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V.

Die Kirchenkasse.

Der Präsident saß an seinem Schreibtisch. Er ordnete seine Papiere und war eifrig beschäftigt, eine genaue Berechnung über das Vermögen seines früheren Mündels anzustellen. Er hatte sich entschlossen, noch einen Versuch zu machen, das veruntreute Geld herbeizuschaffen; er wollte jeden seiner zahlreichen Bekannten zur Darleihung einer kleineren oder größern Summe bewegen. Zwar war er im Voraus überzeugt, daß es ihm auf diesem Wege nicht gelingen werde, ein größeres Kapital – und eines solchen war er bedürftig, – zu beschaffen, denn schon war er ja der Schuldner aller seiner wohlhabenden Freunde; der Versuch mußte aber trotzdem gemacht, das letzte Mittel, die drohende Gefahr abzuwenden, ergriffen werden. Schlug dasselbe fehl, dann blieb ihm nur noch die unsichere Hoffnung auf einen Spielgewinn. Vor allem kam es darauf an, die Summe, deren er bedurfte, genau festzustellen, deshalb rechnete er mit lebhaftem Eifer.

Endlich waren die letzten Rechnungen zusammengestellt und mit dem Baarbestand verglichen; es ergab sich ein Deficit von 11,700 Thalern, über 1000 Thaler mehr, als er selbst geglaubt hatte.

Trostlos warf er die Feder hin. Solche Summe durch Anleihen zu beschaffen, erschien geradezu unmöglich. Das Spiel allein, welches ihn ins Unglück gestürzt hatte, konnte ihn retten. Der Plan, der ihm in der Nacht einen kurzen, unruhigen Schlummer verschafft hatte, blieb seine letzte Hoffnung.

Ein leichtes Klopfen an der Thür störte den Präsidenten in seinem Grübeln; gleich darauf trat sein Diener Johann ein und meldete: zwei Herren, der Herr Hofprediger Wolchert und der Herr Hoftischler Anselm bäten sich die Ehre einer Audienz aus.

Der Präsident hätte am liebsten den unwillkommenen Besuch abgewiesen, aber es fiel ihm ein, daß der Hoftischler Anselm ein wohlhabender Mann sei, von dem er vielleicht, wenn es ihm nicht gelinge, die ganze fehlende Summe im Spiel zu gewinnen, ein Darlehn von einigen Tausend Thalern aufnehmen könne. Mit einem solchen Manne durfte er es nicht verderben; er ließ daher die Herren bitten, näher zu treten, er wollte sie in seinem Arbeitszimmer empfangen.

Der Herr Hofprediger und der Herr Hoftischler nahten sich mit vielen Verbeugungen dem vornehmen Manne. Sie fühlten sich hoch geehrt, als der Präsident sie mit freundlicher Höflichkeit bat, auf dem Sopha Platz zu nehmen, während er selbst sich einen Sessel heranzog.

»Es ist mir eine Freude, zwei in unserer Stadt so hochgeachtete Männer bei mir zu sehen,« begann er das Gespräch. »Ich kann wohl voraussetzen, daß ich diesen seltenen Besuch irgend einem Wunsche verdanke, den Sie, meine Herren, mir mitzutheilen haben. Ich kann Ihnen im Voraus versichern, daß, wenn meine Amtspflicht es mir erlaubt, ich Ihnen gern gefällig sein werde, schon um Sie, Herr Anselm, und Sie, Herr Hofprediger zu verbinden. – Sprechen Sie also ohne Scheu und Rückhalt, meine Herren.«

Das dicke Gesicht des ehrlichen Tischlers erglänzte im freudigsten Lächeln. Ihn hatte der Herr Präsident zuerst genannt, ihm am freundlichsten zugenickt bei der Versicherung seiner Bereitwilligkeit. Mit diesem einen artigen Wort hatte der vornehme Mann das Herz des einfachen Handwerkers für immer gewonnen.

Auch der Hofprediger fühlte sich durch den liebenswürdigen Empfang, den er seiner eigenen angesehenen Person zuschrieb, sehr geschmeichelt.

»Wir kommen allerdings mit einer Bitte,« sagte er, sich ehrfurchtsvoll verbeugend, »und zwar mit einer solchen, deren Erfüllung lediglich dem Willen des Herrn Präsidenten anheimgegeben ist.«

»Anheimgegeben ist,« wiederholte der Hoftischler.

»Dann dürfen Sie Ihren Wunsch als erfüllt betrachten, meine Herren,« entgegnete der Präsident, sehr verbindlich dem Hoftischler zunickend.

»Das hoffen wir, Herr Präsident,« fuhr der Hofprediger fort. »Wir kommen als eine Deputation des Komités für den Bau der St. Marienkirche in der Marienvorstadt. – Der Herr Präsident haben sich nicht nur mit einer reichen Gabe au unserem Werke betheiligt, Sie haben uns auch erlaubt, Ihren hochgeachteten und allverehrten Namen als den eines Komitémitgliedes veröffentlichen zu dürfen. – Dieser verehrte Name hat uns viele ansehnliche Beiträge verschafft und es mag nun fast unbescheiden erscheinen, wenn wir uns noch außerdem mit einer Bitte nahen, die wir nicht wagen würden, wenn unser Unternehmen nicht ein so heiliges, Gott wohlgefälliges wäre!«

»Sprechen Sie ohne Umschweife Ihre Bitte aus, mein Herr. Noch einmal sei es gesagt, wenn es mir irgend möglich ist, stehe ich gern zu Diensten.« Er schaute bei dieser Versicherung abermals den Hoftischler, der dabei dunkelroth vor Vergnügen wurde, an.

»Der Herr Präsident wissen, daß die Sammlungen für unsere Kirche ein über alle unsere Erwartungen hinausgehendes, günstiges Resultat gehabt haben. Seine Majestät der König, fast alle Prinzen und viele andere edle fromme Wohlthäter haben sich mit bedeutenden Beiträgen betheiligt, erst in letzter Zeit haben wir noch ein beträchtliches Vermächtnis ausgezahlt erhalten. – Unsere Kirche steht fast fertig und noch haben wir ein baares Kapital von 30,000 Thalern, so daß uns, wenn wir 12,000 Thaler, welche in den nächsten Tagen oder Wochen für verschiedene Rechnungen zu bezahlen sind, abrechnen, noch gegen 20,000 Thaler zum inneren Ausbau des Gotteshauses bleiben.«

»Das ist ja vortrefflich!«

»Vortrefflich!« sagte der Hoftischler.

»Ja, Gott hat seine Hand sichtbarlich auf unser Werk gelegt, jetzt aber sendet uns der Herr eine schwere Prüfung. Das Komité hat plötzlich in Erfahrung gebracht, daß unser Kassirer und Schatzmeister, der Kaufmann Wendtlandt, ein untreuer Verwalter sei. – Wir glaubten anfangs die übeln Gerüchte, welche uns zugingen, nicht, wir hielten sie für Verleumdungen gegen einen Mann, der als frommer Christ und eifriger Patriot sich manche Feinde gemacht hat; als aber die Warnungen, welche wir erhielten, immer bestimmter und dringender wurden, haben wir uns doch entschließen müssen, eine plötzliche Kassenrevision zu halten, und diese hat leider das Gerücht, wenn auch nicht in dem Umfange, wie wir fürchteten, bestätigt.«

»Bestätigt,« sagte der Hoftischler.

Dem Präsidenten wurde eigenthümlich heiß. Er fühlte, daß ihm das Blut in die Wangen schoß. Er stand auf und öffnete das Fenster, um der frischen Frühlingsluft den Einzug zu gestatten.

»Es ist so schwül hier,« bemerkte er, »aber bitte, fahren Sie fort, Herr Hofprediger. – Ihre Mittheilung erschreckt mich; ich habe den Herrn Wendtlandt immer für einen so ordentlichen, rechtschaffenen Mann gehalten!«

»Wir alle hatten dies geglaubt; auch ist er wohl nicht eigentlich schlecht, nur leichtfertig. An der Kasse fehlten 2000 Thaler, welche er zur Deckung eines Wechsels benutzt hat; er wird auch diese Summe hoffentlich zahlen. Auf sein flehentliches Bitten, ihn nicht unglücklich zu machen, haben wir für dieselbe einen Wechsel, der in vier Wochen zahlbar ist, angenommnen; natürlich aber können wir ihm die Baukasse nicht länger lassen. Er hat sie sofort abgeben müssen. Wir befinden uns nun in einer schweren Verlegenheit. Nur wenn es uns gelingt, zum Schatzmeister einen Mann zu gewinnen, dessen Ehrennamen jeden Zweifel niederschlägt, können wir die üblen Gerüchte, welche sich jetzt schon gegen unser Komité erheben, entkräften. – Da haben wir, die Mitglieder des Komités, es gestern Abend für eine Eingebung Gottes gehalten, als unser würdiger Freund Anselm den gefeierten Namen des Herrn Präsidenten nannte.«

Der Präsident vermochte kaum seine Fassung zu bewahren. Welcher wunderbare Glücksfall führte ihm plötzlich in diesem Augenblick der höchsten Noth eine Geldsumme zu, die ihn rettete! Nur Zeit gewonnen, dann war alles gewonnen. Das Glück wendete sich ihm wieder zu, gewiß auch im Spiel! Vor seinem innern Auge breitete sich ein Goldmeer aus, er sah die geliebten, ihm so lange feindseligen Karten ihm wieder freundlich zuschlagen. Er sah sich am Spieltisch, wie er Goldberge vor sich aufhäufte und alles wiedergewann, was er in den letzten Jahren verloren hatte. Die Kirchbaukasse unter seiner Verwaltung! Jetzt konnte er dem jungen Rechtenberg die unterschlagenen Gelder ohne Gefahr zurückzahlen, denn dafür, daß nicht sobald eine Kassenrevision ihn in Verlegenheit bringe, ließ sich ja leicht sorgen. Er hätte vor Freude laut aufjauchzen mögen, aber er bezwang sich, ja es gelang ihm trefflich, den recht unangenehm Ueberraschten zu spielen.

»Sie wollen mich zum Kassirer und Schatzmeister des Komités machen? Unmöglich, meine Herren!« rief er. »Bedenken Sie nur meine überhäuften Geschäfte! Wie könnte ich Ihre Bücher regelmässig führen, alle die vielen größeren und kleineren Zahlungen machen, mit den Bauleuten und Handwerkern verhandeln, die milden Beiträge einziehen und darüber quittiren, kurz alle die zahlreichen Arbeiten übernehmen, welche mit dem Amte eines Kassirers verbunden sind?«

»Derartiges vom Herrn Präsidenten zu erbitten, würden wir in der That nicht wagen. So weit geht unser Wunsch nicht. Wir haben beschlossen, das Amt des Schatzmeisters von dem des Kassirers zu trennen. Der Kassirer wird alle die Geschäfte besorgen, welche der Herr Präsident andeuten, er wird die Gelder einziehen und verausgaben und nur allwöchentlich ein Mal dem Schatzmeister entweder den Ueberschuß abliefern oder von ihm das zu den bevorstehenden Ausgaben nöthige Geld in einer größeren Summe in Empfang nehmen. Herr Anselm hat das beschwerliche Amt eines Kassirers angetreten, Sie, Herr Präsident, bittet das Komité inständigst, das Schatzmeisteramt verwalten zu wollen. Sie würden hierdurch unserm gottgeweihten Werk eine neue Stütze geben!«

»Eine neue Stütze geben!« erschallte das treue Echo.

»Meine Herren, Sie überraschen mich mit Ihrem ehrenvollen Antrage,« erwiderte der Präsident zögernd. »Ich weiß in der That nicht, ob ich denselben annehmen soll. Die Verantwortlichkeit, bedeutende Geldsummen aufzubewahren und zu verwalten, ist so groß, daß ich dieselbe nur ungern auf mich lade. Indessen ich habe Ihnen versprochen, Ihnen zu Willen zu sein; da muß ich wohl mein Wort halten. Ich bin bereit, das Schatzmeisteramt anzunehmen.«

»Sie verpflichten hierdurch das Komité zum höchsten Dank, verehrter Herr Präsident, doppelt aber würden Sie uns verpflichten, wenn Sie jetzt gleich aus meiner Hand den Kassenbestand von 28,000 Thalern übernehmen und hierdurch ihr Amt antreten wollten. Herr Anselm hat das Geld mitgebracht.«

Der Präsident verbarg nur mühsam seine Freude bei diesem Vorschlag, den er anfangs zurückwies, weil er nicht vorbereitet sei, dann aber annahm, indem er bemerkte, einstweilen wolle er das Geld in einem eisernen Geldkasten, der in seinem Schreibtisch eingefügt sei, neben seinem eigenen Vermögen verwahren. Er empfing eine gewichtige Brieftasche voll hoher Werthscheine, die ihm der Hoftischler Anselm vorzählte und über welche er Quittung ausstellte.

Zu allseitiger Zufriedenheit war das Geschäft beendet; der Hofprediger und sein Echo erschöpften sich in Danksagungen, als sie sich empfahlen; schon waren sie in der Thür, als der Hofprediger noch einmal umkehrte. »Fast hätte ich vergessen,« sagte er, »dem Herrn Präsidenten noch einen Beschluß des Komités mitzutheilen, der sicherlich die Billigung des Herrn Präsidenten hat; er betrifft die Kassen-Revisionen. Wir würden nicht gewagt haben, dem hochverehrten Herrn das mißliche Amt eines Schatzmeisters anzutragen, ohne zugleich Sorge zu tragen, daß niemals die zum Schmähen und Verdächtigen nur zu sehr geneigte Menge auch nur den Schatten eines Grundes finden könne, um den reinen Namen unseres Herrn Schatzmeisters zu beflecken. Das Komité hat deshalb beschlossen, falls der Herr Präsident einverstanden sind, mindestens alle vier Wochen eine Revision der Schatzbestände stattfinden zu lassen und das Resultat in unserer Kirchenzeitung zu veröffentlichen.«

Wäre der Hofprediger ein etwas schärferer Beobachter gewesen, als er es war, dann würde er bemerkt haben, daß bei seiner letzten Rede ein tiefer Schatten des Mißmuths sich auf der Stirn des Präsidenten zeigte, aber er sah dies nicht, er hörte nur die Worte des vornehmen Herrn, der leichthin sagte: »Dies ist selbstverständlich, meine Herren. Nur weil ich voraussetzte, daß vom Komité ein derartiger Beschluß gefaßt worden sei, habe ich ein so verantwortliches Amt übernommen. Auch bitte ich, mich niemals von den Kassenrevisionen vorher zu benachrichtigen; in Kassenangelegenheiten muß die höchste Strenge und Vorsicht beobachtet werden. Guten Morgen meine Herren.«

Die beiden Deputirten entfernten sich sehr zufrieden mit der erfolgreichen Ausführung ihres Auftrages. – Nicht ganz so zufrieden war der Präsident. Er stand lange am Fenster und schaute nachdenkend in den Garten hinab. – Durch einen merkwürdigen Zufall war er in den Besitz einer Geldsumme gekommen, durch welche er sich leicht aus der augenblicklichen Verlegenheit befreien konnte, aber in spätestens vier Wochen mußte eine Kassenrevision ihn wieder in dieselbe verzweiflungsvolle Lage bringen. Freilich war es schon wichtig, Zeit gewonnen zu haben; aber vier Wochen genügten ihm nicht. Eine Reise nach Baden-Baden oder einem anderen Spielort konnte er jetzt nicht unternehmen, ohne vorher die Kirchenbaukasse abzugeben, in St.** aber die fehlenden Gelder in vier Wochen wiederzugewinnen, erschien bei dem verhältnißmäßig niedrigen Spiel im Kasino sehr unwahrscheinlich. Ein anderer Gedanke stieg plötzlich in ihm auf, ein neuer Plan zu dem ersehnten Gelde zu gelangen; aber er verwarf ihn. Wozu ein Verbrechen begehen, wenn nicht die unbedingte Nothwendigkeit es erforderte! Dazu war es in einigen Tagen immer noch Zeit. Jedes Verbrechen hat die Möglichkeit einer Entdeckung unbedingt zur Folge, und einer solchen Möglichkeit wollte er sich, so lange er es vermeiden konnte, nicht aussetzen. Er entschloß sich, zuerst den allerdings voraussichtlich fruchtlosen Versuch zu machen, sich das fehlende Geld durch eine Anleihe zu verschaffen. Gelang dies, dann wollte er niemals wieder eine Karte anrühren. Er wollte dann leben, wie der knickerigste Geizhals, und nach und nach von seinen Ersparnissen seine Schulden bezahlen. – War es aber nicht möglich, die nöthige Summe aufzutreiben, dann sollte das Spiel von neuem versucht werden, endlich mußte ja das Glück ihm wieder hold werden. – Konnte er auch nicht die ganze große Summe in der kurzen Zeit von vier Wochen gewinnen, fehlten auch wirklich noch einige Tausend Thaler, dann ließen sich diese wohl auftreiben, wenigstens für den Tag der Kassenrevision, denn dafür, daß diese nicht unvermuthet und unvorbereitet vorgenommen werde, glaubte er schon Sorge tragen zu können. – War aber auch das Spielglück ihm unhold, wie früher, – dann – – ja dann blieb nichts anderes übrig, dann mußte jedes Mittel zur Rettung ergriffen werden, jedes! – Immer klarer wurde ihm ein fein angelegter Plan, sich einen Theil der Kirchenbaukasse anzueignen, immer mehr befreundete er sich mit dem Gedanken an denselben; aber sein Entschluß war gefaßt; zur Ausführung wollte er ihn erst bringen als letztes Mittel zur Hilfe in der äußersten Noth, wenn alles andere fehlgeschlagen war.

Nachdem der Präsident in sich selber zur vollen Klarheit gekommen war, scheuchte er alle trüben Gedanken von sich. Er setzte sich an seinen Arbeitstisch und mit dem Eifer, der Schnelligkeit und Gründlichkeit, durch welche er sich in den Beamtenkreisen berühmt gemacht hatte, arbeitete er die angesammelten Aktenstöße auf.

Mittags speiste er wie gewöhnlich mit seiner Tochter. Er zeigte sich herzlich, freundlich und fast heiter. »Es wird noch alles gut werden, mein Kind!« Dies war die einzige Anspielung auf die vergangene Nacht, die er machte; weiter sprach er sich nicht aus, und Marie wagte es nicht, ihn zu fragen. Nur als er gleich nach Tisch Hut und Stock nahm, und erklärte, er wolle nach St... fahren, wahrscheinlich werde er erst mit dem letzten Zuge zurückkehren, vielleicht sogar über Nacht in der Hauptstadt bleiben, schaute Marie ihn ängstlich forschend an, und sein Auge vermochte ihrem Blick nicht zu begegnen.

»Willst Du wieder ins Kasino gehen, Vater?«

»Ich weiß es noch nicht. Jedenfalls muß ich suchen, Hilfe zu finden, und ich hoffe, daß es mir gelingen wird.«

»Du willst wieder spielen!«

»Kein Wort weiter, Marie!« gebot er streng. »Ich weiß, was ich zu thun habe und lasse mich nicht bevormunden, am wenigsten von meiner Tochter.«

»Aber Vater – – –«

»Ich dulde keinen Widerspruch. Glaube nicht, weil Du mich heute Nacht schwach gesehen hast, ich sei ein Kind, welches Du beherrschen kannst. Ich habe mich ermannt. Du aber vergiß diese unglückliche Nacht, wie auch ich sie vergessen und mich nur daran erinnern will, welche aufopferungsfreudige Liebe Du mir gezeigt hast. Ich habe Muth und Kraft wiedergefunden und ich versichere Dir nochmals, alles wird gut gehen. Du brauchst die Zukunft nicht zu fürchten.«

Mit diesem Wort verließ der Präsident seine Tochter, die keine Entgegnung wagte. Auf der Eisenbahn traf er mehrere Bekannte, in deren Gesellschaft er die kurze Reise nach St... machte. Er zeigte sich so frisch, heiter und liebenswürdig wie gewöhnlich.

Auf dem Bahnhof in St... nahm er sich einen Wagen, mit dem er die Rundfahrt zu allen denjenigen Kollegen, Freunden und Bekannten, von denen er hoffen durfte, ein Darlehn zu erhalten, antrat. Alle seine Bemühungen aber waren, wie er vorausgesehen hatte, vergeblich. Ueberall wurde er freundlich empfangen, denn er war allgemein beliebt, sobald er aber auf den eigentlichen Zweck seines Besuches kam, zeigten sich die Freunde außerordentlich kühl und gemessen; sie hatten unglücklicherweise gar kein Geld disponibel, erinnerten wohl auch an die frühere, noch nicht getilgte Schuld, oder sie fanden andere Entschuldigungen. Nicht ein Einziger zeigte sich bereit, ein größeres Darlehen zu gewähren.

Es war schon Abend geworden, als der Präsident dem Lohnkutscher befahl, nach dem Kasino zu fahren. Es war ein fruchtloses Bemühen, noch weitere unnütze Besuche zu machen, sich noch mehr kalte Abweisungen und leere Entschuldigungen zu holen, deren er im Ueberflusse empfangen hatte.

»Es ist Thorheit, auf Freunde zu bauen!« so sagte er sich mit einem bittern Lächeln. »Selbst ist der Mann!«

Der Präsident begrüßte im Lesesaal des Kasinos nur flüchtig einige Bekannte, dann ging er direkt nach dem Hinterzimmer, in welchem die Spieltische standen. Er traf dort fast genau dieselbe Gesellschaft, von der er sich am Abend vorher getrennt hatte, versammelt und schon mit dem Spiel beschäftigt; der Freiherr von Altkirch hatte wieder eine kleine Bank aufgelegt, gegen welche die Uebrigen mit niedrigen Sätzen pointirten.

»Ich komme, um meine Revanche zu holen, Herr Baron. Hoffentlich werde ich heute ein besseres Glück haben, als gestern,« sagte der Präsident, an den Spieltisch tretend.

»Das wird schwerlich möglich sein, Herr Präsident,« entgegnete der Freiherr, indem er dem General Grafen Western einen Blick des Einverständnisses zuwarf. »Ich bin genöthigt, die letzte Taille anzukündigen, es dürfte daher für Sie kaum der Mühe werth sein, bei den wenigen Karten, die noch fallen, am Spiel Theil zu nehmen.«

»28 Karten sind schon heraus, bleiben also nur noch 11 für den Pointeur und 12 für den Bankhalter in dieser und 25 gegen 26 für den Pointeur in der nächsten Taille. Das Verhältniß des Gewinnes zum Verlust stellt sich also wie 36 zu 38, während es sonst genau 25 zu 26 betragen soll. Eine sehr ungünstige Rechnung!« bemerkte der General.

»Sie wollen doch nicht sagen, Herr Baron, daß Sie mit dem Spiel aufhören und mir die Revanche für gestern verweigern wollen?« fragte der Präsident empfindlich.

»Ich bedaure, Ihnen nicht dienen zu können. Ich habe bereits die letzte Taille angekündigt und die sämmtlichen Mitspielenden sind damit einverstanden. Nicht wahr, meine Herren?«

»Ja wohl. Versteht sich!« ertönte es von allen Seiten.

»Es ist dies ein eigenthümliches Verfahren, nachdem ich gestern eine recht bedeutende Summe gegen die Bank verloren habe.«

»Sehr gegen meinen Willen, Herr Präsident!« erwiderte der Freiherr scharf. »Ich wünsche durchaus nicht zum zweiten Mal von Ihnen eine ähnliche Summe zu gewinnen und habe Sie gestern mehrfach gebeten, das Spiel nicht so hoch zu treiben. Jedenfalls wird dies heut nicht geschehen können, da meine Ankündigung der letzten Taille unwiderruflich ist!«

»Dann werde ich nach Ihnen die Bank übernehmen, falls nicht ein anderer der Herren dies zu thun wünscht.«

»Dagegen kann ich nichts haben,« sagte der Freiherr kalt, indem er, ohne sich weiter stören zu lassen, fortfuhr, die Taille abzuziehen.

»Auch hoffentlich dagegen nichts, daß ich bis zum Schluß Ihrer Bank am Spiel Theil nehme?«

»Ich kann dies ebensowenig verhindern.«

»Dann setze ich zwanzig Friedrichsd´or auf die Zehn und zwanzig auf die Sieben. – Die Unglückssieben von gestern soll heut eine Glückssieben für mich werden.«

»Ich will es Ihnen wünschen,« entgegnete der Freiherr trocken, »bemerke indessen, daß ich heut ebensowenig, wie gestern, einen Satz annehme, der über zwanzig Friedrichsd´or hinausgeht. – Zehn und Sieben. Ihre Karten gleichen sich aus, Herr Präsident, die Zehn hat verloren und die Sieben gewonnen.«

»Dann biege ich ein Paroli auf die Sieben.«

»Ich bedaure, dies nicht gestatten zu können. Ein Paroli ist gleichbedeutend mit einer Verdoppelung des Einsatzes auf die gewinnende Karte. Da Sie schon mit dem höchsten Einsatz spielen, kann ich ein Paroli nicht annehmen.«

»Das ist zu arg!« rief der Präsident zornig. »Nachdem ich so bedeutende Summen gegen Sie verloren, wollen Sie mir die Spielfreiheit entziehen und es mir unmöglich machen, das Verlorene wiederzugewinnen.«

Der Freiherr von Altkirch blieb bei dieser Beschuldigung vollkommen ruhig.

»Ein solcher Vorwurf kann mich nicht treffen,« entgegnete er mit kalter Höflichkeit. »Einige Tausend Thaler haben für mich zu wenig Werth, als das; ihr Gewinn oder Verlust mich veranlassen könnte, die Spielregel, welche in unserem Kreise gegeben ist, zu verletzen. Dieser Regel müssen auch Sie sich fügen, Herr Präsident, oder, was Ihnen ja freisteht, auf die Theilnahme an unserem Spiel verzichten.«

Ein beifälliges Gemurmel der übrigen Herren und einige halblaute, für den Präsidenten nicht gerade schmeichelhafte Aeußerungen überzeugten diesen, daß er zu weit gegangen sei. Er mußte sich fügen. Voll Ingrimm schwieg er.

Das Spiel hatte seinen Fortgang und das Glück war dem Präsidenten hold. Er besetzte mehrere Karten, jede mit zwanzig Friedrichsd´or, und bei diesem hohen Satze gelang es ihm in kurzer Zeit, einen ansehnlichen Stoß von Goldstücken neben sich anzuhäufen. – Als der Freiherr die Bank schloß, hatte der glückliche Spieler 120 Friedrichsd'or gewonnen.

»Jetzt, meine Herren,« rief er sehr vergnügt, »will ich die Bank übernehmen; hier liegen 200 Friedrichsd'or. Haben Sie die Güte zu setzen!«

Seine Aufforderung war fruchtlos. Niemand folgte ihr. Der Freiherr verließ, nachdem er sein Geld eingesteckt hatte, den Spieltisch, und seinem Beispiele folgten alle übrigen Spieler, – sie erklärten, daß sie für heut Abend nicht mehr zu pointiren wünschten und zogen sich in die Gesellschaftszimmer zurück.

Eine fahle Blässe überflog das Gesicht des Präsidenten, als er sich allein sah mit dem Obersten von Quedenau, der am Spiel nicht Theil genommen hatte, aber ein aufmerksamer Zuschauer gewesen war.

»Was bedeutet dies? Will man mich verhöhnen? Will man mich ausschließen vom Spiel?«

»Ja, Freund Wartenberg, das Letztere will man,« erwiderte der Oberst.

»Das ist eine Infamie! Nachdem diese Menschen mich ausgeplündert haben, wollen sie mich hindern, das Verlorene wiederzugewinnen. Niederträchtig! Dafür sollen sie mir Genugthuung geben!«

»Sie wollen Dich hindern, noch mehr zu verlieren und Dich dadurch zu ruiniren.« –

»Jämmerliche Entschuldigung!«

»Du bist gereizt und erzürnt, Wartenberg. Komm, wir wollen zusammen das Kasino verlassen und einen Spaziergang machen. Unterwegs will ich Dir eine Erklärung für die Vorgänge des heutigen Abends geben.«

»Ich verlange sie nicht von Dir, sondern von jenem adelsstolzen Narren, von dem Freiherrn von Altkirch und den übrigen Herren, die sich nicht gescheut haben, mir mein Geld abzunehmen und die mich nun heut, wo mir endlich mein Glück lächelt, hier allein lassen. Eine solche Beleidigung ertrage ich nicht. Ich folge diesen Menschen und fordere Rechenschaft von ihnen über ihr unverantwortliches Verfahren.«

»Du würdest nur ganz unnützer Weise eine höchst unerquickliche Scene, vielleicht einen Deiner Stellung und Deines Rufes unwürdigen Skandal hervorrufen. Mit welchem Recht kannst Du verlangen, daß eine Gesellschaft, in welche Du trittst, nach geschlossener Bank das Spiel von neuem beginne? Niemand hat Dich beleidigt. Die meisten Herren haben sogar, obgleich sie dies wahrlich nicht nöthig gehabt hätten, aus Rücksicht für Dich irgend ein Wort der Entschuldigung, weshalb sie verhindert wären, weiter zu spielen, gesagt. Du würdest Dich in der ungünstigsten Lage befinden, würdest sehr unangenehme Erörterungen hervorrufen, wenn Du Genugthuung für eine Beleidigung, die nicht vorhanden ist, fordertest. Ich beschwöre Dich, folge nur dies Mal dem Rath und der Bitte Deines ältesten Freundes. Thue nicht eher etwas, als bis Du ruhiger geworden bist. Komm' mit mir, thue es mir zu Liebe, alter Freund.«

Der Oberst sprach so herzlich, so wahrhaft freundschaftlich, daß seine Worte doch Eindruck auf den heftig erregten Präsidenten machen mußten. Wartenbergs klarer, scharfer Verstand besiegte die zornige Erregung. Gegen die kalte Höflichkeit des Freiherrn und der übrigen Mitglieder des Kasinos ließ sich in der That schwer ankämpfen, dies sah der Präsident ein. Er ließ sich überreden, und wenn auch noch voll Zorn und Mißmuth, folgte er doch dem Freunde. Als er mit diesem durch die Gesellschaftszimmer ging, um das Kasino zu verlassen, empfing er von allen Seiten so höfliche, selbst freundliche Grüße, daß er wohl erkennen mußte, eine Beleidigung gegen ihn habe Niemand beabsichtigt.

Der Oberst nahm den Arm des Freundes; er führte diesen nach dem nahen Lustwald, der sich unmittelbar vor dem Thore der Residenz ausbreitete. – Erst als er eine Seitenallee, welche nur wenig von Spaziergängern besucht wurde, erreicht hatte, begann er die Unterhaltung.

»Ich danke Dir herzlich, alter Freund,« – sagte er, – »daß Du meine Bitte erfüllt hast, dafür sollst Du volle Wahrheit erfahren.« – Er erzählte nun, welche Beschlüsse die Mitglieder des Kasino am vergangenen Abend gefaßt hatten, er that es in der schonendsten, freundlichsten Weise, und endlich schloß er mit den Worten: »Glaub' mir, Wartenberg, alle achten Dich hoch. Keiner will Dich beleidigen, und wenn sie sich das Wort gegeben haben, jedes Hazardspiel abzubrechen, sobald Du erscheinst, so hast Du selbst durch Dein zu hohes und leidenschaftliches Spiel einen solchen Beschluß zur Nothwendigkeit gemacht. Weder Uebelwollen gegen Dich, noch Eigennutz kannst Du dem Freiherrn von Altkirch zum Vorwurf machen. Was kümmert sich wohl der Millionär um einige Tausend Thaler Gewinn oder Verlust? – Wohl aber kann er es nicht dulden, daß Du Dich gegen die von ihm gehaltene Bank ruinirst. Heut hast Du Glück gehabt, wer kann aber sagen, ob es Dir treu geblieben wäre, ob Du nicht endlich bei Deinen hohen Sätzen wieder tausend Thaler und mehr verloren hättest? – Wie wenig die Herren daran gedacht haben, Dich kränken zu wollen, magst Du daraus ersehen, daß ich, Dein ältester Freund, ihren Beschluß veranlaßt habe.«

»Du?« –

»Ja, ich habe sie gebeten, einen solchen Beschluß zu fassen. Ich will es nicht dulden, daß mein Freund und bald mein naher Verwandter, der Vater meiner lieben zukünftigen Schwiegertochter, sich durch seine Leidenschaft ruinire und vielleicht in Schimpf und Schande ende. – Ich habe als alter Offizier der Spielwuth unzählige traurige Opfer fallen sehen. Du aber sollst nicht auch zu ihnen gehören.«

»Ich bin kein der Vormundschaft bedürftiges Kind und muß mir solche völlig unbefugte Einmischung in meine Angelegenheiten ernstlich verbitten.«

»Sie ist nicht unbefugt. – Marie ist, wie Deine, so bald meine Tochter. Ernst ist heut zum Staatsanwalt in M** ernannt worden, er hofft in vier Wochen seine Hochzeit zu feiern. – Ich habe wohl das Recht, für das künftige Lebensglück meiner Schwiegertochter besorgt zu sein, wenn Du mir auch das Recht, Theil an Deinem Schicksal zu nehmen, bestreitest.«

Der Präsident antwortete nicht, er war in tiefes Sinnen versunken. Eine Zeit lang gingen die beiden Freunde schweigend neben einander, endlich blieb Wartenberg stehen. »Du hast geglaubt, aus Freundschaft für mich und aus Liebe zu Marien ein wenig Vorsehung spielen zu müssen!« sagte er mit bitterem Spott. »Bei solchem Gelüst, der liebe Gott sein zu wollen, kommt aber selten etwas Gescheutes heraus, und auch Du wirst vielleicht noch diese Erfahrung machen. Wer weiß, ob Du nicht auch einst zurückschrecken wirst vor der Verantwortlichkeit, die Du durch Deine Vorsehungsgelüste übernommen hast.«

»Was willst Du damit sagen?«

»Die Antwort wird Dir vielleicht die Zukunft geben; ich fühle dazu keine Veranlassung. Nur noch eine Frage. – Ist sicher jeder Versuch, im Kasino wieder an einem hohen Spiel Theil zu nehmen, für mich vergeblich? – Kannst Du mir darauf Dein Ehrenwort geben?«

»Wenn die Herren ihr Ehrenwort halten, und daran ist nicht zu zweifeln, so wird, sobald Du erscheinst, jedes Spiel im Kasino aufhören.«

»Gut, Du hast erreicht, was Du wolltest. – Mein Entschluß ist gefaßt. Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß auch ich vom heutigen Tage an keine Karte mehr anrühren werde.«

»Wartenberg, alter lieber Freund, laß Dich umarmen für dies herrliche Wort. Du machst mich durch dies Versprechen ganz glücklich!«

Der Präsident wies kalt die Umarmung zurück. – »Frohlocke nicht zu früh,« sagte er mit erzwungener Ruhe; Quedenau hörte aber wohl aus dem eigenthümlichen Ton der Stimme, daß der Freund kaum im Stande war, seine Erregung zu verbergen. »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! Behalte es in gutem Gedächtniß, daß Du es gewesen bist, der mir es unmöglich gemacht hat, im Spiel wiederzugewinnen, was ich im Spiel verloren habe. Leb' wohl, Du lieber, treuer Freund! Gestern hast Du mir die Hilfe in der Noth verweigert und heute mir die Hoffnung auf die Zukunft durch Deine vorsorgliche Thätigkeit abgeschnitten. Von der Spielwuth hast Du mich kurirt, sieh' zu, ob Du nicht den Teufel mit dem Teufel ausgetrieben hast.«

»Wartenberg, welche seltsame Reden führst Du –«

»Du hast Recht. Dir müssen meine Worte seltsam erscheinen; auch ist's mir nicht der Mühe werth, sie Dir zu erklären. Das aber wirst Du wohl verstehen, wenn ich Dir sage: wir sind geschieden für alle Zeiten.«

»Wartenberg! Unsere Kinder –«

»Sind verlobt. Ich nehme mein Wort nicht zurück. Die Väter aber scheiden heut für immer!«

Der Präsident wendete sich bei diesen Worten kurz ab, er verließ den alten Freund, und als dieser ihm nacheilte, ihm die Hand reichen wollte, wies er sie schroff und zornig zurück. »Ich verbitte mir jede weitere Aufdringlichkeit; wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen?,« rief er heftig. Ohne sich noch einmal nach dem Obersten umzuschauen, ging er eiligen Schrittes fort.

Quedenau schaute ihm traurig nach. Er konnte ihn nicht halten und doch hätte er es so gern gethan; denn er fühlte wohl, daß dies ein Abschied auf immer sei. Die letzten Worte des zürnend scheidenden Freundes gruben sich unauslöschlich in sein Gedächtniß; später hat er oft schmerzlich an jene Stunde zurückgedacht.


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