Hermann Sudermann
Frau Sorge
Hermann Sudermann

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21

Beim ersten Morgengrauen fuhr ein gar trauriger Zug auf dem Weg nach Helenenthal über die herbstliche Heide. Zwei schmächtige Leiterwagen, die langsam hintereinander herschlichen. Auf ihnen fand alles Platz, was von dem Heidehof noch übriggeblieben.

In dem ersten lag, in Stroh gepackt, von Decken umgeben, sein Herr – mit Wunden bedeckt, bewußtlos... Das blasse, zitternde Weib, das sich angstvoll über ihn neigte, war die Gespielin seiner Jugend.

So holte sie ihn sich heim...

»Wir wollen ihn zu einer der Schwestern schaffen«, hatte Herr Douglas gesagt, aber sie hatte die Hände auf Pauls Brust gelegt, von welcher die versengten Kleiderfetzen niederhingen, als wollte sie für immer Besitz von ihm nehmen, und hatte erwidert:

»Nein, Vater, er kommt zu uns!«

»Aber deine Hochzeit, Kind – die Gäste!«

»Was geht mich die Hochzeit an!« hatte sie gesagt, und der lustige Bräutigam hatte verblüfft danebengestanden.

In dem zweiten Wagen lagen die wenigen Möbel, die gerettet waren, eine alte Kommode, ein paar Schubladen mit Wäsche und Büchern und Bändern, irdene Schüsseln, ein Milcheimer und die lange Pfeife des Vaters. –

Wo aber war der hingekommen?

Der einzige, der vielleicht Auskunft geben konnte, lag hier besinnungslos, am Ende schon gar mit dem Tode ringend.

War er geflohen? War er in den Flammen zugrunde gegangen? Die Mägde hatten sein Schlafzimmer leer gefunden, von ihm selber keine Spur.

»Mir ahnt nichts Gutes«, sagte der alte Douglas. »Anlage zur Verrücktheit besaß er schon immer, und wenn wir morgen seine Knochen im Schutt finden, so bin ich mir klar darüber, daß er selber die Scheune in Brand gesteckt und sich dann in die Flammen gestürzt hat.«

Als sie aber eben durch das Helenenthaler Hoftor fahren wollten, hörten sie seitwärts von der Scheune her ein klägliches Hundegeheul und sahen einen fremden Köter, welcher die Vorderpfoten auf eine dunkel daliegende Masse gestemmt hatte und von Zeit zu Zeit an etwas zerrte, das wie der Zipfel eines Gewandes aussah.

Erschrocken ließ Douglas haltmachen und schritt dorthin. Da fand er den Gesuchten als Leiche liegen. Seine Züge waren schrecklich verzerrt und die Arme noch halb erhoben, als sei er plötzlich zu Stein erstarrt. Neben ihm lag ein zerbrochener Topf, und eine Streichholzbüchse schwamm in einer Lache von Petroleum, das in den lehmigen Wagenspuren wie in Rinnen weitergeflossen war. Da faltete der graue Riese seine Hände und murmelte ein Gebet. Als er zum Wagen zurückkehrte, zitterte er am ganzen Leibe, und seine Augen standen voll Wasser.

»Elsbeth, sieh dorthin«, sagte er, »dort liegt die Leiche des alten Meyhöfer. Er hat unser Gut anzünden wollen, und Gott hat ihn erschlagen.«

»Gott steckt keine Scheunen in Brand!« sagte Elsbeth und blickte nach dem brennenden Hof zurück, von welchem ein dunkelblauer Qualm in den trüben Morgen emporstieg.

»Aber ist es nicht Gottes Fügung, daß wir gerettet wurden?«

»Hat uns einer gerettet, so tat es dieser!« sagte Elsbeth.

»Was? Er soll alles geopfert haben, er soll ein Brandstifter geworden sein – bloß um –«

»Frag ihn!« sagte sie tonlos, und in aufsteigender Herzensangst schlug sie die Hände vor die Brust und wimmerte laut.

»Geb' Gott, daß er noch einmal antworten vermöchte«, murmelte Douglas. Dann erteilte er ein paar Knechten den Befehl, daß sie die Leiche des Alten in das Wohnhaus brächten. Nach einem Arzt war bereits gesandt worden, er selbst wollte zu den Schwestern fahren, um sie zu benachrichtigen.

Mit verstörten Gesichtern kamen die Gäste dem Wagen entgegengestürzt, der vor der blumengeschmückten Veranda hielt.

»Geht fort«, sagte sie und wehrte die tätschelnden Hände mit einer Gebärde des Grauens von sich ab.

Auch der lustige Bräutigam, der während dieser Nacht eine gar klägliche Rolle gespielt hatte, kam herbei und versuchte ihr zuzureden, daß sie sich von dem hilflosen Leibe entferne. Sie aber schaute ihn mit irrem Blick von oben bis unten an, als erinnere sie sich nicht, ihn jemals gesehen zu haben. – Ein Gefühl seiner Wertlosigkeit mochte in ihm aufsteigen. – Beklommen und verschüchtert ließ er von ihr ab.

Die Tanten eilten händeringend zu dem alten Douglas, der, auf ein Fuhrwerk wartend, vor den Ställen auf und ab schritt. Seine mächtige Brust atmete schwer, seine weißen, buschigen Brauen preßten sich zusammen, und seine Augen schossen Blitze. – Ein Sturm schien durch seine Seele zu gehen.

»Erbarm dich!« riefen die Weiber. »Schaff Elsbeth zur Ruhe – sie muß sich erholen –, es scheint, als will sie wahnsinnig werden.«

»Wenn es so ist, wie sie sagt«, murmelte er vor sich hin, »wenn er sein Hab und Gut geopfert hat! – Donnerwetter, laßt mich in Ruh'!« schrie er die Weiber an, die ihn umringten.

»Aber denk an Elsbeth«, riefen sie, »um zwölf Uhr kommt der Pfarrer – wie wird sie aussehen?« –

»Das ist ihre Sache!« schrie er. »Laßt sie nur machen! Sie weiß genau, was sie tut!«

In dem Augenblick, in welchem Paul vom Wagen gehoben wurde, kam von dem Tor ein Häuflein Knechte daher, welche die Leiche seines Vaters trugen.

Dicht hintereinander wurden die beiden Körper in das weiße Haus getragen, und der Hund ging winselnd und schnuppernd hintendrein. Es war eine traurige Prozession. –

Elsbeth ließ Paul in ihr Schlafzimmer schaffen, schloß die Tür und setzte sich neben das Bett.

Vergeblich flehten die Tanten um Einlaß.

Um elf Uhr kam der Arzt und erklärte, bis zum nächsten Morgen bei dem Kranken bleiben zu wollen. Er hatte sich wohl darauf eingerichtet, denn er war ein alter Freund des Hauses und gehörte zu den Hochzeitsgästen. Inzwischen sollte nach einer Wärterin telegraphiert werden.

»Darf ich nicht bei ihm bleiben?« fragte Elsbeth.

»Wenn Sie können!« antwortete er verwundert.

»Ich kann!« erwiderte sie mit einem rätselhaften Lächeln.

Die Tanten pochten aufs neue. »Erbarm dich, Kind!« riefen sie durch den Türspalt, »du mußt dich anziehen, du mußt zum Standesamt. Der Pfarrer ist gekommen.«

»Er kann wieder gehn!« antwortete sie.

Draußen ließ sich ein Murmeln vernehmen, auch der Bräutigam half ratschlagen.

»Was wollen Sie tun, mein Kind?« sagte der greise Arzt und sah ihr forschend ins Auge. Da sank sie weinend vor dem Bett auf die Knie, ergriff Pauls schlaff herabhängende Hand und drückte sie gegen Augen und Mund.

»Das ist Ihr fester Wille?« fragte der alte Mann.

Sie nickte.

»Und wenn er stirbt?«

»Er stirbt nicht«, sagte sie, »er darf nicht sterben.«

Der Arzt lächelte traurig. »Es ist gut«, sagte er dann, »bleiben Sie eine Weile bei ihm allein und erneuern Sie alle zwei Minuten den Umschlag. Ich werde inzwischen Ruhe schaffen.«

Alsbald hörte man draußen Wagen vorfahren und den Hof verlassen. Eine Stunde später trat der Arzt wieder in das Krankenzimmer.

»Das Haus ist bald leer«, sagte er, »die Feier ist aufgeschoben.«

»Aufgeschoben?« fragte sie angstvoll. –

Der alte Mann sah sie an und schüttelte den Kopf. Das Menschenherz zeigte sich ihm jeden Tag in neuen Rätseln. –

 

Wochenlang schwebte der Kranke zwischen Leben und Tod. Das Nervenfieber, das sich hinzugesellt hatte, schien jede Hoffnung zuschanden zu machen.

Elsbeth wich kaum von seinem Bett, sie aß nicht, sie schlief nicht, ihr ganzes Leben war aufgegangen in der Sorge um den Geliebten.

Der Alte ließ sie gewähren. »Sie muß ihn gesund machen«, sagte er, »damit ich ihn fragen kann.«

Der lustige Vetter fing an zu ahnen, daß seine Lage keine beneidenswerte war, und nachdem er sich von dem Oheim seine sämtlichen Schulden hatte bezahlen lassen, verließ er Helenenthal.

Die Leiche des alten Meyhöfer ward schon am Tag nach dem Brand von den beiden Zwillingen abgeholt worden. Sein rätselhafter Tod erregte großes Aufsehen, die Zeitungen der Hauptstadt berichteten davon, und was er sein ganzes Leben nicht erreicht hatte, sich als Held gefeiert zu sehen, war ihm nun im Tode.

Im Hintergrund aber lauerten die Gerichte auf Pauls Genesung.


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