkommen. Glücklicherweise habe ich, wie ich hoffe, einige Hülfe in meinem Stabe, – die jungen Leute gefielen mir recht wohl. – Auch der Abbé sieht nicht übel aus, bei Gott, gar nicht übel; das Wesen der feinen Gesellschaft; nur scheint er mir etwas stolz; er antwortete kaum auf mein Entgegenkommen; auch hat er etwas, das ich wissen möchte – die Schußwunde an der linken Hand; eine Schußwunde ist's, – das weiß ich –, ich verstehe mich darauf. Aber wie kommt ein Abbé zu einer Schußwunde an der linken Hand? – Vielleicht ist er nicht immer Abbé gewesen; schon sein Benehmen, sein Gang scheinen dies zu verrathen; dann sieht er kaum wie ein Dreißiger aus, und ein solches Amt in diesem Alter, wenn es aufrichtig ist, wäre seltsam; so weiß ich auch nicht, warum er sich nicht pudert, und sich ein so sonderbares Ansehen giebt. Doch, was fang' ich für Narrheiten an? Meiner Treu, das Lösungswort zu diesem lebendigen Räthsel zu suchen, werde ich Zeit genug haben, wenn ich erst an Bord bin. –«

In diesem Augenblicke zeigte sich der treue Germeau an einem verborgenen Thürchen im Alkoven des Schlafzimmers, und flüsterte Heinrich zu: »Herr Graf, kann man jetzt herein kommen?«

»Ha, weiß Gott!« rief Heinrich, »sie könnte nicht gelegener kommen, wahrhaftig, – laß sie kommen –«

Kaum hatte der Graf geendet, da öffnete sich das Thürchen, Germeau verschwand, und ließ an seiner Statt ein so in Schleier gehülltes Frauenzimmer zurück, daß man nur das große, rabenschwarze Augenpaar sehen konnte, das wie zwei Sterne funkelte.

»Leg' ab, Georgette,« rief der Graf, und nahm der Frau den Mantel ab, – »sieh', eben ist Dein Mann fort von hier.«

Und er zog Georgetten auf seine Knie, und entfernte jede Hülle, die ihr schönes, rundes, blühendes, aber zu volles und zu sehr geröthetes Gesicht verbarg.

»Wie, er ist fort von hier?« – rief Frau Doquin. – »Ach, Herr Heinrich, er hat Ihnen das Unglück nicht mitgetheilt, das –«

»Wenn er mir Alles gesagt hat, so weiß ich Alles, und habe ihm auch geholfen; doch kein Wort mehr davon, das ist vorbei!« rief der Graf und drückte glühend die Hände Georgettens, deren Zartheit und Fülle durch das dunkle Roth litt, welches ein sicherer Beweis einer niedern Abkunft war.

»Ja, darin ist Doquin nicht widerspenstig, Herr Heinrich, – und das ist ein wahres Glück, denn nicht alle Menschen sind so sanft, wie er. Ha! wenn Sie wüßten, was in Recouvrance vorgefallen ist! es möchte sich das Herz im Leibe umwenden, wenn man bedenkt, daß es so abscheuliche Geschöpfe giebt –«

»Nun? guter Gott! – erkläre Dich näher, meine Theure!« rief Heinrich und umarmte feurig, nur zu vertraut, den Leib der Frau Doquin.

»Die Sache ist die, Herr Heinrich; – kennen Sie vielleicht nicht auch Jacob Lerouge? Aber hören Sie doch, Heinrich!« –

»Ich bin ganz Ohr, theure Freundin.«

»Nun denn; Jacob Lerouge ist ein Capercapitain, der sich im letzten Kriege sehr bereicherte; er hat sich seit zwei Jahren mit der Tochter der Frau Binan, der Modehändlerin, verheirathet, einem herrlichen Weibchen, ich kenne sie, einem wahren Engel, so blond und hübsch. – Ach, aber heute –«

»Nun?« rief Heinrich, sie unterbrechend, »sollte sich Jacob der Rothe vielleicht Jacob der Gelbe, Jacob der Doquin nennen? – Jacob der –«

»Still, Herr Heinrich! das sind böse Reden; der arme Doquin, der Sie so treu liebt –«

»Und ich!« rief der Graf mit hellem Gelächter. »Aber weiter – Deine holde Blondine – Dein rother Jacob – was haben sie gemacht?«

»Nun denn, die Frau Jacob, die tausend Mal zu gut war, als daß sie sich mit einem Unmenschen, wie dieser Capitain ist, hätte verheirathen sollen, denn er ist ein wahrer Grobian von vierzig Jahren, häßlich, und von einem Benehmen – ach! –«

»Weiter, – zur Sache! –«

»Nun denn, Herr Jacob, dieser elende Jacob Lerouge, hat sein holdes Weibchen so gequält, daß sie –«

»Daran gestorben ist?« rief Heinrich.

»Nein, Herr Heinrich, sie ist nicht gestorben, aber sie ist so unglücklich, daß sie sich gezwungen sieht, durch das grausame Verfahren dieses Tigers, – gezwungen sieht, sag' ich, einen Liebhaber anzunehmen. – Ach! – Ist das nicht ein schändlicher Mensch?«

»Ein Unmensch, den man aus der menschlichen Gesellschaft verstoßen sollte,« – rief Heinrich mit bewundernswerthem Ernste. – »Ha, und die unglückliche Madame Lerouge – hat sie denn den Trost, den sie suchte, gefunden? –«

»Seit zwei Monden ging's recht gut, Herr Heinrich, aber gestern ist, so scheint's, Alles entdeckt worden. Der Liebhaber ist Schreiber bei einem Anwalt, ein holder Junge, immer so hübsch geputzt, daß man ihn für einen Handlungsdiener halten kann; er heißt Bonifaz Jablot, und sein Vater ist Salzpächter.«

»Teufel! Frau Doquin! – da giebt's viel Umstände, viel Einzelnheiten, die den Herrn Bonifaz betreffen, – Jalot – Cablot! – Wie nanntest Du ihn?«

»Ach, Herr Heinrich, ich schwör' es Ihnen, – ach, lieber will ich tausendfachen Tod erleiden, als Ihnen untreu sein. Kränken Sie sich deshalb nicht –«

»Ach, Theuerste,« rief Heinrich stolz und verächtlich, – »Sie werdens hoff' ich, doch nicht glauben, daß ich eifersüchtig auf Sie bin! – Nehmen Sie der Frau Jacob ihren Herrn Cablot weg, wenn's Ihnen sonst beliebt; solche Leutchen erlaube ich Ihnen gern, so viel Sie nur wollen. Lieben Sie mich nur, wenn wir unter vier Augen sind, mehr fordere ich nicht.« –

Da sah er Thränen in ihren Augen, und fuhr fort:

»Höre, Georgette, weine nicht; doch was bringst Du für armselige Versicherungen Deiner Treue zum Vorschein? Wer Teufel giebt Dir denn diese Lappereien ein? Weiter; fahr' fort in Deiner Geschichte. Jacob Lerouge hat also Alles entdeckt?«

»Ja, Herr Heinrich,« – begann Georgette wieder, und trocknete sich die Augen. – »Das heißt, nicht er, sondern einer seiner Freunde, den auch Sie gut kennen, Herr Jean Thomas –«

»Mein werther Lieutenant?«

»Ja, Herr Heinrich, und da er ein vertrauter Freund des Capitains ist, fürchtet man, er möchte es ihm bei seiner Rückkehr sagen –«

»Der Capitain ist also nicht hier?«

»Nein, Herr Heinrich, er hat sich fünf Tage in Lambeseleg aufgehalten, und während dieser Zeit hat man seine Frau mit ihrem Liebhaber vor der Stadt gesehen. Ihr Herr Jean Thomas hat den herrlichen Fang gethan. Auch schreit er wie ein Toller in der ganzen Recouvrance, er wolle es dem Capitain Jacob sagen, den man allaugenblicklich erwartet; wie hübsch das ist, können Sie sich denken. – Nun, heirathet nur noch, arme Weiber!«

Da hörte man's leicht an die Alkoventhür klopfen.

»Was giebt's? –« rief Heinrich.

»Ein sehr eiliger Brief an den Herrn Grafen –« rief Germeau's Stimme.

»Steck' ihn unter die Thür –«

Und ein Brief glitt auf den Teppich; Heinrich erbrach ihn und las, wie folgt:

 

Herr Graf!

»Eine alte Dienerin eines Freundes des seligen Hrn. Grafen, Ihres Vaters, bittet Sie um aller Heiligen willen, zu ihr zu kommen, um ein schreckliches Unglück zu verhindern. – Es geht auf Leben oder Tod. Herr Graf, die Person, die diese Bitte an Sie wagt, ist auch die Mutter

»Ihres Lieutenants, die Witwe Thomas – Um Gotteswillen, »kommen Sie, Herr Graf – kommen Sie! Jede »Minute Zaudern kann Schreckliches gebären.«

Witwe Thomas.

Rue des Poutres,
No. 7. Recouvrance
.

 

»Was Teufel soll das heißen?« – rief Heinrich. »Gehen  

will ich, bei Gott, und das augenblicklich – Leb' wohl, Georgette – Komm diesen Abend wieder – Wirf Deinen Mantel um, – und geh über diese kleine Treppe.«

»Ach, mein Gott! – das betrifft vielleicht die arme Frau Jacob,« – rief Georgette erschrocken, und hüllte sich eilig in ihre Schleier.

»Deshalb, mein Kind, mußt Du mich verlassen – Leb' wohl!«

Darauf klingelte er Germeau, der sogleich erschien:

»Führe die Dame zurück, laß eine Kutsche bespannen, und gieb mir meinen Anzug; ich muß augenblicklich ausfahren.«


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