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Drittes Kapitel
Ich mache die Bekanntschaft meiner späteren Frau

Zwei Tage lang schlich ich um das Dünenhaus herum, wobei das durchschnittene Gelände mir sehr zustatten kam. Ich wurde ein Meister in der erforderlichen Taktik. Diese niedrigen Hügel und flachen Kuhlen, die ein ganzes Gebirge bildeten, wurden sozusagen ein Mantel der Finsternis für mich bei dieser Verfolgung, die vielleicht nicht ganz vornehm war, aber alle meine Gedanken beherrschte. Aber obgleich ich diesen Vorteil hatte, konnte ich über Northmour und seine Gäste nur wenig herausbringen.

Frische Lebensmittelvorräte wurden unter dem Schutz der Finsternis durch die alte Frau vom Herrenhause herangebracht. Northmour und die junge Dame gingen, zuweilen zusammen, meistens aber einzeln, eine Stunde oder auch vielleicht zwei an dem Strande bei dem Triebsandgrunde auf und ab. Ich mußte annehmen, daß dieser Spaziergang deshalb von ihnen gewählt worden war, weil er nur von der See her beobachtet werden konnte. Aber ich selber befand mich in einer nicht weniger ausgezeichneten Lage; denn unmittelbar an diese Stelle stießen die höchsten und zerklüftetsten Dünen an; und wenn ich mich platt auf den Leib legte, konnte ich Northmour oder die junge Dame auf ihren Spaziergängen beobachten.

Der große Mann schien verschwunden zu sein. Er überschritt nicht nur niemals die Schwelle, sondern ließ nicht einmal sein Gesicht an einem Fenster sehen, wenigstens konnte ich derartiges nicht bemerken. Allerdings wagte ich bei hellem Tage nicht über eine gewisse Entfernung hinaus mich dem Hause zu nähern, da man von dem oberen Stockwerk aus die Dünentäler überblicken konnte. Nachts aber, wenn ich mich näher heranwagen konnte, waren die Fenster des Erdgeschosses verbarrikadiert, wie wenn sie eine Belagerung auszuhalten hätten. Manchmal dachte ich, der große Mann müsse wohl bettlägerig sein, denn ich erinnerte mich, wie schwer ihm das Gehen gefallen war; manchmal aber dachte ich, er müsse überhaupt gänzlich wieder verschwunden sein, so daß also Northmour und die junge Dame allein miteinander das Dünenhaus bewohnten. Dieser Gedanke war mir sogar schon damals peinlich.

Ob nun die beiden Mann und Frau sein mochten oder nicht, so hatte ich jedenfalls reichliche Gründe zu der Annahme, daß sie nicht eben in freundlichen Beziehungen ständen. Obgleich ich niemals eines von ihren Worten hören konnte und nur selten einen bestimmten Ausdruck auf ihren Gesichtern zu erkennen vermochte, so war doch unverkennbar in ihrem ganzen Verhalten zueinander eine steife Förmlichkeit, woraus zu entnehmen war, daß sie entweder einander nicht näher kannten oder daß sie in Feindschaft lebten. Die junge Dame ging schneller, wenn sie mit Northmour war, als wenn sie allein war, und mir war klar, daß das Bestehen eines Liebesverhältnisses zwischen einem Mann und einem Weibe die Schritte eher verlangsamen als beschleunigen müßte. Außerdem hielt sie sich immer einen guten Schritt von ihm ab und trug ihren Schirm auf der Seite, die zwischen ihnen war, wie wenn sie ihn dadurch von sich abhalten wollte. Northmour suchte fortwährend näher an sie heranzukommen; und da das Mädchen ebenso immer zur Seite wich, so bewegten sie sich in einer Art Diagonale über den Strand und würden schließlich in die Brandung hineingeraten sein, wenn sie lange genug weitergegangen wären. Aber sobald es soweit war, wechselte das Mädchen in unauffälliger Weise seinen Platz, so daß Northmour zwischen sie und die See kam. Ich beobachtete diese Manöver mit freudiger Zustimmung und mußte unwillkürlich vor mich hinlachen, sooft ich wieder eine solche Bewegung vor sich gehen sah.

Am Morgen des dritten Tages ging sie eine Zeitlang ganz allein, und ich bemerkte zu meinem großen Kummer, daß mehr als einmal Tränen aus ihren Augen strömten. Wie man sehen wird, war mein Herz bereits mehr beteiligt, als ich selber glaubte. Sie ging mit festen, und doch leichten Schritten und trug ihr Haupt mit einer Anmut, die man sich nicht vorstellen kann; jeder Schritt war etwas Bewunderungswertes und ihr ganzes Wesen strömte in meinen Augen Lieblichkeit und Vornehmheit aus.

Es war ein ruhiger und sonniger Tag; die See war still, die Luft von einer scharfen und kräftigen Würze erfüllt. Das schöne Wetter verlockte sie offenbar, noch einen zweiten Spaziergang zu machen, was sie sonst nicht zu tun pflegte. Bei dieser Gelegenheit wurde sie von Northmour begleitet, und sie waren erst eine kurze Weile auf dem Strande gewesen, da sah ich, wie er mit Gewalt ihre Hand an sich riß. Sie sträubte sich und stieß einen Schrei aus, der beinahe ein Kreischen war. Ich sprang auf, ohne daran zu denken, daß ich mich in einer zweifelhaften Lage befand; aber bevor ich noch einen Schritt gemacht hatte, sah ich, wie Northmour den Hut abnahm und eine sehr tiefe Verbeugung machte, wie wenn er sie um Entschuldigung bäte. Da duckte ich mich sofort wieder in meinen Hinterhalt.

Sie wechselten noch ein paar Worte; dann machte er abermals eine Verbeugung, verließ den Strand und ging in das Dünenhaus zurück. Er kam dicht an mir vorüber, und ich konnte sehen, daß sein Gesicht gerötet war und daß er düster vor sich hinblickte, während er zornig mit seinem Stock in die Gräser hieb. Nicht ohne Genugtuung sah ich die Spur meiner Hand in einer derben Schramme unter seinem rechten Auge, dessen Höhle in beträchtlicher Ausdehnung von einer braun und blauen Stelle umgeben war.

Eine Zeitlang blieb das Mädchen auf der Stelle stehen, wo er sie verlassen hatte, und sah über das Inselchen hinüber auf die leuchtende See hinaus. Dann raffte sie sich plötzlich auf, wie ein Mensch, der einen Gedanken von sich abschüttelt und sich zusammennehmen will, und ging mit schnellen, entschlossenen Schritten den Strand entlang. Sie war offenbar über das soeben Vorgefallene sehr aufgebracht. Sie hatte vergessen, wo sie war. Denn ich sah sie stracks auf den Triebsand losgehen, und zwar gerade auf die Stelle, wo er am gefährlichsten ist. Noch zwei oder drei Schritte, und ihr Leben wäre in ernstlicher Gefahr gewesen. Da ließ ich mich an der sehr abschüssigen Düne heruntergleiten, lief auf sie zu und rief, sie solle nicht weitergehen.

Sie blieb stehen und drehte sich um. Keine Spur von Furcht war ihr anzusehen, und sie ging in der Haltung einer Königin gerade auf mich zu. Ich war barfuß und wie ein gewöhnlicher Matrose gekleidet, abgesehen davon, daß ich eine ägyptische Leibbinde trug. Wahrscheinlich hielt sie mich zuerst für irgendeinen Menschen aus dem Fischerdorf, der Angelköder suchte.

Als ich ihr zum erstenmal gegenüberstand, sah sie mich fest und gebieterisch an. Ich war von Bewunderung und Erstaunen erfüllt, und sie kam mir sogar noch schöner vor, als ich erwartet hatte.

Sie sah kühn und trotzdem mädchenhaft zurückhaltend aus und hatte etwas Eigenartiges und doch Anziehendes in ihrem Wesen. Ich war von Bewunderung ganz hingerissen.

»Was soll dies heißen?« fragte sie.

»Sie gingen geradeswegs in Graden Floe hinein.«

»Sie sind nicht aus dieser Gegend,« sagte sie wieder; »Sie sprechen wie ein gebildeter Mann.«

»Ich glaube, ich habe ein Recht auf solche Bezeichnung, obgleich ich in dieser Verkleidung bin.«

Aber ihr Frauenauge hatte bereits den ägyptischen Gürtel bemerkt, und sie rief:

»Oh! Ihre Leibbinde verrät Sie!«

»Sie haben den Ausdruck ›verrät‹ gebraucht. Darf ich Sie bitten, mich nicht zu verraten? Ich war um Ihretwillen genötigt, mich zu zeigen; aber wenn Northmour meine Anwesenheit erführe, so könnte das für mich mehr als unangenehm werden.«

»Wissen Sie, zu wem Sie sprechen?«

»Doch nicht zu Northmours Gemahlin?«

Sie schüttelte den Kopf. Diese ganze Zeit über sah sie mir so scharf ins Gesicht, daß es mich verlegen machte; plötzlich rief sie:

»Sie haben ein ehrliches Gesicht. Seien Sie so ehrlich wie Ihr Gesicht, mein Herr, und sagen Sie mir, was Sie wünschen und was Sie befürchten. Glauben Sie etwa, ich könnte Ihnen etwas zuleide tun? Ich glaube, Sie könnten viel eher mir schaden! Aber Sie sehen nicht unfreundlich aus. Was bedeutet das, was bezwecken Sie damit – Sie, ein Gentleman –, daß Sie wie ein Spion um diesen einsamen Ort herumschleichen? Sagen Sie mir – wen hassen Sie?«

»Ich hasse niemanden, und ich fürchte keinen Menschen, dem ich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe. Mein Name ist Cassilis – Frank Cassilis. Ich führe das Leben eines Landstreichers, weil es mir Spaß macht. Ich bin einer von Northmours ältesten Freunden, und als ich ihn vor drei Nächten hier in diesen Dünen anredete, stach er mich mit einem Messer in die Schulter.«

»Das waren Sie!« rief sie.

»Warum er dies tat,« fuhr ich fort, ohne ihren Zwischenruf zu beachten, »ist mehr, als ich erraten kann, und es ist mir auch gleichgültig. Ich habe nicht viele Freunde und bin überhaupt kein Mensch, der auf Freundschaft großen Wert legt; aber niemand soll mich durch Schreckmittel von einem Ort vertreiben! Ich hatte mein Lager im Strandwald von Graden, bevor er kam – ich lagere noch jetzt dort. Wenn Sie glauben, ich wolle Ihnen oder Ihren Angehörigen Böses tun, so haben Sie das Mittel dagegen in Ihrer Hand. Sagen Sie ihm, mein Lager sei in der Hemlork-Kuhle, und er kann mich diese Nacht in aller Sicherheit im Schlaf erstechen.«

Mit diesen Worten zog ich meine Mütze ab und kletterte wieder in die Dünen hinauf.

Ich weiß nicht, warum – aber ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, daß mir ein Unrecht angetan worden sei, und fühlte mich als Helden und Märtyrer, während ich auch tatsächlich kein Wort zu meiner Verteidigung sagen konnte, ja nicht einmal einen einleuchtenden Grund für mein Verhalten hätte angeben können. Ich war aus einer zwar natürlichen, aber eines Gentleman nicht würdigen Neugier in Graden geblieben; allerdings wuchs noch ein anderer Beweggrund außer diesem ersten allmählich heran, aber dieser zweite Grund war von der Art, daß ich ihn zu jener Zeit der Dame meines Herzens nicht gut hätte sagen können.

Soviel ist sicher: in dieser Nacht dachte ich an nichts anderes; und obgleich ihr ganzes Benehmen und ihre Lage verdächtig erschienen, konnte ich es doch nicht übers Herz bringen, an ihrer Ehrenhaftigkeit zu zweifeln. Ich hätte mein Leben darauf verwetten können, daß sie von jedem Tadel frei wäre, und daß die Aufklärung des Geheimnisses, wenn auch jetzt noch alles im Dunkeln läge, zutage bringen würde, daß sie mit vollem Recht und aus gebieterischen Gründen an diesen Ereignissen Anteil hätte.

Allerdings konnte ich, so sehr ich meine Phantasie anstrengte, mir auf ihre Beziehungen zu Northmour keinen Vers machen. Trotzdem war ich überzeugt, auf dem rechten Wege zu sein, wenn auch meine Schlußfolgerungen mehr instinktiv als vernunftgemäß waren. Und als ich mich an diesem Abend zum Schlaf ausstreckte, da legte ich sozusagen den Gedanken an sie unter mein Kopfkissen.

Am nächsten Tage kam sie ungefähr zur gleichen Stunde aus dem Dünenhause zum Vorschein. Sobald die Dünen sie vor Beobachtungen vom Hause her schützten, ging sie näher an diese heran und rief leise meinen Namen. Ich bemerkte mit Erstaunen, daß sie totenblaß war und sich offenbar in großer Aufregung befand.

»Herr Cassilis!« rief sie noch einmal, und das zum drittenmal: »Herr Cassilis!«

Ich erschien sofort und sprang von der Düne herab auf den Strand. Ein deutlicher Ausdruck von Erleichterung überzog ihr Antlitz, sobald sie mich sah.

»Oh!« rief sie in einem heiseren Ton, wie ein Mensch, dem eine schwere Last von der Seele genommen wird. Dann sprach sie weiter:

»Gott sei Dank, daß Sie noch heil und gesund sind! Ich wußte, Sie würden hier sein, wenn Sie noch am Leben wären.«

War dies nicht seltsam? So schnell und so weise bereitet nur die Natur unsere Herzen auf solche große Liebe vor, die ein ganzes Leben lang währt, daß meine spätere Frau sowohl wie ich schon am zweiten Tage unserer Bekanntschaft ein Vorgefühl hatten. Auch ich hatte trotz alledem gehofft, sie werde mich aufsuchen; und sie war überzeugt gewesen, sie werde mich finden.

»Bleiben Sie nicht,« fuhr sie hastig fort, »bleiben Sie nicht an diesem Ort! Versprechen Sie mir, daß Sie nicht länger im Walde dort schlafen werden. Sie wissen nicht, wie ich leide; diese ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich immer an Ihre Gefahr denken mußte.«

»Gefahr?« wiederholte ich. »Gefahr – von wem? Von Northmour?«

»Nicht doch! Glaubten Sie denn, ich würde nach dem, was Sie mir sagten, ihm etwas erzählt haben?«

»Nicht von Northmour? Aber von wem denn? Ich sehe keinen Menschen, vor dem ich mich zu fürchten brauchte.«

»Sie dürfen mich nicht fragen,« antwortete sie; »denn ich darf Ihnen nichts sagen. Aber glauben Sie mir doch, und entfernen Sie sich! Glauben Sie meinen Worten und gehen Sie schnell, schnell! Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«

Eine solche Aufforderung ist niemals dazu angetan, auf einen mutigen jungen Mann Eindruck zu machen. Ihre Worte bestärkten mich nur in meiner Hartnäckigkeit, und jetzt war es Ehrensache für mich, zu bleiben, wo ich war. Und gerade ihre Angst um mich bestärkte mich noch mehr in meinem Entschluß.

»Sie müssen mich nicht für neugierig halten, Madame,« antwortete ich; »ich will mich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen – aber, wenn Graden ein so gefährlicher Ort ist, so ist es wohl auch für Sie selbst gefährlich, hierzubleiben.«

»Sie und Ihr Vater –« fuhr ich fort; aber sie unterbrach mich mit einem fast atemlosen Ausruf:

»Mein Vater! Woher wissen Sie von ihm?«

»Ich sah Sie beisammen, als Sie landeten,« lautete meine Antwort; ich weiß nicht, warum, aber sie schien uns beiden befriedigend zu sein.

»Aber«, fuhr ich fort, »Sie brauchen keine Furcht vor mir zu haben. Ich sehe, daß Sie irgendeinen Grund haben, verborgen zu bleiben, und Sie können mir glauben: Ihr Geheimnis ist bei mir so sicher aufgehoben, wie wenn ich im Triebsand von Graden Floe läge. Ich habe seit Jahren kaum einmal mit einem Menschen ein Wort gesprochen; mein Pferd ist mein einziger Begleiter, und selbst dieses arme Tier ist augenblicklich nicht bei mir. Sie können sich auf mein Schweigen verlassen. Also sagen Sie mir die Wahrheit, meine liebe junge Dame. Sind Sie nicht in Gefahr?«

»Herr Northmour sagt, Sie sind ein Ehrenmann; und ich brauche Sie nur anzusehen, um dies zu glauben. Ich will Ihnen nur soviel sagen: Sie haben recht – wir sind in einer furchtbaren, entsetzlichen Gefahr, und Sie teilen diese Gefahr, wenn Sie bleiben, wo Sie jetzt sind.«

»Ah! Sie haben von Northmour etwas über mich gehört? Und er gibt mir ein gutes Zeugnis?«

»Ich fragte ihn gestern abend nach Ihnen,« antwortete sie. »Ich behauptete« – sie stockte einen Augenblick – »ich behauptete, Sie vor langer Zeit einmal getroffen und mit Ihnen über ihn gesprochen zu haben. Das war nicht wahr; aber ich konnte mir nicht anders helfen, ohne Sie zu verraten, und Sie hatten mich in eine schwierige Lage gebracht. Er sprach sehr hoch von Ihnen.«

»Und – diese eine Frage dürfen Sie mir wohl noch erlauben – droht diese Gefahr von Northmour?«

»Von Herrn Northmour?« rief sie. »O nein! Er ist gerade bei uns, um diese Gefahr zu teilen.«

»Mir aber raten Sie, davonzulaufen? Offenbar schätzen Sie mich nicht für hoch ein!«

»Warum sollten Sie bleiben? Sie sind kein Freund von uns.«

Ich weiß nicht, was über mich kam – denn eine solche Schwäche war mir nicht begegnet, seitdem ich ein Kind gewesen war – aber diese Antwort kränkte mich so tief, daß mir die Tränen in die Augen kamen, während ich ihr schweigend ins Gesicht sah.

»Nein, nein!« sagte sie in verändertem Tone; »meine Worte waren nicht unfreundlich gemeint.«

»Ich hatte mich einer Beleidigung schuldig gemacht,« sagte ich und streckte ihr meine Hand mit einem so bittenden Blick entgegen, daß es sie gerührt haben muß; denn sie reichte mir sofort, und sogar bereitwillig, die ihrige.

Ich hielt ihre Hand eine Zeitlang fest und sah ihr in die Augen. Plötzlich entriß sie mir ihre Hand, offenbar vergaß sie gänzlich ihre Bitte und daß sie mir ein Versprechen hatte abnehmen wollen, und lief mit größter Schnelligkeit davon, ohne sich umzusehen, bis sie mir aus den Augen war.

Und da wußte ich, daß ich sie liebte, und dachte in frohem Herzen, daß sie – sie selber – mich nicht mit gleichgültigem Auge sah. Sie hat dies später oft geleugnet; aber sie tat es stets lächelnd und meinte es nicht ernst. Ich für mein Teil bin überzeugt, unsere Hände würden nicht so fest ineinandergelegen haben, wenn ihr Herz sich nicht bereits mir zugeneigt hätte. Übrigens brauchen wir darüber nicht zu streiten; denn nach ihrem eigenen Geständnis begann sie am nächsten Morgen mich zu lieben.

Und doch ereignete sich an diesem Morgen sehr wenig. Sie kam wie am vorhergehenden Tage und rief mich aus meinem Versteck, schalt mich, daß ich immer noch in Graden wäre, und als sie fand, daß ich hartnäckig blieb, fragte sie mich genauer aus, wie ich dorthin gekommen wäre. Ich sagte ihr, durch welche Reihenfolge von Zufällen ich dazu gekommen wäre, Zeuge ihrer Landung zu werden, und daß ich mich zum Bleiben entschlossen hätte, teils wegen der Teilnahme, die Northmours Gäste in mir erregt hätten, teils wegen seines Mordanfalles auf mich.

In bezug auf die ersteren war ich wohl etwas unaufrichtig; denn ich suchte es so darzustellen, wie wenn sie gleich beim ersten Male, als ich sie in den Dünen gesehen, großen Eindruck auf mich gemacht hätte. Es ist für mich eine Herzenserleichterung, dieses Geständnis zu machen, obgleich mein Weib jetzt bei Gott ist, also alles weiß und auch das weiß, daß ich dabei ehrliche Absichten hatte; denn solange sie liebte, hatte ich niemals die Kühnheit, ihr diesen Glauben wieder zu nehmen, obgleich mein Gewissen mich oftmals antrieb, ihr auch dies zu sagen. In einer Ehe, wie wir sie führten, ist selbst ein so kleines Geheimnis gleich der Erbse, die der Prinzessin den Schlaf nahm.

Unser Gespräch kam dann auf andere Gegenstände, und ich erzählte ihr viel von meinem einsamen Wanderleben; sie hörte nur zu und sagte selten ein Wort. Obgleich wir ganz unbefangen sprachen und zuletzt unsere Unterhaltung nur scheinbar gleichgültige Gegenstände betraf, befanden wir beide uns in einer süßen Aufregung. Nur zu bald mußte sie wieder gehen, und wir trennten uns, wie in gegenseitiger Übereinstimmung, ohne uns die Hand zu reichen, denn wir wußten beide, daß dies unter uns eine leere Förmlichkeit bedeutete.

Am nächsten Tage, dem vierten unserer Bekanntschaft, trafen wir uns auf derselben Stelle, aber ganz früh am Morgen. Wir waren beide schon ganz vertraut und trotzdem sehr schüchtern. Nachdem sie noch einmal von meiner Gefahr gesprochen hatte – deshalb, sagte sie, sei sie noch einmal gekommen –, begann ich ihr zu sagen, wie wertvoll mir ihre freundliche Teilnahme wäre; bisher sei niemals einem Menschen etwas daran gelegen gewesen, von meinem Leben zu hören, und bis gestern hätte ich auch niemals daran gedacht, etwas daraus zu erzählen. Ich hatte mir während der Nacht viel zurechtgelegt, was ich ihr sagen wollte. Plötzlich unterbrach sie mich, indem sie heftig ausrief:

»Und doch – wenn Sie wüßten, wer ich bin, würden Sie kein Wort mit mir sprechen!«

Ich sagte ihr, ein solcher Gedanke sei Wahnsinn; obwohl wir uns erst so kurze Zeit kennten, sei sie für mich doch bereits eine teure Freundin. Aber meine Beteuerungen schienen sie nur noch mehr aufzuregen, und sie rief:

»Mein Vater ist auf der Flucht und muß sich verbergen!«

»Meine Liebe,« sagte ich – zum erstenmal ohne den Zusatz »junge Dame« –, »was macht das mir aus? Wenn er zwanzigmal auf der Flucht wäre, würde das an meinen Gefühlen für Sie etwas ändern?«

»Oh, aber die Ursache!« rief sie; »die Ursache! die ist« – sie zögerte eine Sekunde lang – »die ist eine Schande für uns!«


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