Hermann Sudermann
Frau Sorge
Hermann Sudermann

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4

Der Sommer, der nun folgte, brachte dem Hause Meyhöfers eitel Kummer und Not. Der frühere Besitzer hatte seine Hypothek gekündigt, und es war keine Aussicht vorhanden, daß irgend jemand die nötige Summe leihen würde.

Meyhöfer fuhr wöchentlich wohl drei-, viermal in die Stadt und kam am späten Abend betrunken nach Hause. Manchmal blieb er auch die Nacht über fort.

Frau Elsbeth saß derweilen aufrecht in ihrem Bette und starrte in die Dunkelheit. Paul erwachte oft, wenn er ihr leises Schluchzen hörte. Dann lag er eine Weile mäuschenstill, denn er mochte es nicht merken lassen, daß er wach war, aber schließlich fing auch er zu weinen an.

Dann wurde wieder die Mutter still, und wenn er gar nicht aufhören wollte, stand sie auf, küßte ihn und streichelte seine Wange, oder sie sagte:

»Komm zu mir, mein Junge.«

Alsdann sprang er auf, schlüpfte in ihr Bett, und an ihrem Halse schlief er wieder ein.

Der Vater prügelte ihn oft. Er wußte selten, warum, aber er nahm die Schläge hin wie etwas, das sich von selbst verstand.

Eines Tages hörte er, wie der Vater die Mutter schalt.

»Weine nicht, du Tränensack«, sagte er, »du bist bloß dazu da, um mir mein Elend noch größer zu machen.«

»Aber Max«, antwortete sie leise, »willst du den Deinen verwehren, dein Unglück mit dir zu tragen? Müssen wir nicht um so enger zusammenhalten, wenn es uns schlechtgeht?«

Da wurde er weich, nannte sie sein braves Weib und belegte sich selber mit bösen Schimpfnamen.

Frau Elsbeth suchte ihn zu beruhigen, bat ihn, Vertrauen zu ihr zu haben und tapfer zu sein.

»Ja, tapfer sein – tapfer sein!« schrie er, aufs neue in Ärger geratend. »Ihr Weiber habt klug reden, ihr sitzt zu Hause und breitet demütig die Schürze aus, damit euch Glück oder Unglück in den Schoß falle, wie's der liebe Himmel beschert; wir Männer aber müssen hinaus ins feindliche Leben, müssen kämpfen und streben und uns mit allerhand Gesindel herumschlagen, geht mir mit euren Mahnungen! Tapfer sein, ja, ja – tapfer sein!«

Darauf schritt er dröhnenden Schrittes zum Zimmer hinaus und ließ den Wagen anspannen, um seine gewöhnliche Wanderfahrt anzutreten.

Als er wiedergekommen war und seinen Rausch ausgeschlafen hatte, sagte er:

»So – jetzt ist auch die letzte Hoffnung dahin. Der verfl... Jude, der mir das Geld zu 25 Prozent vorschießen wollte, erklärt, er wolle nichts mehr mit mir zu tun haben. – Na, dann läßt er's bleiben... Ich hust' auf ihn... Und zu Michaelis können wir richtig betteln gehn, denn diesmal bleibt uns nicht so viel wie das Schwarze unterm Nagel. Aber das sag' ich dir – diesmal überleb' ich den Schlag nicht – ein Kerl von Ehre muß auf sich halten, und wenn ihr mich eines schönen Morgens oben am Sparren baumeln seht, dann wundert euch nicht.«

Die Mutter stieß einen entsetzlichen Schrei aus und klammerte die Arme um seinen Hals.

»Na, na, na«, beruhigte er sie, »es war so schlimm nicht gemeint. Ihr Weiber seid doch allzu klägliche Geschöpfe... Ein bloßes Wort schmeißt euch um!«

Scheu trat die Mutter von ihm zurück, aber als er hinausgegangen war, setzte sie sich ans Fenster und schaute ihm angstvoll nach, als ob er sich schon jetzt ein Leids antun könnte.

Von Zeit zu Zeit lief ein Schauern durch ihren Körper, als friere sie...

In der Nacht, die diesem Tage folgte, bemerkte Paul erwachend, wie sie aus ihrem Bette aufstand, einen Unterrock überwarf und an das Fenster trat, von welchem aus man das weiße Haus sehen konnte. Es war heller Mondenschein – vielleicht schaute sie wirklich hinüber. – Wohl zwei Stunden lang saß sie da – unverwandt hinausstarrend. – Paul rührte sich nicht, und als sie mit Beginn der Morgendämmerung vom Fenster zurückkam und an die Betten ihrer Kinder trat, drückte er die Augen fest zu, um sich schlafend zu stellen. Sie küßte zuerst die Zwillinge, die umschlungen nebeneinander ruhten, dann kam sie zu ihm, und wie sie sich zu ihm herabbeugte, hörte er sie flüstern: »Gott, gib mir Kraft! Es muß ja sein.« Da ahnte er, daß etwas Außergewöhnliches sich vorbereitete.

Als er am andern Nachmittag aus der Schule heimkehrte, sah er die Mutter in Hut und Mantille, ihrem Sonntagsstaat, in der Laube sitzen. Ihre Wangen waren noch bleicher als sonst, die Hände, die in dem Schoße lagen, zitterten.

Sie schien auf ihn gewartet zu haben, denn als sie ihn nahen sah, atmete sie erleichtert auf.

»Willst du fortgehen, Mama?« fragte er verwundert.

»Ja, mein Junge«, erwiderte sie, »und du sollst mit mir kommen.«

»Ins Dorf, Mama?«

»Nein, mein Junge...« ihre Stimme bebte – »ins Dorf nicht – du mußt dir die Sonntagskleider anziehen – der Samtrock freilich ist verdorben – aber aus der grauen Jacke hab' ich die Flecken ausgemacht – die geht noch – und die Stiefel mußt du dir wichsen – aber rasch –«

»Wohin werden wir denn gehen, Mama?«

Da schloß sie ihn in die Arme und sagte leise:

»Ins weiße Haus!«

Er fühlte, wie ein heißer Schreck ihn überrieselte; der Jubel, der aus dem Herzen emporquellen wollte, erstickte ihn fast, er sprang auf den Schoß der Mutter und küßte sie stürmisch.

»Aber du mußt niemandem etwas davon sagen«, flüsterte sie, »niemandem – verstehst du?«

Er nickte wichtig. Er war ja ein so kluger Mann. Er wußte, um was es sich handelte.

»Und nun zieh dich um – rasch!«

Paul flog die Treppe zur Kleiderkammer empor – und plötzlich! – auf welcher Stufe es war, ist ihm niemals klargeworden –: ein langgezogener, schriller Ton quoll aus seinem Munde; da war kein Zweifel mehr – er konnte pfeifen – er probierte es zum zweiten, zum dritten Mal – es ging vorzüglich!

Als er im vollsten Staate zur Mutter zurückkehrte, rief er ihr jubelnd entgegen: »Mama, ich kann pfeifen« und wunderte sich, daß sie so wenig Verständnis für seine Kunst an den Tag legte. Sie nestelte nur ein wenig seinen Kragen zurecht und sagte dabei: »Ihr glücklichen Kinder!«

Dann nahm sie ihn bei der Hand, und die Wanderschaft begann. Als sie den dunklen Fichtenwald erreichten, in dem die Wölfe und die Kobolde hausten, war er soeben mit den Studien zu »Kommt ein Vogel geflogen« fertig geworden, und als sie wieder aufs freie Feld kamen, konnte er sicher sein, daß »Heil dir im Siegerkranz« nichts mehr zu wünschen übrigließ.

Die Mutter schaute mit trüben Lächeln auf ihn nieder, jeder schrille Ton ließ sie zusammenfahren, sie sagte aber nichts.

Das »Weiße Haus« stand nun ganz nah vor ihnen. Er dachte nicht mehr an die neue Kunst. Das Schauen nahm ihn gänzlich gefangen.

Zuerst kam eine hohe rote Ziegelmauer mit einem Torweg darin, auf dessen Pfosten zwei steinerne Knöpfe saßen, dann ein weiter, grasbewachsener Hofraum, auf dem ganze Reihen von Wagen standen und den in einem ungeheuern Viereck langgestreckte, graue Wirtschaftsgebäude umgaben. – In der Mitte lag eine Art Sumpf, der von einer niedrigen Weißdornhecke umgeben war, und in welchem eine Schar von schnatternden Enten sich herumsielte.

»Und wo ist das weiße Haus, Mama?« fragte Paul, dem das alles gar nicht gefiel.

»Hinter dem Garten«, erwiderte die Mutter. Ihre Stimme hatte einen eigentümlich heiseren Klang, und ihre Hand umklammerte die seine so fest, daß er beinahe aufgeschrien hätte.

Jetzt bogen sie um die Ecke des Gartenzauns, und vor Pauls Blicken lag ein schlichtes, zweistöckiges Haus, das von Lindenbäumen dicht umschattet war und das wenig oder gar nichts Merkwürdiges an sich hatte. Auch lange nicht so weiß erschien es wie aus der Ferne.

»Ist es das?« fragte Paul gedehnt.

»Ja, das ist es!« erwiderte die Mutter.

»Und wo sind die Glaskugeln und die Sonnenuhr?« fragte er. Ihn wandelte plötzlich eine Lust zum Weinen an. Er hatte sich alles tausendmal schöner vorgestellt; wenn man ihn auch um die Glaskugeln und die Sonnenuhr betrogen hätte – es wäre kein Wunder gewesen.

In diesem Augenblick kamen zwei kohlschwarze Neufundländer mit dumpfem Bellen auf sie zugestürzt. Er flüchtete sich hinter das Kleid der Mutter und fing zu schreien an.

»Caro, Nero! « rief eine feine Kinderstimme von der Haustür her, und die beiden Unholde jagten, ein freudiges Geheul ausstoßend, sofort auf die Richtung der Stimme los.

Ein kleines Mädchen, kleiner noch als Paul, in einem rosageblümten Röckchen, um welches eine Art schottischer Schärpe geschlungen war, erschien auf dem Vorplatz. Sie hatte lange goldgelbe Locken, die mit einem halbkreisförmigen Kamme aus der Stirn zurückgestrichen waren, und ein feines, schmales Näschen, das sie etwas hoch trug.

»Wünschen Sie Mama zu sprechen?« fragte sie mit einer zarten, weichen Stimme und lächelte dazu.

»Heißest du Elsbeth, mein Kind?« fragte die Mutter zurück.

»Ja, ich heiße Elsbeth.«

Die Mutter machte eine Bewegung, wie um das fremde Kind in ihre Arme zu schließen, aber sie bezwang sich und sagte:

»Willst du uns zu deiner Mutter führen?«

»Mama ist im Garten – sie trinkt eben Kaffee –«, sagte die Kleine wichtig, »ich möchte Sie um den Giebel herumführen, denn wenn wir auf der Sonnenseite die Stubentür aufmachen, kommen gleich so viel Fliegen herein.«

Die Mutter lächelte. Paul wunderte sich, daß ihm das zu Hause noch niemals eingefallen war.

Sie ist viel klüger als du, dachte er.

Nun traten sie in den Garten. Er war weit schöner und größer als der auf Mussainen, aber von der Sonnenuhr war nirgends etwas zu entdecken. Paul hatte eine unbestimmte Vorstellung davon, wie von einem großen goldenen Turme, auf dem eine runde, funkelnde Sonnenscheibe das Zifferblatt bildete.

»Wo ist denn die Sonnenuhr, Mama?« fragte er.

»Die werd' ich dir hernach zeigen«, sagte das kleine Mädchen eifrig.

Aus der Laube trat eine hohe, schlanke Dame mit einem blassen kränklichen Gesicht, auf welchem der Schimmer eines unsagbar milden Lächelns ruhte.

Die Mutter stieß einen Schrei aus und warf sich laut aufweinend an ihre Brust.

»Gott sei Dank, daß ich Sie einmal bei mir habe«, sagte die fremde Dame und küßte die Mutter auf Stirn und Wangen. »Glauben Sie, jetzt wird alles gut werden – Sie werden mir sagen, was Sie drückt, und es müßte seltsam zugehen, wenn ich nicht Rat wüßte.«

Die Mutter wischte sich die Augen und lächelte.

»Oh, es ist ja nur die Freude«, sagte sie, »ich fühle mich schon so frei, so leicht, da ich in Ihrer Nähe bin – ich habe mich so sehr nach Ihnen gebangt.«

»Und Sie konnten wirklich nicht kommen?«

Die Mutter schüttelte traurig den Kopf.

»Arme Frau!« sagte die Dame, und beide sahen sich mit einem langen Blick in die Augen.

»Und dies ist am Ende gar mein Patenkind?« rief die Dame, auf Paul hinweisend, der sich an das Kleid der Mutter klammerte und dabei an seinem Daumen sog.

»Pfui, nimm den Finger aus dem Munde«, sagte die Mutter, und die schöne, freundliche Frau hob ihn auf ihren Schoß, gab ihm einen Teelöffel voll Honig – »als Vorgeschmack«, sagte sie – und fragte ihn nach den kleinen Geschwistern, nach der Schule und allerhand sonstigen Sachen, auf die zu antworten gar nicht schwer war, so daß er sich schließlich auf ihrem Schoße beinahe behaglich fühlte.

»Und was kannst du denn schon alles, du kleiner Mann?« fragte sie zu guter Letzt.

»Ich kann pfeifen!« erwiderte er stolz.

Die freundliche Frau lachte ganz laut und sagte: »Nun, dann pfeif uns einmal eins!«

Er spitzte die Lippen und versuchte zu pfeifen, aber es ging nicht – er hatte es wieder verlernt.

Da lachten sie alle, die freundliche Frau, das kleine Mädchen und selbst die Mutter; ihm aber stiegen vor Scham die Tränen in die Augen, er schlug mit Händen und Füßen um sich, so daß die Dame ihn von ihrem Schoß gleiten ließ, und die Mutter sagte verweisend:

»Du bist ungezogen, Paul!«

Er aber ging hinter die Laube und weinte, bis das kleine Mädchen an ihn herantrat und zu ihm sagte: »Ach geh, das mußt du nicht tun. – Unartige Kinder mag der liebe Gott nicht leiden.« Da schämte er sich wieder und rieb sich die Augen mit den Händen trocken.

»Und jetzt will ich dir auch die Sonnenuhr zeigen«, fuhr das Kind fort.

»Ach ja, und die Glaskugeln«, sagte er.

»Die sind schon lange zerbrochen«, erwiderte sie, »in die eine ist mir im vorigen Frühling ein Stein hineingeflogen, und die andere hat der Sturm runtergeschmissen.« Und dann zeigte sie ihm die Plätze, auf denen sie gestanden hatten.

»Und dies ist die Sonnenuhr«, fuhr sie fort.

»Wo?« fragte er, sich erstaunt umsehend. Sie standen vor einem grauen, unscheinbaren Pfahl, auf dem eine Art von Holztafel angebracht war. Das Kind lachte und sagte, das wäre sie ja.

»Ach, pfui doch!« erwiderte er unwillig. »Du machst mich zum Narren.«

»Warum soll ich dich zum Narren machen?« fragte sie. »Du hast mir ja nichts zuleide getan.« Und dann behauptete sie noch einmal, das wäre die Sonnenuhr und nichts anderes; und sie wies ihm auch den Zeiger, ein armseliges, verrostetes Stück Blech, welches aus der Mitte der Tafel hervorragte und seinen Schatten gerade auf die Zahl sechs warf, die mit anderen zusammen auf der Tafel angebracht war.

»Ach, das ist zu dumm«, sagte er und wandte sich ab.

Die Sonnenuhr im Garten des weißen Hauses war die erste große Enttäuschung seines Lebens. – – –

Als er mit seiner neuen Freundin zur Laube zurückkehrte, traf er dort noch einen großen, breitschultrigen Herrn mit zwei mächtigen Bartzipfeln, der einen graugrünen Jägerrock trug und aus dessen Augen Funken zu sprühen schienen.

»Wer ist das?« fragte Paul, sich furchtsam hinter seiner Freundin verbergend.

Sie lachte und sagte: »Das ist mein Papa; du, vor dem brauchst du keine Angst zu haben.«

Und sie sprang hell aufjubelnd dem fremden Mann auf den Schoß.

Da dachte er bei sich, ob er wohl jemals wagen würde, seinem Papa auf den Schoß zu springen, und schloß daraus, daß nicht alle Väter sich glichen. Der Mann im Jägerrock aber streichelte sein Kind, küßte es auf beide Wangen und ließ es auf seinen Knien reiten.

»Sieh – Elsbeth hat einen Gespielen bekommen«, sagte die fremde, freundliche Dame und wies nach Paul hinüber, der, im Laubwerk verborgen, scheu in die Laube hineinschielte.

»Immer ran, mein Junge!« rief der Mann fröhlich und schnalzte mit den Fingern.

»Komm – hier auf dem anderen ist noch Platz für dich«, rief das Kind, und als er mit einem fragenden Blick nach der Mutter sich furchtsam näher schlich, ergriff ihn der fremde Mann, setzte ihn auf das andere Knie, und dann gab's ein keckes Wettreiten.

Er hatte nun alle Furcht verloren, und als frischgebackene Flinzen auf den Tisch gesetzt wurden, hieb er wacker ein.

Die Mutter streichelte sein Haar und hieß ihn, sich nicht den Magen verderben. Sie sprach sehr leise und sah immer vor sich nieder auf die Erde. Und dann durften die beiden Kinder in die Sträucher gehen und sich Stachelbeeren pflücken.

»Heißt du wirklich Elsbeth?« fragte er seine Freundin, und als diese bejahte, sprach er seine Verwunderung aus, daß sie denselben Namen habe wie seine Mutter.

»Ich bin doch nach ihr getauft«, sagte das Kind, »sie ist ja meine Patin.«

»Warum hat sie dich denn nicht geküßt?« fragte er.

»Ich weiß nicht«, sagte Elsbeth traurig, »vielleicht mag sie mich nicht.«

Aber daß sie den Mut nicht gehabt hatte, daran dachte keines von beiden. – – –

Es fing schon an, dunkel zu werden, als die Kinder zurückgerufen wurden.

»Wir müssen nach Hause«, sagte die Mutter.

Er wurde sehr betrübt, denn jetzt fing es ihm gerade zu gefallen an.

Die Mutter rückte ihm den Kragen zurecht und sagte: »So, nun küß die Hand und bedank dich.«

Er tat, wie ihm befohlen, die freundliche Frau küßte ihn auf die Stirne, und der Mann im Jägerrock hob ihn hoch in die Luft, so daß er glaubte, er könne fliegen.

Und nun nahm die Mutter Elsbeth in den Arm, küßte sie mehrere Mal auf den Mund und Wangen und sagte: »Möge der Himmel einst an dir vergelten, mein Kind, was deine Eltern an deiner Patin getan.«

Eine schwere Last schien von ihrer Seele abgewälzt; sie atmete freier, und ihr Auge leuchtete.

Elsbeth und ihre Eltern begleiteten sie beide bis an das Hoftor; als die Mutter dort noch einmal Abschied nahm und dabei allerhand von Vergeltung und himmlischem Segen stammelte, fiel ihr der Mann lachend ins Wort und sagte, die Geschichte wäre nicht der Rede wert, und es lohnte sich nicht der Mühe des Dankes.

Und die freundliche Frau küßte sie herzlich und bat sie, recht bald wiederzukommen oder wenigstens die Kinder zu schicken.

Die Mutter lächelte wehmütig und schwieg.

Elsbeth durfte noch ein paar Schritt weiter mitkommen, dann verabschiedete sie sich mit einem Knicks.

Paul wurde es schwer ums Herz, er fühlte, daß er ihr noch etwas zu sagen habe, daher lief er ihr nach, und als er sie eingeholt hatte, raunte er ihr ins Ohr:

»Du – und ich kann doch pfeifen.« – – –

Als Mutter und Sohn den Wald betraten, brach die Nacht gerade herein. Es war pechrabenschwarz ringsum, aber er fürchtete sich nicht im mindesten. Wäre jetzt ein Wolf des Weges gekommen, er würde ihm schon gezeigt haben, was 'ne Harke ist.

Die Mutter sprach kein Wort; die Hand, welche die seine umklammert hielt, brannte, und der Atem kam laut, wie ein Seufzer, aus ihrer Brust.

Und als sie beide auf die Heide hinaustraten, stieg der Mond bleich und groß am Horizont empor. Ein bläulicher Schleier lag über der Ferne. Thymian und Wacholder dufteten. Hier und da zirpte ein Vögelchen am Boden.

Die Mutter setzte sich auf den Grabenrand und schaute nach dem traurigen Heimwesen hinüber, dem all ihre Sorge galt. Dunkel ragten die Umrisse der Gebäude in den Nachthimmel empor. Aus der Küche schimmerte einsam ein Licht.

Plötzlich breitete sie die Arme aus und rief in die stille Heide hinein: »Ach, ich bin glücklich!«

Paul schmiegte sich fast ängstlich an ihre Seite, denn nimmer noch hatte er einen ähnlichen Ruf von ihr vernommen. Er war so sehr an ihre Tränen und ihren Kummer gewöhnt, daß ihm dieser Jubel ganz unheimlich erschien.

Und dabei fiel ihm ein: Was wird der Vater sagen, wenn er von diesem Gang erfährt? Wird er die Mutter nicht schelten und böse mit ihr sein, mehr noch als sonst? Ein dumpfer Trotz bemächtigte sich seiner, er biß die Zähne zusammen, dann streichelte er tröstend der Mutter Hände und küßte sie und murmelte: »Er darf dir nichts tun!«

»Wer?« fragte sie zusammenschauernd.

»Der Vater«, sagte er leise und zögernd.

Sie seufzte tief auf, erwiderte aber nichts, und schweigend und kummervoll gingen sie weiter.

Die graue Frau war über ihren Weg gehuscht und hatte den Augenblick der Freude verdorben. Und es war der einzige, den das Schicksal Frau Elsbeth noch schenkte. – – –

Am andern Tage gab es eine böse Stunde zwischen ihr und ihrem Gatten. Er schalt sie ehr- und pflichtvergessen. Sie hätte durch ihr Betteln zur Armut auch noch die Schande gefügt.

Aber das Geld nahm er.


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