Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Und in der Tat, eine wunderbare Zeit nahm nun für Paul, da ihn das Schicksal weit über seine Schranken hinausgehoben hatte, ihren Anfang. Alles war ihm geglückt! Nun war er der Führer der mächtigsten Partei in der ganzen Stadt, der mit dem Westprojekte des neuen Bahnhofes sogar dem Oberbürgermeister und dem Magistrat seinen Willen aufgezwungen hatte, der Tonangeber der öffentlichen Meinung, denn die größte Zeitung stellte sich von jetzt ab sklavisch in seine Dienste, der Machthaber ohne offizielle Ernennung, der seine Pläne bis zu deren letztem Ende durchzuführen entschlossen war.
Eine Zeitlang bildete Agathes Abreise und deren angebliche Übersiedelung in eine kleine Stadt ein beliebtes Gesprächsthema der Paul nahestehenden Kreise. Aber das dauerte kaum ein Vierteljahr. Das Leben des Tages, das ewig wechselnde, ging seinen Gang, und je höher Paul stieg, desto weniger kümmerte man sich um die Frau dieses Mannes, die aus einer unbegreiflichen, vielleicht aus einer krankhaften Laune heraus für sich und ihre Kinder die Stille der Zurückgezogenheit gesucht, anstatt sich an der Seite dieses Mannes, dessen Tätigkeit bald in aller Munde war, von der Öffentlichkeit huldigen zu lassen.
Die erste große Veränderung, die Agathe scheidend vorausgesehen, trat rascher ein, als Paul es selber erwartet. Der Platz für den neuen Bahnhof war gefunden, fast genau an der Stelle, die Peter in seinen damals phantastischen Plänen für diesen gewaltigen Neubau vorausgesehen hatte. Und diese Wahl hatte ihren guten Grund. Einmal saß Paul in der Kommission, die über die Wahl des Platzes zusammen mit den Delegierten der Eisenbahnbehörde zu befinden hatte, und dann, dieser Platz, dessen Lage Peter ahnend vorausempfunden, war genial gewählt. Wie Paul schon damals in seiner Rede richtig betont hatte, der Westen bildete eben das eigentliche Eingangstor zu der großen Stadt. Hier endeten naturgemäß und selbstverständlich die wichtigsten Linien, und die Gleisanlagen der nun zum Abbruch reifen alten Bahnhöfe schrieben die von Peter geahnte und von der Kommission getroffene Lage des neuen Bahnhofsplatzes geradezu vor. Das Ostprojekt des Bürgermeisters war eben in der Tat weiter nichts, als die Ausgeburt einer engherzigen und kurzsichtigen Interessenpolitik für den Stadtsäckel und für das in Frage kommende Viertel gewesen. Die großzügige Anschauung stand unweigerlich auf Seiten Pauls und auf der Seite derer, die mit ihm für das Westprojekt eingetreten waren. Und noch eins! Durch die Lage des alten Promenadengürtels und der diesen durchschneidenden Straße, deren Fortsetzung die neue Siegesstraße bilden sollte, war dieser Platz für den Bahnhof fast vorgeschrieben. Weit draußen liegend wollte er den Kurzsichtigen scheinen, denjenigen, die eben nicht mit dem rapiden Wachstum der Stadt und mit dem raschen Ausbau der neuen Straße zu rechnen vermochten. Aber, wenn der neue Bahnhof seine architektonische Wirkung ausüben sollte, dann mußte er eben mit seinem Riesenplatze draußen das Ende und den Anfang dieser neuen Eingangsstraße in die Stadt, die die Fortsetzung der schon vorhandenen bedeutete, bilden. Von dieser verkehrstechnischen und architektonischen Notwendigkeit hatte Paul die Mitglieder der Kommission und die Delegierten der Eisenbahnbehörde überzeugt.
Und mit der Wahl dieses Platzes war auch rascher, als Paul es selber geglaubt, die Durchbruchfrage von Ost nach West, die den Fall des alten Hauses am Ritterwall besiegelte, spruchreif geworden. Denn dieses Haus schied mit anderen die alten Gassen der Innenstadt, die nach dem Osten führten, von dem Hauptplatze der Stadt, an dessen westlichem Ende die breite nach dem neuen Bahnhof führende Straße und deren Fortsetzung, die künftige Siegesstraße, mündeten.
Die von dem Oberbürgermeister angeregte Sanierung der Altstadt war beendet. Der Platz für den Bahnhof war bestimmt. Nun legten die Arbeiter die Hand an das Haus, das Paul schon vor Jahren der Stadt zum Geschenk gemacht. Ein Glück, daß er so frühzeitig mit dem Bau seines neuen Geschäftspalastes begonnen, der an der Kreuzung des Promenadengürtels und der neuen Siegesstraße das Bollwerk seiner Größe werden sollte. Es war ein gewaltiger, nun beinahe vollendeter Bau, den ihm die Architekten Kahl und Ulrich nach seinen eigenen Angaben dorthin gestellt hatten. Ein Bau, so ganz anders, als das alte Haus mit seinen Anbauten und winkligen Durchgängen, das die Lenz und die Badrutts errichtet. Zu einer Zeit, da das neue Bahnhofsprojekt noch völlig in der Luft schwebte, hatte er dort von den in Wien lebenden Erben eines reichen und kinderlos verstorbenen Rentners einen großen, an die Promenade grenzenden Garten gekauft. Der Garten, der im Westen die Anlage, mit seiner Nordseite aber die Straße der Zukunft erreichte, war zu einem gewaltigen Bauplatz geworden, auf dem Paul nach seinen Ideen das Geschäftshaus einer neuen Zeit gründete.
An eine Zentralisierung seiner Filialen hatte er anfangs gedacht. Aber bald hatte er diese reizvolle Idee als völlig unpraktisch fallen lassen, und dieses neue Gebäude so ausgearbeitet, wie er sich in seinen Träumen alle großen Geschäftspaläste in der neuen Siegesstraße vorstellte. Es sollte eben ein Muster und ein Vorbild für die anderen werden. Er verlegte die Konditorei auf das große Gelände seiner Brotfabrik an der Zeisigstraße, und richtete in dem neuen Hause nur seine Bureaus und einen Laden ein, der nicht viel größer, aber viel eleganter als der alte am Ritterwall war. Denn das Riesenhaus in dieser einzigartigen Zukunftslage der Stadt mußte ganz anderen Zwecken dienen, als nur dem einen, daß seine Fabrikate darin verkauft wurden. In dem gewaltigen Erdgeschosse sah Paul ein imponierendes Restaurant der Neuzeit vor. Alle dereinst von dem Bahnhof in die Stadt strömenden Fremden mußten an diesem vorüber kommen, und der Betrieb sollte ein derartiger werden, daß auch die Einheimischen diesem Speisehaus vor allen anderen den Vorzug gaben. Aus diesem Grunde wurde das Haus möglichst in den Hintergrund des Gartens gerückt und nur mit seiner Nordfront, wo sein Laden und der Haupteingang zum Restaurant ihren Platz finden sollten, dem Rande der neuen Straße genähert. So blieb nach Westen an der Seite der Promenade ein großer Teil des Gartens bestehen, der zur Anlage von Terrassen diente und dann, wenn der Bahnhof einmal fertig war, mitten in der Stadt, wie Paul sich schon damals ausdrückte, das Dinieren und Soupieren im Freien ermöglichte. Den ersten Stock sah er als elegantes Weinrestaurant vor. Die übrigen Etagen des über zwanzig Meter hohen Gebäudes wurden für fremde Mieter als Bureaus und Geschäftsräume eingerichtet. In einem versteckt und idyllisch hinten im Garten gelegenen geräumigen Anbau hatte er seine Wohnung, die er sofort nach deren Fertigstellung mit seiner alten Mutter bezog.
Und bereits am folgenden Tage machten sich die Arbeiter ans Werk und vernichteten in knapp zwei Wochen das letzte Andenken der Lenz und der Badrutts, an dem drei Generationen in langen, langen Jahrzehnten gearbeitet und gebaut hatten.
Was Paul jetzt betrieb, war ein Geschäft größten Stiles. Wie die Räder einer Maschine, genau so, wie er es schon vor Jahren Agathe auseinandergesetzt hatte, griffen die einzelnen menschlichen Arbeitskräfte hier ineinander. Die Abschlüsse, die man ihm an jedem Morgen in seinem Bureau vorlegte, waren durch ein Dutzend Hände gegangen. Die Leiter der einzelnen Abteilungen waren ihm persönlich für jeden Pfennig verantwortlich und wurden durch die Abrechnungen der ihnen unterstellten Verkäufer ihrerseits wieder kontrolliert. In seiner Hand liefen die letzten Fäden zusammen, und es bedurfte nur eines Blickes seines seit Jahren in diesen Geschäften geübten Auges, um die tadellose Richtigkeit des nach seinem Willen blindlings funktionierenden rein mechanischen Apparates festzustellen. Nicht ein Kuchen konnte hier verschwinden, ohne daß ein von zwei Leuten, unabhängig voneinander, geschriebener Zettel über dessen Verbleib Rechenschaft gab! Denn seine Kontrolle war wie ein Pedometer, das gewissenhaft jeden einzelnen Schritt dessen verzeichnet, der ihn in der Tasche trägt.
Und nur so war er dazu imstande, sich als Leiter dieses gewaltigen Geschäftes, in dem er nun fast ein halbes Tausend Angestellte beschäftigte, den großartigen Plänen zu widmen, die ihn, den Volksbeglücker, zum Schöpfer einer neuen Stadt erheben sollten.
Unter den im großen Saale der städtischen Kunst- und Gewerbeschule öffentlich ausgestellten Entwürfen für die Anlage des neuen Bahnhofes befand sich wunderbarerweise eine Zeichnung, die sich fast völlig mit der von Paul einst in großen Träumen geschauten Anlage deckte. Sie rührte von einem Berliner Architekten her und der Baumeister mochte sich, wie er damals, die Riesenhalle des Anhalter Bahnhofes zum Muster genommen haben. Genau wie er es sich gedacht, dreimal nebeneinander stand diese Halle auf der Zeichnung, und alle Mittel seiner Beredsamkeit wandte er an, um in der Kommission der Ausführung dieser Vorlage zum Siege zu verhelfen. Und auch das setzte er durch!
So kam Woche zu Woche, Monat zu Monat, Jahr zu Jahr, und der einsame und vielbeschäftigte Mann in dem versteckten Gartenanbau an der neuen Siegesstraße dachte kaum mehr daran, daß er dereinst Gatte und Familienvater gewesen, so sehr nahmen ihn die Pläne, mit denen er, wie der Athlet des Zirkus mit Riesenkugeln, spielte, in Anspruch. Und doch, in öder Eintönigkeit, die einem jeden anderen unerträglich gewesen wäre, verlief sein Leben.
Wenn er sich des Morgens in aller Frühe, zu einer Stunde, da der behagliche Bürger der Stadt sich noch lange nicht aus seinen Federn bemühte, von seinem Lager erhob, dann erledigte er zusammen mit seinem Sekretär die Korrespondenz und die Dispositionen seiner Geschäfte. Das dauerte zwei, auch drei Stunden, je nach den Umständen. Gegen zehn Uhr war er fertig, und um diese Zeit begannen gewöhnlich die Sitzungen der Kommissionen, in die er sich hatte wählen lassen. In unermüdlicher Arbeit hatte er das ganze Westprojekt organisiert. Der Oberbürgermeister hatte längst einsehen müssen, daß Paul mit seiner Verteidigung des Westprojektes das Richtige getroffen hatte. Als kluger Mann, der seinem einstigen Gegner nicht alle Lorbeeren lassen wollte, machte er bald eine Schwenkung und zog den mächtigen Führer der Demokraten zu allen wichtigen Entscheidungen hinzu. Bald war es kein Geheimnis mehr, daß man in Paul den eigentlichen Lenker der städtischen Geschicke zu sehen habe.
Und Paul verstand sich auf seine Sache. Den fest umrissenen Plan Peters ständig vor Augen, ging er konsequent vor, und wenn seine Mitarbeiter einmal nicht seiner Meinung waren, dann hatte er eben die Redaktion der Zeitung an der Hand, in deren Spalten er seinen Willen geltend machte, diesen seinen Willen als die Ansicht der Allgemeinheit verkündete und so durch die Macht der Presse die Widerspenstigen nach seinen Wünschen zwang! Man tanzte nach seiner Pfeife. Was er niemals zu träumen gewagt, war im Verlaufe der Jahre zur Wahrheit geworden. Er war der eigentliche Beherrscher der Stadt.
Freilich wie jedem Glückshelden, so waren auch ihm die Verhältnisse zur Erlangung dieser seiner Stellung zu Hilfe gekommen. Der Sturz und der Tod Josts hatten ihm die Wege geebnet. Die Sozialdemokraten konnten den Verlust ihres Führers nicht verwinden, der geeignete Mann fehlte, der an Josts Stelle getreten wäre. Die kleinen Handwerker und die Arbeiter, die an diese Stelle rückten, entbehrten der Schlagfertigkeit und der umfassenden Bildung, über die Jost verfügt hatte. Binz war ein Phantast, der sich in praktische Fragen niemals zu vertiefen vermochte. Das »Echo« führte nur noch ein Scheindasein, und die von Paul am Gängelbande geführte Zeitung war allgewaltig.
Und je mehr das von ihm mit Hilfe des Oberbürgermeisters begonnene und, wie man allgemein wußte, von ihm geleitete gewaltige Werk der Neugestaltung der Stadt wuchs, desto mehr Sympathien hatte er auf seiner Seite. Die konservative und die Mittelstandspartei blieben in dem Moraste ihrer eigenen Entwicklungsunfähigkeit stecken. Auch sie verfügten nicht über die Männer, die einem Paul Baumann und seiner Zeitung gegenüber ihre Meinung hätten in die Wagschale werfen können. Und schon tauchten in den Spalten von Pauls Blatt Titulaturen und Bezeichnungen auf, die den Gewaltigen berauschen mußten, die ihn dem Größenwahn überliefert hätten, wenn er nicht von seiner Aufgabe so vollkommen beherrscht gewesen wäre.
Über seine Tätigkeit im Dienste der Stadt erschienen Leitartikel, die ein schmeichlerischer und phantastischer Redakteur mit den Überschriften: »Der Bürgerkönig« oder »Der Vater der Vaterstadt« einzuführen sich nicht scheute.
Nach sieben Jahren war der Bau des neuen Bahnhofes vollendet, und Paul hatte nichts von Agathe und den Kindern gehört. Kaum dachte er mehr an sie. Nur in den stillen Stunden der Nacht, wenn der infolge seiner Überarbeitung und nervösen Erregung an Schlaflosigkeit Leidende sich ruhelos auf seinem einsamen Lager wälzte, huschten manchmal Agathe und die Kinder durch dieses neue Haus, das sie nicht einmal gekannt hatten. Da fiel es ihm plötzlich ein, daß eine gewaltige Zeit über das Verschwinden Agathes dahingegangen sei, daß Robert und Anna nun erwachsen sein müßten und daß auch Gustav und die kleine Luise die Kinderschuhe längst abgestreift hätten. Und dann senkte es sich wie Zentnerlast auf seine Seele, daß er über dem Allgewaltigen, das zu erreichen und zu erjagen ihn seine Natur zwang, das Naheliegende und das Beste verloren hatte.
Aber der Morgen mit seinen Forderungen verscheuchte jedesmal wieder die Gedanken der Nacht. Er hatte sie in der ersten Zeit nicht gesucht, weder Agathe noch die Kinder, er würde sie jetzt nicht finden können. Es war, als wenn sie ein Unglück, eine ansteckende Krankheit, ein Naturereignis plötzlich an einem Tage von seiner Seite weggerafft hätte. Er hatte sich in all den Jahren hineingefunden und sich darüber hinweggesetzt, er setzte sich weiter darüber hinweg und fand sich weiter hinein.
Frau Baumann hielt wacker stand. Sie war nun fast siebenundsiebzig, und noch immer führte sie Paul die Wirtschaft und waltete in dem freundlichen Neubau des verschwiegenen Gartens ihres Amtes, so wie sie einst auf Schloß Schönblick und in dem alten, nun längst dem Erdboden gleichgewordenen Hause am Ritterwall ihres Amtes gewaltet hatte. Und der große Tag der Einweihung des neuen Bahnhofes kam heran.
Es war ein Riesenwerk, das nun am Ende der projektierten neuen Siegesstraße seine kühn gewölbten Glashallen im Lichte der Sonne funkeln und blitzen ließ, auf denen sich mächtige Adler aus Bronze niedergelassen hatten, über deren mittelster sich ein hünenhafter Atlas mit der Weltkugel erhob! Freilich in der Siegesstraße selber sah es noch traurig aus. Bretterzäune flankierten das parzellierte Gelände, aber hinter diesen Zäunen begann es sich schon zu regen von neuem Leben der Zukunft und im Rohbau erhoben sich schon einige Hotels und Geschäftspaläste, für deren Bauart Pauls neues Haus am Promenadengürtel das Muster hergegeben zu haben schien. Und fast noch gewaltiger als die Vollendung dieses Riesenbaues, eines Bahnhofes, wie ihn die Welt bislang noch nicht gesehen, erschien nun die Aufgabe, den ungeheuren Verkehr von ein paar hundert Zügen ohne Unfall und ohne Betriebsstörung in einer einzigen Nacht von den alten Bahnhöfen in diese Riesenhallen hinüberzuleiten. Und auch um dieses Werk kümmerte sich Paul. Die Stadt hatte ihn zu ihrem Vertreter bei der Eisenbahnbehörde ernannt, und am Abend des Eröffnungstages, als es zu dunkeln begann, stand er an der Seite eines der Eisenbahndirektoren droben auf der Brücke, die jenseits der Hallen die Häuschen der Weichensteller miteinander verband.
Längst war die Sonne zur Rüste gegangen, und nun flammte es auf in den Hallen, neue, weiße Sonnen, zwei, drei Dutzend an der Zahl, gewaltige elektrische Bogenlampen, die die Nacht in den Tag wandelten und dem kühnen Werke moderner Technik erst den vollen Glanz seiner meisterhaften Unerreichbarkeit liehen. Wie eine phantastische Märchenwelt sah er aus, dieser in Eisen und Glas zur Tat gewordene geniale Gedanke des menschlichen Gehirnes, der den Verkehr aus allen Himmelsrichtungen auf einem verhältnismäßig doch kleinen Raume in einer Hand zentralisierte.
Die Vollendung dessen, was er in Jahren und Jahren in allen seinen Einzelheiten genau erfaßt hatte, faszinierte Paul. Die Wirklichkeit schien hier kühner, größer, als der weit hinaus schweifende Gedanke, als das Traumgebilde einer ungezügelten Phantasie.
Er wandte den Blick von den drei gewaltigen, von weißem Lichte durchfluteten Wunderhallen und schaute vorwärts. Und dort war es aufgeblitzt, fast mit einem Schlage von tausend und abertausend elektrischen Lichtern, so daß das ferne und bislang wertlose Brachland, so weit das Auge zu sehen vermochte, sich wie ein von Glühwürmchen belebter Garten in ungemessenen Dimensionen ausnahm. Er sah und staunte! Kaum vermochte er den Worten des Eisenbahndirektors, der ihm alles erklärte, zu folgen. Rote, grüne, weiße, gelbe Lichter tanzten, ein Meer von Funken, vor seinen Augen, und fast war es ihm unmöglich, sich klar zu machen, daß jedes einzelne dieser tausend und tausend Lichter seine bestimmte Bedeutung hatte, daß von einem jeden einzelnen Wohl und Wehe eines ganzen Zuges voll Menschen, der in diesen Bahnhof hinein, der aus ihm heraus sollte, abhängig sein könne.
Und wie ein gewaltiges, einziges Uhrwerk, das man aufgezogen hat, setzte sich nun zu der vereinbarten Stunde der mächtige Betrieb in Bewegung. Die Weichen begannen zu funktionieren, die roten und grünen Signale gingen auf und nieder, das Pfeifen der Lokomotiven, das Stampfen der Räder nahm seinen Anfang. Die ersten Züge donnerten in die Hallen. Leben, das nie wieder, weder Tag noch Nacht, stille stehen sollte, kam in den Riesenleib, der so lange, ein toter Koloß, dagelegen hatte. Auf den Firsten der Hallen gingen die Fahnen hoch. Das Geläute der ganzen Stadt setzte zur Feier des großen Tages auf sämtlichen Kirchen ein, in der Ferne krachten Böllerschüsse, die Stunde der feierlichen Eröffnung des neuen Bahnhofes hatte ihren Anfang genommen. Mit Kränzen dekoriert waren die schwarzen Lokomotiven, die als erste in die taghell erleuchteten Wunderhallen fuhren. Pauls Herz jauchzte! So hatte sich Peter das Riesenwerk sicher nicht in seinen kühnsten Erwartungen vorgestellt.
Und trotzdem er wußte, daß man sich unten in der gewaltigen, mit wunderbaren, den Sieg des Handels und des Verkehres darstellenden Fresken geschmückten Empfangshalle zu einer offiziellen Feier versammelte, trotzdem er bei dieser nicht fehlen durfte, vermochte er sich nicht loszureißen von dem alle seine Sinne gefangen nehmenden Bilde des von einem Willen an eine einzige Stelle gelenkten Verkehrs.
Er stand auf der Weichenstellerbrücke der Mittelhalle in unmittelbarer Nähe eines der Türmchen, wo der Beamte wortlos seines Amtes waltete, wo der die Weichen, die, einmal gestellt, nicht wieder geändert werden konnten, bediente, und beobachtete viertelstundenlang diesen einfachen im Dienste ergrauten Mann, von dem er wußte, daß er nun den noch in weiter Ferne polternden und die Halle suchenden Zug in seinen Händen hielt.
Wie das Rad einer Maschine, einer genial ersonnenen und göttlich ausgeführten, kam ihm dieser Mann vor. Der von dem Telegraphen in Bewegung gesetzte Zeiger auf der kleinen Uhr dieses Häuschens kündete, was der Kilometer entfernte Kollege getan hatte, und nach dieser Mitteilung hatte man den Ruck einzurichten, nach dem der Zug in die linke oder rechte oder Mittelhalle auf das erste, zweite oder dritte Gleis fuhr. Lautlos umschrieb der von in die Ferne wirkender wundersamer elektrischer Kraft getriebene Zeiger seine Bahn und erteilte dem Manne die Weisungen, nach denen er seinen entscheidenden Ruck an dem kunstvollen Gefüge der Weichen, die in diesem Türmchen zentralisiert waren, auszuführen hatte. Mit den Zahlen 1, 2, 3 bezeichnete dieser Zeiger die Gleise der Mittelhalle, an deren Ausgang droben auf der Brücke das Türmchen stand. Das Klingen einer kleinen, hellen, elektrischen Glocke verkündigte, daß die Meldung des Zeigers in Funktion trat, und dann hatte der Mann nur abzulesen: »Gleis 1 der Mittelhalle durch die Blockstation von Kilometer 13 gesperrt!« So redete der Zeiger. Und ohne ein Wort zu verlieren, waltete der Wärter seines Amtes, stellte die Weichen mit einem Rucke, und draußen funktionierten selbsttätig die Signale, fiel der Arm sperrend über das Gleis und setzte die rote Laterne sich an die Stelle der grünen. Es war ein wunderbares Schauspiel hier oben, dem sich Paul immer und immer wieder hingab. Wie zu einer denkenden Persönlichkeit war der Riesenapparat dieses neuen Bahnhofes geworden. Stahl und Eisen, Glas und Stein schienen urplötzlich durch die geniale Willenskraft des Menschen Adern, Blut, Nerven und Gehirn empfangen zu haben. Das Sinn- und Verstandeslose, das Tote, das Materielle, begann sich in dieser Nacht zu regen, es wob und dachte, da ihm der Mensch Leben von seinem Leben lieh.
Und nun wandte Paul den Blick wieder rückwärts aus dem Dunkel der von tausend und abertausend kleinen Lichtern durchblitzten Nacht der fernen Weite, über die hier der Mann auf seinem Turme herrschte, nach den taghell erleuchteten Hallen! Auch hier hatte ein neues Leben eingesetzt. Die Bahnsteige waren voll von Menschen. Die ersten Züge des neuen Bahnhofes waren angekommen, die ersten fuhren aus. In dem magischen Scheine der elektrischen Bogenlampen funkelten die eisernen Schienen, als ob sie aus lebendigem Feuer zusammengeflossen seien. Auf sie fiel Pauls Blick, und das Auge seiner Phantasie und seiner Seele umspannte in diesem Anblick das gewaltige Netz dieser Schienenstränge, die alle über kurz oder lang in den neuen Bahnhof mündeten, und die diese Stadt nach allen Richtungen mit allen Plätzen der Erde verbanden. War das nicht wie das fein verästelte und vielverzweigte Nervensystem in dem Körper eines Tieres oder eines Menschen, und glich dieser Bahnhof nicht dem Gehirn, von dem alle diese feinen Fäden ausgehen, in das sie alle wieder zusammenströmen müssen? Es war ein Wunderwerk, wie es sein Wille und seine kühne Phantasie erträumt hatten, das er heute in seiner Vollendung geschaut.
Endlich riß er sich los von dem faszinierenden Bilde. Er durchschritt die eine der Riesenhallen und betrat den großen Empfangsraum, wo sich die offiziellen Gäste, die staatlichen und städtischen Behörden, die Mitglieder der Eisenbahndirektion, die Bauverwaltung, der leitende Architekt und die Vertreter der Presse zu einer Besichtigung eingefunden hatten. Dieser sollte dann in dem Fürstenzimmer des Hauptbahnhofes ein Festessen folgen, das die Stadt den bei dem Bau beteiligten Leitern gab. Paul hatte kaum ein Auge für den Prunk und die Größe, in denen Wartesäle und Empfangsraum des neuen Bahnhofes ausgeführt waren. Was er da draußen geschaut, dieses Ineinandergreifen der tausend und tausend in diesem Bahnhof zusammenlaufenden Fäden, dünkte ihn gewaltiger und genialer, als das, was hier Kunst und modernes Luxusbedürfnis an Schönem und Elegantem geschaffen hatten.
Und nach diesem wichtigen Einschnitte im Entwicklungsgange der großen Stadt, welche die Eröffnung des neuen Bahnhofes darstellte, nahm das Leben des Alltages wieder seinen Fortgang, schob die Zeit einen Tag zu dem anderen. Der neue und anfangs täglich von Hunderten von Neugierigen bestaunte Bahnhof war allmählich zu einem vertrauten und lieben Bekannten geworden. Seitdem die elektrische Straßenbahn hinfuhr, lag er wirklich gar nicht mehr so weit, und die Siegesstraße, die in der offiziellen Taufe diesen von Paul mit allem Feuer verteidigten Namen erhalten hatte, wuchs und wuchs. Kaufhaus neben Kaufhaus entstand. Wie Paul es ahnend vorausgesehen, die großen Geschäftsleute in der Stadt erkannten bald den reellen Wert der neuen Bahnhofslage und drängten sich dazu, noch einen günstigen Platz an der neuen Siegesstraße zu erhaschen. Ein wahrer Auszug aus der Innenstadt in das Bahnhofsviertel nahm seinen Anfang. Es war, als wenn Paul mit der Vernichtung des alten Hauses am Ritterwall und mit dem Bau seines Geschäftspalastes an der Kreuzung des Promenadengürtels und der neuen Straße das Zeichen zu einer allgemeinen Wanderung gegeben hätte. Die Preise für die Plätze gingen rapid in die Höhe, und auch in Pauls Taschen floß stärker denn je zuvor das rote Gold. Das elegante Restaurant in seinem neuen Hause war in vollem Gange. Mieten und Pachtsummen, von deren Höhe man bislang in der Stadt noch gar keine Ahnung gehabt, wurden nun für die neue Siegesstraße gefordert, angeboten und gezahlt. Das Restaurant warf Tausende im Jahre ab, und Tausende von diesen Tausenden fielen als sich immer nach dem Reingewinne steigernde Pachtsumme in Pauls Hand. Leipziger, Münchner und Berliner Geschäfte bemühten sich um Filialen in der neuen und aussichtsreichen Lage der Zukunft, und das Haus, das Paul, damals von vielen verlacht, errichtet, warf auch für seinen kleinsten Raum eine Summe ab, die noch vor wenigen Jahren in der Stadt für unerschwinglich gegolten hatte.
Es war in der Tat, als sei plötzlich ein neuer Blutstrom des Lebens und des Geldes in das Herz der alten Stadt geleitet worden, wie eine Neugeborene, wie eine Greisin, die sich durch ein Wunder verjüngt, nahm sie sich aus.
Die mit häßlichen Reklamen verunzierten Bretterzäune in der Siegesstraße fielen einer nach dem anderen und hinter ihnen traten die imponierenden Fassaden gewaltiger Geschäftspaläste aus rotem und weißem Sandstein in die Erscheinung. Eine verschwenderische Beleuchtung, die des Abends aus den neuen Läden und von den prächtigen Bogenlampen erstrahlte, machte sie zu einem eleganten Boulevard der Neuzeit, zu einer Zwillingsschwester der glänzenden Leipziger Straße in Berlin. Allabendlich führte Paul sein Weg von der Wohnung in dem verschwiegenen Garten durch diese Straße, und er fühlte sie wachsen von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, wie die Mutter, die das Gedeihen des von ihr erzeugten und geborenen Kindes, Schritt für Schritt, miterlebt. Und mit seinem Werke, als das er es mehr und mehr erkannte und für sich in Anspruch nahm, zufrieden, stand er an jedem neuen Abend unter den hohen Kandelabern des in seinen Dimensionen überwältigenden Bahnhofsplatzes und sah zu, wie ein Hotelpalast neben dem anderen, einer schöner als der andere, emporstieg aus dem mit Gold aufgewogenen Gelände. Und für jede Lücke schmiedete er einen neuen Plan, für jede suchte er einen anderen Unternehmer zu interessieren, und Jahre, Jahre gingen dahin, bis die gewaltige Rundung des herrlichen Platzes von Gebäuden umsäumt war, bis sich Palast an Palast reihte und der ankommende Fremde nun den Eindruck gewann, daß er hier in der Metropole des Reichtums, in der Stadt der Millionäre seinen Einzug hielt.
Nun stand der neue Bahnhof schon zehn Jahre, und siebzehn waren verflossen, seitdem Agathe das alte Haus der Lenz und der Badrutts für immer verlassen hatte. An seiner Stelle wälzte sich der Menschenstrom, der sich vom Osten nach dem Westen drängte, fuhren die Wagen, rasselten die Elektrischen, schwirrten die Autos. Der Platz, auf dem einst das alte Haus gestanden, war, dem Erdboden gleich, zum Fahrdamm geworden. Und von Agathe und den Kindern hatte er nichts gehört. Aber dieses Jahrzehnt, das er wie so manches frühere rastlos der Erreichung seiner Ziele geopfert, hatte seine Haare gebleicht. Er war erst dreiundfünfzig, aber schon begann sein Gang langsamer zu werden, wenn er des Abends durch die immer wie zu einem Feste erleuchtete neue Siegesstraße schritt. »Er hat eben doppelt gelebt«, sagten die Leute. Und als alternder und einsamer Mann, der über ein Heer von Angestellten und über Millionen verfügte, dessen kleinem Haushalte noch immer die jetzt sechsundachtzigjährige Mutter vorstand, schritt er nun durch die Stadt und erträumte noch immer die Krönung seines Werkes.
Die neue Siegesstraße war nicht wieder zu erkennen, wenn man jetzt zehn Jahre zurückdachte. Was Paul vorausgesagt, war eingetreten, sie war Herz und Mittelpunkt der Stadt geworden. Hier schoben und drängten sich die Menschen an jedem Tage bis tief hinein in die Nacht von und zu dem Bahnhof, der, wie er es gewußt hatte, Tausende und Tausende aus allen Teilen des Vaterlandes in die Stadt geführt. Die elektrischen Straßenbahnen hatten ihre End- und Anfangsstation vor dem neuen Bahnhof gefunden und in ununterbrochener Reihe surrten sie durch die Siegesstraße dahin.
Und was vor zehn Jahren niemand zu denken, geschweige denn auszusprechen gewagt hätte, das geschah. Der Riesenbahnhof, den man angestaunt, als wenn er ein Wunder des Himmels gewesen, genügte dem gewaltig wachsenden Verkehr nicht mehr, er war zu klein. Die Güterzüge mußten in einen neuen Bahnhof geleitet, die Betriebsdirektion und die Verwaltung aus seinen Räumen in neue Gebäude verlegt werden. Und mit diesem plötzlich notwendig gewordenen und aufgetauchten Plane begann das Werden der neuen Stadt.
Jost war begraben und vermodert. Seine Familie war in einen Berliner Vorort gezogen, wo die Frau leichter für sich und ihre Kinder sorgen zu können gehofft hatte. Der einst gefürchtete Führer der Sozialdemokraten, vor dem Paul in einer entscheidenden Stunde seines Lebens gezittert, war seit Jahren vergessen, und immer noch bestand die Berliner Terraingesellschaft Concordia, von deren Geschäften man in all den Jahren nichts gehört hatte. Jetzt wagte Paul den entscheidenden Schritt.
Der Moment war gekommen. Seit einem Jahre war Oberbürgermeister von Klopp in den Ruhestand getreten, Stadtrat Kölsch, der Paul einst in die städtischen Geschäfte eingeführt, war schon lange gestorben, und in der Stadtverordnetenversammlung war er das letzte Mitglied, das immer wieder gewählte der alten Garde, der Führer der Demokraten, dessen Wille maßgebend und dessen Wort nicht in den Wind zu schlagen war. Was Josts sterbende Lippen nicht mehr auszusprechen vermocht hatten, der Handelsteil der Zeitung kündete es nun allem Volke: Paul Baumann hatte die Aktien der Berliner Terraingesellschaft Concordia übernommen und sich zum Präsidenten des Aufsichtsrates in diesem jetzt erst in aller Form gegründeten Institute wählen lassen. Und die neue Generation, die über diese Dinge anders als die vergangene denken mochte, verlor kein Wort. Im Laufe der Jahre hatten eben die Verhältnisse das einst wertlose Gelände umgeschaffen, das Peter für seine riesigen Obstplantagen bestimmt, und der einstige leidenschaftliche Verfechter des Westprojektes, war nun in den Augen der Welt nichts weiter, als der durch seine Arbeit und die Laune Fortunas emporgetragene Glückspilz. Er hatte es nicht mehr nötig zu gründen. Die Stadt selber und der Eisenbahnfiskus kauften das unentbehrliche Gelände zu jedem Preise.
Mit der Anlage des Güterbahnhofes und dem Bau der Eisenbahndirektionsgebäude nahm es seinen Anfang. Die von Paul vorausgesehenen Bedürfnisse der von Jahr zu Jahr zunehmenden Bevölkerung dieses Westviertels traten, eines nach dem anderen, in die Erscheinung. Auf dem ihm teuer bezahlten Grund und Boden wurden eine neue Kirche und eine neue Schule errichtet, und aus der zu eng gewordenen Innenstadt rückten die städtischen und Staatsgebäude hinaus in den Westen. Die einst von Paul übernommenen Aktien der Concordia stiegen hoch über Pari. Sie wurden an der Börse gehandelt und waren bald zu ihrem drei- und vierfachen Werte nicht mehr aufzutreiben. Denn die Höhe ihrer Dividende wuchs und wuchs mit dem Zunehmen der neuen Stadt im Westen, deren Leben und Ausdehnung für die Allgemeinheit eine Notwendigkeit war. So erfüllte sich Peters Traum! Das wertlose Brachgelände wandelte sich in Gold. Und aus den dort gelegenen Feldern und Äckern wuchs es nun empor, nach Peters Willen, von dem jener geträumt und den Paul zu dem seinen gemacht, nach den Plänen, die ihm der längst dahingegangene Schwärmer einst in der Sterbestunde übermittelt. Denn nicht die Willkür und der Zufall durften dieses Gelände bebauen, nicht sie waren dazu imstande, es umzuschaffen in das, was daraus werden sollte. Die Anlage der hier entstehenden neuen Straßen und Plätze, ihre Tracierung und Breitebestimmung, die Festsetzung des Baustatuts, nach dem hier vorgegangen werden mußte, waren Sache der städtischen Baudeputation, in die sich Paul hatte hineinwählen lassen. Und in dieser Deputation setzte er den einst von Peter ersonnenen und zu Papier gebrachten, von ihm selber ausgearbeiteten Plan durch: Die Villen- und Repräsentationsstadt des Westens, welche die Krone seines Lebenswerkes werden sollte! Außer den bedeutendsten städtischen und staatlichen Gebäuden, deren allmähliche Ausführung beschlossen und deren Plätze bestimmt und festgelegt wurden, durften hier nur Villen und zweistöckige vornehme Wohnhäuser errichtet werden. Der sogenannte Wisch trat hier in Kraft. Das heißt, kein Haus durfte unmittelbar an das andere herangerückt werden, höchstens sogenannte Doppelhäuser waren erlaubt. Hinter-, Vor- und Zwischengärten mußten so dem Ganzen sein gefälliges und vornehmes Äußere gewährleisten. Die neue Anlage hatte die Form eines Ringes. Sie zog sich von dem neuen Bahnhofsplatz in zwei großen und breiten mit Platanen bepflanzten Avenüen, die den Kreis des Ringes bildeten und schlossen, westwärts, und verband die alte und vornehmste Villenstraße der Stadt unmittelbar mit dem neuen Viertel. In der Stadtverordnetenversammlung war der Antrag gestellt worden, dieser Anlage nach dem Schöpfer der genialen Idee den Namen Paul Baumannring zu geben, und dieser Name war einstimmig angenommen worden.
Der neue Oberbürgermeister stellte sich ganz in den Dienst dessen, der nur für eine Sache einzutreten brauchte, um sie in dem Plenum der Versammlung, deren Vorsitzender er nun schon seit Jahren war, durchzusetzen. Und so baute Paul mit dem Gelde der Stadt, das man unter seiner Führung dem Magistrat reichlich bewilligte, das, was Peter auf das Papier gezeichnet hatte, nun in Wirklichkeit aus.
Der Paul Baumannring sollte seinesgleichen in deutschen Städten vergeblich suchen. Durch die Mitte dieses Ringes führte ein viele Meter breiter grüner Durchmesser, die Siegespromenade, in der Pauls erfinderischer Geist mit Hilfe des Stadtgärtners wundersame Beete, Felsenpartien und Kaskaden erstehen ließ und so grandiose Wirkungen erzielte. In ihrer Mitte lag ein von ihm gestifteter Brunnen, eine gewaltige Schale aus rotem Porphyr, über die erfrischende Wasser ihre kristallklaren Streifen ergossen. Die beiden Enden der Promenade wurden durch viele Meter hoch springende Fontänen bezeichnet. Und diese Promenade umschloß der Ring, an dessen Peripherie sich nun eine fieberhafte Bautätigkeit zu entwickeln begann. Reiche Private und spekulationslüsterne Unternehmer mußten hier ihre Plätze haben, und einer suchte dem anderen zu imponieren, suchte ihn zu überbieten, der Private, der hier ein Haus haben wollte, wie noch keines in der Stadt zu finden war, der Unternehmer, der mit jedem Komfort und Raffinement die zahlungskräftigsten Mieter in diese neue Stadt lockte. Wie in einem Ameisenhaufen wurde an dem Ausbau des Paul Baumannringes gearbeitet, Tag für Tag, bis in die Nächte hinein. Es schien, als ob sich die Unternehmungslust und die Bauwut der ganzen Stadt plötzlich auf diese eine und einzige Gegend versteift hätten, und schließlich war von dem einst von Peter erworbenen Gelände auch kein Stückchen Landes mehr zu haben, und wenn man dieses Land zehnmal mit Goldstücken bedeckt hätte. Noch waren die Gebäude nicht vollendet, aber der Ring war geschlossen. Nur ein einziger Riesenplatz auf der Westseite des Ringes war leer geblieben. Er war unverkäuflich, wie gewaltige Summen man der Concordia auch für diesen Platz bot. Er war nicht feil. Man zerbrach sich den Kopf, was denn nach dem Willen Pauls aus diesem Riesenplatze werden sollte. Für ein Privathaus, ja selbst für ein Schloß, das sich der Unersättliche hier hätte errichten können, war dieser Platz viel zu groß.
Und Pauls sechzigster Geburtstag brachte die Lösung auch dieser Frage. An ihm verlas er persönlich als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung die Urkunde der Stiftung, die die letzte Krönung seines Lebenswerkes bilden sollte.
In den Jahren der Einsamkeit war aus dem Manne, der das Beste seines Lebens auf der Jagd nach Gold und Ruhm verbraucht hatte, der Volksbeglücker, als den Agathe sich ihn einst vorgestellt, in der Tat geworden.
Vierundzwanzigmal hatte sich das Weihnachtsfest für ihn ohne Agathe und die Kinder erneut. Vierundzwanzigmal war aus dem Sommer Frühling und Herbst geworden, war der Winter über seinem gebleichten Haare dahingegangen, hatte sich das Jahr über dem Einsamen erneut. Und in dieser Zeit war er endlich ein anderer geworden. Ob Agathe noch lebte, ob er die Seinen noch einmal wiedersehen würde, wußte er nicht! Und wenn er starb, dann würden sie das Geschäft und das Haus am Promenadengürtel und die Filialen und die Fabrik und das Aktienkapital der Concordia erben. Was er in jungen Jahren in verbrecherischem Wünschen genommen, er hatte es verzehn-, ja verhundertfacht. Nur den Erlös jener gewaltigen Grundstücke, an deren Verwertung so viel kühne Träume, so viel Arbeit, so viel Haß und Leid und Tränen hingen, schied er von dieser Erbschaft aus. Die Größe der Stadt hatte diesen gewaltigen Gewinn zustande gebracht und ihrer Größe, für die er sein Leben, seine Kraft und das Glück, das er an Agathes Seite und im Kreise seiner Kinder hätte finden können, eingesetzt, wollte er es wieder zum Opfer bringen.
Und zu diesem Zwecke stiftete Paul Baumann der Stadt eine ungeheure Summe von vielen Millionen, den Reingewinn, den er aus diesen Bauplätzen Peters erzielt hatte, zur Gründung einer Akademie der praktischen Wissenschaften und zu deren Erhaltung. Für den Bau des Akademiegebäudes und seiner wissenschaftlichen Institute war der Riesenplatz vorgesehen, den er an der Westseite des Paul Baumannringes aufbewahrt hatte und den er samt der Stiftungssumme der Stadt an jenem Tage, da er, der Überarbeitete, an der Schwelle des Greisenalters zu stehen glaubte, zum Geschenke machte.
Fünfzehn Millionen sollten in den Gebäuden, deren fertige Risse er der Versammlung vorlegte, investiert werden, die Zinsen des weit gewaltigeren Restes aber für den Betrieb der Anstalten und die Besoldung der Professoren Verwendung finden.
Und schon am folgenden Tage ging der Ruhelose aufs neue ans Werk.