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XI.

Verflucht sei das Geld!.

Der Polizei-Direktor von M** ließ es sich natürlich nicht nehmen, seinem hohen Vorgesetzten, dem Herrn Präsidenten, sofort einen Besuch zu machen, nachdem er von dem Einbruch gehört hatte. Begleitet von dem Kommissarius Habicht und zwei anderen Beamten erschien er, um seine Theilnahme auszusprechen und persönlich das Protokoll über den Thatbestand aufzunehmen.

Er fand den Präsidenten ruhiger und gefaßter, als er nach den Mittheilungen des Polizei-Kommissarius erwartet hatte, zwar noch sehr traurig, aber ergeben in sein Schicksal.

»Ich muß den schweren Verlust zu verschmerzen suchen, Herr Direktor,« sagte der Präsident würdevoll. »Er trifft mich hart; ich wünsche natürlich, daß, wenn es möglich ist, der Verbrecher entdeckt und das Geraubte herbeigeschafft werde, mehr aber noch wünsche ich, daß die Polizei bei ihren Nachforschungen mit der äußersten Vorsicht verfahre. Ich würde nie wieder ruhig werden, wenn ich mir vorwerfen müßte, daß um meinetwillen ein Unschuldiger einem falschen Verdacht ausgesetzt würde.«

»Der Herr Präsident dürfen sich darauf verlassen, daß ich mit der höchsten Vorsicht prüfen werde; hier aber scheint es, nach dem was ich gehört habe, fast, als ob es der Polizei leicht werden würde, den wahren Schuldigen zu finden. Die Verdachtsgründe gegen den früher bestraften Schlosser Weinert sind so stark, wenn die Mittheilungen, die ich erhalten habe, richtig sind, daß sie jedenfalls genügen, eine Haussuchung und Verhaftung zu rechtfertigen.«

»Es kann mir nicht einfallen, in meiner eigenen Angelegenheit Ihnen Vorschriften machen zu wollen, Herr Direktor. Ich lasse Ihnen durchaus freie Hand; aber gerade in Beziehung auf diesen Weinert bitte ich Sie dringend, recht vorsichtig zu sein. Ich bin fest überzeugt, daß er unschuldig ist. Sie werden, wenn Sie die Aussage meines Bedienten Johann zu Protokoll genommen haben, selbst beurtheilen müssen, ob sie Ihnen genügende Veranlassung für einen dringenden Verdacht, für eine Haussuchung und Verhaftung bietet; aber ich mache Sie im Voraus darauf aufmerksam, daß Johann voll einem Vorurtheil gegen den Mann durchdrungen ist, daß er, ohne es zu wollen, hiernach seine Aussage färbt. Gestatten Sie mir schließlich noch eine Bitte. Ich bin, wie es sich von selbst versteht, bereit, Ihnen jede Auskunft zu ertheilen, ein eigentliches Zeugniß aber in meiner eigenen Angelegenheit widerstrebt meinem Gefühl und zu einem Eide würde ich mich nicht entschließen können. Richten Sie das Protokoll und die Zeugenvernehmung so ein, daß Sie mich mit einer eidlichen Aussage verschonen können.«

»So weit die kriminal-polizeiliche Voruntersuchung reicht, soll dies gewiß geschehen, Herr Präsident; aber ich fürchte, daß wenn eine wirkliche gerichtliche Untersuchung gegen eine bestimmte Person eingeleitet werden müßte, das Gericht auf Ihre eidliche Zeugenaussage nicht verzichten könnte. Erlauben Sie jetzt, daß ich mit der Untersuchung des Thatbestandes und der Vernehmung Ihres Bedienten, sowie des übrigen Hauspersonals beginne.«

»Meine Tochter bitte ich zu dispensiren. Sie hat ihr Zimmer auf dem andern Flügel des Hauses, zu welchem kein Geräusch von hier aus dringen kann; sie weiß daher nichts über die ganze Sache auszusagen und würde durch eine Vernehmung nur in eine peinliche Verlegenheit gebracht werden. Sie wissen ja, wie entsetzlich es für eine junge Dame ist, als Zeugin von der Polizei oder dem Gericht befragt zu werden.« –

Der Polizei-Direktor schüttelte bedenklich den Kopf, ihm war es nicht ganz einleuchtend, daß man so zarte Rücksichten bei einer Einbruchsuntersuchung nehmen dürfe; aber er fügte sich dem Wunsch des Präsidenten. In Gemeinschaft mit dem Polizei-Kommissarius Habicht nahm er eine genaue Durchsuchung des Arbeitszimmers und des Gartens vor; die in den weichen Fußboden scharf eingeprägten Fußspuren, welche der Einbrecher hinterlassen hatte, wurden gemessen, dann nahm der Direktor selbst die Aussagen des Bedienten Johann, des Schlossers Bernard, des Hausmädchens und der Köchin zu Protokoll. Etwas Neues ergab sich weder aus der Gartenuntersuchung, noch aus den Zeugenaussagen, nur bestätigte sich der Verdacht, welchen der Polizei-Direktor schon gegen den Schlosser Weinert gefaßt hatte, noch mehr.

Das Protokoll wurde geschlossen. – »Wir können hier vorläufig nichts weiter thun,« sagte der Polizei-Direktor. – »Unsere Thätigkeit muß sich nun nach einer andern Richtung hin entfalten. – Sie, Herr Polizei-Kommissarius Habicht, werden sich sofort zu dem Schlosser Weinert begeben und bei ihm die genaueste Haussuchung halten. Die beiden Beamten mögen Sie begleiten. – Finden Sie nichts, dann unterbleibt eine Verhaftung des Mannes vorläufig noch; wenn sich aber irgend etwas Verdächtiges vorfindet, müssen Sie den Schlosser verhaften und einen der Beamten zur Ueberwachung des Hauses zurücklassen.«

»Was thue ich in diesem Falle mit der Frau?« –

»Sie ist unbescholten. Nur wenn Sie nach Lage der Sache dringenden Verdacht haben, daß sie mitschuldig ist, dürfen Sie gegen sie vorgehen. Seien Sie vorsichtig und achtsam.«

»Sie wollen also doch die Untersuchung gegen den unglücklichen Weinert beginnen, Herr Direktor?« – fragte der Präsident, nachdem sich der Polizei-Kommissarius mit seinen Beamten zurückgezogen hatte.

»Es ist eine Nothwendigkeit, Herr Präsident. Außerdem, muß ich Ihnen gestehen, ist es mir ganz angenehm, daß ich eine gerechtfertigte Veranlassung zu einer Haussuchung bei Weinert finde. Einer unserer Vigilanten, ein früherer Zuchthausgenosse Weinerts, hat uns mitgetheilt, daß dieser bei den letzten Einbrüchen betheiligt gewesen sei; die Anzeige aber war so unbestimmt, daß wir gegen den Schlosser, da er wieder im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte ist, nicht einschreiten konnten. Jetzt können wir es. Hoffentlich wird diese Haussuchung uns auch Enthüllungen über andere Verbrechen bringen. – Ich hätte freilich die Haussuchung lieber dem Polizei-Kommissarius Wetter übertragen sollen. Habicht ist zu gutmüthig und schonend, auch nicht schlau genug, um einen durchtriebenen Verbrecher zu durchschauen. – Ich bedauere, daß Sie heut Morgen nicht gleich zu Wetter, statt zu Habicht geschickt haben, Herr Präsident; Wetter ist von allen meinen Beamten der klügste und derjenige, der die glänzendsten Erfolge bei der Entdeckung von Verbrechen gehabt hat.«

»Ich weiß es; aber er ist auch der brutalste, derjenige, welcher sich bei Haussuchungen und Verhaftungen am rohesten und schonungslosesten zeigt. Wie viele Klagen sind deshalb schon gegen ihn eingelaufen! Außerdem ist er ein Säufer und steht in dem Verdacht, daß er sich bestechen lasse. Mit dem Menschen mag ich nichts zu thun haben und ich bitte Sie recht dringend, Herr Direktor, ihn in meiner Sache nicht zu verwenden.«

»Wie Sie befehlen, Herr Präsident.«

»Ich bitte nur.«

»Wetter soll Ihnen nicht beschwerlich fallen; aber ich bedauere, daß Sie dies wünschen. Bei allen seinen Lastern und Fehlern ist mir dieser Mensch fast unentbehrlich. Er würde ja schon längst seinen Abschied erhalten haben, wenn er nicht so brauchbar wäre. Nun, ich füge mich; ich hoffe, daß es auch mit weniger tüchtigen Kräften gelingen wird, den Verbrecher zu entdecken und zu überführen. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.«

Der Präsident entließ den Polizei-Direktor mit einem freundschaftlichen Händedruck. Jetzt endlich fühlte er sich von einer drückenden Sorge befreit, seit der gewandte, scharfsinnige Leiter der Polizei in M**, ohne eine Spur von Mißtrauen zu zeigen, von ihm geschieden war. Auch daß er den schlauen, in alle Diebesschliche und Kniffe eingeweihten Wetter von der Theilnahme an der Untersuchung ausgeschlossen hatte, war ein nicht hoch genug zu schätzender Vortheil. Er fühlte sich, da er auch seine Tochter beruhigt hatte, ziemlich sicher vor Entdeckung, aber ruhig war er doch nicht. Jedesmal, wenn er zum Fenster hinausschaute, haftete unwillkürlich sein Blick auf dem rauchgeschwärzten Dach und das Herz schlug ihm heftiger, wenn er an den Schlosser und sein junges, schönes Weib dachte.

Viel Zeit, sich seinen Gedanken zu überlassen, blieb indessen dem Präsidenten an jenem Vormittage nicht. Das Gerücht von dem bei ihm verübten Einbruch hatte sich mit wunderbarer Schnelligkeit durch die ganze Stadt verbreitet, es lockte naturgemäß alle Bekannte, nahe und entfernte, herbei. Alle fühlten sich verpflichtet, ihre Theilnahme zu bezeugen, wenn sie auch nur kamen, um ihre Neugier zu befriedigen. Der Präsident mußte diese lästigen Besuche annehmen, ihm lag ja daran, daß sich nicht nachtheilige Gerüchte verbreiteten. Er erzählte deshalb bereitwillig zum dritten, fünften und zehnten Male immer wieder dieselbe Geschichte, die von ihm aus dann weiter durch die Stadt getragen wurde.

Es war gegen elf Uhr, als Johann einen Besuch meldete, dem der Präsident schon längst mit Bangen entgegengesehen hatte, den Herrn Hofprediger Walchert und den Hof-Tischler Anselm.

Die beiden Deputirten des Kirchenbau-Komités zeigten sehr lange, ernste Gesichter, als sie mit nicht ganz so respektvollen Verbeugungen, als früher, sich dem Präsidenten näherten; dieser begrüßte sie mit womöglich noch größerer Herzlichkeit, als bei ihrem ersten Besuch.

»Ich erwartete Sie mit wahrer Sehnsucht, meine Herren,« sagte er, indem er beiden – besonders herzlich aber dem Hof-Tischler Anselm die Hand schüttelte. »Das Gerücht von dem entsetzlichen Unglück, welches mich betroffen hat, muß ja bereits zu Ihnen gedrungen sein und ich gestehe Ihnen, ich war Ihnen schon fast böse, daß Sie nicht kamen, um mir Ihre Theilnahme zu bezeugen, während von allen Seiten der Stadt selbst die entferntesten Bekannten mich besuchten.«

Die beiden würdigen Komité-Mitglieder schauten sich etwas zweifelhaft und verlegen an. Sie waren auf einen derartigen Empfang nicht vorbereitet. Von einem Unglück, welches ihn betroffen habe, und von der Theilnahme, welche er erwarte, sprach der Präsident, – während sie im Auftrage des Komités kamen, um Rechenschaft über die Kasse zu fordern. Es waren in der Sitzung des Komités, welches auf die Nachricht von dem Einbruch sofort zusammengetreten war, seltsame Zweifel gegen den Präsidenten laut geworden. Man sprach davon, daß er heimlich hoch spiele, daß er verschuldet sei. Es sei wohl eigentlich unvorsichtig gewesen, gerade diesem Mann die bedeutende Kirchenbaukasse anzuvertrauen. Wer könne wissen, welche Bewandtniß es mit diesem Einbruch habe? Der Schlosser Bernard habe einem Mitglied erzählt, der Einbrecher müsse ein ungeschickter Pfuscher, der nie ein Stemmeisen in der Hand gehabt habe, gewesen sein. Dies sei doch merkwürdig und verdächtig. Jedenfalls müsse man genaue Nachforschungen halten, man müsse zu retten suchen, was sich noch retten lasse.

Solche Aeußerungen waren in der Komité-Sitzung vielfach gegen den Präsidenten gefallen, dieser hatte aber auch eifrige Vertheidiger gefunden, und der eifrigste war der ehrliche Hof-Tischler Anselm gewesen. Der zeigte sich tief entrüstet darüber, daß man jetzt plötzlich wage, den Charakter eines Mannes anzuzweifeln, dessen hohe Ehrenhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben sei. Für den Mann wolle er jede Bürgschaft leisten, der sei ein seltener Ehrenmann! – Der Hof-Tischler wurde in seiner Vertheidigung des Präsidenten so warm, daß er wohl fünf Minuten zusammenhängend sprach, während er doch sonst nur als das Echo des von ihm hochverehrten Hofpredigers dessen letzte Worte zu wiederholen pflegte. Trotz seiner Beredtsamkeit aber beschloß das Komité dennoch, die beiden Deputirten abzusenden, damit sie vom Schatzmeister Rechenschaft über die ihm anvertraute Kasse fordern sollten.

»Herr Präsident,« sagte der Hofprediger sehr verlegen, »wir nehmen gewiß innigen Antheil an diesem erschreckenden Vorfall, um so mehr, als ja derselbe auch uns oder vielmehr das Komité des Kirchenbau-Vereins sehr nahe angeht.«

»Sehr nahe angeht,« wiederholte das Echo.

»Freilich, meine Herren, das ist unzweifelhaft,« erwiderte der Präsident, indem er dem Hof-Tischler freundlich, vertraulich zunickte. »Auch die Kirchenbaukasse ist, wenn auch nur für den Augenblick, betroffen. Von den etwa 13,000 Thalern, welche mir geraubt worden sind, gehörten 12,000 Thaler der Kasse. Es ist wahrlich ein schwerer Schlag für mich, und er würde mich nicht getroffen haben, hätte ich nicht unglücklicherweise das Schatzmeisteramt angenommen.«

Der Hofprediger fühlte sich sehr erleichtert. Das Gerücht hatte von einer weit größeren Summe, von der gesammten Kirchenbaukasse, gesprochen, und als nun der Präsident erzählte, daß er, besorgt über die Sicherheit des Geldes, den größeren Theil der Kasse gestern nach M** gebracht und dem Geheimrath von Samuelsohn, dem größten und sichersten Bankier der Residenz, zur Aufbewahrung übergeben habe, klärten sich die Gesichter der beiden Deputirten etwas auf, ja sie wurden sehr freundlich, als der Präsident fortfuhr:

»Es versteht sich von selbst, meine Herren, daß der schwere Verlust, den ich erlitten habe, nicht die Kirchenbaukasse, sondern mich selbst trifft. Sie haben mir das Geld anvertraut und ich muß es Ihnen zurückzahlen, dies ist selbstverständlich, nur muß ich, wie die Verhältnisse liegen, einige Nachsicht vom Komité in Anspruch nehmen.«

»Wie, Herr Präsident? Sie wollten wirklich die volle Summe zurückzahlen?« rief der Hofprediger erstaunt und erfreut.

»Konnten Sie darüber in Zweifel sein?« fragte der Präsident mit freundlichem, aber doch vorwurfsvollem Tone. »Ich hoffe, mein werther Freund Herr Anselm kennt mich besser. Er wird diesen Zweifel nicht gehegt haben.«

Das dicke Gesicht des Hof-Tischlers erglühte in dunkler Röthe.

Wonnevoll, glückselig darüber, daß der vornehme Mann ihn »mein werther Freund« genannt, sich auf sein Urtheil berufen hatte, nickte er dem Präsidenten freundlich, bestätigend zu.

Dieser fuhr fort:

»Daß die Kirchenbaukasse nichts, nicht einen Pfennig verlieren kann und darf, versteht sich, wie gesagt, von selbst, aber einige Nachsicht muß ich verlangen. Ich werde meine Villa verkaufen, werde mich aufs Höchste einschränken und binnen fünf Jahren die gesammte Summe zurückzahlen. Vielleicht gelingt mir dies auch früher. Ich werde suchen, einen wahren Freund in der Noth zu finden, der mir das Kapital von 12,000 Thalern vorstreckt und dem ich es in jährlichen Summen von etwa 2000 Thalern zurückzahle. Irgend ein reicher Mann wird wohl mir und der Kasse diesen Dienst leisten, der sicherlich auch von Seiner Majestät dem Könige hohe Anerkennung finden würde. Ich vermag ja volle Sicherheit zu stellen: für die Zeit meines Lebens die Verpfändung meines Gehaltes, für den Fall meines Todes eine Lebensversicherung von 20,000 Thalern.«

Er schaute bei diesen Worten den Hof-Tischlermeister fragend an. War es eine Bitte, welche an diesen gerichtet wurde? Darüber konnte der gute Mann nicht recht einig mit sich werden. Er rückte verlegen auf dem Stuhl hin und her; sein Gesicht wurde noch röther, als es gewesen war. – Er war reich, mit Leichtigkeit konnte er ein Kapital von 12,000 Thalern flüssig machen und es war ja keine Gefahr dabei, wenn er es that. – Den Präsidenten machte er zu seinem Schuldner. Der König erfuhr es und freute sich darüber.

Vielleicht – – seine Gedanken flogen bis zum Ziel seiner verwegensten Wünsche, – vielleicht war ein Orden der Lohn für den dem hohen Staatsbeamten geleisteten Dienst. – Welche lockende Aussicht! – Aber er mußte sich beeilen mit dem Entschluß. – Wie leicht konnte ihm ein Anderer zuvorkommen! – Der Präsident fand gewiß zahlreiche Freunde und der bereitwillige Helfer erhielt dann den verdienten Lohn. – Kein Zögern also, frisch gewagt!

»Wenn der Herr Präsident von mir ein Darlehn von 12,000 Thalern gegen 5 Prozent Zinsen und jährliche Rückzahlung von 2000 Thalern annehmen wollten, würde es mich freuen und mir eine hohe Ehre sein.«

Das war ein Wort zur rechten Zeit. Mit vor Freude strahlendem Auge schaute der Präsident den treuherzigen Mann an. »Diesen Liebesdienst vergesse ich Ihnen niemals, Herr Anselm!« sagte er. »Sie sind ein wahrer Freund in der Noth und ohne Umschweife nehme ich Ihr Anerbieten an.« –

Die nöthigen Verabredungen über die Auszahlung des Geldes und den notariellen Kontrakt, der schon am folgenden Tage abgeschlossen werden sollte, wurden getroffen, und sehr zufriedengestellt verließen die beiden Deputirten des Kirchenbau-Komités den Präsidenten, bei welchem, als ein neuer Besuch, der Polizeikommissarius Habicht gemeldet wurde. –

Der Polizist brachte die Nachricht, daß eine sichere Spur des Verbrechers entdeckt worden sei. Die Haussuchung bei dem Schlosser Weinert habe stattgefunden und in der ausgeschöpften Düngergrube sei ein leerer, offener eiserner Geldkasten gefunden worden. Der Herr Präsident werde ersucht, sich im Laufe des Nachmittags nach der Polizeidirektion zu bemühen, um den Geldkasten in Augenschein zu nehmen und festzustellen, daß er der ihm geraubte sei. Der Weinert, dessen Schuld jetzt wohl keinem Zweifel mehr unterliege, sei verhaftet.

Alles geschah, wie der Präsident es gewünscht hatte, und doch fühlte er, als er wieder allein war, eine unsägliche Herzensangst. Hatte er sich nicht übereilt? War denn überhaupt das Verbrechen nothwendig gewesen? – Wie bereitwillig war der ehrliche Anselm auf seinen Wunsch eingegangen, gewiß hätte er dies auch gestern gethan, wenn er ihn um ein Darlehen gebeten hätte. Aber freilich, welchen Grund hätte er für eine solche Bitte anführen sollen, die sich heut durch den Raub rechtfertigte? Das Geschehene war überdies geschehen, es ließ sich nicht mehr ändern. Wozu also sich quälen mit den unnützen Gedanken. – Wie gern hätte er sie verscheucht, aber sie wollten nicht weichen. Das Bild des Unschuldigen, der für ihn leiden sollte, der unglücklichen, schönen, jungen Frau verfolgte ihn, er konnte es nicht los werden. – Er verwünschte jetzt die übermäßige Schlauheit, mit welcher er den Verdacht auf Weinert zu leiten gewußt hatte. Dies wenigstens wäre nicht nöthig gewesen! – Ja, die übertriebene Vorsicht konnte jetzt zur Entdeckung führen. – Wenn nun Mariens kaum eingeschläferter Verdacht von neuem erwachte! – Wenn sie, um den Unschuldigen zu retten, den Vater anklagte?

Eine unsägliche Angst ergriff ihn. Rastlos wanderte er im Zimmer auf und nieder. Er grübelte und sann vergeblich darüber nach, wie er jetzt den von ihm selbst hervorgerufenen Verdacht gegen Weinert entkräften und ganz beseitigen könne.

Ein neuer Besuch wurde gemeldet: Herr Lazarus, der zweite Buchhalter des Geheimraths von Samuelsohn in St**.

Er könne ihn nicht empfangen, er sei zu angegriffen, zu erschöpft durch die aufregenden Ereignisse des Morgens, er lasse sich entschuldigen.

Johann kehrte mit einem Brief in der Hand zurück und meldete, Herr Lazarus bedauere, den Herrn Präsidenten nicht sprechen zu können, da er gern persönlich den Brief, eine Freudenbotschaft, übergeben hätte und deshalb mit dem Schnellzuge nach M** gekommen sei. Wenn der Herr Präsident ihm vielleicht noch einen Auftrag an den Herrn Geheimrath zu ertheilen habe, sei er bis zum nächsten Zuge, mit welchem er zurückkehre, auf dem Bahnhof zu treffen.

Der Präsident war wieder allein. Mit einem bittern Lächeln betrachtete er den Brief.

»Eine Freudenbotschaft? Was könnte mir wohl noch Freude machen?«

Er erbrach das Schreiben, es lautete:

»Mein lieber Wartenberg!«

»Juble! Laß heut Mittag die Champagnerpfropfen knallen! Hoch lebe das alte Glück! Das große Loos ist auf Nummer 42,715 gefallen. Auf jeden von uns beiden kommen über 70,000 Thaler. Hurrah! War's nicht ein kluger Einfall von mir, als ich Dich überredete, mit mir zusammen ein ganzes Loos zu spielen? Ja, wir beide waren immer Glücksvögel!

Stets Dein Intimus

Samuelsohn.

P. S. Brauchst Du vielleicht Geld? Meine Kasse steht Dir mit jeder beliebigen Summe vor Auszahlung des Gewinnes zu Gebote.«

Starren Blicks las der Präsident die Glücksbotschaft. Als er zu Ende war, lachte er wild auf. –

»70,000 Thaler! Warum heut! Warum nicht gestern? Umsonst ein Dieb, umsonst verloren für alle Zeit! – O, hätte ich nur einen einzigen Tag gewartet, ich wäre gerettet gewesen! Und der Unglückliche, die Frau, das Kind! Ich werde wahnsinnig!«

Er schleuderte den Brief weit von sich, dann hob er ihn wieder auf, las ihn noch ein Mal, warf ihn aufs neue zu Boden und trat ihn mit Füßen.

»Verflucht sei das alte Glück! Verflucht das Spiel! Verflucht das Geld!«

Tief erschöpft, halb wahnsinnig vor namenloser Gewissensangst, sank er in seinen Sessel zurück.


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