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XIV.

Die Forschungen des Herrn Polizei-Kommissarius Wetter.

»Sentner, Du bist ein ungeschickter Tölpel. Wie konntest Du Dich überraschen lassen?«

»Aber, Herr Kommissarius, man kann doch nicht stundenlang auf dem Boden gekauert sitzen, ohne sich zu rühren. Nur den Fuß hab' ich ein wenig ausgestreckt, da stieß ich an ein Stückchen Holz. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, daß der Sergeant mich hören würde, so gering war das Geräusch, aber der hat Ohren, wie ein Luchs.«

»Du hättest ihm aber nicht ausplaudern sollen, daß ich Dich dorthin gestellt habe. Altes Plappermaul! Donnerwetter, das giebt wieder einen Rüffel vom Direktor, ich höre ihn schon. – »»Herr, was geht Sie die Sache an? Wie können Sie sich unterstehen, Ihre Nase da hinein zu stecken, wo Sie keinen Befehl haben und auf königliche Kosten einen Vigilanten ohne Auftrag zu verwenden? Der Teufel soll Sie holen, Herr, lassen Sie sich so etwas nicht zum zweiten Mal beikommen.«« Dann noch ein Paar Flüche, die nicht von schlechten Eltern sind. Ich kann froh sein, wenn ich mit der Entschuldigung, der Diensteifer habe mich vielleicht zu weit getrieben, durchkomme. Und das verdanke ich Dir, Du plapperhafter Schlingel. Konntest Du nicht Dein Maul halten?«

»Dann hätte mich der Sergeant, der mich ohnehin nicht leiden kann, nach der Polizei gebracht. Er dachte so schon, daß ich mit dem Weinert unter einer Decke stecke. Ich konnte wahrhaftig nicht anders, Herr Kommissarius.«

»Meinetwegen soll es Dir diesmal hingehen; für künftig aber nimm Dich besser in Acht, das rath' ich Dir. Ganz vergeblich bist Du wenigstens nicht dort gewesen, die Hauptsache weiß ich. Der dumme Kerl, der Habicht, hat auf den Köder angebissen, der Kasten ist gefunden und der Weinert verhaftet. Du kannst nun gehen, Sentner, – heut über Tag bleibst Du ganz ruhig zu Hause, ich will nicht, daß Du Dich heut herumtreibst und Dir vielleicht einen Rausch antrinkst. Nachts Punkt zwei Uhr erwartest Du mich in den Anlagen am Stadtgraben, dort, wo die kleine eiserne Brücke nach der Insel hinüberführt. Du bringst eine Harke mit langem Stiel und einen Sack mit. Verstanden, mein Bursche?«

»Ich werde pünktlich zur Stelle sein.«

»Noch eins. Davon, daß Du heut Nacht mich in den Anlagen erwarten sollst, sagst Du keinem Menschen ein Wort. Hörst Du, Niemandem, auch dem Herrn Polizei-Direktor nicht, wenn er Dich vielleicht im Laufe des Tages rufen lassen sollte. Wehe Dir, wenn Du nicht reinen Mund halten kannst.«

»Aber Herr Kommissarius – – –«

»Donnerwetter! Ordre parirt und nicht gemuckst. Ich habe Dich in der Tasche, mein Bursche. Ein Wort von mir und mit Deinem Vigilantenthum ist's aus, Du wanderst ins Zuchthaus.«

Der Vigilant warf einen giftigen, bösen Blick auf seinen Vorgesetzten. »Das möcht' ich doch 'mal sehen,« sagte er trotzig. »Ich bin ein ehrlicher Kerl und thue meine Pflicht. Und heut Nacht brauch' ich gar nicht in die Anlagen zu kommen. Das ist kein Dienst, wenn ich darüber selbst dem Herrn Direktor nichts sagen soll. Einen Gefallen will ich schon dem Herrn Kommissarius thun, dann muß ich aber extra bezahlt werden und man muß es mit Höflichkeit von mir verlangen.«

Der Polizei-Kommissarius Wetter hörte sehr ruhig die trotzige Rede des Vigilanten mit an. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, indem er spielend den langen rothen Schnurrbart zu zwei Spitzen in die Höhe drehte. Als Sentner geendet, maß er den mit dem Hut in der Hand vor ihm Stehenden mit einem verächtlichen Blick.

»Ich glaube gar, der Kerl rebellirt? Donnerwetter, das wollen wir ihm austreiben. Höre 'mal, Freund Sentner, Deine Nachrichten sind seit einiger Zeit verdammt unzuverlässig. Vergangene Nacht habe ich Deinetwegen manche Stunde vergeblich auf Posten gestanden, das will ich Dir verzeihen, wenn Du reinen Mund hältst, weil – nun weil es mir so gefällt. Wie steht es denn aber mit dem Einbruch von voriger Woche beim Mehlhändler Willer? Du hast mir gesagt, der Weinert sei dabei gewesen und Du wolltest mir die Beweise schaffen. Nun, wie stehts? Ich habe noch nichts gehört.«

»Ich hab' mir alle Mühe gegeben, aber der Weinert ist ein schlauer Kerl, der läßt sich nicht so leicht fangen.«

»So? Du hast also noch nichts erfahren?«

»Nein!«

»Ich aber habe etwas erfahren. Merk's Dir, mein Bursche. Zwei haben den Einbruch gemacht, der Vigilant Schott und der Vigilant Sentner. Der Sentner hat das Silberzeug nach St** gebracht und an die alte Hexe, die Werkenthin, verkauft. Brauchte ich nicht die beiden Schurken, den Schott und den Sentner, dann säßen sie beide heute schon fest.«

Der Vigilant starrte mit weit geöffneten Augen den allwissenden Polizisten an, der Hut entfiel seiner zitternden Hand. »Aber ich schwöre Ihnen auf Ehre und Gewissen, Herr – –« stotterte er.

»Halt's Maul! Je weniger Du von Deiner Ehre und Deinem Gewissen sprichst, desto besser ist es. Du weißt jetzt, woran Du bist. Eine gute Belohnung, wenn Du schweigen kannst und parirst, das Zuchthaus, wenn Du plauderst und den Rebellen spielst. Also heut Nacht zwei Uhr am Stadtgraben. Kein Wort mehr. Kehrt! Marsch!«

Ohne eine Silbe zu erwidern, machte der niedergedonnerte Vigilant militärisch Kehrt, er verließ in höchster Eile das Polizei-Büreau.

»Den hätten wir fest für alle Zeit!« sagte der Polizei-Kommissarius grimmig lächelnd und sich den rothen Bart in die Höhe drehend. »Der Andere soll bald nachfolgen, oder ich will nicht Wetter heißen.«

Eine Zeit lang stützte er tief sinnend den Kopf in die Hand, dann stand er auf. »So kann es gehen!« murmelte er. »Ich fange ihn in seinem eigenen Netz. Zappeln soll er und zahlen, daß ihm die Augen übergehen.«

Der abgetragene Bureaurock wurde mit der besten Uniform vertauscht, dann rief der Polizei-Kommissarius seinen Sergeanten, dem er das Büreau übergab, während er selbst eine Wanderung in die Stadt antrat.

Eine Viertelstunde darauf wurde dem Herrn Hoftischler Anselm, der sehr behaglich bei seinem Nachmittagskaffee saß, der Besuch des Polizei-Kommissarius Wetter gemeldet.

Der ehrliche Tischler liebte zwar die Polizei nicht, er hatte sogar eine gewisse heilige Scheu vor ihr, gerade deshalb aber zeigte er sich um so zuvorkommender gegen den nicht gewünschten Besuch, dem er höflich eine Tasse Kaffee anbot.

»Ich nehme mit Dank an, mein verehrter Herr Hoftischler,« sagte Wetter, der sehr höflich sein konnte, wenn er nur wollte; »ich dürfte es nicht, wenn ich direkt im Dienst wäre; dies ist aber eigentlich bei meinem Besuch nicht der Fall. Ich komme zwar im höheren Auftrage und will Sie um eine Gefälligkeit ersuchen, diese ist aber nur halb dienstlicher Natur.«

»Ich stehe mit Vergnügen zu Diensten.«

»Die Sache betrifft unsern verehrten Herrn Präsidenten Wartenberg und den bei ihm heut Nacht verübten Einbruch. Ehe ich aber meine Bitte ausspreche, muß ich Sie um Ihr Wort ersuchen, daß Sie unbedingtes Stillschweigen auch gegen den Herrn Präsidenten über das beobachten, was wir besprechen werden.«

»Aber ich weiß wirklich nicht –«

»Wenn Sie dies Versprechen nicht geben, muß ich mich ohne ein Wort zu sagen, wieder entfernen.«

Er stand bei diesen Worten auf und nahm die Dienstmütze, die Tasse Kaffee ließ er unangerührt stehen.

Die Neugier des Hoftischlers war erregt; er hätte gar zu gern gewußt, welchem Zweck der Besuch des Polizisten galt. –

»Ich sage ja nicht Nein,« erwiderte er zögernd; »aber ich muß doch ungefähr wissen, um was es sich handelt. Ich möchte um keinen Preis dem Herrn Präsidenten eine Unannehmlichkeit bereiten.«

»Sie sollen ihm im Gegentheil einen wichtigen Dienst leisten, ihm zur Wiedererlangung des geraubten Geldes behilflich sein.«

»Dann verspreche ich Ihnen mit Freuden Schweigen.«

»Gegen Jedermann, auch gegen den Herrn Präsidenten selbst?«

»Ja, auch gegen ihn, wenn es sein muß!«

»So hören Sie denn,« sagte Wetter, wieder Platz nehmend. »Der Haupteinbrecher, der Schlosser Weinert, ist zwar verhaftet und der Geldkasten bei ihm gefunden; aber das Geld selbst fehlt. Es kommt darauf an, es wieder herbeizuschaffen. Jedenfalls hat es ein Verbrechensgenosse schon am frühen Morgen nach St** gebracht. Ich glaube den Hehler zu kennen. Er ist ein wohlhabender Mann und eine Haussuchung bei ihm hat keinen Nutzen, da er stets zu seinem Geschäft viel baares Geld vorräthig hat, wenn wir nicht im Stande sind, nachzuweisen, daß unter dem Gelde, welches wir vorfinden, das dem Herrn Präsidenten Geraubte enthalten ist. Sie verstehen mich, Herr Anselm.«

»Nicht ganz. Ich weiß wirklich nicht. Geld ist doch Geld. Wie soll man es erkennen?«

»Befanden sich nicht in der Kirchenkasse eine Anzahl großer Geldscheine?«

»Ja. Zwei 500 Thalerscheine und mehrere 100 Thalerscheine.«

»Sehen Sie wohl. Von diesen Scheinen werden Sie doch jedenfalls die Nummern notirt haben.«

»Nur von den beiden 500 Thalerscheinen.«

»Das ist freilich nicht viel; aber möglicherweise führt es doch zum Ziel. Wollen Sie mir die Nummern mitheilen?«

Hierzu war Herr Anselm gern bereit; aber er konnte noch immer nicht begreifen, weshalb eigentlich der Herr Präsident von diesen Nachforschungen nichts wissen solle.

»Sein Hausarzt hat es verboten,« sagte Wetter lächelnd, nachdem er sich die beiden Nummern notirt hatte. »Der Herr Präsident ist durch den schweren Verlust fieberhaft aufgeregt. Er würde es noch mehr sein, wenn er wüßte, daß eine entfernte Hoffnung da ist, das Geld wieder zu bekommen. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, würde er sich ganz aufreiben, während er sich jetzt einigermaßen gefaßt hat. Man fürchtet einen Schlaganfall. Sie verstehen, Herr Anselm, man darf überhaupt mit ihm über die ganze Sache so wenig wie möglich sprechen, um ihn nicht noch kränker zu machen.«

Das verstand der gutmüthige Hoftischler, und er versprach, jedenfalls reinen Mund zu halten. Hatte er doch nie geglaubt, daß die Polizei so zarte Rücksichten nehme; aber freilich, der Herr Präsident war ein gar vornehmer Mann.

Nicht ganz zufrieden mit dem Resultat seines Besuchs verabschiedete sich der Polizei-Kommissarius. Er kehrte in sein Bureau zurück. Hier blieb er während des Nachmittags und Abends. Bis tief in die Nacht hinein arbeitete er. Erst als es vom nahen Kirchthurme halb Zwei schlug, legte er die Feder fort.

Er vertauschte jetzt die Uniform mit einem alten, schäbigen Civilanzuge. In diesem verließ er das Bureau. Langsamen Schrittes wandelte er durch die menschenleeren Straßen der Stadt nach den Anlagen am Stadtgraben. – An der verabredeten Stelle traf er den mit einer langen Harke versehenen Vigilanten, der auf einer einsamen Bank schon auf ihn wartete; auf dem ganzen Spaziergange durch die Anlage hatte der Polizei-Kommissarius keinen anderen Menschen gesehen.

»Du bist pünktlich, Sentner, so ist's recht. Hast Du auch einen Sack bei Dir?«

»Ja, Herr Kommissarius. Hier ist er.«

»Gut, aber sprich leiser. Es könnte doch vielleicht noch ein einsamer Nachtwandler aus dem Wall spazieren gehen und durch den Schall unserer Stimme angezogen werden. Ich wünsche nicht, daß wir Zuschauer bekommen.«

»Es ist keine Menschenseele in der ganzen Anlage.«

»Vorsicht schadet nichts. – Nun zieh' Dir 'mal die Stiefel und die Beinkleider aus, Sentner.«

»Nanu! Was soll denn das werden?«

»Ein etwas nasses und kaltes Stück Arbeit, – aber ein heißer Punsch nachher wird Dich schon warm machen. Du sollst nur da im Wasser etwas suchen.« –

»Im Stadtgraben?« –

»Freilich. Aber Donnerwetter, zieh' Dich aus! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Aber der Stadtgraben ist tief und ich kann nicht schwimmen.«

»Dummheiten, Du feiger Bursche. An der tiefsten Stelle ist der Graben noch nicht vier Fuß tief. – Mach' mich nicht wild, Sentner! Wenn ich Dir Gutes rathen soll, beeile Dich. Schnell! Donnerwetter!« –

Widerwillig gehorchte der Vigilant. Er zog sich aus und auf des Kommissarius Befehl ging er vorsichtig tappend und mit der Harke nach dem Grunde fühlend ins Wasser, – bald war er bis über die Hüften in demselben; jetzt aber kommandirte Wetter, der sich auf der kleinen, eisernen Brücke in der Mitte aufgestellt hatte: »Halt!«

»Jetzt, Sentner, heißt es: Aufmerksamkeit! Zwei Thaler sind Dein, wenn Du findest, was ich suche, – fühle einmal vorsichtig mit der Harke auf dem Grunde entlang, genau hier an der Stelle, die ich Dir mit dem Finger zeige. Liegt da nichts?«

»Ja, da liegt etwas. Vielleicht ein Stein.«

»Versuch' 'mal, ob Du ihn mit der Harke fassen und in die Höhe bringen kannst.«

»Nein, er trudelt nur, die Harke glitscht immer wieder ab.« –

»Dann zieh' ihn nach dem Ufer hin. – Das Steinchen möchte ich mir 'mal besehen.«

Kopfschüttelnd befolgte Sentner den Befehl. Es gelang ihm leicht, den auf dem Grunde liegenden schweren Gegenstand ans Ufer zu ziehen, hier erwartete ihn schon Wetter, der sich eine kleine Blendlaterne angezündet hatte.

»Gieb das Ding her. Ist es schwer?«

»Nicht so gar sehr. Es scheinen ein Paar zusammengebundene Schuhe zu sein.«

»Wahrhaftig, ein Paar Ueberschuhe. Donnerwetter, was haben die Kerle für Nägel am Hacken! Aber da steckt noch 'was drin. Was ist denn das? – Meiner Seele, ein Pechpflaster und ein Stemmeisen. Und hier? Ein Hammer und ein Stemmeisen. Nun, alter Freund, freue Dich. Dich haben wir fest, Du kommst mir nicht wieder aus den Klauen. Du bist geliefert für alle Zeiten. – Gieb 'mal den Sack her, Sentner. So! Da hinein mit dem Zeug. Donnerwetter, das war ein kapitaler Fund. Wozu er nur die Ueberschuhe weggeworfen hat? Na, wir werden ja schon sehen. Vielleicht? Richtig, so ist's! Um falsche Spur zu machen, hat er sie gebraucht. Der schlaue Hallunke ist zum Einbrecher geboren; aber für den Wetter ist er doch nicht schlau genug! Nun, Sentner, zieh' Dich nur wieder an. – Wir sind fertig mit unserer Arbeit. Hier hast Du zwei Thaler, damit kannst Du Dir eine lustige Nacht machen; aber merk's Dir, Bursche, sagst Du ein Wort über unsern Nachtfischfang, dann – – auf's Zuchthaus mit Dir. – Den Sack kannst Du mir noch bis nach dem Bureau tragen.« –

Sehr vergnügt ein Liedchen pfeifend, denn jetzt kümmerte er sich nicht mehr darum, ob er gehört und gesehen werde, kehrte der Polizei-Kommissarius, dem Sentner den Sack nachtrug, in sein Bureau zurück.


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