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XIV.

Die Ereignisse nahmen einen langsamen Verlauf. Schon war der dem Untergang geweihte Teil der Altstadt gefallen, und noch stand das alte Haus am Ritterwall, denn die offizielle Anfrage des Eisenbahnministeriums wegen Überlassung eines für den neuen Bahnhof geeigneten Geländes war noch immer nicht eingetroffen.

Auf dem Trümmerfeld der Altstadt regte sich neues Leben. Der Magistrat gab die in seinen Besitz gelangten Bauplätze verhältnismäßig billig ab. Man wollte den Leuten Lust zum Bauen machen, man hatte die Absicht, die hier mitten in das Stadtbild hineingerissenen Lücken möglichst rasch wieder auszufüllen, und wie es des öfteren bei voreilig in Szene gesetzten Unternehmungen zu gehen pflegt, die allmählich entstehende Neuanlage entsprach weder künstlerisch noch praktisch den großen Erwartungen, die man auf sie gesetzt hatte.

Dr. Josts Buch über den Untergang einer alten Stadt war noch nicht erschienen. Man sah den Herausgeber des »Echo« nicht mehr, und in der Stadt ging das Gerücht, daß sich sein gesundheitlicher Zustand von Woche zu Woche verschlechtere.

Fast drei Jahre waren seit jener Sitzung verflossen, in der der Oberbürgermeister Jost zum Trotz das Sanierungsprojekt der Altstadt durchgesetzt hatte. Und endlich eines schönen Tages traf wirklich das Schreiben der Eisenbahnbehörde ein, in dem die Stadt aufgefordert wurde, dem Fiskus ein Gelände zur Anlage eines neuen großen Hauptpersonenbahnhofes zu überlassen.

Die durch Frau Baumanns Gabe ermöglichte Kur in dem Sanatorium für Lungenkranke hatte Jost nichts genutzt. Das in der Stadt sich verbreitende Gerücht, daß es um den Führer der sozialdemokratischen Partei schlecht bestellt sei, behielt recht. Und zusammen mit der Krankheit des Familienvaters und Ernährers hatten Not und Elend ihren Einzug in das schmucklose Haus an der Zeisigstraße gehalten.

Als es in der Stadt bekannt wurde, daß die Frage nach dem Platze des neuen Bahnhofes nun in allernächster Zeit entschieden werden müsse, raffte sich Jost noch einmal auf. Wegen seiner zunehmenden Schwäche hatte der Arzt angeordnet, daß der Patient den größten Teil des Tages im Bett zubringen solle. Nun hielt es ihn nicht mehr. Er ließ sich die Arbeit der Redaktion, die ein junger Genosse namens Binz in seiner Vertretung und ohne Entschädigung übernommen hatte, wie sehr auch seine kleine Frau und der Arzt dagegen eiferten, in das Haus bringen und schrieb, unterbrochen von beängstigenden Ohnmachtsanfällen, seine letzten Artikel für das »Echo«, die das oberbürgermeisterliche Ostprojekt in leidenschaftlicher Form und Sprache verteidigten.

Der Osten der Stadt, in dem sich die mittlere und ärmere Bevölkerung zusammendrängte, war im Vergleich mit dem Westen durch Jahrzehnte hindurch stiefmütterlich behandelt worden. Wenn man jetzt die günstige Gelegenheit vorübergehen und den Bahnhof, dieses Herz der Zukunft, wie es Jost richtig nannte, den Westendlern überließ, dann war das Schicksal des Ostens besiegelt, dann würde sich dieser Stadtteil niemals erholen können und zu einer für den Augenblick noch nicht einmal erreichten Bedeutungslosigkeit herabsinken. Und an das nun fast ganz ausgeführte Sanierungsprojekt der Altstadt klammerte sich Jost in seinen Ausführungen. Aus verkehrstechnischen Gründen hatte der Oberbürgermeister damals dieses Projekt, das schon in wenigen Jahren Millionen verschlungen hatte, durchgesetzt. Und nun? Kam der Bahnhof in den Westen, dann hatte die kostspielige Verkehrsstraße in der Tat nur wenig Sinn, dann waren die meisten Opfer umsonst gebracht worden, denn weiter und weiter nach Westen würde sich der Verkehr trotz allem verschieben, und für den Osten, zu dem die neue Straße führte, war es gleichgültig, ob man rascher und bequemer oder langsamer und auf Umwegen in sein Zentrum gelangte, denn dieses Zentrum würde mit der Anlage des Westbahnhofes auch den letzten Rest seiner Bedeutung verlieren.

Aber nicht nur im »Echo« setzte sofort nach Bekanntwerden der Tatsache, daß die offizielle Anfrage der Eisenbahn nunmehr eingetroffen sei, der Kampf der Meinungen ein. Auch die Westendler, die besten Steuerzahler der Stadt, waren nunmehr auf ihrem Posten, und jeder einzelne Grundbesitzer ahnte, daß das Projekt, den Bahnhof nach dem Osten der Stadt zu verlegen, den Lebensnerv seines Eigentums treffen werde. Der elegante Westen der Stadt war bislang das Villen- und Vergnügungsviertel der Reichen gewesen. Vornehme und stille Straßen mit hübschen Vor- und ausgedehnten Hintergärten durchzogen diesen Teil, der durch das Hineinrücken in den großstädtischen Verkehr wohl in seiner Ruhe gestört werden konnte, aber auf der anderen Seite sich in eine Metropole der Eleganz und des Luxus verwandeln mußte.

Was war nicht alles für den Westen zu erhoffen, wenn erst der geplante Riesenbahnhof an dieser Seite der sich von Jahr zu Jahr mächtiger entwickelnden Stadt stand?

Prachtbauten von Hotels, wie sie die Stadt bislang noch nicht gekannt hatte, mußten hier in der Nähe des Bahnhofes entstehen, Riesengeschäftshäuser, die märchenhafte Mieten abwarfen, mit Cafés und Vergnügungsetablissements in ihrem Erdgeschosse, glänzende Läden in konkurrenzloser Lage, die zu mieten die großen Geschäftsleute einfach gezwungen sein würden um jeden, auch um den übertriebensten Preis. Jedes Zimmer und jedes Stockwerk würde hier an dem neuen Eingang der Stadt mit Gold aufgewogen werden, so träumten die Westendler. Fremdenpensionen, Ärzte, Rechtsanwälte, vornehme Modegeschäfte, Schneider der fashionablen Welt und alle Verkäufer moderner Erzeugnisse konnten sich doch keine geeignetere Lage wünschen, als den neuen, im Westen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes zu schaffenden großen Verkehrsweg, die eigentliche Zugangsstraße der Stadt!

Die große Zeitung, die nun das Organ des in der Zwischenzeit zum zweiten Male mit absoluter Mehrheit in das Stadtparlament gewählten Paul Baumann geworden war, malte diesen Traum der Westendler, den der Führer der Demokraten, der große Volksbeglücker, zu dem seinen gemacht hatte, in den verführerischsten Farben aus. Und gegen diese Artikel schrieb Jost unter Aufbietung seiner letzten Körper- und Geisteskräfte seine vielgelesenen, von den Bewohnern des Ostendes bejubelten Aufsätze. Da fiel eines Tages so etwas wie ein Sonnenstrahl in das Leidenszimmer des langsam Dahinsiechenden.

Seine Frau trat in die Stube, wo der immer vor Kälte zitternde Mann am Schreibtisch saß, und teilte ihm mit, daß ihn ein Herr Winzer aus Berlin zu sprechen wünsche. Sie habe den Herrn abweisen wollen, entschuldigte sie sich, aber der behaupte, dem Herrn Doktor in seiner Eigenschaft als Herausgeber des »Echo« eine ungemein wichtige Enthüllung machen zu müssen.

Als Winzer eintrat, ging er schnurgerade auf sein Ziel los und sagte ohne Umschweife:

»Ich habe die Ehre, mit Herrn Dr. Jost, dem Herausgeber des »Echo.« Statt jeder Legitimation: Ich bin Genosse und ich war bis vor wenigen Tagen Angestellter der Berliner Terraingesellschaft »Concordia.«

Jost maß den Mann von oben bis unten. Unter einem Angestellten der Berliner Terraingesellschaft Concordia, die gewaltige Ankäufe im Westen der Stadt gemacht und die ihre dem Oberbürgermeister gegebene Zusage der Anlegung billiger Arbeiterwohnungen immer noch nicht gehalten, hätte er sich einen anderen vorgestellt. Nicht diesen blassen und schmächtigen Jüngling, der einen verschossenen Gehrock trug.

Ohne eine Aufforderung abgewartet zu haben, hatte sich Winzer einen Stuhl genommen und diesen in Josts unmittelbare Nähe gerückt. Nun setzte er sich und begann sein Gespräch mit der Frage:

»Die Berliner Terraingesellschaft Concordia ist Ihnen nicht unbekannt, Herr Doktor?«

Nach Überwindung eines Hustenanfalles erwiderte Jost:

»Ich erinnere mich dieses Namens, mein Herr! Vor etwa drei Jahren wurde diese Gesellschaft hier viel genannt. Sie hat gewaltige Terrains im Westen der Stadt an sich gebracht, und damals war sogar von offizieller Seite die Rede davon, daß diese Terrains zur Anlage von Fabrikarbeiterwohnungen Verwendung finden sollten, um den durch den Abbruch eines Teiles unserer Altstadt obdachlos gewordenen Familien der besitzlosen Stände rasch eine billige Unterkunft zu schaffen. Leider scheinen sich aber die Verhandlungen mit der Concordia zerschlagen zu haben, denn bislang wurde auf besagtem Terrain auch noch nicht ein Handschlag gerührt.«

Winzer lachte bitter vor sich hin.

»Das glaube ich, Herr Doktor, daß da noch kein Handschlag gerührt werden konnte, trotzdem unser Direktor, ein Herr Blümlein, damals dem Magistrat und dem Herrn Oberbürgermeister jenes verlockende Angebot machte, denn Herr Baumann scheint mit seinen Grundstücken ganz andere Dinge vor zu haben, als billige Proletarierwohnungen auf ihnen zu errichten.«

»Herr Baumann, wen meinen Sie, mein Herr, den Stadtverordneten Paul Baumann, den Führer der hiesigen demokratischen Partei«, stieß Jost nun in Hast hervor.

»Wen sonst«, erwiderte Winzer trocken, »den Besitzer dieser gewaltigen Terrains, der sich hinter dem von ihm und jenem Herrn Blümlein geschaffenen Namen der Berliner Terraingesellschaft Concordia verbirgt!«

Jost glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Was er in all den vergangenen Jahren geahnt und was er niemals hatte beweisen können, war nach den Aussagen dieses Mannes, den er heute zum ersten Male sah, die nackte Wahrheit. Wohl hatte man in der Stadt davon gesprochen, daß die von Peter Lenz angeblich zur Anlage von Obstplantagen erworbenen Grundstücke durch die Erbschaft in Baumanns Besitz übergegangen seien. Aber durch die Tatsache, daß diese Grundstücke ohne weiteres, und wie es schien, zu einem Spottpreise aus dem Nachlasse an eine Berliner Gesellschaft verkauft worden waren, hatte auch er sich wie alle anderen am Narrenseil herumführen lassen, und nun kam dieser Mann mit seiner in diesem Augenblick der Frage, ob Ost- oder Westprojekt, unbezahlbaren Enthüllung und behauptete, daß das gewaltige in das Interessegebiet des Westbahnhofs fallende Gelände das Eigentum des Führers der Demokraten, des leidenschaftlichen Verteidigers des Westprojektes sei! Winzer bemerkte wohl, welches Interesse seine Mitteilungen bei Jost fanden und so fuhr er denn fort:

»Sie werden mich fragen, wieso ich dazu komme, Ihnen diese Mitteilungen zu machen und meine einstigen Brotherren, Baumann und Blümlein, bloß zu stellen? Ich sagte Ihnen es schon, ich bin Genosse. Ich suche eine Anstellung. Am liebsten bei einem sozialistischen Blatt oder einem Arbeiterverein. Die Concordia hat mich kurzerhand auf die Straße gesetzt. Frau und Kind darben. Sie wissen ja selbst am besten, wie der Kapitalist mit unsereinem umzuspringen beliebt. Ich habe die Korrespondenz für Herrn Blümlein geführt. Ich bin über alles unterrichtet. Zum Beweis: die Verhältnisse hier in der Stadt. Herr Baumann ist seiner Sache sicher, glaubt wenigstens seiner Sache sicher zu sein! Er wird den Widerspruch des Oberbürgermeisters brechen, denn hinter ihm stehen die mächtigste Zeitung und die mächtigste Partei. Der Oberbürgermeister wird sich mit den besten Steuerzahlern des Westendes nicht verfeinden wollen, er wird schließlich nachgeben, wird bedauern, dem Ostende seine lang gehegten Wünsche nicht erfüllen zu können, und das Gelände des Herrn Baumann, für den die Concordia firmiert, wird, sobald der Westplatz für den neuen Bahnhof definitiv bestimmt ist, eine Millionensache von unbegrenzten Möglichkeiten werden, wenn Sie nicht im letzten Momente mit dieser Enthüllung kommen.«

»Sie sind ja über die Verhältnisse hier in der Stadt sehr genau unterrichtet, Herr Winzer.«

»Das bin ich wohl«, sagte der lächelnd, »waren doch diese Verhältnisse die Grundlage der Concordia, deren Briefe vier Jahre hindurch durch meine Hände gegangen sind. Ich überlasse es Ihnen, welchen Gebrauch Sie von meinen Mitteilungen im Dienste der Stadt machen wollen, Herr Doktor.«

Winzer stand auf.

Als er gegangen war, trat die kleine Frau Dr. Jost in das Zimmer. Sie war erstaunt, in welcher Verfassung sie ihren Mann nach dem Besuche des Fremden fand. Jost hatte sich von seinem Schreibsessel erhoben und ging elastischen Schrittes, so wie ihn seine Frau lange nicht mehr gesehen hatte, auf und ab.

»Was hast du?« fragte sie eintretend, »du bist so aufgeregt, was hat der Mann von dir gewollt, was hat er dir erzählt?«

»Den haben wir, den haben wir«, sagte nun Jost ein über das andere Mal und rieb sich vor Vergnügen die Hände. Es war, als wenn er seinen Zustand plötzlich vergessen hätte. »Schicke in die Druckerei, ich muß noch eine kleine Notiz für das »Echo« schreiben«, fuhr er dann fort. »Das war ja ein wertvoller Besuch, der nicht mit Gold aufzuwiegen ist.«

»Aber so sage doch, was du hast«, beharrte sie nun.

Es wurde ihr angst. Sie erinnerte sich augenblicklich der warnenden Worte des Arztes, daß man von Jost jede Erregung fern halten müsse, da eine solche leicht zu einer Katastrophe führen könnte. Einen stärkeren mit einem Blutsturz verbundenen Anfall würde der Patient schwerlich noch einmal überstehen.

Und Jost selber schien nicht die geringste Rücksicht auf seinen Zustand zu nehmen. Immer wieder sagte er: »Den haben wir, den haben wir.«

»Aber, so sprich dich doch aus«, bettelte sie nun wieder. »Mir wirst du sagen können, über was du dich eigentlich so freust.«

»Ich will dir es sagen, Frau, dir will ich es sagen«, begann nun Jost. »Nach dieser Enthüllung, wenn ich diese Enthüllung in meinem »Echo« bringe, dann sind Baumann und seine Pläne verloren, dann ist der Sieg unser!«

»Baumann?«

Wie ein Ruf des Schreckens kam dieser Name von Frau Josts Lippen.

»Baumann, was hast du mit Baumann?«

»Was ich mit Baumann habe?« wiederholte nun Jost. »Vernichten werde ich ihn, ihn und seine stolzen Pläne, das soll die letzte Aufgabe meines Lebens sein. Und die Handhabe zu seiner Vernichtung, die hat mir der, welcher eben ging, gegeben.«

Frau Jost schrak zusammen.

»Ich dachte, der Friede sei hergestellt, seitdem das Altstadtprojekt aus der Welt geschafft ist. Das ist doch nun Tatsache geworden. Hast du denn Baumann immer noch nicht verziehen, daß er ein Förderer dieses Projektes war?«

Da lachte Jost bitter.

»Hier stehen andere Dinge auf dem Spiele, liebe Frau, als die paar alten und schönen Häuser in der Altstadt. Hier gilt es nichts mehr und nichts weniger, als vor den Augen der ganzen Stadt, vor den Augen der Welt einen Halunken zu entlarven, der sich als Volksbeglücker aufspielt und doch nur für seine eigene Tasche sorgt. Du hast doch von der Berliner Terraingesellschaft Concordia gehört und gelesen, Frau, die das Versprechen gab, Arbeiterwohnungen im Westen der Stadt für die obdachlos gewordenen Altstädter zu errichten? Diese Ankündigung von Klopps brachte seine ganze Vorlage durch. Und nun!«

»Und nun?«

»Keinen Handschlag zur Errichtung von Arbeiterwohnungen hat man im Westen gerührt, keinen Handschlag. Während meines Fernseins und meiner Krankheit hat sich auch nicht ein einziger gefunden, der den Mut gehabt hat, den Oberbürgermeister an die Einlösung seines Versprechens zu mahnen. Und nun stellt sich heraus, daß es gar keine Berliner Terraingesellschaft Concordia gibt, daß das eine Finte dieses alles machenden Baumann war, daß er der Besitzer der gewaltigen Terrains ist, die Millionen und Millionen abwerfen werden, sobald der Entschluß gefaßt ist, daß der Bahnhof in den Westen der Stadt kommt. Mit dieser Enthüllung werde ich herausrücken! Trotz aller Ärzte der Welt, ich werde in die Sitzung gehen, und wenn man mich auf der Tragbahre hinschleppen muß und wenn es mein Tod sein wird. Ehe mein Mund auf ewig verstummt, werde ich Baumann den Vorwurf in das Gesicht schleudern, daß er mit dem Vertrauen seiner Wähler, mit seinem Mandat schnöden Wucher getrieben, daß er die Stadt und deren Oberbürgermeister, denen zu dienen er vorgibt, in der abscheulichsten Weise hinter das Licht geführt hat.«

»Baumann willst du vor der ganzen Stadt, vor aller Welt einer unehrenhaften Handlung zeihen, Baumann«, schrie nun Frau Jost voll Entsetzen.

»Ja, Baumann, meinen Todfeind, ihn, der mich von allem Anbeginn, seitdem er in die Politik hineinkam, verfolgt und verdächtigt hat. Ihm werde ich die Larve vom Gesichte reißen, und wenn es mich mein Leben kosten sollte. Verstehst du mich? Doch warum erschrickst du so, was hast du mit Baumann, was nimmst du für ein Interesse an ihm?«

Durch seine Brillengläser sah er sie scharf an mit jenem forschenden Blicke, dem auch seine politischen Gegner nicht stand zu halten vermochten, und sie erzitterte unter diesem seinem Blick.

Er merkte es wohl.

»Frau, du bist nicht ehrlich«, sagte er nun mit einem Male in einem ganz seltsamen Tone. »Du verbirgst mir irgend etwas. Irgend etwas ist hier nicht in Ordnung. Was hast du mit Baumann, warum zitterst du für ihn, warum nimmst du diesen Menschen mir gegenüber in Schutz?«

»Ich habe nichts mit ihm, ich kenne ihn gar nicht, ich habe Baumann nie in meinem Leben gesprochen«, log sie nun. »Ich zittere nicht für ihn, ich nehme ihn nicht in Schutz! Aber ich kenne seine Frau. Und Frau Baumann ist eine edle Seele. Es wird sie hart treffen, wenn du solches über ihren Mann in die Öffentlichkeit bringst. Wo hast du denn die Garantie, daß dieser Mensch, der eben von dir ging, die Wahrheit gesprochen hat?«

»Wo ich die Garantie her habe?« rief er nun. »Wo ist die deine, daß er gelogen hat, daß er gelogen haben kann? Seine Lügen würden kurze Beine haben, wenn ich mich erkundigte, wenn ich nur eine Silbe, eine Andeutung von der Sachlage in der Öffentlichkeit verlauten ließe.«

»Das wirst du nicht tun, Jost«, sagte die Frau nun mit aller Bestimmtheit, »um meinetwillen nicht, um der Kinder willen nicht! Man beleidigt seine Wohltäter nicht auf die Angabe irgendeines gleichgültigen Menschen hin! Das wäre unedel, Jost!«

Nun war es heraus, das, was sie in all den Jahren, seit er aus dem Sanatorium zu ihr zurückgekehrt war, so ängstlich vor ihm verborgen hatte. Eine Minute der Angst, der höchsten Erregung hatte das verhängnisvolle Wort ihren Lippen entschlüpfen lassen.

Ein lähmender Schrecken befiel sie, als ihr Auge nach diesen Worten das Gesicht Josts traf. Er hatte sich verfärbt und seine Stimme zitterte bei der Frage:

»Seine Wohltäter, Frau, was willst du damit sagen, seine Wohltäter?«

Sie fürchtete sich vor ihm, sie wollte ihm ausweichen, ihm entfliehen, denn sie ahnte, daß die Erkenntnis der Wahrheit für ihn und sie unberechenbare Folgen haben könnte.

Aber mit einer Energie, die sie in all den Wochen und Monaten seines Siechtums nicht mehr an ihm gekannt hatte, vertrat er ihr den Weg. Er hatte ihre Hand gefaßt und nun bestand er darauf:

»Du beichtest mir alles, ich will, ich muß hier klar sehen, was soll das heißen, daß du Baumann unseren Wohltäter genannt hast?«

Da weinte die kleine Frau.

»Ich wußte mir keinen anderen Rat, Jost«, stammelte sie nun.

Er verstand sie immer noch nicht.

»Wann, wo keinen anderen Rat«, forschte er.

Und nun in dem Bewußtsein, nur Gutes und alles nur aus Liebe zu ihm getan zu haben, sagte sie leise:

»Damals, als ich dich dem Tode entreißen zu können glaubte, Jost, als du zur Heilung deiner Krankheit in das Sanatorium mußtest …«

Da schluchzte er auf. Eine heftige Erschütterung ging durch seinen ganzen Körper, als er sagte:

»Da fandest du kein anderes Mittel, als mich meinem Todfeinde auszuliefern, und mir logst du vor, daß das Geld Ersparnisse deiner Haushaltungsgroschen seien? Und er, er hat es dir mit Freuden gegeben, weil er wußte, daß er mich dadurch eines schönen Tages in seine Hände bekommen kann, weil man doch, wie du selber sehr richtig sagtest, nicht unedel gegen seine Wohltäter handeln darf.«

»Nicht er, nicht er«, schluchzte nun die kleine Frau. »Baumann weiß nichts davon, Frau Agathe, die ich kannte, hat mir aus dem Ihren das Geld zum Zwecke deiner Genesung gegeben.«

Er hörte sie nicht mehr.

Er hatte sich völlig erschöpft vor seinem Schreibtische niedergelassen und kramte nun in einer Schublade, die er mühsam aufgeschlossen.

Rasch hatte er das Gesuchte gefunden.

Es war ein Einlagebuch der städtischen Sparkasse, das er nun der kleinen Frau reichte. Tonlos kamen die Worte aus seinem Munde:

»Es ist das letzte, was ich habe, Frau, diese Groschen, die ich mir am Munde abgespart habe. Das Buch sollte hier liegen bleiben bis nach meinem Tode, der wohl nicht mehr allzufern sein dürfte, als mein letztes Vermächtnis, als mein letztes Gedenken an euch. Es sollte die erste schwere Sorge von dir und den Kindern scheuchen, die Sorge um die Kosten meiner Beerdigung und des dann notwendig werdenden Umzuges. Viel ist es ja nicht. Etwas über siebenhundert Mark. Aber in der Stunde der Not, wenn man sonst betteln gehen müßte, mehr wert als Tausende. Du hast dich nicht gescheut, den schweren Gang zu einem Wohltäter schon zu meinen Lebzeiten hinter meinem Rücken anzutreten, so nimm auch dies vor der Zeit. Hoffentlich ist die Summe, die du von jenen erhalten hast, nicht höher, hoffentlich kannst du mit diesem Frau Baumann ihr Geld wiedergeben und mir freie Hand schaffen gegen diesen Mann, der meine Vernichtung, das weiß ich, in der ersten Stunde seines politischen Wirkens beschlossen hat.«

»Es sind nur fünfhundert Mark, die mir Frau Baumann damals gab«, sagte nun Frau Jost, »aber …«

»Du hast mir also noch etwas verborgen«, donnerte der gequälte Mann nun los. »Beichte mir alles, bringe mir das Gift nicht tropfenweise bei, hörst du!«

Die Frau war außer sich. Sie wußte, sie ahnte, daß diese fürchterlichen, seelischen Erregungen Josts Tod bedeuten konnten, und in der schwachen Hoffnung, ihn vielleicht durch eine rückhaltslose Aussprache am ehesten beruhigen zu können, sagte sie nun:

»Es war ja nicht möglich, während deiner Krankheit über solche Dinge mit dir zu sprechen, Jost! Schonen und immer wieder schonen, lautete die Weisung des Arztes, und verdienen konntest du auch nicht mehr viel, da doch deine Artikel zeilenweise honoriert werden und dein Gehalt an der Zeitung ein sehr kleines ist.«

»Und da hast du?«

»Da habe ich Frau Agathes Hilfe allerdings, um dein Leben und das Leben der Kinder zu ermöglichen, noch des öfteren in Anspruch nehmen müssen.«

»Also reicht das Geld nicht?«

Nur diese eine verzweifelte Frage entrang sich Josts Lippen.

Traurig schüttelte die kleine Frau den Kopf.

»Und wenn es reichen würde, es reicht aber nicht, Jost«, fügte sie nun in bitterem Schmerze hinzu, »wir wären dennoch unseren Wohltätern in die Hände gegeben, denn Baumann hat, was du auch nicht weißt, schon vor Jahren dieses Haus, in dem wir wohnen, gekauft, und wir sind ihm die Miete schon dreimal schuldig geblieben. Ach Jost, Jost! Um deiner Gesundheit willen mußte ich dich schonen, dich in dem Glauben erhalten, daß ich das Geld, das du mir gabst und das längst für den Arzt und den Apotheker, für Fleisch und Nahrungsmittel verausgabt war, zu Kahl und Ulrich trüge, und die Wahrheit ist die, daß wir schon seit neun Monaten unser Asyl der Gnade unserer Wohltäter verdanken.«

Da wankte Jost. Seine Frau mußte ihn halten, sonst wäre er von dem Schreibsessel, auf dem er wieder saß, zur Erde gesunken. Mit rauher Hand stieß er die Arme von sich.

»Laß mich, laß mich, du hast meine letzte Kraft gebrochen, du hast mich meinem Feinde ans Messer geliefert, ihm, der zugriff mit beiden Händen und den Wohltäter spielte, um mich desto sicherer vernichten zu können, der dieses Haus schon allein in dieser Absicht gekauft hat! Laß mich, laß mich!«

Sie wollte ihn trösten, sie versuchte ihren dünnen, fast kinderhaften Arm um seine Schulter zu schlingen, ihre Lippen näherten sich den seinen, vergebens! Wie abwesend, ohne Gedanken und Gefühl saß Jost da, ein, wie es schien, völlig gebrochener Mann, der keinen Ausweg mehr finden konnte, der sich, wie das gestellte Wild der Kugel seines Verfolgers, seinem Feinde rettungslos preisgegeben sieht.

Lange, bange Minuten verstrichen. Endlich schien er sich ein wenig gesammelt zu haben.

Er nahm eine Karte von seinem Schreibtisch und kritzelte mit kalter und zitternder Hand ein paar Zeilen darauf.

Dann sagte er:

»Eines der Kinder soll diese Karte zu Binz auf die Redaktion tragen.«

»Was hast du vor, was willst du tun«, rief die kleine Frau in heller Verzweiflung.

»Was ich tun will? Ha, ha … Aller Welt werde ich die Wahrheit über diesen Baumann in das Gesicht sagen. Und wenn mich ein gütiges Schicksal nicht vorher fällt, dann werde ich den Bettelstab nehmen und meine neue Heimat, die Landstraße, aufsuchen, weil mich mein eigenes Weib, ohne mir auch nur ein Wort zu sagen, an meinen Todfeind verkauft hat. Das werde ich tun! Und ihr, ihr könnt euch ja dann weiter auf die Güte und die Menschlichkeit eurer Wohltäter, die euch näher als euer Vater standen, verlassen.«

Die kleine Frau begann zu jammern.

»Jost! Jost!« stammelte sie.

Sie warf sich zu seinen Füßen. Und er hob sie nicht auf. Er sagte mit harter Stimme: »Willst du mir diese Karte besorgen oder soll ich mich selber hinschleppen, um anzufangen, was nach meinem festen Willen und unbeugsamen Entschlusse geschehen muß und geschehen wird?«

»Ja, ich will, Jost, weil es dein Wille ist, will ich, Jost!«

Da nahm sie die Karte aus seinen Händen und schlich sich leise weinend hinaus.

Aber er achtete nicht seines gefährlichen Zustandes und des krampfhaften Hustens, der sich infolge seiner gewaltigen Aufregung wieder einstellte, sondern machte sich in fieberhafter Hast an die Arbeit. Bogen um Bogen entnahm er der Schublade seines Schreibtisches und bekritzelte das weiße Papier mit zitterigen, kleinen Buchstaben auf engen Linien, so daß er es schließlich selber nicht mehr zu entziffern vermochte. Aber er schrieb und schrieb – wie er wußte und ahnte – seine letzte furchtbare Anklage gegen Paul Baumann, den Führer der Demokraten, diesen Volksbeglücker, der gekommen war, eine neue und wunderbare Stadt im Westen aus der Erde zu stampfen und zwar zu dem alleinigen Zwecke, seinen eigenen Beutel zu füllen! Mit der Enthüllung über die so geschickt vorgeschobene Berliner Terraingesellschaft Concordia, an deren Vorhandensein sogar der Oberbürgermeister geglaubt hatte, sollte dieser Artikel, der, einmal in dem »Echo« erschienen, die Pläne seines Todfeindes in letzter Stunde zunichte machen würde, enden.

Trotz des Hustens und der wahnsinnigen Schmerzen, die über den Rücken liefen und seine Brust zerrissen, trotz der furchtbaren Qualen, die ihm die gebückte Stellung in seinem Zustande bereitete, schrieb und schrieb Jost eine, zwei Stunden lang.

Und plötzlich, noch ehe er seine Arbeit vollendet, noch ehe er die Enthüllung über die Concordia zu Papier gebracht, entfiel die Feder seiner Hand. Ein warmer Blutstrom schoß aus seinem Munde und färbte die vor ihm liegenden Blätter purpurrot. Aber das verräterische Papier enthielt die Mitteilungen Winzers, die den Gegner in letzter Stunde vernichten sollten, noch nicht.

Er verlor die Besinnung. So fand ihn Binz, ohnmächtig, unfähig, ein Wort über die blutleeren Lippen zu bringen.

Frau Jost und der Freund brachten ihn zu Bette. Man schickte zum Arzt. Noch ehe dieser erschien, hatte Jost die Besinnung wieder erlangt. Aber seine Stimme klang so leise, daß die neben dem Bette Stehenden ihn nicht zu verstehen vermochten. Er erkannte Binz und verlangte durch matte Zeichen nach einem Bleistift und einem Blatt Papier.

Hastig, als ob er keinen Augenblick zu verlieren hätte, schrieb er nun ein paar Zeilen, die er Binz übergab. Der las es ihm von den Lippen ab: für das »Echo«!

Dann richteten sich die Augen des Kollegen voll Erstaunen auf das ihm von Jost übergebene Blatt, denn dort stand geschrieben:

»Wir machen unsere Leser darauf aufmerksam, daß wir in den nächsten Tagen interessante Enthüllungen über die Berliner Terraingesellschaft Concordia bringen werden, von der, wie man sich erinnern wird, gelegentlich der Annahme des Sanierungsprojektes der Altstadt vielfach die Rede war. Unsere, wie wir versichern können, aus zuverlässigster Quelle stammenden Mitteilungen dürften das größte Aufsehen erregen und die Maßnahmen des Stadtverordneten Paul Baumann, der ja in der von ihm inspirierten Zeitung so glänzend für das Westprojekt des neuen Bahnhofes einzutreten versteht, in einem ganz besonderen Lichte erscheinen lassen. Die Redaktion des »Echo«.«

»Für die morgen erscheinende Nummer?« fragte Binz.

Jost nickte.

Binz faltete das Blatt zusammen und barg es sorgsam in seiner Brieftasche.

Da erschien der Arzt.

»Absolute Ruhe für die nächsten Tage«, so lautete seine strenge Weisung.

Am folgenden Morgen erschien eine neue Nummer des »Echo.« An ihrer Spitze brachte sie in Fettdruck die Zeilen, die Jost auf dem Krankenbette niedergeschrieben, und die ganze Stadt befaßte sich nur noch mit diesem einzigen, interessanten Thema. Man kannte Jost. Man wußte, daß er nicht flunkerte, daß er nicht der Mann war, Enthüllungen zu versprechen, die sich hinterher als leere Redensarten erwiesen. Paul Baumann und die Concordia waren plötzlich in aller Munde. Und die Verhandlung wegen der Entscheidung über West- oder Ostprojekt stand nun vor der Tür.

Wenige Stunden, nachdem er diese Notiz, die seine politische Vernichtung ankündigte, in dem »Echo« gelesen, fand sich Paul Baumann persönlich in dem Hause an der Zeisigstraße ein. Unter den übrigen Zeitungen, die man ihm in der Morgenstunde auf sein Bureau in dem alten Hause am Ritterwall gebracht hatte und deren eine wieder eine glänzende Verteidigung seines grandiosen Westprojektes enthielt, hatte er auch diese gefunden. Wie war es nur möglich, daß Jost, der Todkranke, etwas über die Concordia in Erfahrung gebracht hatte? Paul sandte ein ausführliches Telegramm an Blümlein in Berlin. Und nun hatte er dessen Antwort in den Händen: »Kann nur von dem wegen Unregelmäßigkeiten entlassenen Korrespondenten Winzer herrühren. Blümlein.« – So eine Dummheit! Sich erst in die Karten sehen zu lassen und dann einen wegen Unregelmäßigkeiten zu entlassen! So was brachte auch nur ein Phantast, ein Mensch wie dieser Blümlein, der Konservenbüchsenverschlüsse erfand, fertig. Paul war rasend vor Wut. Aber Gott sei Dank, diesen Jost hielt er glücklicherweise in seinen Händen, wie einen Fisch, den man seinem nassen Elemente entzogen hat und der jetzt nur noch zappeln und nach Luft schnappen kann, weil ihm seine Kiemen das Atmen auf dem Trockenen unmöglich machen. Und dieser Jost saß auf dem Trockenen! Er brauchte hier nur mit fester Hand zuzulangen und er hatte ihn, wie man ein widerspenstiges Pferd am Zaume faßt. Seine mit frecher Stirn angekündigten Enthüllungen über ihn und die Concordia würden unterbleiben, die mit so viel Pathos feierlich angekündigte Sensation würde im Sande verlaufen, wenn er diesem Jost erst die Zähne zeigte und ihm nachwies, daß er ihn wie eine gefangene Fliege zwischen seinen Fingern zerdrücken konnte. Und in dem festen Entschlusse, dieses zu tun, hatte er sich in die Zeisigstraße begeben.

Das in seinem Inneren zur Herrschaft gelangte Gefühl der Wut machte dem des Stolzes und der Selbstüberhebung Platz, als er nun am Eingang der dürftigen Zeisigstraße stand und sein Blick über das gewaltige Gelände hinschweifte, das von den Gebäuden seiner in neuem Glanze erstandenen Brotfabrik bedeckt wurde. Kahl und Ulrich hatten sich alle Mühe gegeben. Nicht nur der durch den Brand angerichtete Schaden war in kurzer Zeit behoben, nein, phönixgleich hatte sich die neue und musterhafte Anlage aus dem Schutt und den Trümmern, die der Heißluftschuppen hinterlassen, erhoben und großartige Erweiterungen waren nun zu den alten Anlagen hinzugekommen.

Eine Weile stand Paul still. Der ihn mächtig beherrschende Wille, die Sache mit Jost so rasch wie möglich aus der Welt zu schaffen, hatte ihn rascher, als das sonst seine Art war, vorangetrieben und so schöpfte er tief Atem und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Und er, der in den nächsten Wochen, ja vielleicht schon in den nächsten Tagen trotz Jost und dessen Ankündigung die letzte Staffel auf der Leiter seiner Erfolge mit kühnem Schritte emporzusteigen entschlossen war, ließ nun angesichts dieser Fabrik, die sein Wille und seine Kraft aus den Trümmern des Brandes neu hatten erstehen lassen, noch einmal im Geiste das Werk an sich vorübergleiten, an dessen Vollendung er viele Jahre rastlos gearbeitet hatte und das nun durch die Verwirklichung des kühnen Westprojektes binnen kurzem seine Krönung erhalten sollte. Die Idee mit den Filialen und die Anlage dieser Fabrik waren die ersten Anfänge seiner Macht und seiner Größe gewesen, lange, bevor ihn die Freundschaft mit dem Stadtrat Kölsch und die Übernahme des Café Archiv den leitenden und maßgebenden Kreisen der Stadt näher und näher gebracht. Nun war er schon zum zweiten Male gewählt worden, er war der Führer der Demokraten, der maßgebenden Partei in der Stadt, die größte Zeitung tanzte heute nach seiner Pfeife. Tausenden vermochte er durch sie an einem einzigen Tage seine Meinung aufzuzwingen und nur noch die Frage von Wochen würde es sein, daß er als der Schöpfer und Verteidiger des seinen Wählern so willkommenen Westprojektes die Karten in der Hand halten würde, um die Pläne Peters zu verwirklichen, um der Schöpfer einer neuen Stadt zu werden und sich feiern zu lassen als den Beglücker seiner Mitbürger, der diesen neuen Weg zu ungeahntem Wohlstand und zu einer für die Stadt niemals möglich gehaltenen Bedeutung wies.

Und in der letzten Minute sollte ihm dieser Jost alles vereiteln? Paul knirschte mit den Zähnen. Er sollte nicht, er würde nicht, und wenn er ihn zum Bettler machte, und wenn er ihn in Verzweiflung trieb und zum Selbstmord zwang.

Wieder ruhte sein Auge auf der aus dem Brande neu erstandenen Fabrik, die das erste Bollwerk, das uneinnehmbare, seiner aufsteigenden Kraft und Bedeutung gewesen war. Mit ihr hatte er damals den Bäckern ein Schnippchen geschlagen und die Käufer zu Tausenden und Abertausenden in seine Filialen hineingetrieben. Mit ihr hatte er sich frei gemacht von der Mitgift und dem Erbe seiner Frau, das er dieser wieder zu ihrer Verfügung gestellt hatte, damals, als die Schenkung des alten Hauses am Ritterwall an die Stadt zwischen ihm und ihr beschlossene Sache geworden. Und nun umfaßte sein Auge beinahe zärtlich diese Quelle seiner Macht und seines Glückes, die er in jahrelanger, schwerer Arbeit im Schweiße seines Angesichtes und, von den freundlichen Gestirnen des Zufalls begünstigt, ausgebaut.

Eine zweite Fabrik dieser Art, die zehntausende von Broten an einem einzigen Tage zu liefern vermochte, existierte nicht in der ganzen Stadt, nicht in der ganzen Gegend. Sie war ohne Konkurrenz. Und auch auf anderen Gebieten gab es hier noch keine Fabrik, die die seine nach erfolgtem Neu- und Umbau in den Schatten stellte.

Neun gewaltige, viele Meter hohe Schornsteine stiegen hier in die Lüfte und hüllten ein ganzes Viertel in ihren beizenden Ruß und Rauch. Vierhundert Bäcker und Arbeiter waren hier Tag für Tag beschäftigt und dreißig Maschinen kneteten und formten die Tausende und Tausende von Broten, die einer halben Stadt als wichtigstes Nahrungsmittel dienten. Und er, der Schöpfer des Gewaltigen, der noch viel Größeres im Schilde führte, der ein Reformator auf politischem und sozialem Gebiete zu werden gekommen war, sollte zittern vor diesem Jost, dessen Leben und Existenz er nun zwischen seinen Fingern hielt?

In diesem stolzen Bewußtsein klingelte er an der Wohnung seines Feindes.

Die kleine Frau öffnete die Tür und kurzerhand sagte Paul: »Ich muß Herrn Dr. Jost in einer dringenden Angelegenheit persönlich sprechen.«

Frau Jost erblaßte, als sie Pauls ansichtig wurde.

Nur das eine brachte sie über die Lippen: »Das ist nicht möglich, Herr Baumann. Mein Mann liegt auf den Tod darnieder, und der Arzt hat absolute Schonung zur unerläßlichen Bedingung gemacht.«

»Auf den Tod darnieder.« Dieses Wort tönte in Pauls Ohren, und in seinem Inneren frohlockte es: »Am Ende stirbt er, ehe er der Stadt mit seinen Enthüllungen kommen kann!«

Aber die Vorsicht gebot ihm, noch weiter in Frau Jost zu dringen und dieser zu sagen, daß er auch mit ihr verhandeln könne.

Sie führte ihn in das bescheidene Wohnzimmerchen.

Als Paul eintrat, dachte er:

»Viel ist ja hier nicht zu holen, aber der Arme hängt an dem Wenigen, was er besitzt, mit doppelter Zähigkeit.«

Nachdem ihn Frau Jost gebeten, wegen des im Nebenzimmer liegenden Kranken so leise wie möglich zu sprechen, begann Paul:

»Sie wissen, daß ich Ihnen stets mein Entgegenkommen gezeigt habe, Frau Doktor, während mich Ihr Mann, aus welchem Grunde weiß ich nicht, mit seiner Feindschaft und seinem Hasse verfolgt. Sie wissen, daß es in meine Hand gegeben ist, Ihnen den Gerichtsvollzieher zu schicken und Sie samt Ihrem Mann und den Ihren auf die Straße zu setzen, denn dieses Haus ist mein Eigentum, und die Miete bereits zum dritten Male nicht bezahlt. Und ich werde es tun! Ich werde Ihnen den letzten Stuhl wegpfänden lassen, glauben Sie mir, daß das mein Ernst ist, wenn sich Ihr Mann nicht zu einem Waffenstillstand mit mir entschließt. Er kündigt Enthüllungen über mich in seinem »Echo« an, er will ein großes Projekt, das ich seit Jahren nicht um meinet-, sondern um der Stadt willen vorbereite, zu Fall bringen. Bei der Liebe zu Ihnen und seinen Kindern sagen Sie ihm, daß ich keine Schonung kenne, wenn dieser Artikel im »Echo« erscheint, wenn er sich nicht verpflichtet, von der entscheidenden Sitzung der Stadtverordneten fernzubleiben. Das bringen Sie ihm bei! Wenn ihm sein Fanatismus und sein Haß gegen mich heiliger sind, als seine Liebe und sein Pflichtgefühl Ihnen und den Kindern gegenüber, dann mag er tun, was er will, und sich selber die Folgen zuschreiben, wenn ich als Besitzer dieses Hauses das Meinige tue!«

Frau Jost zitterte an allen Gliedern.

»Sie haften mir dafür, Frau Doktor«, vollendete nun Paul im Gehen. »Mir steht kein anderes Mittel zur Verfügung, als dieses äußerste, und ich werde zu diesem Mittel greifen, sobald Ihr Mann noch einen einzigen Schritt zur Vernichtung meiner politischen Pläne unternimmt.«

Schon war er die Treppen hinunter.

Sie war verzweifelt. Sie betete. Und in ihr Gebet mischte sich der Wunsch: »Laß ihn nicht eher zu Kräften kommen, Himmel, als bis dieser Kelch an uns vorüber gegangen ist.«


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