Hermann Sudermann
Frau Sorge
Hermann Sudermann

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6

Seit einiger Zeit trug sich Herr Meyhöfer mit großen Plänen. Er hatte entdeckt, daß das Torfmoor, welches das Heidegehöft in weitem Bogen umspannte, einen sicheren Verdienst zu geben imstande war. Schon zwei- oder dreimal, wenn ihm das Messer an der Kehle saß, hatte er als äußersten Notbehelf Torf stechen lassen, und je fünf einspännige Fuhren nach der Stadt geschickt. Heimlich, ganz heimlich – denn er war zu stolz, um für einen »ganz gewöhnlichen Torfbauern« gehalten zu werden. Seine Leute hatten dann jedesmal zwanzig bis fünfundzwanzig Mark Barerlös heimgebracht und erzählt, daß noch weit mehr auf diese Art zu gewinnen wäre, weil schwarzer, fester Torf auf dem Markt ein sehr begehrter Artikel sei.

Doch Meyhöfer war nicht zu bewegen, das Moor in dieser Weise auszunutzen. »Ich hab' mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben«, sagte er, »ich will lieber im Großen zugrunde gehn als im Kleinen gewinnen« – und dabei warf er sich in die Brust wie ein Held.

Aber das Moor ließ ihm keine Ruhe. – Es war im September nach einer ausnahmsweise günstigen Ernte, als Löb Levy, der gefällige Freund aller veschuldeten Gutsbesitzer, wöchentlich zwei-, dreimal auf dem Hof erschien und viel mit dem Herrn zu unterhandeln hatte. Frau Elsbeth zitterte vor Angst, sobald der Jude in seinem schmierigen Kaftan vor dem Hoftore auftauchte; sie setzte sich ans Fenster und folgte unablässig allen Bewegungen der Unterhandelnden. Wenn sie ihren Mann ein nachdenkliches Gesicht machen sah, lief es ihr eiskalt den Nacken hinunter, und erst, wenn er wieder lächelte, wagte auch sie erleichtert aufzuatmen.

Ihr ahnte nichts Gutes, doch traute sie sich nicht, ihren Gatten nach der Art von Geschäften zu fragen, die er mit dem Halsabschneider abzuwickeln hatte.

Sie sollte alsbald im klaren sein. Eines Nachmittags bemerkte Paul, wie auf dem Wege von der Stadt ein seltsames Gefährt dahergehumpelt kam, das in der Ferne aussah wie ein ungeheurer schwarzer Waschkessel auf Rädern. Etwas, das ein Schornstein schien, ragte darüber hinaus und neigte sich, wie ein höflich grüßender Mann, nach rechts und nach links, wenn die Räder auf dem ungleichen Boden schwankten.

Er starrte das Wunder eine Weile an und lief dann zur Mutter, die er eiligst am Rockschoß vor die Türe zog.

Sie legte die Hand über die Augen und spähte auf den Weg hinaus.

»Das ist eine Lokomobile«, sagte sie dann.

Paul war nun so klug wie zuvor. »Was ist das – Lokomobile?« fragte er.

»Das ist eine Dampfmaschine, welche überall hingefahren werden kann, und welche die großen Gutsbesitzer gebrauchen, um ihre Dreschmaschinen zu treiben – auch eggen und pflügen kann man damit, denn so ein Ding hat mehr Kraft als zehn Pferde.«

»Aber warum läßt es sich dann von Pferden ziehen?« fragte er.

»Weil es sich selber nirgends hinbewegen kann«, war die Antwort.

Das verstand er nicht; »jedenfalls aber«, dachte er, »muß es ein großes Glück sein, solch ein Ding mit dem fremden Namen zu besitzen – und wenn wir einmal reich sein werden –«

In diesem Augenblick kam der Vater in großer Aufregung aus dem Hause gestürzt; er trug auf dem einen Fuß einen Schlafschuh, auf dem andern einen Stiefel und hatte die Halsbinde im Nacken sitzen.

»Sie kommen, sie kommen!« rief er, die Hände zusammenschlagend, und dann umfaßte er die Mutter und tanzte mit ihr mitten auf der Landstraße herum.

Sie sah ihn mit einem großen, verängstigten Blick an, als wollte sie sagen: »Welch neue Torheit hast du angerichtet?« –, er aber wollte sie nicht loslassen, und erst als die Zwillinge in ihren rosa Waschkleidchen und dunklen Zwickelzöpfchen aus dem Garten dahergesprungen kamen, machte er sich an diese, nahm sie auf seine Arme, ließ sie auf seinen Schultern tanzten und wollte sie über den Graben werfen, so daß die Mutter seinem tollen Treiben nur mit flehentlichen Bitten Einhalt tun konnte.

»So, ihr Gesindel«, rief er, »jetzt jubelt und tanzt, jetzt hat alle Not ein Ende – nächsten Frühling messen wir das Geld mit Dreischeffelsäcken.«

Die Mutter sah ihn von der Seite an, sagte aber nichts.

Das Ungetüm kam näher und näher. Paul stand regungslos da, in Schauen versunken. Dann guckte er zur Mutter empor, die ein gar sorgenschweres Gesicht machte, und eine ungewisse Furcht wandelte ihn an, als ob jetzt der Teufel ins Haus gezogen käme, aber dann erinnerte er sich, wie nun sein Wunsch von vorhin in Erfüllung ginge, und er beschloß, dem schwarzen Gaste mit Vertrauen entgegenzukommen.

Inzwischen waren auch die Knechte und die Mägde aus dem Stalle und der Küche herzugeeilt. Die ganze Bewohnerschaft des Heidegehöfts stand längs dem Zaune aufgereiht und schaute dem nahenden Wunder entgegen.

»Aber sag, was willst du damit?« fragte Frau Elsbeth endlich ihren Gatten.

Dieser maß sie mit einem mitleidigen Blick, dann lachte er kurz auf und rief. »Spazierenfahren.«

Frau Elsbeth fragte nicht weiter. Zu dem Großknecht gewandt, legte ihr Mann nun seine Pläne dar; er werde das Torfstechen jetzt im großen beginnen, auch eine Schneide- und Preßmaschine seien schon unterwegs, und morgen in der Frühe könne die Arbeit losgehen. Dann gab er ihm den Auftrag, sich nach dem Dorfe zu begeben und die nötigen Arbeitskräfte anzuwerben. Zehn Mann würden für den Anfang genügen, aber er hoffte, es alsbald auf zwanzig und dreißig zu bringen.

Frau Elsbeth schüttelte stumm den Kopf und ging ins Haus – gerade, als die Lokomobile vor dem Hoftor ankam. – Paul konnte nicht satt werden, zu schauen und zu bewundern. Hinter den gelben Schrauben und Kurbeln schien eine Welt von Geheimnissen zu liegen, die Feuerung mit dem Rost und dem Aschenkasten darunter schien wie der Eingang zu jenen feurigen Ofen, in welchem die bekannten drei Männer einst ihren Lobgesang angestimmt hatten – und nun der Schornstein erst, drohend emporgerichtet, mit seinem Kranze von Kienruß und dem Schlunde, der ins Schwarze, Bodenlose hinabzuführen schien...!

Paul achtete nicht auf das kleine Korbwägelchen, das hinter dem Ungetüm daherrollte und in welchem Löb Levy saß mit seinem rotblonden Zottelbart und seinen lustig zwinkernden Äugelein – er achtete nicht auf das Schreien der Fuhrleute und den Jubel der beiden kleinen Schwestern, die wie besessen rings um die Räder tanzten. Starr vor Staunen stand er da, als begriffe er noch immer nicht, was um ihn vorging.

Als er später ins große Zimmer trat, fand er die Mutter in eine Sofaecke gedrückt – weinend.

Er schlang die Arme um ihren Hals; sie aber wehrte ihn sanft von sich ab und sagte: »Geh nach den Kleinen sehen, daß sie nicht unter die Räder kommen.«

»Aber warum weinst du, Mama?«

»Du wirst schon sehen, mein Junge«, sagte sie, sein Haar streichelnd, »Löb Levy ist dabei – du wirst schon sehen.«

Da ward er ganz ärgerlich auf seine Mutter; wo alle sich freuten, warum mußte sie da im Winkel sitzen und weinen? Aber nun war auch ihm die Freude abhanden gekommen, und als er Löb Levy in seinem langen schwarzen Hackenwärmer über den Hof schlenkern sah, hätte er am liebsten dem Karo einen Wink nach seinen Waden hin zukommen lassen.

Die Zwillinge waren ganz von Sinnen vor Freude. Sie nahmen eine Leine und tollten mit Hott und Hü durch den Garten. Die eine war die Lokomobile und die andere das Pferd, aber jede wollte Lokomobile sein, denn dann bekam sie Vaters schwarzen Hut aufgesetzt – als Schornstein.

Vor dem Schlafengehen hatten sie dem neuen Untier auch schon einen Namen gegeben.

Sie behaupteten, es gliche der dicken Dienstmagd mit dem langen Halse, die vor kurzem wegen ihrer Unsauberkeit entlassen worden war, und nannten es nach ihr »die schwarze Suse«.

Diesen Namen behielt die Lokomobile im Meyhöferschen Hause für alle Zeiten.

Am andern Morgen ging das Hallo von neuem los. Die zehn angeworbenen Arbeiter standen auf dem Hofe und wußten nicht, was sie tun sollten. Meyhöfer wollte die Maschine heizen lassen, aber Löb Levy, der in der Scheune übernachtet hatte, um morgens sogleich zur Hand zu sein, erklärte, er wünsche vorerst den Kaufpreis in Empfang zu nehmen, wie es im Kontrakte abgemacht sei, denn das Getreide müsse mittags bereits in der Stadt abgeliefert werden.

»Welches Getreide?« fragte die Mutter erbleichend.

Ja, es ließ sich nicht mehr verleugnen. Meyhöfer hatte fast die ganze Ernte, das gedroschene Korn wie das noch auszudreschende, dem Juden für die alte, abgebrauchte Dampfmaschine verkauft. Triumphierend fuhr dieser mit den schönen prallen Säcken von dannen. Und dies galt nur als Abschlagzahlung, gegen Weihnachten wollte er den Rest abholen kommen.

Für einen Moment mochte selbst den leichtsinnigen Meyhöfer eine Regung der Mutlosigkeit anwandeln, als er die hoch aufgetürmten Fuhren hinter dem Walde verschwinden sah, aber im nächsten steckte er trotzig die Hände in die Hosentaschen und befahl, die Maschine ohne Verzug in Bereitschaft zu setzen.

Mit dem Ungetüm zu gleicher Zeit war ein Mann in blauer Bluse und mit einer Schnapsnase auf den Hof gekommen, der sich »Heizer« nannte und der sich dadurch auszeichnete, daß er unaufhörlich Zwiebeln aß. Das sei gut für den Magen, sagte er. Dieser Mann erschien sich als der Held des Tages. Er stand breitbeinig neben der Maschine, nannte sie sein Pflegekind und streichelte mit seiner grauschwarzen, knotigen Hand die rostigen Eisenwände. Das klang, als ob zwei Reibeisen übereinanderfahren. Jeden, der herzukam, erklärte er mit einem großen Aufwande von Fremdwörtern die innere Einrichtung der »Luckmanbile«, wie er sein Pflegekind nannte, nur mußte man ihm zu trinken geben, sonst schimpfte er. Erhielt er jedoch den Branntwein, den er sich wünschte, so wurde er gerührt und behauptete, er ließe sich lieber Hände und Füße abhacken, als daß er sich jemals von seinem Pflegekinde trennte. Er habe es liebgewonnen wie sein eigen Fleisch und Blut und halte es tausendmal höher als alle Menschen auf der Welt.

Meyhöfer ging stolz um ihn herum, denn auch diese Perle war ja nun sein Eigentum, und er erklärte einmal über das andere, hier sähe man, was deutsche Treue bedeute.

Als es aber ans Heizen gehen sollte, war der vielgetreue Mann nirgends zu finden. Endlich entdeckte man ihn auf dem Heuschober – schlafend. Als man ihn weckte, nannte er dies Verfahren eine Menschenschinderei und ließ sich nur mit Mühe bewegen, aus seinem Winkel hervorzukommen.

Das Anheizen der Maschine war ein neues Fest. Paul stand vor der Feuerung und starrte träumenden Auges in den glühenden Schlund, der sich gähnend aufsperrte, als wollte er alles Lebendige verschlingen. Er gedachte des alten heidnischen Götzen Moloch, von dem er aus der biblischen Geschichte wußte, und glaubte jeden Augenblick ein paar rotglühende Arme sich ausstrecken zu sehen. – Und dann erhob sich in dem Innern des Ungetüms ein geheimnisvolles Singen, bald dumpf wie fernes Waldesbrausen, bald fein und hoch wie leise Engelsstimmen. In den Ventilen begann es zu zischen – Dampfstrahlen fuhren empor – die eiserne Schaufel klirrte, und rasselnd sanken neue Kohlenhaufen in die Glut. Es war ein Lärm ringsum, daß man sein eigen Wort nicht verstehen konnte. Der Heizer mit der roten Nase stand da wie ein König, trank aus einer schmalbauchigen Flasche und hantierte von Zeit zu Zeit an den Ventilen herum, ein lautes, befehlshaberisches Geschrei ausstoßend wie ein Tierbändiger. Und dann begann sich das große Rad zu drehen – surr, surr, surr –, immer rascher, immer rascher. Einem wurde schwindlig vom bloßen Hinsehen – und dann gab es einen Knack – ein Klirren, ein Pfauchen – das große Rad stand still – für immer.

Anfangs freilich tat der Heizer sehr groß und meinte, in einer halben Stunde werde der Schaden vollkommen repariert sein, als Meyhöfer aber nach zweitägiger Arbeit in ihn drang, endlich einmal mit dem Ausbessern ein Ende zu machen, da wurde er grob und erklärte, an diesem alten Gerümpel sei überhaupt nichts auszubessern, das wäre gerade gut genug, an den Trödler als Alteisen verkauft zu werden.

»Pflegekind?« Er bedankte sich für solch ein Pflegekind. Er sei denn doch zu gut dazu, solch einen Rosthaufen zu pflegen. Und dabei kam es heraus: Löb Levy hatte ihn vor drei Tagen in einer Spelunke aufgelesen und ihn gefragt, ob er für eine Woche wie der Herrgott in Frankreich leben wolle; länger werde der Scherz wohl nicht dauern. Und nur auf diese Zusicherung hin sei er mitgegangen, denn länger wie acht Tage an einem Platze sitzen, das widerstreite seinen Prinzipien.

Darauf wurde er vom Hofe gejagt.

Am andern Tage ließ Meyhöfer den Schlosser aus dem Dorfe holen, damit er sich den Schaden besehe. Dieser arbeitete abermals ein paar Tage an der Maschine herum, aß und trank für dreie und erklärte schließlich, wenn sie jetzt nicht gehen wolle, habe der Teufel die Hand im Spiel. – Das Anheizen wurde wiederholt, aber die schwarze Suse war nicht mehr zum Leben zu erwecken.

Als gegen Weihnachten Löb Levy auf dem Hof erschien, um den Rest des Getreides abzuholen, prügelte ihn Meyhöfer mit seinem eigenen Peitschenstiel durch. Der Jude schrie Gewalt und fuhr schleunigst wieder von dannen. Aber alsbald erschien ein Gerichtsbote mit einem großen, rot versiegelten Briefe.

Meyhöfer fluchte und trank mehr denn je, und das Ende vom Liede war, daß er zur Zahlung sämtlicher Kosten und eines Schmerzensgeldes verurteilt wurde. Nur mit knapper Not glitt er an einer Gefängnisstrafe vorbei.

Seit diesem Tage wollte er die »schwarze Suse« nicht mehr vor Augen sehen. Sie wurde in den hintersten Schuppen gebracht und stand dort in Verborgenheit manches Jahr hindurch, ohne daß eines Menschen Blick auf sie fiel.

Nur Paul nahm von Zeit zu Zeit heimlich den Schlüssel des Schuppens und schlich zu dem schwarzen Ungetüm hinein, das ihm lieber und lieber wurde und ihm schließlich wie eine stumme, arg verkannte Freundin erschien. Dann betastete er die Schrauben und die Ventile, kletterte längs dem Schornstein in die Höhe und setzte sich rittlings auf den Kessel – oder er hängte sich an das große Triebrad und versuchte es durch seiner Arme Kraft in Schwung zu setzen. Aber schlaff wie ein Leichnam bewegte er sich nur so weit, als es geschoben wurde, dann stand es wieder still.

Und wenn er sich müde gearbeitet hatte, faltete er die Hände, und traurig zu dem toten Rade emporblickend, murmelte er:

»Wer wird dich wieder lebendig machen?«


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