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Viertes Kapitel
Ich erfahre auf eine überraschende Weise, daß ich im Strandwalde von Graden nicht allein bin

Dies war meines Weibes Geschichte, wie ich unter Tränen und Schluchzen aus ihr herausholte:

Sie hieß Clara Huddlestone. Der Name klang meinen Ohren sehr schön; aber nicht so schön, wie jener andere Name: Clara Cassilis, den Sie während des längeren und – dafür danke ich Gott – glücklicheren Teiles ihres Lebens trug. Ihr Vater Bernard Huddlestone, hatte ein Bankgeschäft von sehr bedeutendem Umfange gehabt. Als vor vielen Jahren seine Verhältnisse in Unordnung gerieten, hatte er sich auf gefährliche und schließlich verbrecherische Hilfsmittel eingelassen, um sich vor dem Zusammenbruch zu retten. Alles war vergeblich; er geriet in immer fürchterlichere Schwierigkeiten und fand schließlich, daß zugleich mit seinem Vermögen auch seine Ehre verloren war.

Ungefähr um diese Zeit hatte Northmour sich mit großem Eifer, obgleich er nur geringe Ermutigung fand, um seine Tochter beworben. An ihn, von dem er wußte, daß er geneigt sein würde, ihm zu helfen, hatte Bernard Huddlestone in seiner Not sich gewandt.

Der unglückliche Mann hatte nicht nur Ruin und Schande und nicht nur gesetzliche Verfolgung über sein Haupt gebracht. Wie es scheint, wäre er leichten Herzens ins Gefängnis gegangen. Was er befürchtete, was ihn bei Nacht nicht schlafen oder mit einem plötzlichen Schreck aus dem Schlummer auffahren ließ, war die Angst vor einem geheimen, plötzlichen Mordanschlag gegen sein Leben. Infolgedessen wünschte er seine Vergangenheit zu begraben und auf eine der Inseln im südlichen Stillen Ozean zu entfliehen, und Northmours Jacht, den »Red Earl«, wollte er für diese Flucht benutzen. Die Jacht hatte sie heimlich an der Küste von Wales aufgenommen und dann in Graden abgesetzt, um für die längere Seereise instand gesetzt und verproviantiert zu werden. Clara konnte nicht daran zweifeln, daß ihre Hand den Preis für die Rettungsfahrt bilden sollte, denn obgleich Northmour niemals unfreundlich oder auch nur unhöflich war, hatte er sich doch bei verschiedenen Gelegenheiten etwas anmaßend in Worten und Benehmen gezeigt.

Ich brauche nicht zu sagen, daß ich sie mit gespannter Aufmerksamkeit anhörte, und daß ich über das, was mir geheimnisvoll klang, viele Fragen an sie richtete. Ich tat es vergeblich, sie hatte keine klare Vorstellung, von welcher Art die drohende Gefahr wäre und wie sie wahrscheinlich sich äußern würde. Ihres Vaters Angst war ungeheuer; sie warf ihn auch körperlich völlig zu Boden, und er hatte mehr als einmal daran gedacht, sich einfach der Polizei zu stellen. Aber diesen Plan hatte er endgültig aufgegeben; denn er war überzeugt, daß nicht einmal unsere englischen Gefängnisse ihn vor seinen Verfolgern schützen könnten. Er hatte in den letzten Jahren viele Geschäfte mit Italien und mit Italienern gemacht, die in London wohnten. Clara glaubte, daß diese Geschäfte in irgendwelcher Verbindung mit der ihn bedrohenden Gefahr ständen. Er hatte eine große Angst bekommen, als er an Bord des »Red Earl« einen italienischen Matrosen gefunden hatte, und er hatte Northmour wiederholt dieserhalb bittere Vorwürfe gemacht. Northmour hatte erklärt, Peppo – so hieß der Matrose – sei ein ganz famoser Bursche, dem man unbedingt trauen könne; der alte Huddlestone aber hatte seitdem immer wieder erklärt: alles sei verloren, es sei nur noch eine Frage von Tagen, und durch Peppo werde er schließlich doch noch zugrunde gehen.

Ich sah in der ganzen Geschichte weiter nichts als Wahnvorstellungen eines vom Unglück erschütterten Weißen. Huddlestone hatte durch seine italienischen Geschäfte schwere Verluste gehabt; deshalb war der bloße Anblick eines Italieners ihm verhaßt, und es war ganz natürlich, daß ein Italiener die Hauptrolle in den Wahngebilden spielte, die ihn ängstigten.

»Was Ihr Vater braucht,« sagte ich, »ist ein guter Doktor und irgendeine beruhigende Arznei.«

»Aber Herr Northmour?« warf Clara ein; »der ist durch keine Verluste aufgeregt worden, und trotzdem teilt er die Angst meines Vaters.«

Ich mußte unwillkürlich lachen über diese Einfalt und sagte:

»Meine Liebe, Sie selber haben mir gesagt, welchen Lohn er zu erwarten hat. Sie dürfen nicht vergessen, daß in der Liebe jedes Mittel erlaubt ist, und wenn Northmour die Ängste Ihres Vaters noch zu steigern sucht, so geschieht das durchaus nicht, weil er Furcht vor irgendeinem Italiener hat, sondern ganz einfach, weil eine reizende Engländerin ihn bezaubert hat.«

Sie erinnerte mich an den Angriff, den er in der Nacht der Landung auf mich selber gemacht hatte, und diesen konnte ich allerdings auch nicht erklären. Kurz und gut, nachdem wir alles durchgesprochen hatten, machten wir ab, daß ich mich sofort nach dem Fischerdorf West-Graden, wie es genannt wurde, begeben sollte. Dort sollte ich alle Zeitungen lesen, die ich auftreiben konnte, um auf diese Weise selber zu sehen, ob für die fortgesetzte Beunruhigung ein tatsächlicher Grund vorhanden wäre. Hierüber sollte ich am nächsten Morgen, zu derselben Stunde und an demselben Ort, Clara meinen Bericht machen. Sie sprach diesmal nicht mehr davon, daß ich mich entfernen sollte; sie machte kein Geheimnis mehr daraus, daß sie meine Nähe als hilfreich und angenehm empfand; und ich für mein Teil hätte sie nicht verlassen können, und wenn sie mich auf den Knien darum gebeten hätte.

Vor zehn Uhr vormittags war ich schon in West-Graden; denn ich war zu jener Zeit ein ausgezeichneter Fußgänger, und die Entfernung betrug, wie ich schon erwähnt habe, wenig mehr als sieben Meilen auf gutem Wege über elastischen Rasen. Das Dorf ist eins der armseligsten an jener Küste, und das will viel heißen. In einer Talmulde liegt eine Kirche; in den Klippen befindet sich ein erbärmlicher Hafen, in welchem schon viele Boote bei ihrer Heimkehr vom Fischfang untergegangen sind. Vier oder fünf Dutzend Steinhäuser bilden am Strande entlang zwei Straßen, von denen die eine zum Hafen führt, die andere in einem rechten Winkel an sie anstößt; an der Ecke dieser beiden Straßen liegt eine sehr dunkle, ungemütliche Herberge, das erste »Hotel« dieses Nestes.

Ich hatte mich etwas besser gekleidet und sah einigermaßen so aus, wie es meiner Lebensstellung entsprach. Ich suchte sofort den Pfarrer in seinem kleinen Hause neben dem Kirchhof auf. Er kannte mich, obgleich mehr als neun Jahre vergangen waren, seitdem wir uns zuletzt getroffen hatten; und als ich ihm erzählte, ich sei lange auf einer Fußwanderung gewesen und in bezug auf die Zeitereignisse etwas in Rückstand geraten, lieh er mir bereitwillig einen Armvoll Zeitungen, die mir über den ganzen letzten Monat bis zum Tage vorher Auskunft geben konnten. Mit diesen suchte ich den Gasthof auf, bestellte mir etwas zum Frühstück und setzte mich hin, um die Geschichte des Huddlestoneschen Bankerotts zu studieren.

Er hatte allem Anschein nach ungeheures Aufsehen gemacht. Tausende von Menschen waren dadurch verarmt; ein Mann hatte sich eine Kugel durch den Kopf geschossen. Es war für mich eine eigentümliche Beobachtung, daß ich beim Lesen dieser Einzelheiten eigentlich mehr Mitgefühl mit Huddlestone als mit seinen Opfern empfand – so vollkommen beherrschte mich schon die Liebe zu Clara. Natürlich war bereits eine Belohnung auf die Festnahme des Bankiers ausgesetzt; und da sein Verbrechen unentschuldbar und die öffentliche Entrüstung allgemein sehr stark war, so war auf die Festnahme der ungewöhnlich hohe Betrag von siebenhundertfünfzig Pfund ausgeschrieben worden. Man berichtete, er habe sehr große Geldsummen in seinem Besitz. An dem einen Tage hatte man ihn in Spanien gesehen; am nächsten wußte man ganz genau, daß er sich in der Gegend zwischen Manchester und Liverpool oder an der Küste von Wales versteckt hielt. Den folgenden Tag meldete ein Telegramm seine Ankunft in Cuba oder Yucatan. Aber in allen diesen Nachrichten stand niemals ein Wort von einem Italiener oder war überhaupt das geringste Geheimnisvolle.

Nur im allerletzten Artikel war eine Stelle, die nicht so ganz klar war. Die Bücherrevisoren, die mit der Verwaltung der Masse beauftragt waren, hatten, so schien es, festgestellt, daß ein Betrag von sehr vielen Tausenden von Pfunden eine Zeitlang eine große Rolle in den Geschäftsbüchern der Firma Huddlestone gespielt hatte, dann aber plötzlich vollkommen verschwunden war. Diese Summe war aber von nirgendwoher gekommen und verschwand in der gleichen geheimnisvollen Weise. Nur einmal war ein Name angedeutet – oder vielmehr, die Buchstaben X. X. standen an Stelle eines Namens. Soviel stand aber fest, daß diese große Summe zum erstenmal vor sechs Jahren zu einer sehr kritischen Periode in die Betriebsmittel des Geschäftes hineingekommen war. Der Name eines sehr hohen Herrn, eines königlichen Prinzen war in Verbindung mit dieser Geldsumme genannt worden. Man nahm an, daß »der feige Desperado« – diesen Ausdruck gebrauchte der Zeitungsschreiber – bei seiner Flucht noch einen großen Teil dieses geheimnisvollen Geldes im Besitz gehabt habe.

Ich dachte noch über diesen Fall und dessen einzelne Tatsachen nach und versuchte sie in irgendeine Verbindung mit der Herrn Huddlestone bedrohenden Gefahr zu bringen, da trat ein Mann in die Schenkstube ein und verlangte mit einem unverkennbar ausländischen Akzent etwas Brot und Käse.

»Siete Italiano?« fragte ich ihn.

»Si, Signore,« war die Antwort.

Ich sagte, es sei ungewöhnlich, so weit nach Norden zu einen Landsmann von ihm zu finden. Hierauf zuckte er nur die Achseln und antwortete, man gehe eben überall hin, wo man Arbeit bekommen könne. Was für Arbeit er in West-Graden zu finden hoffen konnte, war mir nicht recht begreiflich, und die Begegnung mit diesem Mann machte einen so unangenehmen Eindruck auf mich, daß ich den Wirt, der mir etwas Kleingeld aufzählte, fragte, ob er denn früher schon einen Italiener im Städtchen gesehen hätte. Er sagte, er habe mal ein paar Norweger gesehen, die an der anderen Seite von Graden Neß Schiffbruch gelitten hätten und von dem Rettungsboot von Cauld Haven an Land gebracht worden wären.

»Nein,« sagte ich; »ich meine einen Italiener, wie der Mann, der eben Brot und Käse kaufte.

»Was?« rief der Wirt; »war der schwarze Bursche mit den weißen Zähnen ein Italiener? Na, das war der erste Italiener, den ich in meinem Leben je gesehen habe, und 's wird auch wohl der letzte gewesen sein.«

Während er noch sprach, sah ich zufällig zum Fenster hinaus auf die Straße und bemerkte drei Männer, die sehr eifrig miteinander sprachen; sie waren keine dreißig Schritte entfernt. Einer von ihnen war mein neuer Bekannter von der Schenkstube. Die anderen beiden mußten, nach ihren hübschen, gelblichen Gesichtern zu urteilen, derselben Rasse angehören. Ein paar Kinder standen um sie herum, gestikulierten und schnatterten und äfften offenbar die Sprache und die Gebärden der fremden Männer nach. Die drei sahen in der öden schmutzigen Straße, auf der sie standen, auffallend fremdländisch aus. Ich gestehe, daß in diesem Augenblick meine Ungläubigkeit einen Stoß erhielt, von dem sie sich niemals wieder erholte. So viele Vernunftgründe ich auch mir selber vorhielt – ich konnte nicht abstreiten, was meine eigenen Augen gesehen hatten, und auch mich begann die Furcht vor den Italienern zu packen.

Es war schon wieder beinahe Abend geworden, als ich meine Zeitungen ins Pfarrhaus zurückbrachte; hierauf schritt ich rüstig durch die Dünen meinem Lager zu. Niemals werde ich diesen Gang vergessen! Es war sehr kalt geworden, und der Wind heulte immer lauter. Er strich durch das kurze Gras, auf das meine Füße traten; feine Regenschauer gossen vom Himmel herunter, und ein ungeheures Wolkengebirge begann sich aus dem Meere aufzutürmen. Einen trüberen Abend kann man sich schwerlich vorstellen, und – mögen nun meine Nerven schuld daran gewesen sein, auf die alles, was ich gesehen und gehört hatte, schon seine Wirkung ausgeübt hatte – genug, meine Gedanken waren ebenso trübe wie das Wetter.

Von den oberen Fenstern des Dünenhauses konnte man einen beträchtlichen Streifen der Dünen in der Richtung auf West-Graden zu übersehen. Um nicht bemerkt zu werden, mußte ich mich deshalb an den Strand halten, bis die höheren Sandhügel mir Deckung gewährten. Von dort konnte ich durch die Dünentäler hindurch querfeldein nach meinem Waldrand hinübergehen.

Die Sonne wollte untergehen. Die Ebbe hatte den Strand entblößt, und die ganze gefährliche Triebsandstelle lag frei. Ich ging, in meine trüben Gedanken versunken, mit gesenktem Kopf meines Weges – da wurde ich plötzlich wie vom Donner gerührt, als ich menschliche Fußtapfen im Sande abgedrückt sah. Sie liefen in derselben Richtung wie der Weg, den ich ging, aber sie befanden sich tiefer unten am Strande, anstatt an dem Rande des Heidekrautes, auf welchem ich selber ging; und als ich sie genau untersuchte, erkannte ich sofort an der plumpen Form der Füße, daß sie einem Fremden angehörten, der mit mir und den Bewohnern des Dünenhauses nichts zu tun hatte. Und nicht nur dies – daran, daß er in der unvorsichtigsten Weise ganz dicht an den gefährlichsten Stellen vorüber entlanggegangen war, erkannte man deutlich, daß er in der Gegend fremd sein mußte und von dem berüchtigten Triebsand von Graden Floe noch niemals etwas gehört hatte.

Schritt vor Schritt folgte ich den Fußtapfen, bis ich, ungefähr eine Viertelmeile weiter, bemerkte, daß sie sich am Südostrande von Graden Floe verloren. Wer er auch gewesen sein mochte – dort war der Unglückliche umgekommen. Ein oder zwei Möwen, die ihn vielleicht hatten versinken sehen, kreisten mit ihrem gewöhnlichen melancholischen Gepfeife über seinem Grab. Die Sonne hatte mit einer letzten Anstrengung die Wolken durchbrochen und übergoß die weite Fläche der Triebsandgründe mit einem purpurnen Schein. Ich stand eine Weile still und starrte auf diese Stelle – von meinen eigenen Gedanken durchkältet und entmutigt und mit einem starken, alles beherrschenden Bewußtsein von der Nähe des Todes. Ich erinnere mich, daß ich darüber nachdachte, wie lange die Tragödie wohl gedauert haben und ob man im Dünenhause wohl die Schreie des Opfers gehört haben möchte. Und dann wollte ich mich mit Aufgebot aller meiner Willenskraft losreißen – da fiel ein besonders starker Windstoß über den Strand her, und ich sah einen Hut, bald hoch oben in der Luft, bald über den Grund hinrollend. Er war von spitziger, kegelförmiger Gestalt und sah so aus, wie die Hüte, die ich in Graden auf den Köpfen der Italiener gesehen hatte.

Ich glaube – doch bin ich dessen nicht ganz sicher – ich stieß einen Schrei aus. Der Wind trieb den Hut nach dem Strande zu, und ich lief um den Rand des Triebsandes herum, um ihn aufzufangen. Der Wind ließ einen Augenblick nach, und der Hut fiel einen Augenblick auf den Triebsand. Dann erhob der Wind sich wieder, und der Hut fiel ein paar Schritte vor mir nieder.

Ihr könnt euch denken, wie eifrig ich mich des Hutes bemächtigte! Er hatte schon einiges durchgemacht; er sah in der Tat noch abgegriffener und schäbiger aus als die anderen, die ich an dem Tage schon gesehen hatte. Das Futter war rot; es trug einen Stempel mit dem Namen des Fabrikanten, den ich inzwischen vergessen habe, und mit dem Erzeugungsort. Dieser lautete: Venedig. Bekanntlich nannten die Österreicher die italienische Stadt Venezia so, die schöne Stadt, die damals, und noch eine Zeitlang nachher, zu ihren Besitzungen gehörte.

Ich war ganz betroffen. Auf allen Seiten sah ich Italiener, die nur in meiner Einbildung vorhanden waren, und zum ersten – ich darf sagen: auch zum letzten – Male in meinem Leben überwältigte mich ein sogenannter panischer Schrecken. Ich meine: ich wußte nichts, wovor ich hätte Furcht haben sollen, und trotzdem hatte ich, das gebe ich zu, eine Heidenangst, und nur mit Widerstreben kehrte ich zu meinem so leicht aufzufindenden, einsamen Lager im Strandwalde zurück.

Dort aß ich etwas kalten Haferbrei, den ich am Abend vorher übriggelassen hatte; denn ich wollte nicht gern ein Feuer anmachen. Das Essen machte mich kräftig und gab mir neuen Mut, und mit gefaßtem Herzen legte ich mich zum Schlafen nieder.

Wie lange ich geschlafen haben mag, davon habe ich keine Ahnung. Aber ich erwachte schließlich von einem hellen Lichtschein, der mir gerade ins Gesicht fiel. Er weckte mich auf wie ein Faustschlag. Im Nu hatte ich mich auf meine Knie aufgerichtet. Aber das Licht war ebenso plötzlich, wie es gekommen war, wieder verschwunden. Die Finsternis war undurchdringlich. Von der See her kamen furchtbare Windstöße, vom Himmel goß es wie mit Mulden herab, und das Tosen des Unwetters verschlang alle anderen Geräusche.

Es wird mindestens eine halbe Minute gedauert haben, bis ich völlig bei Bewußtsein war. Wären nicht zwei besondere Umstände gewesen, so hätte ich geglaubt, daß irgendein besonders grausiger Alpdruck mich aufgeschreckt hätte. Erstens war jetzt mein Zelttuch, das ich sorgfältig befestigt hatte, lose und flatterte im Winde. Zweitens konnte ich, mit einer Deutlichkeit, die jeden Gedanken an eine Sinnestäuschung ausschloß, den Geruch von heißem Metall und brennendem Öl wahrnehmen. Die Schlußfolgerung war klar. Ich war von irgendeinem geweckt worden, der mir das Licht einer Taschenlaterne hatte ins Gesicht fallen lassen. Er hatte mein Gesicht gesehen und sich dann sofort entfernt. Es war nur ein Aufblitzen gewesen, und dann wieder finster. Ich fragte mich, was der Anlaß eines so sonderbaren Verhaltens gewesen sein könne, und die Antwort konnte nicht zweifelhaft sein. Der Mensch, wer auch immer er gewesen sein mochte, hatte mich zu kennen geglaubt, und hatte gesehen, daß er sich geirrt hatte. Indes blieb eine andere Frage noch ungelöst; und auf diese – das darf ich wohl sagen – fürchtete ich mich, eine Antwort zu geben: was würde er getan haben, wenn er mich gekannt hätte?

Meine Befürchtungen wurden augenblicklich von mir selber abgelenkt; denn ich sah, daß ich nur aus Versehen besucht worden war, und ich bekam die Überzeugung, daß irgendeine furchtbare Gefahr das Dünenhaus bedrohte. Ich bedurfte einer gewissen Willenskraft, um mich in das finstere, wirre Dickicht zu wagen, das meine Kuhle umgab und über sie hinüberhing. Aber ich tastete meinen Weg zu den Dünen hinunter – vom Regen durchnäßt, von den Windstößen hin und her geworfen und betäubt; bei jedem Schritt fürchtend, daß meine ausgestreckte Hand einen im Hinterhalt lauernden Feind berühren würde. Die Dunkelheit war so vollständig, daß ich von einer ganzen Armee hätte umzingelt sein können, ohne etwas davon zu wissen, und der Sturm toste so laut, daß meine Ohren mir ebensowenig helfen konnten wie meine Augen.

Den ganzen Rest der Nacht, die mir unendlich dünkte, patrouillierte ich die Umgebung des Dünenhauses ab, ohne ein lebendes Wesen zu sehen und ohne etwas anderes zu hören als das Riesenkonzert, das Sturm, Brandung und Regen zusammen machten. Ein Licht im oberen Stockwerk des Dünenhauses schimmerte durch eine Ritze des Fensterladens hindurch und leistete mir Gesellschaft, bis die Morgendämmerung kam.


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