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IV.

Marie.

Am folgenden Morgen saß Marie einsam in ihrem Zimmer. Sie hatte in der vergangenen Nacht so wenig, als der Vater, Ruhe gefunden. Vor ihrer tiefen Aufregung floh der Schlaf und vergeblich sann sie nach über abenteuerliche Pläne zur Rettung.

Sie durchlief im Geiste die Reihe der zahlreichen wohlhabenden Bekannten und Freunde; aber unter den vielen fand sie doch keinen, dem sie sich ganz hätte vertrauen können, keinen, von dem sie überzeugt war, daß er ein so großes Opfer, wie es nöthig war, um den Vater zu retten, bringen würde.

Sie dachte an ihren Verlobten, an Ernst von Quedenau! Ja, er würde alles ihretwillen geopfert haben; aber er war arm und ihm durfte sie am wenigsten mittheilen, daß der Vater ein Verbrechen begangen habe; denn sie würde in ihm einen schwer zu lösenden Konflikt zwischen der Liebe und der Amtspflicht erzeugt haben, da er als Staatsanwaltsgehilfe in M** beschäftigt war.

Auch als sie jetzt wieder in ihrem Zimmer saß, beschäftigte sie derselbe Gedanke. Ihre sonst so fleißigen Hände ruhten, die Arbeit war in ihren Schooß gesunken, sie blickte hinaus über den Vorgarten fort nach dem schönen Thorplatz, in das Gewühl der zahlreichen Spaziergänger und der eifrigen Geschäftsleute, die zum Theil ihre Wohnungen vor der Stadt hatten und jetzt zum Beginn der Geschäfte nach derselben eilten.

Es war ein schönes, interessantes Bild, aber sie hatte dafür keine Aufmerksamkeit, sie achtete nicht auf das reiche, bewegte Leben auf dem Platz, da wurde ihr Blick plötzlich gefesselt. Ein hochgewachsener, schöner junger Mann grüßte freundlich nach ihrem Fenster hinauf. Er bog vom Thorplatz in die Straße, schon stand er jetzt am eisernen Gitter des Vorgartens, er öffnete die Gitterthür, mit flüchtigem Schritt eilte er über den kiesbestreuten Gang. Schon hörte sie den Ton der Glocke, welche er anzog.

Ernst war es, ihr Geliebter, ihr Verlobter, und er kam zu ihr, um, wie er oft that, ihr einen Liebesgruß zu bringen, ehe er auf das Gericht ging.

Wie glücklich war sie sonst, wenn sie ihn nahen sah, wie selig lächelte sie ihm zu, wie freute sie sich des kurzen Besuches! Und heut? Sie zitterte bei dem Gedanken, daß sie den Geliebten sehen sollte. Das glückliche Lächeln, mit dem er sie begrüßt hatte, schnitt ihr ins Herz. Wie sollte sie ihm die furchtbare Nachricht, daß sie geschieden seien für immer, mittheilen? Welche Gründe sollte sie für ihren Wortbruch angeben? Und doch, es mußte sein! Ihr Entschluß stand fest, sie mußte ihm entsagen. – Ernst war arm, nur seinem Fleiß, seinem Talent verdankte er es, daß sich ihm eine glänzende Staatslaufbahn eröffnete. Er hatte sich einflußreiche Freunde gewonnen; sollte er sich deren Schutz verscherzen, indem er sich mit der Tochter des Verbrechers verband?

Die aristokratische Partei hatte seit einigen Jahren im Staate eine große Macht erlangt, schon hatte es der Laufbahn des jungen Edelmannes geschadet, daß seine Verlobung mit der Tochter des bürgerlichen Präsidenten bekannt wurde; vernichtet aber mußte dieselbe werden in dem Augenblick, wo der Präsident von der Höhe seiner Stellung herabsank, um als gemeiner Verbrecher ins Zuchthaus zu wandern. Der Schwiegersohn des Zuchthäuslers mußte aus den Kreisen der Standesgenossen scheiden, seine Lebenslaufbahn hatte ihre Grenzen gefunden, ja selbst mit seiner Familie mußte er zerfallen.

Marie kannte den Obersten von Quedenau, den alten ehrenfesten Soldaten in allen seinen Vorurtheilen so genau, daß sie wußte, er würde den Sohn lieber todt, als verbunden mit einer entehrten Familie sehen. Sie war der Liebling des Obersten seit Jahren gewesen, er hatte sie scherzend sein liebstes und schönstes Töchterchen genannt, und dennoch war es ihm sehr schwer geworden, dem Sohne die Erlaubniß zur Verlobung mit der Bürgerlichen zu geben. – Seit Jahrhunderten war der alte Stamm der Quedenau durch standesgemäße Heirathen stets rein erhalten worden, schon die Verbindung seines Sohnes mit der Tochter eines hochgestellten, bürgerlichen Staatsbeamten erschien ihm als eine Befleckung des edlen Geschlechtes, und er hatte sich lange geweigert, bis endlich seine Freundschaft für den Präsidenten, seine väterliche Liebe zu dem schönen Mädchen und die dringenden Bitten des Sohnes ihn erweichten.

Durfte sie den Geliebten hineinziehen in das Unglück ihrer eigenen Familie? Durfte sie alle seine Lebensaussichten zerstören, ihn losreißen von seinen Standesgenossen, ja von seinem Vater? Nimmermehr. – Sie kannte seinen edlen, festen, treuen Sinn, sie wußte, daß er freudig bereit sein werde, ihr jedes Opfer zu bringen, aber sie durfte es nicht annehmen. – Weil sie ihn so tief und innig liebte, mußte sie ihr eigenes Lebensglück dem seinigen opfern.

Dazu hatte sie sich im schweren Kampfe mit sich selbst in der schlaflosen Nacht entschlossen; als sie jetzt aber seine Schritte nahen hörte, da sank ihr doch der Muth, da wollte ihr das Herz brechen bei dem Gedanken, daß die nächste Stunde die Scheidestunde auf immer sei.

Er stürmte ins Zimmer. Ein Papier hielt er in der Hand hoch, und indem er es ihr zeigte, rief er jubelnd: »Victoria, Marie, meine liebe, süße, einzige Marie! Hier hab' ich's, ich bin zum Staatsanwalt ernannt. In vier Wochen ist die Hochzeit!« – Und er ergriff sie, einen stürmischen Kuß drückte er der widerstrebenden Braut auf den Mund, dann zog er sie zu sich empor und jubelnd, lachend tanzte er mit ihr im Zimmer herum, bis er endlich die Athemlose tanzend zu ihrem Sitz am Fenster zurückführte.

Das war zu viel! Wohl hatte sie sich vorbereitet auf die schwere Stunde, wohl war sie stark, aber den Gegensatz der Freudenbotschaft, die gestern noch sie unaussprechlich glücklich gemacht haben würde, zu dem Herzeleid des heutigen Tages vermochte sie nicht zu ertragen, diesem Schlage beugte sich auch ihr kräftiger Geist. Sie sank zurück, mit den Händen bedeckte sie das Angesicht, heiße Thränen vergießend.

»Du weinst, mein süßes Liebchen, Thränen der Freude, des Glückes!« rief Ernst frohlockend; »aber ich küsse sie Dir von den Wangen, bis Du mit mir jubelst und lachst!«

Er ergriff ihre Hände und zog sie zu sich, da aber schaute ihn die Braut mit einem so trüben, schmerzerfüllten, fast erloschenen Auge an, daß er erschreckt zurückwich.

»Um Gottes Willen, Marie, was ist Dir? Was ist geschehen?«

Sie antwortete nicht. Das Herz wollte ihr brechen, im trostlosen Schluchzen versagte ihr die Stimme. Erst als er sich zu ihr setzte, als er sie zärtlich an sich drückte, als er ihr freundlich zuredete und ihr Köpfchen lange Zeit an seiner Brust geruht hatte, gewann sie nach und nach die völlig verlorene Selbstbeherrschung wieder. Sie entwand sich sanft seinem Arm.

»Ernst, mein Freund, mein Geliebter!« sagte sie zärtlich. – »Zürne mir nicht und glaube mir, was auch geschehen möge, Dich liebe ich, Dich allein und nur mit dem Tode, nur wenn mein Herz bricht, wird meine Liebe zu Dir erlöschen.«

»Das weiß ich ja; Du bist ja meine einzig geliebte Braut und in vier Wochen mein trautes Weibchen! In diesem Leben kann nichts uns scheiden!«

»Und doch müssen wir scheiden, Ernst. Heut, in dieser Stunde noch!«

Er schaute sie staunend, zweifelnd an. – Sie scherzte nicht, dies sagte ihm der tiefe Ernst, der unbeschreibliche Schmerz, der in ihrem Auge lag; sie sprach eine innige Ueberzeugung aus; aber ihre Worte erschienen ihm so unbegreiflich, daß er den Sinn derselben nicht zu fassen vermochte. Was hätte ihn jetzt wohl noch scheiden können von der Geliebten, jetzt, da endlich alle Hindernisse ihrer Verbindung überwunden waren. Jetzt, wo er sich einen eigenen Heerd gründen, in wenigen Wochen sein Weib heimführen konnte.

»Welche seltsame Sprache, Marie!« sagte er. »Du bist so wunderbar aufgeregt. Was ist geschehen?«

»Frage mich nicht, Ernst. Ich kann und darf es Dir nicht sagen. Doch weiß ich selbst kaum, wie ich mein Unglück fassen und tragen soll; nur eins weiß ich, daß ich namenlos unglücklich bin, daß das Schicksal uns für immer scheidet.«

»Marie, ich flehe Dich an, scherze nicht so fürchterlich!«

»O, wenn es doch ein Scherz wäre, aber es ist der traurigste Ernst des Lebens, der zwischen uns tritt und uns trennt in demselben Augenblick, in welchem wir das Glück so nahe glaubten. Hier, Ernst, mein Geliebter, ist Dein Ring; ich gebe ihn Dir zurück und damit löse ich das Verlöbniß, welches Dich an mich bindet. Geh' jetzt, ich bitte Dich recht von Herzen darum, laß mich allein. Ich muß mich sammeln, muß meine verwirrten Gedanken ordnen; wenn es geschehen, schreibe ich Dir, denn wir dürfen uns niemals wiedersehen.«

»Wache ich denn? Oder ist's ein furchtbarer Traum?« rief Ernst. »Was sollen diese seltsamen, unbegreiflichen Reden bedeuten? Du sagst mir, daß Du mich liebst und immer lieben wirst, und trotzdem giebst Du mir den Verlobungsring zurück, willst Dich von mir lösen auf immer und forderst mich auf, Dich zu verlassen! Nein, Marie, ich gehe nicht! Ich muß wissen, was Dir geschehen ist. Was es auch sein möge, uns darf es nicht trennen. Ich nehme den Ring nicht und ich verlasse Dich nicht. Du bleibst mein, das schwöre ich Dir.« –

»Ja, ich bleibe Dein, Ernst, mit meinem Herzen für alle Zeiten,« entgegnete Marie innig. »Meine Liebe Dir ist ewig und unveränderlich; aber weil sie es ist, weil ich Dich mehr liebe, als mein Leben, gerade deshalb müssen wir uns trennen. Du sollst einst alles wissen und dann wirst Du mich begreifen, aber nicht heut. Geh' jetzt, ich beschwöre Dich.«

»Nun und nimmer mehr! Ich will Klarheit! Du willst mir meinen Ring zurückgeben und mein Verlöbniß lösen, ich aber halte fest an Deinem Wort, an Deinen Schwüren. Du darfst sie mir nicht brechen! Wahrheit fordere ich von Dir, und als Dein Verlobter habe ich dazu ein geheiligtes Recht. Ich muß wissen, welcher Dämon zwischen uns getreten ist, welcher Schicksalsschlag uns trennen soll, damit ich gegen ihn kämpfen kann.«

»Später, Ernst! Nur heute erlaß' mir die Antwort.«

»Nein heut, in diesem Augenblick verlange ich sie.«

»Du marterst mich und erhöhst mein schweres Herzeleid.«

»Ich werde es mit Dir tragen und Dich trösten. Für uns darf es für alle Ewigkeit nur gemeinschaftliche Schmerzen und Freuden geben. Ich lasse Dich nicht, Marie. Nicht an Deine Liebe zu mir, an die Pflichten, die Du durch Dein Gelöbniß gegen mich übernommen hast, mahne ich Dich. Nicht einseitig kannst Du Dein Wort lösen, nicht spielend unsere Verlobung zerreißen und sagen: »Gehe hin, ich liebe Dich, aber ich bin nicht mehr Deine Braut!« Du hast die Pflicht, mir Vertrauen zu schenken, mehr als irgend einem Menschen auf der Welt, ja selbst mehr als Deinem Vater! Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen. Dein Mann aber bin ich. Mit dem Verlöbniß ist die wahre Ehe geschlossen, mit ihm hast Du die Pflichten einer Gattin übernommen. Du sollst und mußt sie erfüllen. Jene kirchlichen Ceremonien, welche Gesetz und Sitte vorschreiben, um die Ehe zu einer rechtsgiltigen zu machen, sind nur leere Formeln gegenüber dem heiligen Liebeswort, welches uns vereint. Zum ersten Male fordere ich von Dir das Recht des Gatten, das volle und unbedingte Vertrauen, welches Du mir schuldest. Ich fordere es und ich lasse Dich nicht, ehe Du mir es geschenkt hast. Sprich, Marie, ich will wissen, was Dich erregt und bewegt; ich bitte Dich nicht mehr, als Dein Verlobter fordere ich mein Recht, die Antwort, von Dir!«

Er sprach ernst, fest, ja fast gebieterisch, aber aus jedem Wort tönte ihr die innige, unvergängliche Liebe des Verlobten entgegen. Er hatte ein Recht, von ihr unbedingtes Vertrauen zu fordern, durfte sie es ihm wohl verweigern? Konnte die Pflicht gegen den Vater die gegen den Verlobten lösen? Aber wenn sie sprach! Da lag auf dem zierlichen Nähtisch das verhängnißvolle Papier, welches seine Ernennung zum Staatsanwalt anzeigte. Als Staatsanwalt hatte er die Pflicht, das Verbrechen zur Strafe zu bringen, ohne Rücksicht auf Rang und Stand des Verbrechers, ohne Rücksicht auch darauf, wie nahe ihm dieser im Leben stehe. Wenn Ernst erfuhr, daß der Vater die seiner Verwaltung anvertrauten Mündelgelder unterschlagen und verspielt habe, dann mußte er dem eisernen Gebote der Pflicht folgen. Durfte sie selbst den Vater der Strafe und Entehrung überantworten, da doch vielleicht noch Rettung für ihn möglich war, wenn es ihm gelang, die unterschlagenen Gelder vor der Entdeckung wieder herbeizuschaffen?

»Ich fühle, daß Du ein Recht zu Deiner Forderung hast,« sagte Marie nach langem, schwerem inneren Kampf, »aber eine höhere Pflicht verbietet mir, Dir dies unbedingte Vertrauen, welches Du verlangst, zu schenken. In kurzer Zeit, vielleicht schon in wenigen Tagen wirst Du selbst mein Schweigen billigen. Nur eins kann und darf ich Dir heut schon sagen. Als vor zwei Jahren Dein Vater nach langem Widerstreben endlich in unsere Verlobung willigte, glaubte er, daß die Braut seines Sohnes zwar eine Bürgerliche, aber die Tochter eines wohlhabenden, hochangesehenen Staatsbeamten sei; nie würde er eingewilligt haben, hätte er gewußt, daß mein Vater sein Vermögen verloren hat, daß er vielleicht bald gezwungen sein wird, aus dem Staatsdienst zu scheiden, weil er seinen Gläubigern nicht gerecht werden kann.«

»Und deshalb, Du thörichtes, liebes, herziges Mädchen, willst Du unsere Verlobung lösen? Was kümmert es mich, ob Dein Vater reich oder arm, ob er ein Präsident oder meinetwegen ein Vagabund ist. Dich liebe ich, Marie, Dich allein für alle Ewigkeit. Niemandem will ich mein Glück verdanken, nur Dir und meiner eigenen Kraft, deshalb habe ich damals Deines Vaters Vorschlag, nur einen Zuschuß zu meinem Gehalte zu geben, nicht angenommen, deshalb habe ich diese zwei Jahre gewartet, bis ich endlich eine Stellung errungen habe, die mir erlaubt, mir unabhängig den eigenen Heerd zu gründen und mein geliebtes Weibchen heimzuführen. Wie wenig kennst Du mich doch, Marie, wenn Du glaubst, irgend eine Rücksicht der Welt könne mich bewegen, auf das Wort, welches Du nur gegeben, zu verzichten. Auch sagst Du mir nichts Neues. Was Du mir andeutest, habe ich längst geahnt, fast möchte ich sagen, gewußt und auch meinem Vater ist es kein Geheimniß. Er kennt ja als der älteste Freund Deines Vaters dessen unglückselige Leidenschaft für das Spiel, dessen große, gerade in letzter Zeit besonders große Verluste. Als ich ihm vor einer halben Stunde meine Ernennung zum Staatsanwalt und meinen Wunsch, nun unsere Hochzeit so schnell als möglich zu feiern, mittheilte, drückte er mir die Hand und sagte freundlich: »So ists recht, Ernst. Eile Dich, damit unser Liebling in den sicheren Hafen kommt. Als Deine Frau wird sie leichter die schweren Zeiten, welche ihr drohen, überstehen.« Er erzählte mir dann, daß Dein Vater stärker als früher spiele, daß er unmöglich solche Summen, wie er in letzter Zeit verloren, zu ersetzen im Stande sei. Sein Vermögen sei dahin, sein Kredit vernichtet, und jedenfalls würden seine Gläubiger bald gegen ihn zu den ernstesten Schritten gezwungen sein. Ich würde Dir dies nie gesagt, Dich nie durch solche harte Worte über Deinen Vater gekränkt haben; aber ich mußte es thun, um Dir zu beweisen, daß Deine Furcht vor meinem Vater grundlos ist. Er hat mir sein Wort gegeben, und nie, dessen bin ich sicher, wird er es brechen. Was auch geschehen möge, Du bist und bleibst meine Braut. Ich habe Dein Wort, das gebe ich Dir nicht zurück!«

Er umarmte die Braut mit stürmischer Zärtlichkeit, sie aber entzog sich ihm.

»Ich wußte es wohl,« sagte sie traurig, »daß Du herrlicher, edler Mensch so denken und handeln würdest; aber dennoch müssen wir scheiden. Ich darf meinen Vater nicht verlassen, ich muß seine Stütze sein, wenn er vielleicht ins Elend wandert. Hier kann er nicht bleiben, wenn sein Amt ihm verloren geht; er muß sich in Amerika eine Existenz gründen, und die Tochterpflicht gebietet mir, ihm zu folgen. Ich habe meiner sterbenden Mutter gelobt, ihn nicht zu verlassen. Sei sein guter Engel, sagte sie mir, – fast waren es ihre letzten Worte, – damit er nicht ganz versinke!«

»Steht es so schlimm mit dem Vater? Das glaubte ich freilich nicht!« entgegnete Ernst. »Du hast Recht, Marie; jetzt darfst Du ihn nicht verlassen, ebensowenig aber auch mich! Das Wort, welches Du mir gegeben, ist nicht weniger heilig, als das Deiner Mutter geleistete Gelöbniß. Ich halte Dich fest und lasse Dich nicht! Vielleicht ist es möglich, den Vater zu retten; ich werde meine ganze Kraft aufbieten; gelingt es aber nicht, dann werden wir Beide vereint ihn stützen. Ich werde mich nach einem entfernten Gericht versetzen lassen.«

»Du giebst dadurch Deine glänzende Staatslaufbahn auf!«

»Was kümmert sie mich! Welchen Werth hätte mir das glänzende Leben, wenn Du mir fehlst!«

»Ich kann, ich darf ein solches Opfer von Dir nicht annehmen!«

»Ein Opfer? Du liebst mich nicht, wie ich Dich liebe, Marie, sonst könntest Du so nicht sprechen. Was opfere ich Dir Großes? Vielleicht den trügerischen Schein einer glänzenden Staatslaufbahn, die irgend ein unbedeutender Zufall, die Ungunst eines Ministers oder nicht vorherzusehende politische Ereignisse in jedem Augenblicke zerstören können, dafür aber gewinne ich Dich und das reine Glück eines schönen Lebens mit Dir. Ich will heut nicht weiter in Dich dringen. Du bist so erregt, so tief traurig über das schwere Schicksal, welches den Vater bedroht, daß Du nicht so klar und scharf, wie sonst, denkst; aber Dein starker Geist ist nur gebeugt, er wird sich kräftig wieder aufrichten. Du wirst Deine Pflicht erkennen, nicht nur die gegen den Vater, auch die gegen mich. Ich lasse Dich nicht und Du darfst mich nicht lassen. Vereint wollen wir dem Schicksal die Stirn bieten und es besiegen. So lange Du nur bleibst, kann es für mich kein wahres Unglück geben. Das beherzige, Marie. Und nun leb' wohl, Du meine Seele, mein Leben!«

Der nicht mehr Widerstrebenden küßte er die Antwort vom Munde, dann eilte er fort, er wollte nichts mehr hören, sein Entschluß war ja unwiderruflich gefaßt.

Marie schaute ihm träumerisch nach; ein glückseliges Lächeln verklärte ihr schönes Angesicht. Ja, sie fühlte es, sie war mit ihm, dem herrlichen, stolzen Manne, vereint für das Leben, kein Schicksalsschlag vermochte ihre Herzen zu trennen. Auch wenn das Schlimmste eintreffen sollte, er blieb treu und fest. Alle die Erwägungen des kalten Verstandes mußten schweigen vor dem mächtigen Gefühl des warmen Herzens. Er hatte gesiegt. Dem Wort und Willen des kräftigen Mannes unterwarf sie sich freudig. Sie beugte sich aus dem Fenster, und als er am Thorplatz angelangt, noch einmal sich umwendete und freundlich heraufgrüßte, da antwortete sie ihm mit dem glücklichsten Lächeln.


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