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Fünftes Kapitel
Ein Gespräch zwischen Northmour, Clara und mir

Mit der ersten Dämmerung zog ich mich aus dem freien Felde in meinen alten Hinterhalt zwischen den Dünen zurück, um dort auf Clara zu warten. Der Morgen war grau, stürmisch und trüb, aber bevor noch die Sonne aufging, legte der Wind sich etwas, dann schlug er um und wehte nur stoßweise von der See her. Die Wogen gingen nicht mehr so hoch, aber der Regen strömte immer noch unbarmherzig vom Himmel hernieder. In der ganzen Dünenwildnis war kein lebendes Geschöpf zu sehen. Trotzdem war ich überzeugt, daß die ganze nächste Gegend von versteckten Feinden scharf beobachtet wurde. Das Licht war so überraschend plötzlich auf mein Gesicht gefallen, als ich in meiner Kuhle schlafend lag. Dieser Umstand und der Hut, der vom Winde über Graden Floe getrieben worden war – das waren zwei sprechende Anzeichen von der Gefahr, die Clara und die Leute im Dünenhause umlauerte.

Es war vielleicht halb acht oder sogar schon näher an acht Uhr, als ich endlich die Tür sich öffnen und die liebe Gestalt im Regen auf mich zukommen sah. Ich erwartete sie bereits auf dem Strand, bevor sie noch an den Dünen vorbei war.

»Es hat mir solche Schwierigkeiten gemacht, zu Ihnen zu kommen!« rief sie mir entgegen; »sie wollten nicht, daß ich in den Regen hinausginge.«

»Clara,« sagte ich, »Sie haben Angst!«

»Nein,« antwortete sie, mit einer Einfachheit, die mein Herz mit Vertrauen erfüllte. Denn mein Weib war die beste nicht nur, sondern auch die tapferste aller Frauen; nach meinen Erfahrungen sind diese beiden Eigenschaften sonst nicht miteinander vereinigt; aber bei ihr waren sie's; sie verband den höchsten Mut mit den köstlichsten und schönsten Tugenden.

Ich erzählte ihr, was sich ereignet hatte, und obwohl ihre Wange sichtlich erbleichte, behielt sie sich vollkommen in der Gewalt.

»Sie sehen jetzt, daß ich vollkommen in Sicherheit bin,« sagte ich zum Schluß. »Sie haben nicht die Absicht, mir etwas zuleide zu tun; denn wenn sie das gewollt hätten, war ich diese Nacht ein toter Mann.«

Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und rief:

»Und mir hat mein Gefühl nichts gesagt!«

Der Ton, in dem sie diese Worte sprach, durchschauerte mich mit Entzücken. Ich legte meinen Arm um sie und zog sie an mich, und bevor wir beide noch daran dachten, lagen ihre Hände auf meinen Schultern und meine Lippen auf ihrem Munde. Und doch war bis zu dem Augenblick kein Wort von Liebe zwischen uns gewechselt worden. Bis auf den heutigen Tag erinnere ich mich der Berührung ihrer Wange: sie war vom Regen kalt und naß, und gar oft seitdem hab ich, wenn sie sich gewaschen hatte, wieder ihre nasse Wange geküßt und dabei an jenen Morgen am Strande gedacht. Jetzt, da sie von mir genommen ist und ich allein und einsam durch die Welt pilgere, bis es zu Ende ist, denk ich an unsere Liebkosungen von einst und an die tiefe ehrliche Zärtlichkeit, die uns vereinte, und der Verlust, den ich erlitt, erscheint im Vergleich damit nur als eine Kleinigkeit.

So mögen wir wohl einige Sekunden gestanden sein – den Liebenden vergeht die Zeit gar schnell – da wurden wir von einem schallenden Gelächter aus nächster Nähe aufgeschreckt. Es war kein natürlich heiteres Lachen, sondern scheingeheuchelt zu sein, um ein zorniges Gefühl zu verbergen.

Wir drehten uns beide um; doch ließ ich meinen Arm um Claras Hüften liegen, und sie suchte sich mir nicht zu entwinden. Und da stand, ein paar Schritte von uns entfernt, auf dem Strande Northmour – den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, die Nüstern weiß vor Leidenschaft.

»Ah! Cassilis!« sagte er, als ich ihm mein Gesicht zuwandte.

»Eben der,« sagte ich ganz ruhig; denn ich war nicht im geringsten aus der Fassung gebracht.

»Auf diese Weise also, Fräulein Huddlestone,« fuhr er langsam, aber wütend fort, »auf diese Weise halten Sie Ihrem Vater und mir die Treue? Solchen Wert legen Sie auf Ihres Vaters Leben? Und so vernarrt sind Sie in diesen jungen Herrn, daß Sie jede Rücksicht auf Gefahr, auf Anstand und auf gewöhnliche menschliche Klugheit außer acht lassen –«

Fräulein Huddlestone – wollte ich ihn unterbrechen; aber jetzt brach plötzlich seine Wut los; er ließ mich nicht zu Worte kommen und schrie mich an:

»Halte du deinen Mund! Ich spreche mit dem Mädchen!«

»Das Mädchen, wie du sie nennst, ist mein Weib!« sagte ich; und Clara schmiegte sich bei diesen Worten nur noch inniger an mich an, und so wußte ich, daß sie meinen Worten beistimmte.

»Dein, was?« schrie er. »Du lügst!«

»Northmour,« sagte ich; »wir wissen alle, daß du ein aufgeregter Mensch bist; ich dagegen lasse mich durch Worte niemals aus meiner Ruhe bringen. Trotzdem rate ich dir, leiser zu sprechen; denn ich bin überzeugt, daß wir nicht allein sind.«

Er sah sich um, und es war deutlich zu bemerken, daß seine Leidenschaftlichkeit sich etwas besänftigt hatte.

»Was meinst du damit?« fragte er.

Ich antwortete nur:

»Italiener!«

Er stieß einen lauten Fluch aus und sah erst mich, dann Clara an.

»Herr Cassilis weiß alles, was ich weiß,« sagte mein Weib.

»Ich möchte wissen,« brach er los, »woher zum Kuckuck Herr Cassilis kommt, und was zum Kuckuck Herr Cassilis hier tut. Sie sagen, Sie seien mit ihm verheiratet – das glaube ich nicht! Wenn Sie es wären, würde Graden Floe bald die Scheidung besorgen – vier und eine halbe Minute, Cassilis! Ich habe meinen Privatfriedhof für meine Freunde.«

»Bei dem Italiener dauerte es etwas länger,« sagte ich.

Er sah mich einen Augenblick wie verblüfft an; dann bat er mich beinahe höflich, meine Geschichte zu erzählen.

»Du bist mir gegenüber zu sehr im Vorteil, Cassilis,« setzte er hinzu.

Natürlich erfüllte ich seinen Wunsch, er hörte mich, mit verschiedenen Ausrufen zwar, aber sonst ruhig an, als ich ihm erzählte, wie ich nach Graden gekommen war; daß ich es war, den er in der Nacht der Landung zu erstechen versucht hatte; und was ich später von den Italienern gesehen und gehört hatte.

»Nun,« sagte er, als ich fertig war, »jedenfalls ist es jetzt so weit – sie sind hier: daran ist nicht zu zweifeln. Und was, wenn ich fragen darf, gedenkst du jetzt zu tun?«

»Ich gedenke, bei euch zu bleiben und euch zu helfen,« sagte ich.

»Du bist ein tapferer Mann,« sagte er mit einer ganz besonderen Betonung.

»Ich habe keine Furcht,« antwortete ich.

»Wenn ich also richtig verstanden habe,« fuhr Northmour fort, »seid ihr zwei verheiratet? Und das sagen Sie mir ganz ruhig ins Gesicht, Fräulein Huddlestone?«

»Wir sind noch nicht verheiratet,« sagte Clara, »aber wir werden es sein, sobald es möglich ist.«

»Bravo! Und unsere Abmachung? Den Teufel noch mal – Sie sind nicht dumm, Frauchen! Da darf ich auch das Kind beim rechten Namen nennen. Wie steht's mit unserer Abmachung? Sie wissen so gut wie ich, daß Ihres Vaters Leben davon abhängt. Ich brauche nur meine Hände in die Hosentaschen zu stecken und davonzugehen, und ihm ist die Kehle abgeschnitten, bevor es Abend ist!«

»Ja, Herr Northmour,« sagte Clara mit großer Geistesgegenwart, »aber gerade das werden Sie niemals tun! Sie schlossen einen Handel ab, der eines Gentleman unwürdig war; trotzdem aber sind Sie doch ein Gentleman, und Sie werden niemals einen Menschen im Stich lassen, dem Sie zu helfen begonnen hatten!«

»Aha! Sie denken, ich werde meine Jacht umsonst hergeben? Sie denken, ich werde dem alten Herrn zuliebe Leben und Freiheit riskieren? Und dann zum Schluß wahrscheinlich auf der Hochzeit den Brautführer machen? Na,« setzte er nach einer kleinen Pause mit einem sonderbaren Lächeln hinzu, »vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht, aber fragen Sie nur Cassilis, der kennt mich. Bin ich ein Mann, dem man trauen kann? Bin ich zuverlässig und gewissenhaft? Bin ich gütig?«

»Ich weiß, Sie reden viel, und manchmal glaube ich, großen Unsinn,« erwiderte Clara; »aber ich weiß, Sie sind ein Gentleman, und habe nicht die geringste Furcht.«

Er sah sie mit einem eigentümlichen Ausdruck von Zustimmung und Bewunderung an; dann wandte er sich zu mir und sagte:

»Glaubst du, ich würde sie ohne Kampf aufgeben, Frank. Ich sage dir: sieh dich vor! Wenn wir das nächste Mal aneinandergeraten –«

»So wird dies das drittemal sein,« unterbrach ich ihn lächelnd.

»Allerdings, ganz recht! Ich hatte es vergessen. Na, aller guten Dinge sind drei.«

»Du meinst wohl, beim drittenmal wirst du die Mannschaft vom ›Red Earl‹ zu deiner Hilfe haben.«

»Hören Sie, was er sagt?« fragte er Clara.

»Ich höre zwei Männer wie Feiglinge reden,« sagte sie; »ich würde mich selbst verachten, wenn ich so spräche oder auch nur so dächte. Und keiner von Ihnen beiden glaubt ein Wort von dem, was er sagt; um so ruchloser und törichter ist solches Gerede.«

»Sie ist ein Staatsweib!« rief Northmour; »aber sie ist noch nicht Frau Cassilis! mehr sage ich nicht. Der Augenblick ist mir nicht günstig.«

Plötzlich sagte Clara zu meiner Überraschung:

»Ich lasse die Herren allein. Mein Vater ist schon zu lange allein gewesen. Aber denken Sie beide an eines: Sie müssen Freunde sein; denn Sie sind beide meine guten Freunde.«

Sie hat mir später gesagt, warum sie so handelte: solange sie geblieben wäre, hätten wir beide miteinander gestritten.

Und ich glaube, sie hatte recht; denn kaum war sie gegangen, so begannen wir mit einer gewissen Vertraulichkeit zueinander zu reden.

Northmour starrte ihr nach, als sie über die Düne ging, stieß einen Fluch aus und rief:

»Sie ist das einzige Weib auf der Welt! Sieh, wie sie geht!«

Ich ergriff sofort diese Gelegenheit, um etwas mehr Aufklärung zu erhalten, und sagte:

»Höre mal, Northmour! Wir sind doch alle in der Klemme, nicht wahr?«

»Das will ich glauben, mein Junge!« antwortete er mit Nachdruck, indem er mir in die Augen blickte. »Die ganze Hölle ist gegen uns losgelassen – das ist die nackte Wahrheit. Du magst mir glauben oder nicht – aber habe Angst um mein Leben.«

»Sage mir nur eines: was wollen sie eigentlich, diese Italiener? Was verlangen sie von Huddlestone?«

»Das weißt du nicht?« rief Northmour. »Der alte Schuft hatte Gelder von den Carbonari in Aufbewahrung – zweihundertundachtzigtausend Pfund. Natürlich verspielte er die an der Börse. Es sollte eine Revolution im Trentino stattfinden oder in Parma; aber die Revolution wurde natürlich zu Wasser, weil das Geld nicht mehr da war, und das ganze Wespennest ist jetzt hinter Huddlestone her. Wir können sehr froh sein, wenn wir unsere Haut retten.«

»Die Carbonari,« rief ich aus; »dann allerdings mag Gott uns gnädig sein!«

»Amen! Und nun, hör: Ich habe dir gesagt, wir sind in der Klemme, und offen gestanden: ich bin froh, wenn du uns helfen willst. Wenn ich Huddlestone nicht retten kann, möchte ich wenigstens das Mädchen retten. Komm mit mir ins Dünenhaus und bleibe bei uns! Hier meine Hand darauf: ich werde als dein Freund handeln, bis der alte Mann entweder in Sicherheit oder tot ist. Aber,« setzte er hinzu, »sobald das abgemacht ist, bist du wieder mein Nebenbuhler. Ich warne dich: nimm dich in acht!«

»Topp!« rief ich; und wir schüttelten uns die Hände.

»Nun wollen wir sofort in unsere Festung gehen!« sagte Northmour; und er ging durch den Regen mir voran.


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