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XIX.

Das Ende.

»Nun ist's genug, Heinrich! Heut darfst Du nicht mehr arbeiten. Du mußt den Hammer ruhen lassen und Dich anziehen. Wir wollen zusammen vor die Stadt gehen und im Bürgergarten einen vergnügten Abend feiern, ich habe es unserm Fritzchen versprochen, denn heut ist ein Festtag.«

Der Schlosser ließ wirklich den Hammer ruhen; er schaute seinem reizenden Weibchen, welches im sonntäglichen Putz vor ihm stand, heiter in das blaue Auge.

»Heut ist ein Festtag, Lieschen?« fragte er freundlich. »Was fällt Dir ein? Dienstag ist's und noch nicht 5 Uhr. Die Arbeit drängt, und wenn ich jetzt schon mit Dir gehe, dann feiern auch die beiden Gesellen und der Bursche.«

»Sie sollen auch feiern und sich obenein einen lustigen Abend machen, dazu bekommt jeder von nur einen halben Thaler, heut und alle Jahre an diesem Tage. Hast Du es denn ganz vergessen, Du böser Mensch? Heut vor einem Jahr war es um diese Zeit, da tratest Du plötzlich zu mir in die Stube: »Ich bin frei, Lieschen, frei, als unschuldig befunden, der Herr Staatsanwalt hat es mir selbst gesagt!« so riefst Du und dann tanztest Du mit mir und dem Fritzchen durch Stube, Werkstatt und Hof, bis wir keinen Athem mehr hatten und der Kleine zu schreien anfing.«

»Richtig, Lieschen, heut ist's jährig. Da hast Du Recht, den Tag müssen wir feiern!«

»Das wollt ich meinen! Mit dem Tage begann unser Glück. Was bekamen wir gleich für eine schöne Kundschaft. Wir hätten es wohl auch in M** zu etwas gebracht, so weit aber wären wir sicher nicht gekommen, wie hier in V***. Und alles verdanken wir dem guten Herrn Präsidenten.«

»Den Hut ab vor dem Herrn Präsidenten!« sagte Weinert ernst. »Solch' ein herrlicher Mann! Nie glaubt er genug für mich thun zu können, weil ich ein Paar Tage unschuldig des Einbruchs wegen gesessen habe. Was konnte er wohl dafür, daß der Zufall so sonderbar gespielt und der Sentner – denn kein Anderer war es, das lasse ich mir nicht nehmen – den eisernen Geldkasten bei uns versteckt hatte! Und noch heut peinigt es den braven Mann, daß ich seinetwegen gesessen habe. Sieh', da kommt er eben, Lieschen. Spring' mit dem Fritzchen vor die Thür. Wenn er Dich und das Kind sieht, dann lächelt er mitunter, und ein Lächeln ist ihm wohl zu gönnen, dem armen, traurigen, kranken Herrn.«

Lieschen ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Sie nahm ihren Knaben auf den Arm und trat vor die Thür der Werkstatt, um den Herrn Präsidenten, den Weinerts scharfes Auge schon von fern erkannt hatte, zu begrüßen.

Welche furchtbare Veränderung hatte ein einziges Jahr hervorgebracht!

Vor einem Jahr war der Präsident noch ein blühender, schöner, vollkräftiger Mann gewesen, jetzt war er ein schwacher, abgelebter, dahinsiechender Greis, – die hohe Gestalt war zusammengesunken, die Züge waren erschlafft, der Glanz des Auges erloschen.

Nach dem plötzlichen Schlage, der ihn vor einem Jahre getroffen, hatte er sich nie wieder erholt. Viele Wochen hatte er im heftigen Fieber, treu gepflegt von seiner Tochter, auf dem Krankenbett gelegen. Als er endlich zum Bewußtsein erwacht und soweit hergestellt war, daß er das Bett verlassen konnte, erfuhr er durch Ernst von Quedenau die Vorgänge der letzten Wochen.

Durch eine königliche Kabinets-Ordre war der Staatsanwaltschaft und dem Polizei-Direktorium anbefohlen worden, jede weitere Nachforschung nach dem Urheber des Einbruchs zu unterlassen. Eine zweite Kabinets-Ordre ertheilte dem Präsidenten Wartemberg den Abschied ohne Pension; schon seit Wochen war sein Nachfolger ernannt und im Amte.

Der Präsident beugte sich der Strafe, die er als eine zu milde anerkannte; härter war die, welche er sich selbst auferlegte.

Er vermochte es nicht mehr, seiner Tochter ins Auge zu schauen, er fühlte, daß sie ihn verachten müsse. Wenn sie ihn mit der treuesten Liebe und Sorgfalt gepflegt hatte, wenn sie sich gegen ihn ebenso zärtlich und gehorsam zeigte, als früher, so folgte sie doch nur dem Gebote der Pflicht. Achtung konnte sie dem verbrecherischen Vater nicht mehr zollen.

Der Aufenthalt in M** wurde dem Präsidenten unerträglich. Vor der Tochter schämte er sich und den Bekannten wich er, als er das erste Mal zu einem kurzen Spaziergange sein Haus verließ, aus. Er wußte durch Ernst von Quedenau, daß zwar keine genauen Nachrichten über den Grund seiner Entlassung aus dem Staatsdienst in das Publikum gedrungen waren, daß aber gerade deshalb sich seltsame, widersprechende Gerüchte kreuzten, daß sein Ruf in M** und in der Residenz für immer rettungslos verloren sei.

Er beschloß, M** zu verlassen. Nachdem er alle seine Schulden bezahlt und seiner Tochter eine Mitgift ausgesetzt hatte, gab er Quedenaus Wunsch nach. Er wohnte noch der Hochzeit seiner Tochter bei, dann zog er nach der hübschen Gebirgsstadt V***. Hier kaufte er ein schönes Häuschen, in dem er eine reich ausgestattete Schlosserwerkstatt einrichten ließ; – er schenkte sie dem fleißigen Weinert, den er auch mit Kapital für den Anfang des Geschäfts unterstützte. Weinert erhielt auf seine immer noch wirksame Empfehlung die Arbeit für die Behörden und die nahe Eisenbahn und legte den Grund zu einem blühenden Geschäft.

Seit nun fast neun Monaten führte der Präsident in V** ein einsames, freudenloses Leben. Nie wagte er es, in der Gesellschaft der kleinen Stadt zu erscheinen, er mußte ja fürchten, daß ihm sein Ruf von M** nachfolgen und ihn von den Kreisen, in die er leicht Eintritt gefunden hätte, wieder ausschließen werde.

Nur eine Erholung gönnte er sich, täglich einen kurzen Spaziergang, den er stets so einzurichten wußte, daß er ihn vor Weinerts Werkstatt vorbeiführte. Wenn dann die schöne junge Frau ihm mit dem Kind auf dem Arm entgegentrat und ihn mit einem glückseligen Lächeln begrüßte, dann wurde ihm ein wenig wohler im Herzen, er freute sich des Glückes, welches er dieser Familie geschaffen hatte.

Seine Kinder hat der Präsident nie wiedergesehen. Er weigerte sich, ihren Besuch zu empfangen oder sie in der Residenz, wohin Ernst von Quedenau bald berufen wurde, zu besuchen. »Ich habe kein Recht,« – so schrieb er Marien, – »Dir offen in Dein reines Auge zu schauen; das Glück, Dich und Deine Kinder zu sehen, in dem geliebten Kreise leben zu dürfen, habe ich verwirkt.«

Alle Bitten der Tochter, diesen Entschluß zu ändern, waren vergeblich. – Der Präsident lebte noch einige Jahre in V** als ein einsamer, trauernder Mann, der mit dem Glück abgeschlossen hatte. An seinem letzten Krankenlager saß als seine treue Pflegerin Frau Weinert, die dem scheidenden Wohlthäter weinend das gebrochene Auge zudrückte.


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