Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Verzweifelte Pläne.

Der Präsident wohnte in der nur wenige Meilen von der Residenz entfernten, mit dieser durch eine Eisenbahn verbundenen bedeutenden Provinzialstadt M**. Fast stündlich fuhren zwischen den beiden Städten Lokalzüge; Wartenberg hatte daher auf dem Eisenbahnhof nicht lange zu warten, um nach Haus zurückkehren zu können.

Als er in den Wartesalon zweiter Klasse trat, fand er in demselben mehrere Bekannte, höhere Officiere aus M**; er war indessen nicht in der Laune, eine Unterhaltung anzuknüpfen. Mit einem flüchtigen Gruß zog er sich in einen stillen Winkel zurück, und sobald die Saalthüren geöffnet wurden, eilte er einzusteigen. Ein bekannter Schaffner, der schon oft von dem freigebigen Manne ein ansehnliches Trinkgeld erhalten hatte, besorgte ihm ein geschlossenes Coupé, in welchem er ungestört durch lästige Gesellschaft die kurze Reise zurücklegen konnte.

Kaum eine Stunde hatte er zu fahren und doch dünkte ihm die kurze Zeit eine Ewigkeit. Das Rasseln des Zuges, das Pfeifen der Lokomotive, das Rufen der Schaffner, das laute Gespräch in dem Nebencoupé und der Gesang, der aus einem Wagen dritter Klasse erschallte, griffen seine Nerven an. Er vermochte die verwirrten Gedanken, die chaotisch in ihm wogten, nicht zu ordnen, er konnte nicht zur Klarheit über einen verzweifelten Entschluß kommen, der durch das Unglück der letzten Stunde in ihm erzeugt war, gegen den sein innerstes Wesen ankämpfte und den doch die bittere Nothwendigkeit ihm zu gebieten schien. Tod oder Schande! Furchtbare Wahl. Sollte er ein ehrloses, verachtetes Leben wählen, ein Leben voll Entbehrungen, ein Leben der Noth, des Elends, der Schande? Er, der viel Gefeierte, der hohe Staatsbeamte, für den selbst das höchste Ziel des Ehrgeizes nicht unerreichbar schien, dem der Monarch zahlreiche Beweise von Gunst und Hochachtung geschenkt hatte, sollte in Zukunft – – – Nein, solcher Gedanke war unerträglich, lieber den Tod!

Seine Gedanken flogen hinüber nach M**, nach der reizenden, tief im Garten liegenden Villa, in das mit zierlicher und doch solider Eleganz geschmückte Arbeitszimmer. Er blickte in dies Zimmer wie ein unbetheiligter Zuschauer. Es lag, erhellt vom Lichte der großen Astrallampe, die auf dem Schreibtisch stand, vor ihm. Ein leichter blauer Dunst erfüllte die Luft, aber er vermochte durch denselben doch alle Einzelnheiten, alle die wohlbekannten Möbel zu erkennen. Dort an der Wand, hinter dem großen Tisch, auf welchem Akten und Bücher lagen, das dunkelrothe Plüschsopha. Und auf dem Sopha eine starre, langgestreckte Gestalt. Der eine Arm hing schlaff zum Fußboden herab, der halbgeöffneten Hand war ein abgeschossenes Pistol entfallen. – Daher der blaue Dampf im Zimmer, der sich langsam verzog.

Das Gesicht der starren Gestalt war ihm zugekehrt, er erkannte die eigenen entstellten, vom Schmerz verzerrten Züge. Die Augen waren gebrochen; aus einer tiefen Wunde mitten in der Schläfe floß das Blut. Es strömte über den rothen Plüsch der Kissen, diese noch dunkler färbend, dann floß es nieder auf den Fußboden, ein rother Strom ergoß sich über die weißen Dielen.

Die Thür im Hintergrunde des Zimmers öffnete sich. Ein schönes Mädchen schaute mit einem angsterfüllten Blick der großen, schwarzen Augen zuerst nach dem Arbeitspult, dann nach dem Sopha. Jetzt sieht, jetzt erkennt sie die starre Gestalt. Sie stößt einen wilden Schrei des Entsetzens aus, sie stürzt sich auf den blutigen Leichnam, sie bedeckt das entstellte Angesicht mit zärtlichen Küssen.

Dies alles sah er; so deutlich, so klar stand das Bild ihm vor der Seele, als ob er es mit leiblichen Augen schaue. – Fort mit dem scheußlichen Bilde, mit den grauenerregenden Phantasiegestalten! – Aber sie ließen sich nicht bannen. Vergeblich ließ er das Fenster herab, um hinauszuschauen; aus dem Dunkel der Nacht entwickelte sich immer von neuem das blutige Bild der starren Leiche dort im heimlichen Zimmer.

Jetzt bedauerte er, daß er so einsam geblieben war, daß er nicht mit den Bekannten zusammen die kurze und doch so lange Reise gemacht hatte. Er wollte sich zwingen, an gleichgiltige Dinge zu denken, später war ja immer noch Zeit genug, das Furchtbare zu thun. – Fruchtloses Bemühen. – Wieder und immer wieder stieg das grauenhafte Bild vor ihm auf.

Endlich, endlich! Der Zug hielt, die Station M** war erreicht. Der Präsident stieg aus. Er hatte zu seiner nicht fern vom Bahnhof gelegenen Villa nur einen kurzen Weg, den er zu Fuß zurücklegte.

Er stand vor dem Hause, zwei hell erleuchtete Fenster zogen seinen Blick auf sich.

»Sie erwartet mich. Ich muß sie sprechen, um Abschied von ihr zu nehmen, dann aber –«

Er zog die Glocke. Gleich darauf öffnete ein Bedienter in einfacher, eleganter Livree die Thür des eisernen Gitters, welche den kleinen, sorgfältig gepflegten Vorgarten von der Straße abschloß.

»Meine Tochter ist noch wach?«

»Das Fräulein erwarten den Herrn Präsidenten.«

»Zünde in meinem Arbeitszimmer die Lampe an. Ich werde vielleicht bis spät in die Nacht zu arbeiten haben, will aber vorher meine Tochter sprechen. Beeile Dich, ich werde bald nach meinem Zimmer kommen.«

Wieder trat das Bild des einsamen Arbeitszimmers mit schauerlicher Klarheit vor sein inneres Gesicht, jetzt aber vermochte er, inmitten der bekannten Umgebung, es zu verscheuchen.

Er stieg die mit blühenden Gewächsen freundlich geschmückte Treppe in die Höhe, dann ging er langsam über einen Vorflur und durch einen mit solider Eleganz eingerichteten Gesellschaftssaal.

Unzählige Male hatte er denselben Weg gemacht und niemals die altbekannten Möbel, die reichen Teppiche auf dem Parquetfußboden, die Bilder an den Wänden, die Blumen in den Fenstern einer besondern Aufmerksamkeit gewürdigt, heut aber weilte sein Blick auf ihnen. War es ihm doch, als müsse er Abschied nehmen von jedem einzelnen ihm im Laufe der Jahre liebgewordenen Stück.

Wie schön, wie freundlich, wohnlich und doch elegant! Eine glückliche Erinnerung an die schöne Vergangenheit. Wie wüst und kahl wird es hier in wenigen Wochen aussehen? Bilder und Teppiche zur Auktion, die Möbel beim Trödler. Leere Wände, geöffnete Thüren, der Wind pfeift durch die zerbrochenen Fensterscheiben. Vielleicht bleibt eine vergessene, verwelkte Blume zurück, als letzte Erinnerung daran, daß hier einst glückliche Menschen wohnten!«

Er seufzte tief. Noch einmal schaute er ringsum, im Fluge schweifte sein Blick von Bild zu Bild, von einem Möbelstück zum andern, jedes erkannte er, obgleich das Licht, mit welchem der Diener ihm vorleuchtete, den großen Raum nur schwach erhellte, dann aber ging er hastig weiter. Er durchschritt ein kleines Gesellschaftszimmer, von diesem aus trat er in das Wohngemach seiner Tochter.

Marie Wartenberg hatte die nahenden Schritte des Vaters gehört, sie war ihm entgegen gegangen und an der Thür empfing sie ihn.

Wie schön sie war! So reizend glaubte der Präsident seine Tochter noch nicht gesehen zu haben; aber er glaubte es eben nur, weil er von ihr Abschied für immer nehmen wollte, sonst würde auch er bemerkt haben, daß ihr großes, feuriges, schwarzes Auge starrer als sonst blickte, daß sie bleicher als gewöhnlich war. –

»Du kommst früher von St.**, Vater, als Du gewollt. Es ist doch nichts vorgefallen?«

Die Frage erschien so einfach, Mariens Stimme erklang so ruhig, aber in dem Auge, welches sie forschend auf den Vater richtete, lag der Ausdruck einer tiefen Sorge, welcher der zur Schau getragenen Ruhe widersprach.

»Nichts, mein Kind!« antwortete der Präsident. Auch er zwang sich kalt und ruhig zu erscheinen; aber der Tochter Blick war schärfer als der seinige; Marie las seine tiefe, innere Bewegung in seinen Augen.

»Weshalb aber kommst Du so früh?«

»Ich habe heut Nacht noch eine nothwendige Arbeit zu vollenden.«

»Du warst im Kasino?«

»Natürlich.«

»Ist gespielt worden?«

»Was kann Dich das interessiren. Man plaudert im Kasino, man liest seine Zeitungen, macht auch wohl ein kleines Spiel, wie gerade der Abend es mit sich bringt. – Morgen sollst Du, wenn es Dein Interesse erregt, erfahren, wie wir uns im Kasino unterhalten haben, heut muß ich Dir gute Nacht sagen. – Ich muß an meine Arbeit gehen, wenn ich nicht die ganze Nacht schreiben soll. Du aber geh' zu Bett, Marie. – Gute Nacht, mein Kind.«

Er küßte seine Tochter. Das that er sonst nie. – So künstlich er die äußere Ruhe aufrecht zu erhalten wußte, vermeiden konnte er es dennoch nicht, daß der scharfe, forschende Blick Mariens in seiner Seele las. – Sie schlang den Arm um seinen Hals, und nachdem sie den väterlichen Kuß zärtlich erwidert hatte, sagte sie:

»Du bist tief bewegt, Vater. Es ist irgend etwas vorgefallen. Du hast eine schwere Sorge. Vertraue sie mir und verlaß Dich darauf, ich bin stark. Was auch geschehen sein möge, laß mich Theil nehmen an Deinen Sorgen. Ich bitte Dich darum, ich flehe Dich an.«

»Welche thörichte Einbildung!« entgegnete der Präsident, indem er sich der Umarmung der Tochter entzog. – »Was sollte wohl in unserem gemüthlichen Kasino vorfallen! – Du machst Dir stets unnöthige Sorgen. – Morgen wollen wir davon mehr plaudern; jetzt aber muß ich an meine Arbeit gehen. Gute Nacht, mein Kind.«

Er küßte sie noch einmal, dann verließ er sie; aber als er schon in der Thür stand, vermochte er doch der Versuchung nicht zu widerstehen. Er mußte zurückschauen, einen letzten Abschiedsblick seiner lieblichen Tochter schenken, dann eilte er fort, durch die Gesellschaftszimmer und den Vorsaal nach dem andern Flügel des Hauses, in welchem sein Arbeitszimmer lag.

Hier war er unbeachtet und ungestört. Nie wagten die Tochter oder der Diener ihn hier aufzusuchen, dies war ihnen streng untersagt; das Arbeitszimmer war ein Heiligthum, welches sie nur gerufen betreten durften.

Auf dem Schreibtisch stand die große, hellleuchtende Astrallampe genau an der Stelle, an welcher sie das Phantasiebild gezeigt hatte. Unwillkürlich mußte der Präsident nach dem Plüschsopha schauen; er schämte sich fast des Blickes.

Wohl eine halbe Stunde ging er mit langsamen Schritten, tief nachdenkend im Zimmer auf und nieder. Es galt einen Ausweg zu finden aus dem Labyrinth, in welches er durch seine Spielverluste getrieben war; jeder wäre ihm Recht gewesen. Er schauderte zurück vor dem Gedanken eines freiwilligen Todes, mehr aber noch vor dem eines Lebens voll Elend und Schande. Lieber todt, als auf dem Zuchthaus! Aber er wollte nicht sterben, er wollte leben. Ja, hätte er durch ein Verbrechen sich die Geldsumme verschaffen können, deren er bedurfte, um sich zu retten, er würde nicht gezögert haben, es zu begehen. Er dachte an die Regierungskasse, an die Geldsummen, welche dort im Depositorium lagen. Wie aber sollte er zu ihnen gelangen? Der Rendant, der die Kasse verwaltete, war ein pflichtgetreuer Mann, der niemals den Schlüssel zu dem eisernen, diebes- und feuersichern Geldschrank aus der Hand gab. Hätte er aber selbst ihn dem Präsidenten anvertraut, dann mußte ja ein Diebstahl sofort entdeckt werden und nur auf den Präsidenten konnte der Verdacht fallen. Durch einen solchen Kassendiebstahl hätte er nur einen kurzen Aufschub des drohenden Geschicks erzielt. Aber ein größeres Verbrechen konnte vielleicht zum Ziele führen. Der Rendant war ein fleißiger Mann, er arbeitete häufig bis tief in die Nacht hinein im Kassenzimmer. Er war dann fast allein in dem alten großen Hause, einem früheren fürstlichen Palais, in welchem die Amtslokalitäten der Regierung lagen. – Der alte kränkliche und schwache Rendant ließ sich leicht überwältigen. Ein starker Mann konnte ihn plötzlich niederschlagen, und wenn selbst der Getroffene sich wehrte, wenn er einen Schrei ausstieß, wie leicht konnte er für immer still gemacht werden. Wer hätte wohl in dem großen einsamen Hause den Schrei hören sollen? Der halb taube Portier, der einzige Bewohner des alten Gebäudes, hatte sein Zimmer am Straßeneingang, weit entfernt von dem Kassenzimmer; zu ihm konnte kein Laut dringen, und wäre er zu ihm gedrungen, so konnte er ihn nicht hören.

Aber ein Mord! Grauenvoller Gedanke! Der Rendant mußte sterben, wenn der Plan gelingen sollte. Selbst, wenn es möglich war, ihn während der Arbeit zu überfallen, ohne daß er seinen Angreifer erblickte, wenn er niedergeworfen wurde, wenn ihm ein kräftiger Schlag das Bewußtsein raubte, ohne ihn zu tödten, selbst in diesem glücklichsten Falle gab es keine Sicherheit für den Mitleidigen, der, um sein Gewissen nicht mit einem Morde zu belasten, das Leben des alten Mannes verschonte.

Das Berauben der Kasse nahm sicherlich einige Zeit in Anspruch. Wie leicht konnte der nicht tödtlich Getroffene aus seiner Ohnmacht erwachen, dann erkannte er den Räuber! Um sein Leben zu retten, schloß er dann wieder die Augen, er blieb zum Schein bewußtlos, und welches Mittel gab es, sich zu überzeugen, daß er es wirklich war?

Ja, er konnte vielleicht nur für einen Moment zum Bewußtsein kommen und sofort in eine neue Ohnmacht sinken; aber der eine Augenblick genügte, um ihm den wohlbekannten Vorgesetzten als Kassenräuber zu zeigen.

Mitleid? Thörichtes, knabenhaftes Gefühl! Es galt den Kampf für das eigene Leben. Die Pflicht der Selbsterhaltung ist die höchste des Menschen.

Wieder stieg das grauenhafte Phantasiebild der starren Gestalt auf dem Sopha vor dem geistigen Auge des Präsidenten aus.

Nein, er wollte nicht sterben, nicht als Selbstmörder enden. Welche Freude hatte jener, der alte, mehr als siebzigjährige, kränkliche, kinderlose Mann wohl am Leben? Ob er lebte, ob er im Grabe lag, wie gleichgiltig war dies für ihn und für die ganze Welt! Hatte er doch ohnehin höchstens wenige Jahre, wahrscheinlich nur wenige Monate noch zu leben.

Sein Husten war in der letzten Zeit so scharf und stark geworden, seine Schwäche hatte so zugenommen, daß dem alten Manne fast eine Wohlthat erzeigt wurde, wenn ein Mitleidiger ihn von der Bürde des Daseins befreite.

Und solchem Jammerleben gegenüber die Zukunft des kräftigen, lebensfrischen Mannes, dem ein Pistolenschuß ein Ende machen sollte, weil ein thörichtes Mitleid den Tod des Greises verbot! Diese Zukunft, wie glanzvoll lag sie vor dem Präsidenten! Er sah sich als Minister den ganzen Staat beherrschen, hoch geachtet und geehrt vom Monarchen und gefeiert vom Volk.

Nein, kein Mitleid! Immer fester wurde sein Entschluß, immer mehr reifte der anfangs kaum flüchtig gedachte Plan der Ausführung entgegen. Es sollte geschehen; aber jede Vorsichtsmaßregel mußte genommen werden, um der Möglichkeit einer Entdeckung vorzubeugen.

Der Präsident verließ mit leisem, geräuschlosem Schritt sein Zimmer, er schlich sich nach dem Gesellschaftssaal. Von einem Fenster desselben konnte er, über einen freien Platz fort und durch eine Häuserlücke, hinüberblicken nach den hinteren Fenstern des Regierungsgebäudes. Es war Licht im Kassenzimmer. Der Rendant arbeitete also noch.

Kein Zögern! Was geschehen sollte, mußte bald geschehen.

So geräuschlos wie er gekommen, schlich der Präsident in sein Arbeitszimmer zurück. Er öffnete eines der nach dem Garten hinausgehenden Fenster. Er wollte das Haus verlassen, ohne daß seine Tochter oder die Dienerschaft es bemerkten; aber als er aus dem Fenster schaute, mußte er sich überzeugen, daß ein Sprung in den Garten unausführbar sei. Die Höhe war zu bedeutend, auch konnte er nicht durch das Fenster in das Arbeitszimmer zurückkommen. Er mußte sich daher schon entschließen, die Villa auf dem gewöhnlichen Wege zu verlassen, nur wählte er die Hinterthür, die nach dem Garten hinausführte.

Ehe er seine Wanderung antrat, suchte er nach einer Waffe. Er zog aus dem Schreibtisch einen Kasten, in welchem er allerlei Geräthschaften aufbewahrte; aus ihnen wählte er einen schweren Hammer mit kurzem Stiel, den er bequem in die Tasche stecken konnte; außerdem nahm er ein Jagdmesser mit breiter, an der Spitze zweischneidig geschliffener Klinge. Ehe er den Hammer einsteckte, wog er ihn in der Hand, dann führte er mit ihm ein paar Probeschläge in der Luft.

Zufällig fiel, indem er es that, sein Blick auf den zwischen beiden Fenstern hängenden Spiegel. Er schauderte zurück vor dem eigenen Bild. Das bleiche, schöne und doch so entsetzliche Gesicht, welches ihm das Spiegelbild zeigte, der in trotziger Entschlossenheit fest zusammengepreßte Mund, die hohe, weiße Stirn, über welche die dunklen Locken herabhingen, das blitzende, weitgeöffnete schwarze Auge flößten ihm Grauen ein.

Sein Entschluß wurde wieder wankend: das Mitleid für den alten Mann, der ihm stets so freundlich dienstwillig gewesen war, der sich ihm Jahre lang als der liebenswürdigste, fleißigste und treuste Untergebene gezeigt hatte, wurde noch ein Mal in ihm rege. Wie oft hatte er sich freundschaftlich, ja selbst vertraulich mit dem tüchtigen Beamten unterhalten, und jetzt – – –

Er ließ den Hammer niedersinken. – Wieder trat er seine Wanderung durch das Zimmer an, wieder zermarterte er sein Hirn, um ein anderes Mittel der Hilfe zu finden; aber alles Sinnen war vergeblich. – Er oder jener! Leben um Leben! »Es muß sein!« murmelte er. Zwar seufzte er tief, zwar wollte ihm der Gedanke an die furchtbare That das Herz brechen; aber sein Entschluß war gefaßt und er schritt nun, ohne länger zu zögern, zur Ausführung.

Er steckte den Hammer in die Brusttasche des Ueberrocks, den Stiel nach oben, so daß er ihn mit einem Griff hervorziehen konnte; das Jagdmesser verbarg er in der rechten Tasche des Beinkleides. Dann schlich er auf den Zehen, so leise, daß Niemand im Hause ihn hören konnte, über den Vorsaal die Hintertreppe hinab. Die Thür nach dem Garten wurde stets von innen verschlossen. Es gelang ihm, sie ohne Geräusch zu öffnen, den Schlüssel abzuziehen und von außen zuzuschließen.

Eiligen Schrittes ging er durch den Garten. Hier hatte er keine Entdeckung zu befürchten, denn unter dem Laubengang, der von hohen, blätterreichen Kastanien gebildet wurde, war es so dunkel, daß ihn vom Hause aus Niemand beobachten konnte.

Ein enger Pfad führte von der Kastanien-Allee links ab durch das Gebüsch nach einer kleinen, in der hintern Gartenmauer befindlichen Thür. Den Schlüssel zur Gartenthür trug er stets bei sich, weil er diesen Eingang fast täglich benutzte, wenn er von dem Regierungsgebäude nach seiner Villa zurückkehrte.

Er trat aus dem Garten in eine enge, öde Gasse, welche sich hinter den Villen im Bogen hinzog, man nannte sie den Gartenweg; sie war von beiden Seiten durch langgestreckte Mauern begrenzt, nur da, wo sie auf den freien Platz am Thore mündete, standen ein Paar ärmliche Häuser.

Das Glück begünstigte den Präsidenten. Niemand begegnete ihm weder in der Gasse, noch auf dem Thorplatz, noch in der abgelegenen, selbst bei Tage meist menschenleeren Straße, die vom Thorplatz nach dem Regierungsgebäude führte.

Er stand vor der Thür des alten Palastes. Noch einmal schaute er sich um, ob auch sein Eintritt nicht beobachtet werde; aber nirgends war ein Mensch zu sehen.

Jetzt bedurfte er keiner besonderen Vorsicht mehr, denn der fast taube Portier hörte weder das Oeffnen noch das Schließen der Thür, – das wußte der Präsident; war er doch erst vor vierzehn Tagen eines Abends nach dem Kassenzimmer gegangen, um dort noch mit dem unermüdlich fleißigen Rendanten eine wichtige Dienstangelegenheit zu besprechen. Er hatte damals die Thür geöffnet und geschlossen; er war mit laut schallendem Schritt über den Flur und durch die Korridore gegangen, ohne daß der Portier ihn gehört hatte.

Mit sicherer Hand öffnete er die Thür und es war fast eine unnöthige, übertriebene Vorsicht, daß er sie langsam und leise wieder zudrückte und daß er auf den Fußspitzen, ohne ein Geräusch zu machen, durch den Flur schlich.

Er hatte im Dunklen langsam schon ein Paar Schritte gemacht, da wurde er plötzlich durch das Anschlagen eines Hundes erschreckt. – Bestürzt blieb er stehen; aber der Hund beruhigte sich nicht, er erhob ein wildes Gebell und gleich darauf öffnete sich die Thür der Portierstube.

»Kusch' Dich, Sultan! Nieder mit Dir. – Wer kommt hier noch so spät Abends?« rief der Portier, indem er mit einer Lampe in den dunklen Flur hinausleuchtete. – Ach, der Herr Präsident sind es, bitte tausend Mal um Verzeihung,« fügte er, seinen Vorgesetzten erkennend, hinzu, indem er sich respektvoll tief verbeugte. – »Nieder mit Dir, Sultan! Will denn das abscheuliche Thier gar nicht mit Bellen aufhören!«

Der Präsident war keines Wortes mächtig. Ein ungeahntes Hinderniß hatte plötzlich seinen wohl angelegten, der Ausführung nahen Plan durchkreuzt und vereitelt. Sein letzter Halt im Leben war unrettbar verloren. Ein neuer Gedanke blitzte in ihm auf. Krampfhaft griff er nach dem Dolchmesser. Er wollte sich auf den Portier stürzen, ihn niederstoßen, aber schon im nächsten Moment mußte er den unsinnigen Plan aufgeben.

Ein Blick auf den großen, wüthend bellenden Hund, den der Portier nur mit Mühe am Halsband fest hielt und bändigte, zeigte ihm, daß hier kein Sieg zu erringen sei; auch hörte er in der Portierwohnung schon das Zuschlagen einer Thür und gleich darauf die Stimme einer Frau, welche ärgerlich fragte: »Na, Anton, was ist hier los? Wer hat denn so spät etwas in der Regierung zu suchen?«

Alles war verloren! Nur mit Mühe gelang es dem Präsidenten, seine Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen. Er ließ das schon ergriffene Jagdmesser wieder los, und sich gewaltsam zu einem ruhigen Tone zwingend, sagte er: »Guten Abend, Hartwig. Ist der Herr Rendant vielleicht noch im Kassenzimmer?«

»Wie befehlen? Bitte um Entschuldigung; aber ich höre etwas schwer.«

»Ist der Rendant noch im Kassenzimmer?« wiederholte der Präsident sehr laut.

»Ja freilich! Deshalb ist ja die Thür noch auf. Der Herr Rendant arbeitet noch.«

»Das ist mir lieb. Wenn er herunter kommt, sagen Sie ihm nur, ich würde morgen nicht auf die Regierung kommen, er möge mir die Anweisungen in meine Wohnung schicken.«

»Zu Befehl, Herr Präsident.«

»Sie haben sich da einen sehr wüthenden Hund angeschafft. Dies hätte ohne Erlaubniß nicht geschehen dürfen. Wozu und seit wann haben Sie das Thier?«

»Seit heut Mittag, Herr Präsident. Der Herr Rendant arbeitet jetzt noch oft spät Abends in der Kasse, da muß denn die Thür offen bleiben, bis er geht. Weil ich nun ein bischen schwerhörig bin, habe ich gedacht, es könnte 'mal Abends irgend ein Dieb sich einschleichen; ich konnte gerade einen wachsamen Hund kaufen, da hab' ich es gethan in der Hoffnung, der Herr Präsident würden es gnädigst erlauben; wenn es aber nicht genehm ist – –«

»Schon gut. Sie mögen meinetwegen den Hund behalten. Richten Sie meine Bestellung an den Herrn Rendanten aus. Gute Nacht!«

»Mich gehorsamst zu empfehlen.«


 << zurück weiter >>