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II.

Zerrissen von einander widersprechenden Gefühlen, von seinen Wünschen bald hierhin bald dorthin getrieben, lebte Paul in Peters Hause als Konditorgehilfe die entscheidenden Tage seiner Jugend dahin.

Bald war es ihm, als müsse er das auf den Bildern in den Korridoren Geschaute in Wirklichkeit sehen, als müsse er ferne große Städte besuchen, Länder bereisen, Meere durcheilen, um ein in seinem Innersten gefestigter und zufriedener Mensch zu werden. Und bald in anderer Stimmung und Meinung, in stillen und ernsten Stunden dachte er so ganz anders.

Oft, wenn er des Abends, ohne gleich den Schlaf finden zu können, in seinem Bette lag, streckte und dehnte er die jungen Glieder in einem ihm selber fast unverständlichen Wohlbehagen, und der eine Gedanke »Heimat, Heimat« wollte ihn nicht lassen.

Jahre eilten dahin, Jahre der Zukunft, und voll köstlicher Zufriedenheit sah er sich dann immer noch in dem alten Hause am Ritterwall. Agathe hatte ihm die Hand gereicht, sie wollte seine Hand nimmer lassen, die er fest und sicher in die ihre gelegt.

Agathe! In seinen weitausblickenden Zukunftsträumen, denen er sich in solchen stillen Stunden des Wohlbehagens und der Sicherheit überließ, war sie nicht mehr das kleine Schulmädchen, für das er sich, noch ein Gymnasiast, begeistert hatte, war sie nicht mehr das siebzehnjährige Hausmütterchen, als das sie jetzt den lieben und langen Tag im Lenzschen Hause treppauf und treppab eilte. O, nein! Eine behäbige und rundliche Bürgersfrau, aber immer noch von bezaubernder Liebenswürdigkeit und Schönheit, stand sie in solchen stillen Stunden an seiner Seite, saß sie ihm gegenüber am Tische, die Höschen für den Ältesten und das Röckchen für die Jüngste stopfend, und er war, wußte er doch selber nicht wieso und auf welche Weise, der Herr in diesem Hause geworden, das ihm, noch einem halben Knaben, seine gastlichen Pforten geöffnet hatte. Denn trotz aller Träume von Paris und der großen Welt, trotz der Sehnsucht nach der Ferne, Paul war seinem innersten Wesen nach der Mensch, der nur mit den gegebenen Verhältnissen rechnet, für den es in diesem Leben eigentlich nur einen Weg, nämlich den durch diese Verhältnisse vorgezeichneten, gibt.

Aus freiem Entschlusse, um endlich dem verhaßten Zwang des Gymnasiums zu entlaufen, war er in die Lenzsche Konditorei eingetreten, und wenn er sich die Sache reiflich und gründlich überlegte, dann lagen die Verhältnisse hier im Hause so günstig, wie sie kaum irgendwo anders hätten liegen können.

Er liebte Agathe. Seit seinen Kinderjahren, seitdem sich überhaupt zum ersten Male eine solche Empfindung in seinem Inneren geregt hatte, war sein Blick auf die Schwester des Freundes gefallen, die hier im Hause so selbstverständlich an seiner Seite ging, als ob Himmel und Schicksal selber dieses Mädchen für ihn geschaffen hätten.

Und sie schien überhaupt keinen anderen Wunsch und keinen anderen Gedanken zu haben, als den einen, daß sie dereinst, wenn die Zeit gekommen sei, Pauls Frau werden und weiter an seiner Seite in dem alten Hause am Ritterwall schalten und walten würde.

Und seltsam, an den Freund und den Bruder, an Konrad, dachten sie alle beide nicht. Es war, als ob die beiden in Konrad, dem einzigen Sohne und mithin dem eigentlichen Erben des väterlichen Geschäftes, nichts weiter als eine vorübergehende Erscheinung sähen.

Und Konrad selber war daran schuld. Die Freundschaft der Sekundaner, die einst auf der Schule eine schier unzerreißbare gewesen, hatte nicht stand gehalten. In stillen Stunden der Selbstbetrachtung, wenn sich das jugendliche Gewissen regte, kam sich Paul Konrad gegenüber wie ein frecher Eindringling vor. Die Offenheit dem jugendlichen Kameraden gegenüber war plötzlich von ihm genommen von dem Tage an, da er sich zum ersten Male dem Traum des ungeschmälerten Besitzes an der Seite Agathes in seiner jugendlichen Phantasie überlassen hatte.

Und seltsam, alle äußeren Umstände schienen der Verwirklichung dieses kühnen Traumes in die Hände zu arbeiten.

Konrad interessierte sich nicht für das Geschäft. Am Anfang hatte Peter kein Pardon gegeben, hatte er dem Sohne den Brotkorb und den Hausschlüssel höher gehängt. Aber bald sah er ein, daß er damit nur das Gegenteil von dem bezweckte, was er hatte erreichen wollen, und so gab er, langsam willensschwach geworden, nach.

Mit Blindheit schien Konrad geschlagen zu sein, und blind schien er durch die Welt zu gehen, sonst hätte er schon bemerken müssen, wie Schwester und Freund, fast noch zwei Kinder, begierig die Hände nach dem Seinen streckten, wie der Vater sich nichts mehr um ihn kümmerte, und wie das Ruder, das er einstmals hätte ergreifen sollen, noch ehe er auch nur den Anfang dazu gemacht hatte, schon seinen Händen entglitt.

Aber Konrad fühlte das nicht. Er sah nicht, daß Peter seine geschäftlichen Angelegenheiten und Pläne am liebsten mit Paul besprach und ihn selber gar nicht mehr zu Rate zog, er sah weder Pauls noch Agathes leuchtende Blicke, wenn von einer Erweiterung der Konditorei, von neuen Beziehungen und Absatzquellen die Rede war. Es schien in der Tat, als ob ihn der Besitz, den er doch einstmals nach des Vaters Tode als den seinen übernehmen sollte, gar nicht interessiere, als ob er nicht das geringste Verständnis dafür hätte, daß hier ein Fremder, ein Eindringling vor der Tür seines eigenen Hauses stand, einer, den Vater und Schwester in der gleichen Weise begünstigten, und der nur eines schönen Tages die Hand auszustrecken brauchte, um mit einem einzigen, kühnen Griffe alles an sich zu reißen.

Als sich die Lehrzeit der beiden jungen Leute allmählich ihrem Ende zuneigte, fühlte sich Konrad der väterlichen Zucht so gut wie entwachsen, indessen sich Paul von Tag zu Tag enger an Peter und Agathe anschloß.

Die Sehnsucht in die Ferne und seine romantischen Zukunftspläne waren plötzlich wie ausgelöscht in Pauls Innerem fast von dem Augenblicke an, da er bei Peter mit der Herstellung seines Erkermodells den ersten geschäftlichen Triumph davongetragen hatte, und da er sah, daß Konrad alles Zeug in sich trug, um von ihm gleich einer Drohne langsam aber sicher beiseite geschoben zu werden.

Als Konrad das achtzehnte Lebensjahr vollendete, hatte sich aus ihm ein blasierter Lebejüngling entwickelt. Das väterliche Geld, dessen er stets habhaft zu werden wußte, verfehlte seine Wirkung auf den unerfahrenen und leichtsinnigen jungen Menschen nicht.

Paul wußte, daß Konrad in schlechte Gesellschaft geriet, und er ließ ihn gewähren, ja er erleichterte ihm seine Ausschweifungen, indem er einen Teil seiner Arbeit übernahm.

Es gefiel ihm, in den Augen Peters und Agathes als der brave Sohn dazustehen, den man Konrad gegenüber immer als den Musterknaben ins Feld führte, und so sich sicher in Herzen und Sinne derer einzunisten, von denen er wußte, daß sie Besitz und Schicksal seiner Zukunft in ihren Händen hielten. An den Abenden und des Sonntagnachmittags, wenn Konrad zusammen mit Gleichgesinnten seinen Vergnügungen nachging, befand sich Paul in Gesellschaft von Vater und Tochter und wurde so von selber der Ersatz für den wirklichen Sohn und Bruder, der sich den Seinen geflissentlich entzog.

Und was man früher immer von Seiten Pauls erwartet hatte, das ereignete sich eines schönen Tages von Seiten Konrads. Er erschien in Peters kleinem Bureau und erklärte diesem, seine Lehrzeit sei jetzt um, der Vater solle ihm Geld geben, er wolle hinaus auf die Wanderschaft, Haus und Stadt seien ihm schon lange zu enge geworden, draußen in der Fremde wolle er sein Glück versuchen. Und Peter, der wohl der Meinung sein mochte, der Junge könne sich nur draußen unter anderen Verhältnissen und bei fremden Menschen die Hörner ablaufen, gab nach.

Konrad zog in die Fremde und Paul blieb im Hause.

Wenn Paul jetzt einmal eine Bemerkung fallen ließ, daß auch er bald daran denken müsse, den Wanderstab zu ergreifen, wenn er bei Tische oder sonst bei einer Gelegenheit, wenn die Familie beisammen saß, sagte, daß die schönen Tage im Lenzschen Hause nun gezählt seien, dann sah ihn Agathe traurig und erstaunt aus großen Augen an und Peter erklärte bestimmt, daß unter den gegebenen Verhältnissen an eine Abreise Pauls gar nicht zu denken sei, da Konrad das väterliche Geschäft im Stiche gelassen und Paul jetzt der einzige wäre, den man von all den Gehilfen im Hause mit zu der Familie zählen könne.

So wurde er von Seiten des Vaters und der Geliebten an dieses Haus gebunden, dem der einzige Sohn in jugendlichem Leichtsinne und Übermute den Rücken gekehrt hatte. Es war, als wenn seine Verlobung mit Agathe noch unausgesprochen bereits existiere, und das Mädchen selber hatte eine ganz seltsame Art, ihn durch eine wunderliche Vertraulichkeit von Tag zu Tag fester an sich zu fesseln.

Es war eine Philisterehe, die der noch nicht zwanzigjährige Paul und die damals neunzehnjährige Agathe miteinander eingingen, schon lange, bevor sie sich körperlich berührt hatten.

Als wenn sie schon jetzt unlöslich zueinander gehörten, wurden die Sorgen und Hoffnungen der Zukunft von den beiden gemeinsam getragen und besprochen. Als wenn sie schon jetzt seine Frau sei, kümmerte sich Agathe um jede Kleinigkeit, die Paul anging. Sie besorgte seine Wäsche, stopfte seine Strümpfe, besserte seine Kleider. Sie ward ihm unentbehrlich. In allen Kleinigkeiten des Lebens fragte er Agathe um Rat.

So wuchs Paul, als wenn es die Bestimmung des Schicksals sei, hinein in dieses Haus, so ward er ihr Geschöpf, lange bevor er sich darüber klar geworden, ob er dieses Mädchen, das für ihn Besitz und Zukunft in den Händen hielt, wirklich zu seiner Frau machen sollte oder nicht.

Mit Konrads Abreise hatte sich plötzlich eine fast unheimliche Stille des Lenzschen Hauses bemächtigt. Zwar lärmten die Konditoren, Gehilfen und Lehrlinge nach wie vor in den weiten Räumen des Geschäftes, aber es war, als wenn der fröhliche Geist der Jugend mit dem davonziehenden einzigen Sohne diesem Hause für immer den Rücken gekehrt habe.

Konrad hatte das Leben genossen. Er hatte hie und da fröhliche Gesellschaft in dieses Haus gebracht, junge Leute, seine Sportsfreunde, von denen mancher in der stillen Hoffnung, das einzige Töchterchen des reichen Konditors für sich zu gewinnen, Agathe den Hof gemacht hatte, ohne daß diese auch nur im geringsten in ihrer Treue zu Paul wankend geworden wäre.

Nun war das alles ganz anders geworden. Konrad weilte in der Ferne. Und des Abends saßen in dem trauten Eßzimmer des alten Hauses drei seltsame, leise miteinander flüsternde Menschen beisammen, deren unausgesprochene Gedanken sich suchten und fanden, drei Menschen, von denen ein jeder so etwas wie eine niemals eingestandene Gewissensschuld mit sich herumtrug.

Das Maßlose des Vaters war ein Teil von Konrads Erbschaft geworden, aber nicht in dem Sinne Peters, der Besitz und Ausbau einer neuen Stadt mit Hilfe seiner geschäftlichen Erfolge erträumte, sondern vielmehr das Maßlose im Sinne dessen, der sich plötzlich über Geburt und Herkunft erheben, der den Unterschied der Stände überspringen und der nicht als viel Geld verdienender Konditor, sondern als Mann von hohen Ämtern und Würden zu Ruhm und Ansehen gelangen will.

Eigenwillig und widerspenstig, selbstherrlich und rücksichtslos war Konrad geworden. Und so war er nicht der Mensch, um sich als Zwanzigjähriger noch einmal anzustrengen, sich die halbvergessenen Gymnasiastenkenntnisse wieder anzueignen und weiter und weiter zu lernen, bis ihm die Möglichkeit zur Nachholung des Abiturientenexamens gegeben war, mit dem er allein seinen stolzen Plan, Jurist und Korpsstudent zu werden, hätte verwirklichen können. Ein Entwurzelter, der sich selber aus dem festen Boden des väterlichen Geschäftes herausgerissen, war er nun hineingestoßen in den Wirbel des rücksichtslosen und egoistischen Lebens, und dort, wo er hinwollte, vermochte er wegen der ihm mangelnden amtlichen Beglaubigung keinen festen Fuß zu fassen.

Voll banger Sorge schweifte so das Auge des Vaters in die weite Ferne. Aber auch Peter war viel zu eigenwillig, um dem Sohne, der das väterliche Geschäft zu verachten schien, in diesem Punkte nachzugeben, und so wandten sich seine Gedanken wie von selber zu den beiden ihm gegenüber am heimatlichen Tische Sitzenden, und sein Sinn versenkte sich auf Kosten des Vertriebenen, des Ausgestoßenen in den goldenen Traum von Agathes wolkenloser Zukunft an Pauls Seite.

In solchen zusammen mit Agathe und dem Vater verbrachten Abendstunden war es Paul ganz seltsam zumute. Wie ein Verbrecher, wie ein Dieb und Heuchler kam er sich vor. Er schien sich einer, der hier mit vollem Bewußtsein ausharrte, der sich unentbehrlich machte, um eines schönen Tages mit der Hand der Tochter die ganze Beute an sich zu reißen und so das zu nehmen, was einem anderen zukam. Er war hier der Jakob, der seinen Bruder Esau wissentlich für ein Linsengericht um das Recht seiner Erstgeburt hinterging.

Wenn er diesen Gedanken faßte, dann schämte er sich. Aber ein Blick auf das Gesicht Agathes, ein Gedanke an all die Schätze, die dieses alte Haus am Ritterwall für ihn in seinem Schoße barg, ließen die Stimme des Rechts, das Gefühl des Mitleids mit Konrad, in seinem Herzen verstummen.

Und Agathe selber kam diesem seinem Gedanken, der ihn von Tag zu Tag schicksalssicherer beherrschte, zu Hilfe.

Noch war kein Wort der Liebe, keine Andeutung einer Erklärung zwischen diesen beiden jungen Menschen gewechselt worden. Und dennoch, beide wußten, daß nur dieser eine Plan sie unausgesetzt beschäftigte, den arglos und voll göttlichen Leichtsinnes in der Ferne weilenden Freund und Bruder für immer aus dem väterlichen Hause zu vertreiben.

Konrad hatte sich nach München gewandt. In den ersten Monaten seines Fernseins trafen viele Briefe von ihm ein. An den Vater und an Agathe, Briefe, in denen er niemals vergaß, Paul grüßen zu lassen, in denen er sich aber auch über den Hinterdemofenhocker weidlich lustig machte.

Diese Briefe, die Agathe ihm regelmäßig zu lesen gab, reizten Paul. Die Tatsache, daß Konrad in ihm auch nicht die geringste Gefahr für sich und seine Zukunft zu wittern schien, ärgerte ihn und ließ in seinem Kopfe den Gedanken an das, was er eigentlich vor hatte, nur desto sicherer zur Reife kommen.

Freilich, wie er es anfangen würde, das zu erreichen, was ihm als ein unbestimmter Traum von Glück und Macht vorschwebte, wußte er noch nicht. Sicher war nur das eine, daß er eines schönen Tages, wenn seine Stunde gekommen, vor den Vater Peter hintreten und diesen um die Hand Agathes bitten würde, daß er dann als Schwiegersohn darauf bestehen würde, Teilhaber des Lenzschen Geschäftes zu werden.

Aber weiter, weiter! Ein Teilhaber war noch kein Besitzer, und Konrad! War nicht ewig die Gefahr vorhanden, daß der eines Tages wieder auf der Bildfläche erschien und das Seine von ihm forderte, wenn er draußen in der Fremde zu der Erkenntnis gelangt war, wie viel leichter einem Menschen das Verlieren seines Besitzes als der Erwerb des Neuen gemacht wird.

Dunkel und verworren lebten alle diese Vorstellungen in Pauls Innerem. Und es war ihm, als wenn Agathe alle diese Gedanken lesen könne und als ob sie diese Gedanken gutheiße in dem Wunsche, alleinige Herrin dieses Hauses und dieses Geschäftes zu werden, ohne weiter nach dem Bruder, dem doch hier mindestens die gleichen Rechte wie ihr selber zustanden, fragen zu müssen.

Fast ein ganzes Jahr weilte Konrad jetzt in der Fremde, und zu Hause am Ritterwall war eine äußerliche Veränderung der Verhältnisse noch nicht eingetreten. Paul und Agathe warteten. Es war, als ob irgendein unvorhergesehenes Ereignis, irgend etwas Furchtbares und Ungeahntes kommen müßte, um die beiden ihrem Ziele näher zu bringen.

Aber nichts geschah. Alle vierzehn Tage schrieb Konrad vergnügt und heiter aus München, wo er sich nach einigen vergeblichen Bemühungen, in einem höheren Berufe heimisch zu werden, wohl oder übel in einer Konditorei am Promenadeplatz eine Stellung verschafft hatte.

Zunächst hatte es Konrad, da ihm die juristische Laufbahn wegen des mangelnden Abiturientenexamens ein für allemal verschlossen war, mit der Malerei versuchen wollen. Er verfügte über ein nicht zu verachtendes zeichnerisches Talent, und das billige und gemütliche München mit seiner Kunstakademie war so recht der Ort, wo er sich seiner Ansicht nach hätte vorwärts bringen können.

Aber Peter, dem er in langen Briefen diese seine Absicht auseinandergesetzt, blieb hart. Er verweigerte dem einzigen Sohne, der als Konditor ausgelernt hatte und dem nun vornehme Schrullen zu Kopfe gestiegen seien, jegliche pekuniäre Unterstützung, und die von Agathe heimlich und hinter dem Rücken des Vaters nach München gesandten Groschen reichten für ein regelmäßiges Studium nicht aus. So legte denn Konrad den Zeichenstift, Pinsel und Palette wieder beiseite und trat damals in einem Café in Beziehung zu einem jungen Literaten, der gerade in der Türkenstraße ein Kabarett aufgemacht hatte.

Konrad verfügte über eine schöne Stimme und ein glänzendes Gedächtnis. Seine hübsche jugendliche Erscheinung imponierte dem Publikum, und es wäre alles gut gegangen, wenn sich nicht zwei Monate nach Eröffnung des Kabaretts zur »Zauberwurzen« die Polizei ins Handwerk gelegt und dem Etablissement die Konzession entzogen hätte. Was ihnen auf der Bühne nicht erlaubt worden war, versuchten die beiden jetzt mit Gründung eines Witzblattes. Konrad lieferte die Zeichnungen und der andere machte die entsprechenden Glossen dazu. Aber schon einen Monat nach Erscheinen der ersten Nummer sahen sich die jungen Leute außerstande, die Druckkosten für das Blatt zu bezahlen, und Konrad kehrte wohl oder übel in die Konditorbranche zurück, aus der er hervorgegangen war, während sein Freund einen Reporterposten bei dem General-Anzeiger annahm und nun unter dem Vermischten über Schlägereien und Zusammenstöße von Straßenbahnwagen berichtete.

Es war Konrad nicht gelungen, Eintritt in die höheren Kreise Münchens zu erlangen, und so sah er sich denn eines schönen Tages voll tiefer Scham, die weiße Zuckerbäckermütze auf dem Kopfe, eine Prinzregententorte in den Händen, durch die Maximilianstraße gehen, denn Meister Reutter, bei dem er in Stellung getreten, war ein gestrenger Herr und scheute sich nicht, seine Gehilfen auch gelegentlich als Ausgeher zu verwenden, wenn es im Geschäfte viel zu tun gab.

In diesen Wochen, da Konrad die Ausübung des väterlichen und in der Heimat erlernten Gewerbes aufs neue übernommen hatte, erwachte in seinem Herzen zum ersten Male wieder die Sehnsucht nach dem, was er verlassen. Er war doch ein rechter Narr, sagte er sich ein über das andere Mal, daß er aus purem Eigensinn und Trotz die sichere Zukunft im Geschäfte seines Vaters aufs Spiel setzte und hier in dem großen München fremden Leuten die gleichen Dienste leistete, die er daheim für sich selber versehen hätte.

Schon war er drauf und dran seinem Meister zu kündigen, sein Bündel zu packen und die Heimat wieder aufzusuchen, aber da bemächtigte sich seines Innersten ein seltsamer Trotz. Nein, die zu Hause, die noch niemals, auch nicht in einem einzigen Briefe, den Wunsch, ihn wiederzusehen, ihn wieder für sich zu haben, geäußert hatten, sollten nicht triumphieren. Er dankte dafür, das Gänschen zu sein, das über den Rhein geflogen war und als Gigack wieder heim kam … und so biß er die Zähne aufeinander und blieb.


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