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X.

Vater und Tochter.

Der Präsident war durch die Aufregung der Unterhaltung mit dem Polizeibeamten sehr erschöpft. Sonst suchte er seine Erholung in fleißiger Arbeit, für den Augenblick konnte er dies nicht thun, denn sein Schreibzimmer war so lange, bis ein förmliches Protokoll über den Thatbestand aufgenommen worden war, für ihn verschlossen. Er ging deshalb nach dem Zimmer seiner Tochter, um bei ihr das erste Frühstück einzunehmen und sich durch Plaudern mit ihr ein wenig zu zerstreuen.

Marie empfing den Vater mit einer eigenthümlichen Befangenheit. Sie erwiderte wohl seinen freundlichen Morgengruß, dabei aber schaute ihr großes dunkles Auge ihn so ängstlich, mißtrauisch forschend an, daß er den Blick nicht zu ertragen vermochte. Er hatte das Gefühl, wenn er in diese forschenden Augen schaue, würden sie in die dunkelsten Tiefen seiner Seele dringen und in denselben lesen, was er der ganzen Welt verbergen mußte und am liebsten sich selbst verborgen hätte. Er schämte sich, daß er vor der Tochter die Augen niederschlagen mußte, er fühlte sich gedrückt, beklommen; er wollte sich zwingen, ihrem Blicke zu begegnen, als er aber wieder aufschaute, war der Ausdruck dieser schwarzen, geistreichen Augen nur noch forschender, mißtrauischer geworden. Schnell wendete er sich ab, und um dafür einen natürlichen Grund zu haben, nahm er einen Sessel, den er an den Tisch neben das Sopha zog. »Ich will heut bei Dir meinen Kaffee trinken, Marie,« sagte er mit erzwungener Ruhe. – »Du weißt wohl schon, welches entsetzliche Unglück uns betroffen hat?«

»Das Mädchen hat mir gesagt, es sei ein Einbruch in Deinem Arbeitszimmer verübt worden, Dein eiserner Geldkasten sei mit einer ungeheuren Geldsumme geraubt.« Sie schaute den Vater, während sie mit wunderbarer Ruhe die Antwort gab, wieder scharf prüfend an. In seinen Augen wollte sie die Wahrheit lesen; er aber blickte zu Boden, seine ganze Aufmerksamkeit schien auf eine Troddel des Schlafrocks, mit der er mechanisch spielte, konzentrirt zu sein.

»Du hast recht gehört, Marie!« sagte er mit tonloser Stimme. »Wir sind in dieser Nacht beraubt, ruinirt worden.«

»Waren wir dies nicht schon vorher, Vater?« fragte Marie mit derselben erzwungenen Ruhe.

»Nein, ich hatte in St** Mittel gefunden, alle meine Verpflichtungen zu erfüllen.«

»Und nun? Wirst Du nun dem Baron Rechtenberg sein Vermögen zurückerstatten können?«

»Dafür habe ich zum Glück gestern Sorge getragen. Rechtenbergs Geld und der größere Theil der Kirchenbaukasse sind gerettet, ich habe in meinem Geldkasten nur so viel Geld aufbewahrt, als nothwendig war, um plötzliche Ausgaben zu decken; aber auch diese Summe ist sehr groß, – Tausend Thaler von meinem Eigenthum und zwölftausend Thaler aus der Kirchenbaukasse.«

»Hat Niemand eine Ahnung, wer wohl der Dieb gewesen sein könne?« fragte Marie weiter, der Ton ihrer Stimme klang dabei so eigenthümlich, daß der Präsident unwillkürlich aufsehen mußte, aber schnell senkte er den Blick wieder, diesem klaren, forschenden Auge konnte er nicht begegnen, er las in demselben einen furchtbaren Verdacht. –

»Man hat allerdings einen Verdacht,« entgegnete der Präsident zögernd, – »das heißt nicht ich habe ihn, sondern Johann und der Polizei-Kommissarius. – Ein früherer Zuchthäusling, der Schlosser Weinert – –«

»Der Schlosser am Gartenweg, der Tag und Nacht so fleißig arbeitet? Der die schöne junge Frau und das niedliche Kindchen hat?«

»Derselbe; aber wie gesagt, ich habe keinen Verdacht, wenn ich auch gestehen muß, daß manche seltsame Umstände mich wohl dazu berechtigten. Aber fern sei es von mir, einen vielleicht Unschuldigen zu beschuldigen und in eine Untersuchung zu verwickeln.«

»Du thust wohl daran, Vater!« sagte Marie sehr entschieden, ja ihre Worte erklangen fast drohend. »Wenn eine Untersuchung gegen den vielleicht Unschuldigen« – sie betonte das »vielleicht« stark, – »eingeleitet würde, dann würde auch mir die Pflicht gebieten, ohne Rückhalt alles zu sagen, was zum Beweise seiner Unschuld dienen kann. Hörst Du, Vater, alles.«

»Was willst Du damit sagen? Ich verstehe Dich nicht.« –

»Würde der Verdacht auf jenen unglücklichen Schlosser fallen, würde er nicht vielleicht,« – wieder betonte sie das Wort »vielleicht« scharf, – »nach einer anderen Seite sich wenden, wenn man wüßte, daß vorgestern noch an dem Vermögen des Baron Rechtenberg 10,000 Thaler fehlten, daß der Präsident Wartenberg sich erschießen wollte, weil er fürchtete, der Unterschlagung angeklagt zu werden, daß heut aber diese Gefahr beseitigt und das Rechtenberg'sche Vermögen vervollständigt ist? Wenn solche Anzeige an das Gericht käme, dann würde dasselbe »vielleicht« nachforschen, woher der Herr Präsident die Mittel zur Deckung der Unterschlagung genommen hat.«

Der Präsident sprang zornig auf. – »Mädchen, Du wirst mich wahnsinnig machen!« rief er aus. – »Glaubst Du etwa, ich hätte mich selbst bestohlen?«

»Ich glaube nichts, weil ich nichts glauben will!« – antwortete Marie mit fast unnatürlicher Ruhe. – »Als ich die erste Nachricht von dem Einbruch und davon, daß die Dir anvertraute Kirchenbaukasse um eine ungeheure Summe beraubt sei, erhielt, da durchschauerte mich ein entsetzlicher Verdacht. Durfte ich ihn aussprechen und war ich gar verpflichtet, es zu thun? – Vater, ich habe eine fürchterliche Stunde durchlebt! Aber es ist klar in mir geworden. Ich kenne jetzt meine Pflicht und ich werde sie erfüllen. – Nie werde ich dulden, daß ein Unschuldiger bestraft werde wegen eines Verbrechens, welches ein Anderer begangen hat.« –

»Marie, Du bist wahnsinnig – –«

»Es muß Wahrheit zwischen uns sein, Vater. Ich kann Dir folgen in Noth und Elend. Ich will für Dich arbeiten, mit Dir die schwersten Entbehrungen ertragen, ja mit Dir die Schande theilen, die der Entdeckung eines früheren Verbrechens folgt. Ich will für Dich mein ganzes Lebensglück opfern und niemals sollst Du einen Vorwurf oder auch nur eine Klage von meinen Lippen hören; – aber Theil nehmen an einer Nichtswürdigkeit kann ich nicht!«

»Marie!«

»Laß mich aussprechen, Vater. Ich werde schweigen, werde mein tiefes Seelenleid in mir verschließen und es tragen, so lange ich es darf. Wenn Du Dich verpflichtest, die heut Nacht geraubte Summe der Kirchenbaukasse zu ersetzen, sei es auch erst im Laufe von Jahren durch harte Ersparung, dann ist sie Dir geraubt und ich habe kein Recht zu forschen, wer das Verbrechen begangen hat; erst dann muß ich es thun, wenn der Verdacht auf einen Mann fällt, von dessen Unschuld ich überzeugt bin. Ich dulde es nicht, daß ein Unschuldiger bestraft werde! Alles was ich weiß, alles was Aufklärung über dies Verbrechen geben und den Verdacht von dem Schuldlosen ableiten kann, werde ich ohne irgend eine Rücksicht dem Gericht mittheilen.«

»Wahnsinnige! Du willst mich also zum Selbstmorde treiben? Du willst es verantworten, daß durch Deine thörichten Worte Dein Vater gezwungen wird, noch einmal die mörderische Waffe zu ergreifen? Mein Blut komme über Dich!«

Mit der ganzen Kraft ihres starken Willens hatte Marie bisher eine unerschütterliche Ruhe und Kälte bewahrt, bei dieser Drohung ihres Vaters aber konnte sie ihr stürmisch aufwallendes Gefühl nicht unterdrücken. Schluchzend verbarg sie das Gesicht in den Händen.

Ein Freudenstrahl blitzte im Auge des Präsidenten, als er sah, wie seine Drohung gewirkt hatte. Den günstigen Augenblick mußte er benutzen. Er fuhr fort: »Um einen Mann, den Du für unschuldig hältst, zu retten, willst Du einen andern, der unschuldig wenigstens an diesem Verbrechen ist, in die Verzweiflung und in den Tod treiben, und dieser Andere ist Dein Vater. Ich schwöre es Dir, Marie, wer auch der Schuldige sein möge, ich bin es nicht! Der Welt gegenüber aber werde ich es sein. Niemand wird an meine Unschuld glauben, wie klar ich sie auch beweisen kann, wenn meine eigene Tochter gegen mich als Anklägerin auftritt. Ich habe nach unendlichen Mühen durch die Hilfe treuer Freunde die Mittel gefunden, Rechtenberg zu befriedigen, meine Ehre wieder herzustellen. Ich habe mir selbst heilig gelobt, nie wieder zu spielen, schon sah ich einem zwar entbehrungsreichen Leben, aber doch einem Leben der Ehre und des Familienglücks entgegen, da trifft mich plötzlich dieser neue furchtbare Schlag! Ich werde beraubt, ja ich, ich allein werde beraubt, denn daß ich das mir gestohlene Geld ersetze, das; ich fortan, bis es ersetzt ist, auch nicht einen Thaler anders, als für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse ausgebe, das versteht sich ja von selbst; dazu war ich entschlossen, ehe Du ein Wort gesagt hattest. Ich werde schmählich beraubt und dadurch für viele Jahre zu der härtesten Entbehrung, zu immerwährenden Sorgen, zu schwerer Noth verurtheilt, das aber ist nicht das Schlimmste. Meine Tochter, der ich mein ganzes Vertrauen geschenkt habe, hält mich für einen ehrlosen Dieb! Ich könnte wahnsinnig werden bei dem Gedanken! Magst Du das Aeußerste thun! Magst Du mich anklagen und dadurch in den Tod treiben, – tiefer kannst Du mich nicht kränken, als Du es in diesem Augenblick durch Deinen unwürdigen Verdacht gethan hast.«

So hatte er noch nie gesprochen, – so voll des tiefsten Gefühls. – Ja, er war sicher erschüttert bis in den Grund der Seele. Seine Stimme zitterte, sein Auge leuchtete, Marie, die schmerzvoll zu ihm aufblickte, glaubte in demselben eine Thräne zu sehen. So konnte kein Verbrecher sprechen. Diese Worte waren einem tief verletzten edlen Herzen entquollen.

»Vater, lieber Vater, verzeihe mir!« rief Marie, indem sie reuevoll weinend den Hals des Vaters umschlang, – »verzeihe mir nur dies eine Mal, ich will ja nie wieder an Dir zweifeln!«

Sie sah den Blitz des Triumphes, der in seinem Auge aufleuchtete, nicht, sie hörte nur die weiche, kummervolle Stimme, den liebevollen Ton, mit welchem er, indem er sie zärtlich umschlang, sagte: »Wie konntest Du mir dies thun, Marie?«

Er hielt die weinende Tochter lange schweigend umfaßt, dann aber löste er die Umarmung, und gefaßter fuhr er mit ruhiger Freundlichkeit fort: »Beruhige Dich, mein Kind. Wir haben beide bei diesem harten Schicksalsschlage unsere ganze Fassung, unsere ganze Ruhe und Kraft nöthig. Wir gehen einer schweren, traurigen Zukunft entgegen, aber wir wollen sie besiegen in redlichem Kampfe. Du wirst bald eine glückliche Gattin sein, dann bedarfst Du meiner Unterstützung nicht mehr. Ich werde unsere Villa verkaufen, mich in einem kleinen Quartier einfach einrichten. Neben meinen Amtsgeschäften werde ich wieder schriftstellerisch thätig sein. Durch die äußerste Sparsamkeit wird es mir gelingen, sowohl das, was mir heute Nacht geraubt worden ist, zu ersetzen, als meine Schulden zu bezahlen. In wenigen Jahren werde ich schuldenfrei sein und dann daran denken können, für mein Kind zurückzulegen. Laß also die Vergangenheit vergangen sein und uns den Blick nur in die Zukunft richten; bin ich nur Deiner Liebe und Treue sicher, dann sehe ich ihr freudig entgegen, dann soll mir jede Sorge leicht werden.«

War noch ein Zweifel in Mariens Seele zurückgeblieben, dann verschwand er bei diesen Worten des Vaters. Sie fühlte sich unendlich glücklich, daß sie erlöst war von jenem furchtbaren Verdacht, der sie fast erdrückt hatte. Jetzt schaute auch sie wieder froh in die Zukunft. Voll Liebe und Vertrauen schmiegte sie sich an den Vater, der ihr niemals schöner, männlicher, bewundernswerther erschienen war, als an jenem ereignisreichen Morgen.


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