Stendhal
Amiele
Stendhal

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Drittes Kapitel

Die Waschweiber

Am Ausgange von Carville, nach dem Meere zu, hat man linker Hand ein kleines Tal, in dem der Houblon heranfließt, das Bächlein mit dem munteren Geiste. Lange Wiesenhänge prangen an seinen beiden Ufern.

Auf dem linken Ufer dieses Baches leuchtet ein unlängst von der Herzogin erneuerter Fahrweg mit seinen großen Prellsteinen, die den Beruf haben, Unvorsichtige vor einem Sturz in den reißenden Bach zu bewahren, dessen Spiegel hier gut zehn Fuß tief liegt. Auf des Pfarrers Rat hin hatte sich die Gutsherrin verpflichtet, diesen zum Schlosse hinaufführenden Weg im Stande zu halten, wofür das Budget der Gemeinde mit hundert Talern belastet worden ist. Eine rechtsprechende Großgrundbesitzerin empfängt einen Zuschuß von dreihundert Franken von einer Gemeinde. Ein lächerlicher Zustand! Das war anno 1826! Zu diesem Zeitpunkt beginnt nämlich unsere höchst unmoralische Geschichte.

Zehn Minuten von der Brücke entfernt breitet sich eine dritte Wiese vor einem aus, die von der Mündung der Decise in den Houblon an hochsteigt. Entlang der Decise, die starkes Gefälle hat, läuft auf ihrer linken Seite ein Pfad, der die Höhe der dritten Wiese in etlichen Zickzacks erklimmt. Hebt der Wanderer seine Augen, so gewahrt er zur Linken die Ausläufer von Kieswegen in einem wohlgepflegten englischen Park, und über ihnen die Umrisse von Gebüschen, die dazu dienen, den Parterrefenstern des Schlosses die Fernsicht auf das Meer zu entziehen.

Am Fuße des dritten Hügels, an der Mündung der Decise, befindet sich ein öffentlicher Waschplatz unter einer Riesenlinde. Diesen Ort verwünschte die Herzogin. Er besteht aus zwei mächtigen ausgehöhlten Eichenstämmen und mehreren Steinplatten.

Es war am letzten Tag im September. An die dreißig Weiber waren beim Wäschewaschen. Ein paar besonders wohlhabende Bauersfrauen der reichen Normandie arbeiteten nicht selbst, waren aber gekommen unter dem Vorwande, ihre waschenden Mägde zu überwachen. In Wirklichkeit wollten sie mitschwatzen. An diesem Tage ging es überaus lebhaft zu. Mehrere der Wäscherinnen waren groß, wohlgestaltet, gebaut wie die Diana in den Tuilerien. Ihre feinen ovalen Gesichter hätten für schön gelten können, wenn sie nicht die häßliche Haube getragen hätten, deren Zipfel ihnen in der gebückten Stellung weit in die Stirn hereinhing.

»He! Kommt da nicht unser lieber Doktor auf seinem berühmten Hammel geritten?« rief eine der Wäscherinnen.

»Der arme Hammel! Er hat doppelt zu schleppen, den Doktor und seinen Buckel, der nicht von Pappe ist«, sagte ihre Nachbarin.

Alle Weiber erhoben die Köpfe und hörten auf zu arbeiten.

Das seltsame Wesen, das ihre Blicke auf sich zog, mit einem Gewehr über dem Buckel, war kein anderer als unser Freund, der Doktor Sansfin. In der Tat, es war kein leichtes Ding für junge Frauen, ihn vorübergehen zu sehen, ohne zu lachen.

Der Bucklige nahm das übel. Um so fröhlicher ward die Stimmung.

Die Decise bildet dort einen Wasserfall, und der schmale Weg entlang des Baches macht eine Menge kleiner Kehren. Diese kam der unglückselige Doktor, begrüßt von dreißig jauchzenden Stimmen, herab.

»Gib auf deinen Buckel acht! Er könnte runterrutschen, zu uns herabrollen und uns zerquetschen, uns arme Waschweiber hier!«

»Infames Pack!« knirschte der Doktor vor sich hin. »Infames Pack, dies Volk! Und ich dummer Kerl nehme nie einen Groschen von diesem Gesindel, wenn mich die Vorsehung hin und wieder rächt und es mit der oder jener schönen Krankheit plagt!«

»Haltet's Maul, ihr Weiber!« rief er, indem er langsamer hinabritt, als er gewollt hatte. Was für ein Spaß wäre es den Frauen gewesen, wenn sein Hammel ausgeglitten wäre! »Haltet's Maul und wascht eure Lumpen!«

»Fallen Sie nicht, Herr Doktor! Fallen Sie nicht!« kreischten sie. »Wenn der Hammel Sie abwirft, kommen wir alle und schnallen Ihnen den Buckel ab!«

»Und was schnalle ich euch ab? Eure Unschuld? Ist nicht mehr möglich! Die ist längst zum Teufel! Ihr habt ja auch aller Nasen lang einen Buckel, hinten zwar nicht, aber . . .«

Vom Schlosse her, auf der schönen Straße, wurde Frau Hautemare sichtbar. Sie ging bocksteif und führte an der Hand ein kleines Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren, dessen Lebhaftigkeit sich offenbar nur widerwillig in die unfreie Art des Spazierganges schickte. Es war Amiele, die sogenannte Nichte.

»Seht, da kommt die Madame Hautemare!« riefen die Waschweiber.

Sie erbosten sich über die Küstersfrau, die »die Dame spielte« und das kleine Mädchen »an der Hand« führte statt es wie alle anderen Dorfkinder herumtollen zu lassen.

Der Hammel, der inzwischen die Zickzacks überwunden hatte, labte sich am Bach, ein Stück oberhalb des Waschplatzes.

Ein paar der Wäscherinnen riefen Frau Hautemare entgegen:

»Hallo, Madame! Das Kindchen des Herrn Bruders, das Nichtchen, rennt Ihnen nicht davon!«

Eine andere:

»Herr Bucklinski, verlier deine Perücke nicht! Wer weiß, ob dein Leibfriseur sie wieder in Schwung bringt!«

Der Doktor antwortete mit einem urwüchsigen Schimpfworte.

Die gottesfürchtige Madame Hautemare, die eigentlich am Waschplatze hatte vorbeigehen wollen, machte schleunigst kehrt und ging den Weg zurück, die Nichte an der Hand. Einstimmiges lautes Hohngelächter begleitete diesen Rückzug.

Sansfin unterbrach das Kreischen, indem er mit seiner spitzigen Stimme brüllte:

»Schweigt, ihr albernen Frauenzimmer! Oder ich lasse meinen Gaul in den Schlamm springen. Dann werden eure Hauben aussehen wie eure Seelen: dreckbespritzt!«

Der Doktor sah puterrot aus; so sehr hatte er sich geärgert. Merkwürdig: er, der sein lebelang darauf bedacht war, sich zu benehmen, ließ sich durch seine Eitelkeit zu Torheiten verleiten. Er sah sie voraus, hatte aber nicht die Kraft, sich zu zügeln. Zum Beispiel hätte er jetzt kein Wort mehr sagen sollen, – und das freche Gerede der Waschweiber hätte sich auf die Küstersfrau gerichtet. Aber gerade in diesem Augenblick wollte er sein Mütchen kühlen.

Eine der Wäscherinnen erwiderte ihm:

»Auch nicht schlimm! Ein Kavalier bespritzt uns mit Dreck. Ein bißchen reines Wasser, und der Schaden ist geheilt! Den Buckligen sollte man mit was ganz anderem einreiben, das Ekel, das noch nie eine unbezahlte Liebe gehabt hat! Pfui Teufel!«

Kaum waren diese Worte erklungen, da gab der Doktor auch schon seinem Pferde die Sporen und trieb es in den Schlamm am Wassertrog. Der Schmutz spritzte hoch auf und traf die erregten Gesichter, die weißen Hauben und – die gewaschene Wäsche, die auf den Platten lag.

Die dreißig Frauen brachen in eine Flut von Schimpfworten aus.

Der Doktor freute sich höchlichst über seine Untat.

»Jetzt werdet Ihr wohl genug haben!« frohlockte er.

Als aber das Geschimpf nicht enden wollte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, seinen Gaul noch einmal in den Pfuhl zu treiben. Er gab ihm die Sporen.

Eines der Mädel, das dicht vor dem Tiere stand, bekam Angst, und in ihrem Schreck fuchtelte sie mit ihrem Holzklopfer vor den Augen des Hammels herum. Der scheute und machte einen Satz nach rückwärts. Durch den unvermittelten Ruck verlor der Reiter seinen Sitz. Er rutschte aus dem Sattel und sauste kopfüber in den Schlamm, der einen Fuß tief war. Es tat ihm weiter nichts; nur daß er der Blamierte war.

Die Weiber dachten, er habe mindesten einen Arm gebrochen und stoben auseinander. Keine wollte in seiner Nähe gestanden haben, um nicht beschuldigt zu werden.

Blitzschnell war Sansfin wieder im Sattel. Als ihn die Waschweiber, die etliche zwanzig Meter davongelaufen waren, so rasch wieder auf den Beinen sahen, erhoben sie ein Freudengeheul, das des Doktors Wut auf den Höhepunkt brachte. Unheilschwanger griff er nach seiner Flinte. Aber selbige war beim Sturz auf den Boden gestoßen; das Schloß war verschmutzt und der Zündstein herausgefallen. Davon ahnten die Frauen nichts. Als sie ihn zum Gewehr greifen sahen, suchten sie kreischend das Weite.

Da gab der Doktor seinem Gaule die Zinken und trabte in stärkstem Tempo über die Houblonbrücke seinem Hofe zu.

Die Wäscherinnen suchten ihren Platz wieder auf, reinigten ihre Hauben und wuschen die Wäsche nach. Sie waren übler Laune.

Da erschien Frau Hautemare mit ihrer Nichte von neuem auf der Bildfläche.

»Ah! Da ist die Zimperliese wieder, mit ihrer schönen Nichte!« rief die, die sie zuerst entdeckte.

»Nichte? Blödsinn! Das Teufelskind!« verbesserte eine andere.

»Teufelskind?« höhnte eine dritte. »Sag doch gleich: Wechselbalg! Das Gör hat sie hinter dem Rücken ihres Alten einmal gekriegt, und das dumme Luder hat es anerkennen müssen, bloß um dem armen Neffen eins auszuwischen, dem Wilhelm!«

»Seid lieb und gut, Nachbarinnen!« begann Frau Hautemare im Predigertone. »Keine Unanständigkeiten! Nehmt wenigstens Rücksicht auf das junge Blut an meiner Seite!«

Es hagelte neue Gemeinheiten von allen Seiten.

»Geh, Amiele, geh nach Haus!« befahl die Küstersfrau.

Die Kleine ließ sich das nicht zweimal sagen. Im Nu war sie auf und davon, glückselig, daß sie auch einmal frei dahinlaufen durfte.

Die biedere Frau Hautemare aber ließ es sich nicht nehmen, den Wäscherinnen eine regelrechte Rede zu halten, ungeachtet, daß die dreißig sie überschrien. Schließlich trottete sie heim.

Mißmutiger als sie war Doktor Sansfin.

›Großer Gott!‹ sagte er sich, die Straße nach Avranches dahinjagend, ›muß ich ein Tor sein, daß ich mit solchen Schelmen Streit anfange! Es gibt Tage, an denen ich am besten täte, ich ließe mich von meinem Diener am Bettpfosten festbinden.‹

Um seine Gedanken abzulenken, forschte er in seinem Gedächtnis, ob nicht an der Heeresstraße, auf der er noch immer in scharfem Trabe dahinsauste, ein Patient wohnte, den er mit einem ärztlichen Abendbesuch beglücken könne.

Da fand er unversehens etwas Besseres als einen Kranken. Dusaillard, der Pfarrer, war just an diesem Tage im Schlosse Saint-Prix, drei Wegstunden von Carville entfernt, zur Mittagstafel eingeladen. Der Pfarrer war im Hasse furchtbar und einer der Machthaber der Kongregation. Zum Ausgleich indes – daß es in allem Ausgleiche gibt, rettet die Zivilisation in Frankreich – war der fürchterliche Seelensorger kein Freund davon, in seinem Wägelchen allein auf der Landstraße hinzutrotten.

Also empfand er lebhafte Freude, wie er den Doktor vor sich auftauchen sah. Die beiden Männer hätten einander viel Böses zufügen können, aber sie verkehrten miteinander wie Diplomaten. Im Hause der Herzogin hatte der Pfarrer überdies Angst vor den boshaften kleinen Geschichten, die Sansfin genial anzubringen verstand.

Der Arzt begleitete den Pfarrer zu Pferd. Kaum war er aber wieder zu Haus und allein, so verfiel er auch wieder seinem düsteren Leid und der Erinnerung an den Waschplatz. Doch alsbald ward ihm ein Trost. Man rief ihn an das Bett einens fünfundzwanzigjährigen hübschen jungen Mannes, der an die sechs Fuß lang war und einen festen Schlaganfall erlitten hatte. Sansfin brachte die Nacht bei dem Kranken zu, ließ ihm die nötige Hilfe angedeihen und hatte gegen Tagesanbruch die Freude, dem Verlöschen eines Lebens beizuwohnen.

»Dieser herrliche Körper liegt nun unbewohnt da«, philosophierte er bei sich. »Warum kann meine Seele nicht hinein?«

Es war ihm ein Genuß, schöne Männer sterben zu sehen und die paar hübschen Frauen der Gegend zu quälen, wenn sie krank waren.

 

Die kleine Amiele war ein viel zu gewecktes Kind, um nicht zu merken, daß etwas Besonderes vorlag, wenn ihre Tante sie ins Dorf zurückschickte. Denn sonst durfte sie keine zwanzig Schritt allein gehen.

Ihr erster Gedanke war – wie ganz natürlich – zu erlauschen, was ihre Tante vor ihr verbergen wollte. Dazu brauchte sie nur auf einem kleinen Umweg zurückzukommen und sich hinter dem baumgekrönten Wall zu verstecken, der den Waschplatz überragte. Während sie daran dachte, daß sie gewiß grobe und kränkende Worte hören würde, Dinge, wovor ihr ekelte, da kam ihr ein Einfall, der sie ungleich mehr reizte.

›Wenn ich scharf laufe,‹ sagte sie sich, ›kann ich zum Tanzplatz kommen, wo ich erst einmal in meinem Leben habe sein dürfen! Ehe die Tante kommt, bin ich zu Hause.‹

Carville bestand eigentlich nur aus einer ziemlich breiten Straße, mit einem Platz in der Mitte. Am entgegengesetzten Ende von der Houblonbrücke, also nach Paris zu, lag die hübsche gotische Kirche, dahinter der Friedhof, und noch ein Stück weiter standen drei große Linden, unter denen Sonntags getanzt ward, zum größten Mißbehagen des Pfarrers Dusaillard. Er behauptete, das Tanzen schände die Toten; die Linden rauschten nämlich nur fünfzig Schritt vom Friedhofe. Vom Häuschen, das die Gemeinde dem Hautemare als Schulmeister eingeräumt hatte, und das an der Straße fast gegenüber dem Friedhof lag, konnte man den Lindenplatz sehen und die Tanzmusik hören.

Amiele entfernte sich auf dem alten Wege, der vom Waschplatz außen um das Dorf nach der Pariser Straße führte. Dieser Pfad ging an den Linden vorbei. Von weitem schon sah sie die Wipfel über den Häusern. Das Herz klopfte ihr. »Gleich werde ich die schönen Bäume aus der Nähe sehen!« jubilierte sie.

Auch daran dachte sie, daß sie, wenn sie nicht durchs Dorf ging, keine Gefahr lief, von gewissen Betschwestern, die neben dem Häuschen wohnten, verraten zu werden.

Wie sie so ums Dorf herum ihren Weg hineilte, begegnete sie zu ihrem Ärger ein paar alten Dorfweibern, die Körbe voller Holzschuhe schleppten.

Ehedem war Frau Hautemare genau so arm gewesen wie diese Weiber und hatte ihr Brot mit derselben Arbeit wie sie verdient. Die Gunst des Pfarrherrn hatte das alles geändert. Die Weiber gingen barfuß und trugen ihre vollen Körbe auf dem Kopf. Auf der Stelle sahen sie, daß Amiele besser denn gewöhnlich angezogen war. Offenbar hatte ihre Tante sie mit aufs Schloß genommen, zur Frau Herzogin.

»He, du!« rief eine. »Dir ist wohl der Kamm geschwollen, weil du vom Schloß kommst?«

Und eine andere schrie: »Hol mich der Teufel! Her mit den schönen Schuhchen! Du kannst ebensogut barfuß laufen wie wir!«

Amiele ließ sich nicht einschüchtern. Sie kletterte am Wegrand hinauf aufs Feld und schimpfte von oben herunter weidlich wieder.

»Meine schönen Schuhe wollt ihr mir stehlen? Weil ihr zu fünft seid? Der Schutzmann wird euch ins Loch stecken! Der ist ein Freund von meinem Onkel!«

»Willst du den Schnabel halten, du Kröte! Du Teufelskind, du!«

Bei diesem Namen schrien alle fünf so laut sie konnten: »Teufelskind! Teufelskind!«

»Um so besser, wenn ich des Teufels Kind bin!« rief Amiele zurück. »Da werde ich niemals so grundhäßlich und grob wie ihr! Der Teufel, mein Vater, wird schon dafür sorgen, daß ich immer hübsch vergnügt bleibe!«

 


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