Stendhal
Amiele
Stendhal

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Sechzehntes Kapitel

Duvals Herr

Als Amiele voll spöttischer Gedanken heimging, erblickte sie einen vornehm gekleideten jungen Herrn, der ihr auf der Landstraße entgegengeritten kam. Offenbar war er kurzsichtig, denn in geringer Entfernung vor ihr parierte er sein Pferd und betrachtete die ihm Begegnende mit seinem Lorgnon. Alsbald machte er eine Gebärde freudigster Überraschung, rief den Reitknecht heran und übergab ihm sein Tier. In flottem Trabe ritt der Diener mit dem Handpferde davon.

Es war Fedor von Miossens, der junge Schloßherr.

Er strich sich das Haar und schritt selbstbewußt auf Amiele zu.

›Entschieden will er etwas von mir!‹ sagte sie sich. Als er nahe vor ihr war, fügte sie hinzu: ›Innerlich ist er schüchtern; er stellt sich bloß kühn!‹

Diese Empfindung beruhigte sie; aber als sie ihn mit festen Schritten und hochmütigen Bewegungen daherkommen sah, dachte sie doch:

›Weit und breit kein Mensch . . .‹

Am Tage nach seiner Ankunft aus Paris hatte der junge Herzog durch Duval, seinen Leibkammerdiener, erfahren, daß man es in Erwartung seines baldigen Eintreffens für angebracht erachtet hatte, ein sechzehnjähriges junges Mädchen, ein allerliebstes Ding, das Englisch konnte und von seiner Frau Mutter begönnert wurde, schleunigst aus dem Schlosse zu entfernen.

»Kann ich's ändern?« meinte der junge Mann.

»Ändern?« erwiderte der Diener, seines Einflusses gewiß. »Das wäre etwas für Sie! Die Kleine kriegt ein kleines Taschengeld und ein nettes Zimmer im Dorfe, und der junge Herr raucht dort abends gemütlich seine Zigarette.«

»Das ist derselbe Stumpfsinn wie im Schlosse!« entgegnete der Herzog gähnend.

Als Duval sah, daß die Schilderung solchen Glückes keinen Eindruck machte, setzte er hinzu:

»Wenn Durchlaucht einen Freund zu Besuch da haben, kann der Abend außerhalb des Schlosses verbracht werden . . .«

Das war schon eher ein Grund. Duvals Beredsamkeit rastete nicht. Er sprach von früh bis abends von Amiele, und so machte er den jungen Mann, dem vor nichts mehr graute denn vor Lächerlichkeiten, doch empfänglich. Fedor langweilte sich zu Tode. Der Abbé Clement hütete sich, einem aus Paris kommenden jungen Herrn gegenüber Ideen zu äußern, noch dazu vor jemandem, der wußte, daß er der Neffe einer Kammerfrau seiner Mutter war.

Wenn auch widerwillig, ergab sich also der Herzog den Attacken seines Tyrannen. Seit drei oder vier Jahren hatte er sich ernstlich mit Geometrie und Chemie beschäftigt. Über den leichten seichten Ton, den ein wohlgeborener junger Mann einem kleinen Mädchen gegenüber anzuschlagen hat, selbst wenn sie Englisch kann, hatte er seine eigenen Gedanken. Diese eigenen Gedanken waren es, die ihn widerstreben ließen; nur wagte er dies seinem Kammerdiener nicht zu bekennen. Die vollendete Unverfrorenheit dieses Mannes war ihm tief zuwider. Es bangte ihm vor einer Entgleisung. Er war weit entfernt davon, zu erkennen, daß es nicht bloß die 100 Franken, die der Diener bei der Einrichtung eines Liebesnestes verdienen mochte, sein konnten, die dieser im Sinne hatte. Je ängstlicher Fedor wurde, um so mehr umgarnten ihn Duvals Schmeicheleien. Der Lakai wußte wohl: nur dann konnte er den jungen Mann zu einem entscheidenden Schritte bringen, wenn er seine Lobhudeleien auf die Spitze trieb. Dies hatte er just an dem Tage getan, an dem Fedor dem jungen Mädchen begegnete.

Unter lebhaften Gesten sprach er Amiele an:

»Mademoiselle, hier ist das allerliebste kleine Necessaire aus Holz mit Stahlecken, das Sie beim Verlassen des Schlosses vergessen haben! Meine Mutter, die Sie zärtlich liebt, hat mich beauftragt, es Ihnen zuzustellen, sobald ich Sie einmal sähe. Wissen Sie, daß ich Sie seit über vier Wochen suche? Obgleich ich Sie noch nie gesehen, habe ich Sie an Ihrem besonderen Aussehen sofort erkannt . . .«

In Amielens Augen sprühte köstlicher Geist und klarer Sinn, während sie, völlig regungslos, von der Warte ihres Hochmutes den eleganten Jüngling musterte, der sich in seiner Geflissenheit benahm wie ein erster Liebhaber auf einer Vorstadtbühne.

›Nett ist er tatsächlich kein bißchen‹, dachte Amiele bei sich. ›Und kaum mehr wert als der blöde Hans, dem ich soeben den Laufpaß gegeben habe. Da ist der Abbé Clement von anderem Schlage! Wie nett wäre der, wenn er mir das Etui zu übrbringen hätte!‹

Nach zehn Minuten, die dem jungen Mädchen endlos dünkten, fand Fedor endlich ein geschicktes natürliches Kompliment. Amiele lächelte. Jetzt war der junge Herzog reizend, und keinem von beiden kam die Zeit noch so schrecklich lang vor.

Ermutigt durch diesen kleinen Erfolg, den er mit Entzücken wahrnahm, zeigte sich Fedor von der allerbesten Seite. Er war ein gescheiter Mensch; nur fehlte ihm der angeborene Wille zur Ungezwungenheit. Dazu war der arme Junge immer von neuem mit Verhaltungsregeln überschüttet worden, wie er das tausendfache Linkische seiner sechzehn Jahre überwinden und sich als tadelloser Salonheld benehmen solle. Bei jeder Bewegung, die er ausführen, bei jedem Wort, das er sagen wollte, fielen ihm die verschiedenen, einander widersprechenden Vorschriften ein, gegen die er nicht verstoßen wollte – und ganz verwirrt stand er da.

Das erste echte, liebenswürdige Wort, das er fand, um Amiele zu gewinnen, machte ihn kühn. Er vergaß alle Regeln und war ein Galantuomo. Artiger hätte er nicht sein können.

›Schade, daß ich den Hans nicht eher heimgeschickt habe‹, sagte sich Amiele. ›Der hätte mir die Liebe beibringen sollen! Aber vielleicht hat er selber keine Ahnung davon.‹

Nach einer Weile fühlte sich der Herzog allzu wohl; zum mindesten sah er danach aus.

Sofort sagte Amiele:

»Leben Sie wohl, Herr von Miossens, und folgen Sie mir ja nicht!«

 

Wie ein Bild aus Stein blieb Fedor mitten auf der Straße stehen. Die unvorhergesehene Wendung grub die Erinnerung an Amielens Bekanntschaft für ewig in sein Herz.

Glücklicherweise wagte er es bei seiner Heimkehr, seinem Kammerdiener darüber ein Geständnis zu machen.

»Durchlaucht müssen acht Tage vergehen lassen, ohne mit der Zierpuppe zu reden . . .«

Duval merkte, daß er seinem Herrn mißfiel.

»Das heißt,« fügte er hinzu, »so würde ein gewöhnlicher junger Mann handeln. Ein Herr vom Range Eurer Durchlaucht natürlich tut, was ihm am meisten Vergnügen macht. Der Erbe eines der edelsten Namen und größten Vermögen Frankreichs ist den Lebensregeln des großen Haufens nicht unterworfen . . .«

Der Herzog plauderte mit dem Manne, der ihm in so gefälliger Weise redete, bis tief in die Nacht hinein.

Am anderen Morgen regnete es. Fedor war außer sich darüber. Von früh bis abends träumte er von Amiele. Er hatte keine Hoffnung, ihr auf der Straße zu begegnen; er ließ anspannen und fuhr zweimal am Hautemareschen Hause vorüber.

Am nächsten Tage wartete er mit der vollen Ungeduld eines Verliebten auf die Ausgehzeit. Die ihm von Duval eingeimpfte Liebe hatte Fedor bereits einigermaßen der Langenweile enthoben.

Duval hatte ihm ein halbes Dutzend verschiedene Annäherungsweisen doziert. Fedor vergaß sie samt und sonders, als er Amiele aus zwei Kilometer Entfernung auf dem nämlichen Flecke wie neulich gewahrte. Er galoppierte bis auf hundert Schritt heran, schickte den Gaul zurück und ging voll Zittern und Zagen auf Amiele zu.

In seiner Erregung sagte er, was er dachte:

»Vorgestern haben Sie mich weggeschickt. Ich war ganz verzweifelt. Was muß ich tun, damit Sie mich heute nicht wegschicken?«

»Reden Sie mit mir nicht wie zu einer Zofe Ihrer Frau Mutter! Ich war beinahe eine, aber ich bin es nicht mehr.«

»Sie waren Vorleserin,« erwiderte er, »niemals Zofe, Mademoiselle, und meine Mutter hat Sie zu ihrer Freundin gemacht. Ich möchte auch Ihr Freund sein, aber unter einer Bedingung: Sie übernehmen die Rolle der Herzogin! Sie sollen in des Wortes voller Bedeutung meine Gebieterin sein!«

Diese Einleitung gefiel Amielen. Die Demut des jungen Mannes tat ihrem Hochmut wohl. Nur eins störte diese Empfindung: es gesellte sich ihr reichliche Verachtung dieser Unterwürfigkeit.

Nach einer Viertelstunde sagte sie ihm:

»Leben Sie wohl! Morgen werden wir uns nicht sehen.« Und als der Herzog zögerte sich zu verabschieden, setzte sie herrisch hinzu: »Wenn Sie nicht im Augenblick gehen, werde ich Sie acht Tage lang nicht sehen.«

Fedor stürmte davon.

Diese Flucht belustigte Amiele höchlichst. Im Schlosse hatte sie tausendmal von der Ehrerbietung sprechen hören, die der einzige Sohn und Erbe eines so feudalen Hauses von jedermann zu fordern habe. Sie fand Genuß daran, gerade das Gegenteil zu tun.

 


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