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XV.

Die gerechte Strafe.

Mit dem Präsidenten war seit dem Augenblick, in welchem er die Nachricht von dem großen Lotteriegewinn erhalten hatte, eine wunderbare Veränderung vorgegangen. Seine geistige Kraft war gebrochen; er konnte stundenlang unthätig, in dumpfes Hinbrüten versunken, den Kopf in die Hand gestützt, am Fenster seines Arbeitszimmers sitzen und hinüber schauen nach dem halb im Gebüsch versteckten Dach des Schlosserhauses. – Er floh die Gesellschaft, selbst die seiner Tochter, die er nur beim Mittagstisch sah und dann auch nur auf kurze Zeit, denn er beeilte sich, die einfache Mahlzeit so schnell wie möglich zu beenden und wieder in sein Arbeitszimmer zurückzukehren.

Seine Amtsgeschäfte besorgte er zwar mit der früheren Pünktlichkeit, aber er that es mechanisch und ohne Lust an der Arbeit. Von der Sorge für die Zukunft war er in Folge des Lotteriegewinnes befreit. – Er hatte gleich am nächsten Tage den Geheimrath von Samuelsohn in St** besucht und von ihm neben einem Darlehn von 12,000 Thalern das Versprechen erhalten, daß der Glücksfall, der ihn getroffen, geheimgehalten werden solle.

Mit den empfangenen 12,000 Thalern zahlte der Präsident seine Schuld an die Kirchenbaukasse, er empfing vollgiltige Quittung, – die Bitte, auch ferner das Schatzmeisteramt beizubehalten, lehnte er ab; – ebenso das nochmalige Anerbieten eines Darlehns, welches ihm der Hoftischler Anselm machte.

Dem freundlichen Mann, der recht betrübt war über die Vereitelung der Hoffnung, daß er dem hochverehrten Herrn einen Dienst leisten könne, dankte der Präsident herzlich, aber er erklärte, daß er durch das unerwartete Eingehen eines verloren gegebenen Kapitals in den Stand gesetzt sei, die Kirchenbaukasse zu befriedigen, ohne sich durch eine Schuld zu belasten. – Damit war diese Angelegenheit erledigt und sie trug viel dazu bei, den Präsidenten in M** noch beliebter und geachteter zu machen, als er es ohnehin war, denn die Mitglieder des Komités der Kirchenbaukasse, und vor allen anderen der Hoftischler Anselm, wußten nicht Worte genug zu finden, um aller Orten die Großmuth des Präsidenten, seine Rechtlichkeit und prompte Geschäftsführung zu rühmen.

Auch die Abrechnung mit dem Baron Rechtenberg erledigte sich schnell und befriedigend. – Rechtenberg war am Tage nach dem Einbruch in St** eingetroffen und hatte sofort an seinen früheren Vormund geschrieben. Zu seinem hohen Erstaunen erhielt er im Komptoir des Geheimraths von Samuelsohn die Baarbestände seines Vermögens prompt und richtig ausbezahlt; wegen der Abwickelung der übrigen Geschäfte verwies ihn der Präsident an seinen Rechtsanwalt. –

So war denn auch von dieser Seite nichts mehr zu besorgen. Der Präsident glaubte der eigenen Zukunft mit voller Sicherheit entgegensehen zu können, und dennoch peinigte ihn eine nicht zu unterdrückende Unruhe, die ihm auch des Nachts den Schlaf raubte.

Damals, als er noch für das eigene Leben kämpfte, war er im kalten Egoismus entschlossen gewesen, um sich zu retten, jede Rücksicht zu opfern. Selbst einen Mord hätte er nicht gescheut, und nur durch einen glücklichen Zufall war er an der Ausführung desselben verhindert worden. Jetzt, wo er gerettet war, bebte er zurück vor dem Abgrunde, an dessen Rande er gestanden hatte. Er fühlte, daß er des Mordes schuldig war, obgleich er die That nicht begangen hatte. Er konnte dem alten freundlichen Rendanten nicht mehr ohne Erröthen ins Auge schauen.

Fast nichtswürdiger noch, als der im Augenblick der höchsten Erregung, im halben Wahnsinn beabsichtigte Mord, erschien aber jetzt dem Präsidenten sein kaltblütig überlegtes, systematisch vorbereitetes Vorgehen gegen den unglücklichen Weinert. Hätte er es rückgängig machen können! Freudig würde er die schwersten Opfer gebracht haben. Freilich, er konnte es thun. Wenn er sich selbst anklagte, wenn er den wahren Zusammenhang der Ereignisse rückhaltlos aufdeckte, dann musste der falsche Verdacht gegen den Unschuldigen schwinden. Dazu aber hatte er nicht die Kraft. Alles wollte er thun, alles; nur dies Eine nicht! Sollte er ganz vergeblich die Achtung vor sich selbst und die Lust am Leben verloren haben? Sollte er jetzt, wo er wieder für sich und seine Tochter eine ehrenvolle, glückliche Zukunft vor sich sah, sich selbst vernichten, nur um Weinert aus einer jedenfalls doch nur kurzen Haft zu befreien? Er wollte ihn entschädigen, zum wohlhabenden Manne machen. Der Schlosser sollte dereinst die ungerechte Strafe, aus der sein Glück entspross, segnen!

Mit solchen Scheingründen suchte der Präsident sein Gewissen zu betäuben; aber es gelang ihm nicht. Tag und Nacht verfolgte ihn das Bild des im Kerker verzweifelnden Gefangenen und der schönen jungen Frau, die ihn als ihren Wohlthäter segnete, während sie ihn doch als den Zerstörer ihres Glückes hätte verfluchen müssen.

Nur drei kurze Tage waren seit der Verhaftung Weinerts vergangen, aber sie hatten hingereicht, um den frischen, kräftigen, schönen Mann in einen lebensmüden Greis zu verwandeln. Die gebeugte Haltung, die Abspannung der schlaffen Züge, das erloschene Auge waren so auffällig, daß die Freunde des Präsidenten ernstlich um ihn besorgt wurden, daß auch Marie mit ängstlicher Zärtlichkeit in ihn drang, einen Arzt zu befragen; er aber wies ihre Bitte schroff und bestimmt zurück, – er wußte ja sehr wohl, daß keine Arznei seine Seelenleiden heilen könne.

Es war am Morgen des vierten Tages nach Weinerts Verhaftung, als dem Präsidenten, der wieder grübelnd am Fenster saß, der Polizei-Kommissarius Wetter gemeldet wurde. Er hätte den widerwärtigen Menschen gern abgewiesen, das aber ging jetzt nicht an, er mußte den unangenehmen Besuch schon empfangen.

»Was wünschen Sie?« fragte der Präsident, der in diesem Augenblick seine gewohnte vornehme Haltung wiedergefunden hatte, den Polizei-Kommissarius, welcher sich ihm mit einer tiefen Verbeugung nahte. Er blieb stehen und lud auch den lästigen Besucher nicht zum Sitzen ein, wie er es sonst seinen Untergebenen gegenüber stets that. Der Mensch war ihm so unangenehm, daß er ihm selbst die gewöhnliche, herablassende Höflichkeit nicht zeigen wollte.

Ueber Wetters Gesicht flog bei dem barschen Empfang ein höhnisches Lächeln. Er ließ sich nicht zu einer zweiten Verbeugung herbei, sondern näher tretend, stellte er sich recht breit und trotzig vor den Präsidenten hin, und indem er sich den rothen Schnurrbart in die Höhe drehte, sagte er in einem keineswegs unterwürfigen oder auch nur bittenden, sondern in einem recht scharf herausfordernden Tone:

»Ich habe dem Herrn Präsidenten eine Bitte vorzutragen.«

»Sprechen Sie!«

»Ich bin des Polizeidienstes müde. Die Strapazen werden mir jetzt zu groß und das Gehalt ist mir zu knapp. Ich wünsche zur Regierung direkt versetzt zu werden und da, wie ich höre, der Geheime Registrator Schale pensionirt wird, möchte ich den Herrn Präsidenten bitten, mich in die vakant werdende Stelle einrücken zu lassen.«

»Weiter wünschen Sie nichts?« erwiderte der Präsident spöttisch. »Ich gestehe, daß ich den Muth bewundere, mit dem Sie eine derartige Bitte nur vorzutragen wagen. Nur auf die besondere Fürsprache des Herrn Polizei-Direktors, der Ihren allerdings anerkennenswerthen Eifer und Ihre Geschicklichkeit bei Aufspürung der Verbrecher rühmt, habe ich mich bisher bewegen lassen, nicht längst gegen Sie die Einleitung der Disciplinar-Untersuchung anzubefehlen, obgleich vielfache und wie es scheint begründete Klagen gegen Sie bei mir eingelaufen sind. Ihr ausschweifender Lebenswandel, Ihre Trunksucht, die Brutalität, welche Sie bei Verhaftungen und Haussuchungen zeigen, hätten hierzu vielfach Veranlassung gegeben. Danken Sie dem Herrn Polizei-Direktor und meiner Milde, daß es nicht geschehen. Auf eine Beförderung oder gar auf eine so ungewöhnliche Begünstigung, wie Ihre gewünschte Versetzung wäre, haben Sie weder Anspruch noch Aussicht. – Adieu.«

Wetter hörte die bündige Auseinandersetzung des Präsidenten sehr ruhig mit an; er hatte wohl kaum eine andere Antwort erwartet. Als der hohe Vorgesetzte ihn mit dem kurzen »Adieu« entlassen wollte, nahm er einen Stuhl, und sich niederlassend, sagte er, auf den Lehnsessel am Fenster zeigend, kaltblütig:

»Die Sache müssen wir doch noch etwas näher besprechen. Setzen wir uns, Herr Präsident.«

»Herr! Was fällt Ihnen ein? Welche Unverschämtheit!« rief der Präsident zornig aufbrausend.

»Behalten wir unsere Gelassenheit, sie wird uns sehr nützlich sein. Bitte, setzen Sie sich doch, Herr Präsident. Wir haben noch manches Wort mit einander zu plaudern.«

»Herr, wollen Sie sich im Augenblick entfernen?«

»Das beabsichtige ich keineswegs. Im Gegentheil, ich habe noch viel mit dem Herrn Präsidenten zu verhandeln.«

»Der Mensch muß verrückt geworden sein! Soll ich meinen Bedienten rufen?«

»Thun Sie das nicht, Herr Präsident,« sagte Wetter, aus dem ruhig spöttischen Ton, in welchem er bisher gesprochen hatte, in einen scharf drohenden übergehend, – »wenigstens warten Sie, bis ich Ihnen eine hübsche, kleine Polizeigeschichte erzählt habe von einem vornehmen Herrn, der sich selbst bestohlen hat.«

Der Präsident wankte zurück. Er faßte krampfhaft die Lehne des hinter ihm stehenden Sessels. Mit starrem Auge blickte er entsetzt auf den Polizisten, der sich sehr gemüthlich in den Stuhl zurücklehnte und mit den über einander gelegten Beinen schaukelte.

»Was bedeuten diese Worte? Was wollen Sie?«

»Nicht wahr, Sie rufen den Bedienten nicht, Herr Präsident?« fuhr Wetter höhnend fort. »Ich kenne ja Ihre Güte! – Es ist eine hübsche Geschichte, die Sie interessiren wird. Aber setzen wir uns und rauchen wir eine Cigarre. Bitte, wollen Sie mir nicht die Cigarrenkiste da anbieten? Sie rauchen gewiß eine feine Sorte!«

»Herr, reizen Sie mich nicht!«

»Ich bitte um eine Cigarre. Noch bitte ich, Herr Präsident!«

Der Präsident biß sich voll Wuth auf die Lippen, aber er beherrschte sich. Schweigend schob er die auf dem Fenstertisch stehende Cigarrenkiste zu dem Polizisten hinüber.

»So, ich sehe, wir verstehen uns und werden recht gut mit einander fertig werden; besten Dank, mein verehrter Herr Präsident,« sagte Wetter, indem er sich mit unverwüstlicher Ruhe eine Cigarre nahm und anzündete. »Jetzt also zu meiner Bitte und zu meiner Geschichte. Ich wünsche von der Polizei fort und in eine ruhige, gute andere Stelle zu kommen. Dafür habe ich außer vielen anderen guten Gründen auch den Sie, Herr Präsident, vielleicht besonders interessirenden, daß ich als Polizist gezwungen sein würde, dem Polizei-Direktor Mittheilungen zu machen, in Folge deren ein hoher Staatsbeamter auf das Zuchthaus kommen, wenigstens jedenfalls infam kassirt und mit Gefängniß bestraft werden würde. Verstehen Sie, Herr Präsident, nicht sowohl in meinem Interesse, als in dem des betreffenden hohen Staatsbeamten möchte ich Sie bitten, für meine Versetzung Sorge zu tragen. Sie werden dies ganz begreifen, nachdem Sie meine kleine Polizeigeschichte gehört haben. Sie kennen ja den Schlosser Weinert? Nun, jeder Mann hat seine Feinde, auch der Weinert hat einen, und zwar einen recht erbitterten, der ihn verderben möchte. Ein Vigilant ist es, ein nichtswürdiger Bursche, der auf eigene Hand stiehlt und uns, das heißt der Polizei, nur um sich selbst zu sichern, theils wahre, theils falsche Mittheilungen über seine Genossen macht. Durch diesen Vigilanten hatte ich erfahren, der Weinert sei bei den letzten Einbrüchen betheiligt gewesen und habe für neulich, Dienstag Abend, wieder sich mit mehreren bestraften Subjekten zu einem neuen Einbruch verabredet. Etwas Näheres behauptete der Vigilant nicht zu wissen, ich habe nachher entdeckt, daß der Schurke nur meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt leiten wollte, weil er selbst beabsichtigte, einen Diebstahl zu begehen, der indessen durch einen Zufall verhindert worden ist. Er ahnte nicht, welchen guten Dienst er mir durch seine falsche Nachricht leisten sollte. Bis jetzt interessirt Sie die Geschichte nicht, Herr Präsident, aber warten Sie nur ein wenig, sie wird gleich interessanter werden.

»Ich hatte es mir in den Kopf gesetzt, den Einbrechern, welche M** seit einiger Zeit beunruhigen, auf die Spur zu kommen. Durch einen Zufall ist es mir schon am folgenden Morgen gelungen, damals aber war ich noch auf der falschen Fährte, ich glaubte wirklich, der Weinert sei einer von ihnen und beschloß, ihn während des ganzen Abends und der Nacht genau zu beobachten. Dem Weinert'schen Hause gegenüber liegt am Gartenweg ein leerer Holzschuppen, dort versteckte ich mich bei einbrechender Dunkelheit. Ich konnte von dem Schuppen aus sowohl die Werkstatt des Weinert, als auch den ganzen Gartenweg überschauen, denn meine Augen sind vortrefflich und der Mondschein begünstigte mich.

»Fast schien es, als solle meine ganze Mühe vergeblich sein. Weinert machte gar keine Anstalt, sein Haus zu verlassen, er arbeitete mit rastlosem Fleiß in seiner Werkstatt. Da aber wurde, als der Abend schon ziemlich vorgerückt war, meine Aufmerksamkeit durch ein fernes Geräusch gefesselt. Ich hörte deutlich, wie ein knarrendes Schloß durch einen Schlüssel geöffnet wurde. Mein erster Gedanke war, ein Dieb sei im Begriff, vom Gartenweg aus mit einem Nachschlüssel die Gartenthür eines der angrenzenden Grundstücke zu öffnen, aber ich überzeugte mich sogleich, daß ich mich geirrt hatte, denn als ich den Gartenweg überschaute, sah ich, daß aus einer der Thüren ein Mann trat, sie wieder verschloß, mehrere Schritte vor und wieder zurück ging, sich einige Augenblicke aufhielt – was er vornahm, konnte ich nicht erkennen, dann über die Gartenmauer in denselben Garten zurückkletterte, aus dem er soeben gekommen war und in den er so leicht durch die Thür hätte zurückkehren können. Meine Geschichte fängt an interessant zu werden, nicht wahr, Herr Präsident?«

»Fahren Sie fort!« entgegnete der Präsident mit tonloser Stimme. »Quälen Sie mich nicht unnütz!«

»Ei bewahre! Quäle nie ein Thier zum Scherz, ist ja eine alte gute Regel. Fahren wir also fort. Daß mir der Spaß sonderbar vorkam, werden Sie natürlich finden. Ich wußte nicht, was er bedeuten solle, beschloß aber, es zu ergründen und vorläufig meinen Meister Weinert sich selbst zu überlassen. Ich verließ meinen Versteck, eilte nach der Gartenthür und fand, daß es die zum Garten des Herrn Präsidenten führende sei. Zuerst wollte ich dem Mann über die Mauer in den Garten folgen, ich fürchtete aber, ihn durch das Geräusch des Ueberkletterns aufmerksam zu machen; ich lauschte also vor der Thür, um zu hören, was er wohl im Garten vornehmen möge. Gleich darauf hörte ich ein Krachen, es kam von der Gegend her, wo der Geräthschuppen im Garten steht. Da kam mir plötzlich ein Gedanke. »Der holt sich dort die Gartenleiter,« dachte ich. »Er will einbrechen, und zwar im ersten Stock, sonst brauchte er keine Leiter.« Ich erinnerte mich, daß man etwas weiter unten vom Gartenweg aus die Hinterfront der Villa überschauen könne. Dorthin lief ich und bald erkannte ich, daß meine Voraussetzung richtig war. Ich sah, wie die Leiter an das Haus gelehnt wurde, sah, wie ein Mann hinaufstieg, und da der Mond die Gestalt klar beleuchtete, erkannte sie mein scharfes Auge. Ob ich mich wohl gewundert habe, Herr Präsident?«

Der Präsident antwortete nicht, Wetter fuhr fort: »Ich stand mit einem Gesicht da, so verblüfft, wie Sie es vorhin gemacht haben. Donnerwetter, dachte ich, was soll denn das bedeuten? Und als nun gar der Mann eine Scheibe eindrückte, in das Fenster stieg und nach sehr kurzer Zeit mit einem dunklen Ding unter dem Arm zurückkam, da wußte ich gar nicht mehr, wo mir eigentlich der Kopf stand. Aber lange Zeit zum Besinnen hatte ich nicht, denn der Einbrecher kam mit der Leiter gerade auf die Gartenmauer zu. Ich überlegte, er werde wahrscheinlich nach der Stadt gehen, dann konnte ich ihn vom Holzschuppen aus genau beobachten, ging er nach der andern Seite, dann mußte ich ihm von weitem folgen. Ich eilte nach dem Schuppen, von dort aus sah ich, daß der Einbrecher auf der Leiter über die Mauer stieg, daß er eine Zeit lang stehen blieb, was er that, konnte ich wieder nicht erkennen, daß er dann sich mir näherte und den dunklen Gegenstand, welchen er unter dem Arm trug, über den Zaun des Weinert'schen Grundstückes in die Düngergrube warf. Dann ging er weiter über den Thorplatz nach den Anlagen am Stadtgraben. Ich folgte ihm; aber ich blieb so fern, daß er es nicht bemerkte. Auf der eisernen Brücke, die nach der kleinen Insel führt, machte er Halt und warf einen schweren Gegenstand ins Wasser, dann schlug er den Weg nach der Stadt ein. – Bis zur Weinstube im Goldenen Lamm verfolgte ich ihn, dann kehrte ich befriedigt nach meinem Holzschuppen zurück. Dort hatte ich nichts versäumt, denn Meister Weinert war noch fleißig bei der Arbeit und blieb dabei, bis er gegen ein Uhr ruhig zu Bette ging. Ich aber ging nicht zu Bett. Ich trieb mich die ganze Nacht in der Nähe der Villa umher, ich sah, wie der Herr Präsident etwas schwankend nach Hause kam, und als ich endlich am andern Morgen von meinem Freund Habicht erfuhr, beim Herrn Präsidenten sei ein Geldkasten mit 13,000 Thalern gestohlen worden, da wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. – Daß der Herr Präsident sich selbst bestohlen, oder vielmehr, daß er die ihm anvertraute Kirchenbaukasse gestohlen habe, war nicht schwer zu errathen.

Nun aber kam es darauf an, noch andere Beweise, als mein einfaches Zeugniß, das man vielleicht für Verleumdung gehalten haben würde, zu schaffen. Ich habe sie mit großer Mühe beigebracht und der Herr Präsident mögen daraus ersehen, welch' ein brauchbarer Beamter ich bin. Aus dem Stadtgraben habe ich die Ueberschuhe mit dem Hammer, dem Pechpflaster und dem Stemmeisen herausgefischt. Die Ueberschuhe passen genau mit dem Maß der Fußspuren im Garten, welches der Herr Polizei-Direktor genommen hat, zusammen. Das weiße Pech des Pflasters entspricht dem auf einer Glasscherbe des Fensters, welche mein Kollege Habicht auf meinen Rath geholt hat. Aber das ist nicht alles. Die Ueberschuhe erkannte ich als echte Kalauer Arbeit, die sicher in der Schustergasse in St** gekauft worden waren. Ich bin von Laden zu Laden gegangen und habe richtig den Verkäufer herausgefunden, der versichert, er werde den großen, schönen, vornehmen Herrn, der sie am Dienstag Morgen bei ihm gekauft habe, noch nach zehn Jahren wiedererkennen. Ebenso habe ich in der Nagelgasse in St** den Verkäufer der Stemmeisen und des Hammers ausfindig gemacht. – Mühe genug hat es gekostet; aber es ist gelungen. Wo das Geld geblieben ist, weiß ich heut noch nicht; aber auch das bringe ich heraus, oder ich will nicht Wetter heißen! Nun, wie gefällt Ihnen meine Geschichte, Herr Präsident?«

Der Präsident war vernichtet. Aus seiner geträumten Sicherheit plötzlich herausgerissen, sah er sich wieder von der Schande und dem Verderben bedroht, in der Gewalt eines nichtswürdigen Menschen, den er soeben noch schwer beleidigt hatte und der ihn dafür mit grausamer Lust bitter verhöhnte. Er war unfähig zu antworten. Seine Gedanken wirrten durcheinander, aus diesem Irrsal sah er keinen Ausweg.

»Sie antworten nicht, Herr Präsident, – da muß ich denn wohl fortfahren. Ich habe Sie jetzt am Schnürchen, Sie müssen tanzen, wie ich pfeife, und ich werde nicht schlecht pfeifen, darauf können Sie sich verlassen. Also zuerst meine Anstellung als Geheimer Registrator, das versteht sich von selbst, außerdem aber einen hübschen jährlichen Zuschuß zum Gehalt! – Viel baares Geld haben Sie nicht, das weiß ich wohl, denn Sie haben, weil Ihnen doch die Geschichte nicht ganz geheuer erschien, den Muth verloren und sind so dumm gewesen, das gestohlene Geld der Kirchenkasse wieder zurückzuzahlen, einen Hundertthalerschein aber werden Sie heut schon noch übrig haben, den bitte ich mir vorläufig aus. Was dann weiter kommt, werden wir ja sehen.«

Der Präsident nahm seufzend aus der Brieftasche einen Hundertthalerschein, den letzten, wie Wetter mit spöttischem Lächeln zu bemerken glaubte. Er hatte sich jetzt etwas gefaßt.

»Ich bin in Ihrer Gewalt, Herr Wetter,« sagte er mit erzwungener Ruhe, »ich weiß es; aber ich rathe Ihnen, spannen Sie die Sehne nicht so scharf an, daß der Bogen bricht. Hören Sie eine Bitte, und wenn Sie diese gewähren, mögen Sie von mir fordern, was Sie wollen; wenn ich es erfüllen kann, soll es geschehen. Sie können durch Ihre Aussage den Beweis führen, daß der Schlosser Weinert in jener Unglücksnacht sein Haus nicht verlassen hat. Thun Sie es! Befreien Sie den Unglücklichen aus dem Gefängniß, ohne mich zu verderben, dann mögen Sie über alles, was ich besitze, gebieten.«

»Das werde ich auch ohnedem in ausgiebigster Weise thun!« erwiderte Wetter lachend und den rothen Schnurrbart in die Höhe drehend. »Wie zum Teufel aber kommen Sie jetzt plötzlich auf die Idee, daß Sie den Weinert unschuldig machen wollen, während Sie doch vorher alles Mögliche gethan haben, um ihn zu verdächtigen?«

»Ich kann es nicht ertragen, daß der Unschuldige verurtheilt wird.«

»Also ein reuiger Sünder! Was man doch alles erlebt. Donnerwetter, da sind unsere gewöhnlichen Spitzbuben doch andere Kerle! Ich aber werde kein Esel sein. Gerade daß der Weinert brummen muß, giebt Sie erst recht in meine Hand.«

»Aber Herr Wetter – – –!«

»Lassen Sie die unnützen Redensarten, die verfangen bei mir nicht. Sie wissen jetzt, woran Sie sich zu halten haben. Wenn ich nicht in acht Tagen Geheimer Registrator bin und zu meiner Einrichtung von Ihnen 1000 Thaler baares Geld habe, mögen Sie sich die Zelle im Stadt-Gefängniß aussuchen. Einstweilen danke ich für den Hundertthalerschein und habe die Ehre, mich allergehorsamst zu empfehlen.«

Er stand auf, und mit einer überaus tiefen, mehr als respektvollen Verbeugung verließ er den Präsidenten. Dieser vermochte in tiefster, an Wahnsinn grenzender Verzweiflung kein Wort zu erwidern. Er preßte die Hände gegen die Stirn und mit dem Ausruf: »Mein Gott! Mein Gott! Das ist die gerechte Strafe!« brach er ohnmächtig zusammen.


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