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III.

Tod oder Schande.

Der Präsident wandelte wieder in seinem Arbeitszimmer auf und nieder. Sein letzter Rettungsplan war gescheitert, die Ausführung desselben nicht nur für den heutigen Abend, sondern für immer unmöglich. Freilich hätte er dem Portier die Abschaffung des Hundes gebieten können, ja er konnte es noch thun und dann an einem der nächsten Abende, denn die Zeit drängte, den Versuch wiederholen. Aber nein, dies war unmöglich. Wenn nach einem solchen ganz unmotivirten Befehl eines Morgens der Rendant im Kassenzimmer ermordet und die Kasse beraubt gefunden wurde, dann mußte ja ein Verdacht sich auf den richten, der schon einmal am späten Abend versucht hatte, sich in das Regierungsgebäude einzuschleichen, der durch den wachsamen Hund entdeckt worden war und dann den gefährlichen Wächter beseitigt hatte.

Ein Verdacht aber war die Entdeckung und die Verurtheilung. Er wußte nur zu gut, wie leicht es einem geübten Kriminalisten war, sobald nur erst ein Verdacht vorlag, seine Verhältnisse zu durchforschen; die Entdeckung war nicht zu vermeiden. Ja, wenn es möglich gewesen wäre, den Verdacht auf einen Andern zu leiten. Aber auf welche Weise sollte dies geschehen? Es fiel ihm ein, daß in einem der kleinen Häuser, welche am Ausgange des Gartenwegs nach dem Thorplatz lagen, ein Schlosser wohne, der eines Einbruchs wegen mehrere Jahre auf dem Zuchthaus gesessen und erst vor kurzer Zeit, nach langer guter Führung, die Erlaubniß, sein Gewerbe wieder zu betreiben, erhalten hatte. Das war der rechte Mann! Einem bestraften Subjekt traut man ja leicht ein zweites Verbrechen, einem Einbrecher einen Mord zu.

Er grübelte lange. Viele Pläne, wie der Schlosser künstlich verdächtiger werden könne, schossen in ihm auf, alle aber zeigten sich bei genauerer Prüfung unausführbar, immer mehr überzeugte er sich, daß, was er auch thun möge, er doch niemals die Thatsache beseitigen könne, daß er heut spät Abends im Regierungsgebäude gewesen und durch den Hund entdeckt worden war. Diese Thatsache mußte unter allen Umständen, wenn auf seinen Befehl der Hund beseitigt wurde, einen Verdacht begründen.

Alles Grübeln, alles Sinnen war vergeblich. Der letzte Weg zur Rettung war abgeschnitten, ihm blieb nur noch die Wahl zwischen dem Tod und der Schande. Er hatte sich entschieden, sein Entschluß war gefaßt, unabänderlich sollte er zur Ausführung kommen.

Ueber dem Schreibtisch hingen an der Wand zwei schöne Pistolen; eine derselben nahm er herab. Er prüfte das Schloß, es befand sich noch im besten Zustand, obgleich die Waffe lange nicht gebraucht worden war. Mit fester Hand lud er das Pistol, dann legte er es vor sich auf den Schreibtisch, an welchen er sich setzte, um noch einige letztwillige Verfügungen zu treffen. Er fing einen Abschiedsbrief an seine Tochter an, aber bald ließ er die Feder wieder sinken. »Wozu ein sentimentaler Abschied? Sie wird mich verfluchen und verdammen, ob ich ihr ein letztes Lebewohl sage oder nicht. Der Spieler, der Verbrecher, der fremdes Geld unterschlagen hat und nun sich die Kugel durch den Kopf schießt, um der schmachvollen Entdeckung und Bestrafung zu entgehen, wird von ihr gehaßt und verachtet werden. Habe ich nicht ihr Vermögen verspielt? Wird nicht auch ihr Name künftig mit Hohn genannt werden, weil sie mein Kind ist? – Wohl wird sie weinen, aber das Verbrechen wird die Liebe in ihrem Herzen ertödten. Wie verändert war sie schon in letzter Zeit, seit sie ahnt, daß ich spiele! – Mit ihrer Achtung ist auch ihre Liebe geschwunden. Wenn sie heut noch sich zärtlich an mich geschmiegt hat, so geschah es nur, weil sie nicht alles weiß. Auch sie würde sich mit Abscheu von mir trennen, wenn ihr die ganze Vergangenheit bekannt wäre. Aber sei es! Ich habe sie geliebt, sie allein auf der Welt. Von ihr, von meinem schönen Kinde, will ich nicht ohne Lebewohl scheiden.«

Er schrieb rastlos weiter; der Brief war fast vollendet, da fiel plötzlich ein dunkler Schatten auf das weiße Papier. Er blickte auf, er sah, daß eine zarte Hand das Pistol ergriff, und als er sich umwendete, stand seine Tochter vor ihm. – Sie schaute ihn mit den großen seelenvollen Augen so ernst und kummervoll an, daß ihm der Blick ins Herz drang. – Er wollte unwillig die unberufene Störerin zurückweisen; aber er konnte es nicht, dieser Blick bannte seinen Zorn und erfüllte ihn mit tiefer Beschämung. – Nur mit dem Aufgebot seiner ganzen geistigen Kraft vermochte er sich zu wenigen Worten zu ermannen.

»Was thust Du hier, mein Kind? Weshalb bist Du nicht schon längst zur Ruhe gegangen? – Laß mich allein, Marie, ich habe noch viel, sehr viel heut Nacht zu arbeiten und jede Minute ist mir daher kostbar. – Gute Nacht, Kind, – geh' zu Bett.«

Marie erhob das Pistol, und indem sie es dem Vater zeigte, fragte sie: »Gebrauchst Du die geladene Waffe zu Deiner Arbeit?«

Die Frage war so direkt gestellt, ihr Auge schaute ihn so forschend an, daß er verlegen den Blick senkte und nur stockend die Antwort hervorbrachte: »Dies Zimmer ist so einsam. Wie leicht könnte vom Garten aus ein Einbruch versucht werden. Ich bin ganz allein und zu meinem Schutze – – –«

»Du versuchst vergeblich mich zu täuschen, Vater,« entgegnete Marie mit einer Ruhe, welche dem schuldbewußten Manne furchtbarer war, als wenn die Tochter ihn mit Vorwürfen überhäuft, ihn mit heißen Thränen angefleht hätte. Vorwürfe hätte er trotzig zurückweisen, gegen Thränen sich hart und unempfindlich zeigen können, gegen diese ruhige Sicherheit aber fehlten ihm die Waffen. Er hatte das Gefühl, welches den entlarvten Verbrecher, der vor dem ernsten, strengen Richter steht, niederdrückt. – Er schaute zu ihr auf, aber sofort senkte er den Blick wieder, er konnte den der Tochter nicht ertragen. Der kummervolle Ernst, die ruhige, feste Entschlossenheit, welche sich in dem klaren Auge Mariens aussprachen, überwältigten ihn. Es war ihm nicht möglich, in diesem Augenblick eine Unwahrheit zu sagen. Er fühlte sich durchschaut; leere Ausreden und Entschuldigungen waren nutzlos, sie wären nicht geglaubt worden.

Marie fuhr fort: »Als Du heut Abend nach Hause zurückkehrtest, las ich in Deiner Seele, Vater. – Ich wußte, daß Du im Kasino wieder gespielt und verloren habest. Als Du Abschied von mir nahmst, fühlte ich, daß es ein Lebewohl auf ewig sein sollte. Dein letzter Kuß war ein Abschiedskuß. – So aber dürfen wir nicht scheiden. Du sollst und darfst nicht als ein Feigling und Selbstmörder sterben.«

»Marie!«

»Ich habe manche furchtbar bange Stunde mit mir gekämpft, ehe ich zur Klarheit und zum Entschluß gekommen bin, jetzt aber vermagst Du mich nicht mehr zu täuschen. – Ich weiß es wohl, daß ich Dich an der Ausführung Deines Entschlusses nicht hindern kann. Wenn ich dieses Pistol mit mir nehme, findest Du ein zweites, oder hundert andere Mittel, um den feigen Selbstmord zu begehen; ich gebe Dir deshalb die Waffe zurück, aber ich verlasse Dich nicht, ehe ich von Dir das heilige Versprechen erlangt habe, daß Du sie nicht gebrauchen willst. – Vertraue mir, Vater! Sage mir, wodurch Dein verzweifelter Entschluß entstanden ist. Glaube mir, ich bin stark. Ich will, ohne zu zittern, das Schlimmste hören. – Gebe ich Dir dafür nicht in diesem Augenblick den Beweis? – Wie könnte ich in dieser furchtbaren Stunde so ruhig zu Dir sprechen, wenn ich nicht die Kraft hätte, alles zu ertragen!«

»Alles? Auch die Schande? Auch die Schmach, daß Dein Vater, wenn er lebt, in wenigen Tagen schon als ein Ehrloser gebrandmarkt, seines Amtes entsetzt und aus diesem Hause in das Gefängniß geführt werden wird? Kannst Du auch das ertragen?« fragte der Präsident.

»Auch das!« erwiderte Marie mit unerschütterter Ruhe. Wohl war sie bei den Worten des Vaters fast noch bleicher geworden, wohl preßte sie die Lippen fester zusammen, um einen Schmerzensruf zu unterdrücken; aber es gelang ihr dies und ihre Stimme zitterte nicht, als sie fortfuhr: »Ich habe dies längst geahnt. Als ich vor einem Jahre am Krankenbett der Mutter wachte, da hat sie mir das Unglück ihres Lebens vertraut und mir die heilige Pflicht auferlegt, über Dein Leben zu wachen. Damals erfuhr ich, daß unser Reichthum nur ein leerer Schein sei, der durch künstliche Mittel aufrecht erhalten werde, daß der Spieltisch Dein und der Mutter Vermögen verzehrt habe. Alles vertraute mir die Mutter, auch eine furchtbare Ahnung, die sich heute erfüllt. – »Diese fürchterliche Leidenschaft beherrscht ihn,« – so sagte sie, »er vermag ihr nicht zu widerstehen. Er ist macht- und willenlos, wenn das Spiel ihn ruft. – Wie oft habe ich ihn gewarnt, wie oft ihn mit heißen Thränen gebeten, alles war fruchtlos. Wir konnten so glücklich sein, und sind so namenlos unglücklich. – Bisher hat er nur sein und mein Vermögen der fürchterlichen Leidenschaft geopfert, aber die Zeit wird kommen, wo er auch fremdes Gut angreift und endlich verzweiflungsvoll zum Selbstmörder wird.« – Das sagte mir die Mutter, sie flehte mich an, Dich nicht zu verlassen in der Zeit der Noth und Schmach, die sie prophetisch nahen sah. – Ich habe es ihr zugeschworen, und was auch bisher geschehen ist, was auch ferner geschehen mag, Vater, ich bleibe Dir treu.« –

Der trotzige Muth des Präsidenten war gebrochen. – Mariens Worte hatten die Erinnerung an frühere, glücklichere Zeiten heraufbeschworen, an die Gattin, welche ihn mit so hingebender Zärtlichkeit geliebt und die er doch so unglücklich gemacht, an das freundliche Familienleben, in welchem er sich so froh bewegt hatte, bis es durch die dämonische Leidenschaft für das Spiel zerstört worden war. – Damals war er ein besserer Mensch gewesen. Wie tief war er seitdem gesunken! Mit Grauen dachte er an das Verbrechen, dessen Ausführung nur durch einen glücklichen Zufall verhindert worden war. Er war zum Raubmörder entwürdigt! – Wenn auch seine Hand kein Blut vergossen, wenn er auch den Raub nicht wirklich verübt hatte, geistig war es geschehen; er trug die Schuld der Frevelthat, welche gegen seinen Willen unausgeführt geblieben war. Es graute ihm vor dem eigenen Ich. – Würde Marie, das hochsinnige edle Mädchen, ihm auch noch treu bleiben, wenn sie wirklich in seine Seele, in diesen tiefen Abgrund von Nichtswürdigkeit schauen könnte? – Längst vergessene, bessere Gefühle erwachten in ihm. – Ja, er wollte ein anderer Mensch werden, seine Leidenschaften beherrschen, den Spieltisch fliehen, seinem Kinde leben. – Konnte er es denn noch? – Es war zu spät! Alles war verloren. Wie er auch sinnen mochte, immer wieder kam er zu der unabweislichen Ueberzeugung, daß er nur zwischen dem Tod und der Schande zu wählen habe. – Ueberwältigt ließ er das Haupt sinken, zwei heiße Thränen entrollten seinem Auge.

»Du weinst, theurer Vater,« sagte Marie sanft und liebevoll. »Ich danke Gott mit vollem Herzen für diese Thränen; sie geben Dich mir wieder!« – Sie legte die Arme um seinen Hals, sie legte ihre Wange an die seinige, sie liebkoste den tieferschütterten, seiner Fassung gänzlich beraubten Mann wie ein zärtlich geliebtes krankes Kind; dann aber richtete sie sich auf, und mit aller Kraft ihres starken Willens ihre eigene Aufregung unterdrückend, fuhr sie fort: »Fasse Dich, Vater! Erzähle mir, was geschehen ist. Vielleicht kann noch alles gut werden, wir haben ja so viele treue Freunde, die uns in der Noth nicht verlassen werden. – Du darfst nicht verzweifeln. Laß mich Theil nehmen an Deinen Sorgen. Ich schwöre Dir, ich bleibe Dir treu, was auch geschehen sein möge.«

»Du sollst alles wissen, mein theures Kind!« entgegnete der Präsident. »Wie schwer es mir auch wird, meine eigene Schande zu verkünden. Du sollst sie erfahren. – Du wirst mich hassen und verachten, aber Du wirst dann selbst einsehen, daß für mich das Leben abgeschlossen ist, daß ich das Recht und die Pflicht habe, es zu enden.«

»Niemals Vater! Was Du auch gethan haben magst, ich habe nicht das Recht, Dich zu richten. Ich kann Dich nie verachten oder gar hassen. Du aber darfst Dich auch meiner Liebe nicht entziehen.«

»Höre erst, was geschehen; dann urtheile selbst. – Daß mein Vermögen dahin ist, daß ich mit Schulden überbürdet bin, ist Dir bekannt. Deine Mutter hat es Dir gesagt und sie hat richtig die Zukunft prophezeit. Als meine eigenen Mittel zu Ende waren, habe ich fremdes Gut angegriffen und dem Dämon des Spiels geopfert. – Du weißt, daß ich der Vormund des jungen Baron Rechtenberg bin, daß mir durch das Testament seines verstorbenen Vaters, meines alten Freundes, – die uneingeschränkte Vermögensverwaltung übertragen worden ist. – Ich habe von diesem Vermögen 10,000 Thaler unterschlagen und verspielt. Rechtenberg ist jetzt mündig geworden. Er wird in wenigen Tagen, vielleicht morgen schon, aus Paris zurückkehren und sein Vermögen von mir fordern. Es giebt kein Mittel, mich zu retten, die Thore des Zuchthauses sind für mich geöffnet!« –

»Nein, Vater, noch ist nicht alle Hoffnung verloren! Rechtenberg wird Dich nicht verderben. – Er ist ja so reich, daß er eine solche Summe wohl entbehren kann, und er soll sie auch nicht verlieren. Wir wollen uns einschränken auf das Aeußerste, dann kannst Du ihm nach und nach durch Ersparnisse von Deinem Gehalt Deine ganze Schuld abtragen.«

»Täusche Dich nicht mit trügerischen Hoffnungen! – Von Rechtenberg habe ich keine Schonung zu erwarten. Er haßt mich und wird mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, um sich zu rächen dafür, daß ich ihm Deine Hand verweigert habe.«

»Er hat sich um meine Hand beworben?«

»Du solltest es nie erfahren, jetzt aber mußt Du alles wissen. Vor zwei Jahren, einige Tage nachdem Ernst von Quedenau von Dir das Jawort erhalten hatte, kam Rechtenberg zu mir. Er erklärte mir, daß er Dich liebe, er forderte Deine Hand von mir. Ich theilte ihm mit, daß Du mit Ernst heimlich verlobt seiest. Da fuhr er wild und zornig auf; er verlangte, daß ich diese Verlobung aufheben und Dich zwingen sollte, sein Weib zu werden. Ich hatte damals sein Vermögen noch nicht angetastet; aber mein eigenes war zerrüttet, schon drängten mich meine Gläubiger. Der Gedanke, durch Deine Verbindung mit dem reichen Rechtenberg aller meiner Verlegenheiten ledig zu werden, war so verlockend, daß ich ihm nicht zu widerstehen vermochte. – Ich wies Rechtenberg nicht entschieden zurück, sondern bat mir Bedenkzeit aus. Eine vor drei Tagen geschlossene Verlobung könne ja nicht ohne Gründe sofort wieder aufgelöst werden. Anfangs wollte er von keiner Verzögerung etwas wissen, endlich aber fügte er sich und versprach mir, gegen Dich von dem ganzen Vorgang zu schweigen. Ich sprach mit Deiner Mutter. Sie war tief entsetzt darüber, daß ich auch nur einen Augenblick daran hatte denken können, Dich dem wilden Rechtenberg, dem trotz seiner Jugend verlebten Wüstling, einem Menschen, der, weil er sein Ehrenwort gebrochen, aus dem Offiziersstande ausgestoßen sei, zu opfern. Sie flehte mich an, jeden solchen Gedanken aufzugeben. Ich konnte ihren Bitten nicht widerstehen; noch an demselben Tage schrieb ich an Rechtenberg, daß ich Deine Verlobung nicht lösen könne und wolle. Eine Stunde darauf war er wieder bei mir. Er gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. Ohne Dich könne er nicht leben. Du müßtest sein werden, wenn er auch Deinen Verlobten ermorden solle. Als ich ihn ernst und endlich mit Schärfe zurückwies und ihm erklärte, er würde niemals weder Dein noch mein Jawort erhalten haben, selbst wenn Du nicht bereits mit Ernst verlobt seiest, ich wolle meine Tochter nicht einem entehrten Wüstling zum Weibe geben, da gerieth er in eine maßlose Wuth. Er verließ mich, indem er mir fürchterliche Rache drohte. Seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen, er ist damals nach Paris gereist; sein Wort wird er halten, jetzt, da er die Macht dazu hat, sich zu rächen.«

Marie hatte mit lautloser Spannung der Erzählung des Vaters gelauscht. Ihre bleichen Wangen färbten sich mit einer flüchtigen Röthe, eine Thräne verschleierte ihr Auge. – »Du bist gerettet, Vater!« sagte sie. »Ich werde Hugo von Rechtenberg empfangen und ihm selbst meine Hand anbieten.«

Der Präsident blickte tief gerührt auf sein schönes, edles Kind. Er wußte die Schwere des Opfers, welches sie ihm bringen wollte, zu würdigen, war er doch täglich Zeuge ihres Liebesglückes gewesen, kannte er doch die innige Zärtlichkeit, mit welcher sie an ihrem Verlobten hing.

»Deine Liebe, das Glück Deines ganzen Lebens willst Du dem verbrecherischen Vater opfern, armes Kind!« sagte er seufzend. »Wäre ich doch solches Opfers würdig; aber das Schicksal selbst will nicht, daß es gebracht wird, daß Du Deinem Verlobten Dein Wort brichst.«

»Ich werde Ernst lieben, so lange ich lebe, unsere Verlobung aber muß ich lösen. Wie könnte ich ihn hineinziehen in das Unglück unserer Familie! Er denkt zu groß und edel, als daß er mich selbst verlassen würde; ich aber muß ihm entsagen.«

»Nein, das sollst Du nicht; Dein Opfer würde fruchtlos sein. Der unwürdige Rechtenberg hat längst die Liebe zu Dir in wilden Ausschweifungen vergessen, wenn er auch den Haß gegen mich treu im Herzen bewahrt. Er ist verheirathet mit einer schönen französischen Tänzerin, die den Wüstling durch ihre Buhlerinnenkünste zu fesseln verstanden hat. Lies hier den Brief, den ich gestern von ihm erhalten habe, er wird Dir beweisen, daß mir keine Hoffnung bleibt, als der Tod.«

Er nahm den Brief vom Schreibtisch. Das kurze Schreiben lautete:

»Mein gewesener Herr Vormund!«

»Endlich bin ich frei, endlich mündig; endlich ist die Zeit gekommen, daß ich mit Ihnen abrechnen kann. Mein Rechtsanwalt schreibt mir, daß Sie zögern, ihm mein Vermögen zu überantworten. Ich kenne den Grund! Ich weiß, daß Sie einen Theil meines Geldes verspielt haben und freue mich darüber. In den nächsten Tagen treffe ich in St** ein, dann fordere ich unbarmherzig Rechenschaft von Ihnen. Ins Zuchthaus mit dem Betrüger, dem untreuen Vormund! In den Armen meiner schönen Frau lache ich darüber, daß ich einst Ihre bleichsüchtige Tochter habe lieben können; ich habe sie längst vergessen; aber die Erinnerung an Ihre schmachvolle Zurückweisung wird so lange auf meiner Seele brennen, bis ich gerächt bin.

Hugo von Rechtenberg.«

»Du siehst, mein Kind,« fuhr der Präsident fort, als Marie trostlos den Brief, den sie gelesen, sinken ließ, »daß jede Hoffnung auf Schonung von diesem Menschen thöricht ist. Ich bin verloren, wenn ich die an seinem Vermögen fehlenden 10,000 Thaler nicht beschaffe. Ich hoffte, das Geld im Spiel zu gewinnen; aber das Unglück verfolgte mich. Ich habe alles versucht, um das Geld von einem meiner vielen reichen Freunde aufzutreiben; überall habe ich abschlägige Antworten erhalten; ich schulde ja ohnehin allen bedeutende Summen. Für mich giebt's keine Rettung mehr. Ich wollte mir selbst die Qual und Dir die Schande, den Vater auf dem Zuchthaus zu sehen, ersparen, – da hast Du mich gestört.«

»Wäre die Schande für Deine Familie geringer, wenn nach dem Tode des Selbstmörders entdeckt wird, daß von dem ihm anvertrauten Vermögen 10,000 Thaler fehlen? Durch ein neues Verbrechen kannst Du das frühere nicht sühnen. Noch ist nicht jede Hoffnung verloren. Vielleicht läßt Hugo von Rechtenberg sich durch Deine und meine Bitten erweichen – –«

»Niemals!«

»Vielleicht gelingt es Dir dennoch, dies Geld anderweit zu beschaffen –«

»Ich habe alles versucht! Der Einzige, der mir helfen würde, wenn er könnte, mein alter Freund Quedenau, ist arm.«

»Und wenn es so wäre, dann bleibt Dir immer noch die Liebe Deines Kindes. Willst Du feige der Strafe entfliehen? Willst Du mich zur Verzweiflung treiben, weil ich es nicht vermocht habe, mein der Mutter auf dem Sterbebett gegebenes Wort zu lösen? Soll ich für alle Zukunft nur mit Schauder und Abscheu an den Vater zurückdenken? Nein, auch wenn das Schlimmste eintritt, darfst Du dennoch nicht verzweifeln. Ich werde mich dem Könige zu Füßen werfen, werde seine Gnade anflehen und er wird sie mir im Andenken an Deine langjährigen Dienste gewähren. Nach kurzer Haft wirst Du die Freiheit wiedergewinnen; wir verlassen dann diese Stadt, dies Land. Du wirst mit Deinen reichen Kenntnissen, mit Deinem Geist und Deiner Arbeitskraft in Amerika Dir leicht und schnell eine neue Lebenslaufbahn unter einem anderen Namen eröffnen. Auch ich kann arbeiten. Ich werde Unterricht geben. Nicht ohne Frucht habe ich die letzten Jahre mit allem Eifer studirt. Zusammen wollen wir arbeiten und erwerben, um den Gläubigern in der Heimath nach und nach gerecht zu werden und Deinen Namen wieder zu Ehren zu bringen. Meine Liebe soll Dich stärken, Vater. Ich schwöre es Dir, ich verlasse Dich nicht! Nie sollst Du einen Vorwurf, nie eine Klage von meinen Lippen hören. Versprich mir, daß Du leben willst, leben für mich, leben, um wieder gut zu machen, was Du vergangen!«

Sie schmiegte sich innig an ihn, sie blickte ihm so zärtlich treu ins Auge, daß er ihren Bitten nicht länger zu widerstehen vermochte. »Ich verspreche es Dir, Du liebes herziges Mädchen!« sagte er weich. »Jetzt aber gehe zur Ruhe, armes Kind. Nimm diese häßliche Waffe mit Dir, damit sie mich nicht wieder in Versuchung führe.«

Noch lange saß der Präsident, nachdem seine Tochter ihn beruhigt verlassen hatte, in tiefe Gedanken versunken an seinem Schreibtisch. Als er sich endlich in sein Schlafgemach begab und sich niederlegte, vermochte er doch keine Ruhe zu finden. Mariens herzliche Worte hatten ihn gerührt, erschüttert und das Bild einer Zukunft vor ihm aufgethan, die ihm für einen Augenblick fast glücklich erschien. Als er dann aber wieder allein war, schwand der Zauber ihrer rührenden Bitten. Wie schal und erbärmlich erschien ihm ein Leben voll Mühe und Arbeit im fernen Lande. Welchen Ersatz konnte es bieten für alle die zerstörten Hoffnungen eines kühnen, aber gerechtfertigten Ehrgeizes? Nein, ein solches Leben war nach einer Vergangenheit, wie er sie durchlebt hatte, nicht zu ertragen. Gab es kein Mittel, diese Zukunft abzuwenden, dann – aber lieb war ihm doch, daß er verhindert worden war, zu voreilig Abschied vom Leben zu nehmen. Vielleicht gab es doch noch eine Rettung durch irgend einen glücklichen Zufall. Rechtenbergs Zurückkunft konnte sich verzögern. Wenn sich dann das Glück im Spiele wendete, konnte er in wenigen Tagen das Verlorene wiedergewinnen. Ob 10,000 Thaler oder 20,000 bei der Abrechnung fehlten, war am Ende gleichgiltig. Wenn er noch ein Mal in die fremde Kasse griff, weil er mit einem Kapital von 10,000 Thalern ausgerüstet nach Baden-Baden oder einer anderen Spielbank reiste, wie leicht waren dann 10,000 Thaler gewonnen. Dan aber wollte er niemals wieder spielen, niemals! Diese Hoffnung gab ihm endlich Ruhe; er fand den ersehnten Schlummer.


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