Friedrich Spielhagen
Sturmflut
Friedrich Spielhagen

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Du sollst sehen, Carla, er kommt heute wieder nicht, sagte Frau von Wallbach, eine womöglich noch bequemere Lage in ihrem Fauteuil versuchend.

Carla, die am Flügel saß, zuckte die Achseln und machte pianissimo einen Lauf mit der rechten Hand.

Auch Fräulein von Strummin ist abgereist, ohne uns eine Abschiedsvisite gemacht zu haben.

Die alberne kleine Person, sagte Carla, den Lauf wieder zurückmachend.

Und Else ist nicht einmal hier gewesen, diese Ungeschicklichkeit zu entschuldigen.

Um so schlimmer für sie, sagte Carla.

Die Tür hinter ihr nach dem Vorsaal wurde geöffnet: Nur die vertrauteren Freunde nahmen bei kleineren Gesellschaften ihren Eingang durch dies Gemach – ihr Gemach; der Eingetretene mußte entweder Ottomar oder der Graf sein. Sie hatte nichts gehört, sondern ließ, während der Schritt über den dicken Teppich näher kam, ihre Finger träumerisch über die Tasten gleiten: »Schon sendet nach dem Säumigen der Gral« –

Mein gnädiges Fräulein!

Ach, lieber Graf, sagte Carla, ein wenig aufblickend und dem Grafen halb über die Schulter die linke Hand reichend. Der Graf hatte die ihm so nachlässig gereichte Hand an seine Lippen gezogen.

Rücken Sie den Sessel da hierher – nicht so nah! – So! und lassen Sie sich durch mein Geklimper nicht stören. – Wissen Sie, lieber Graf, daß Sie ein gefährlicher Mensch sind?

Aber meine Gnädige! rief der Graf, was tue ich denn? Alle Welt vergöttert Sie, warum soll ich nicht dürfen, was alle Welt darf?

Weil Sie nicht alle Welt sind, weil –

Carla hob die Augen. Der Graf war immer wie berauscht, wenn er einmal in diese blauen Augen blicken durfte, unter deren müde herabsinkenden Lidern sich ihm eine geheimnisvolle Welt von Zärtlichkeit und Schalkhaftigkeit zu verbergen schien.

Weil ich zu spät gekommen bin, flüsterte er leidenschaftlich.

Man darf eben nicht zu spät kommen, lieber Graf, das ist der schlimmste Fehler im Kriege, in der Politik – überall.

Sie spielte: »- nur ein Jahr an deiner Seite hätt' ich als Zeuge deines Glücks ersehnt!« – Der Graf starrte schweigend vor sich hin. – Er nimmt das für ernst, dachte Carla; – ich muß ihm wieder ein wenig Mut machen.

Warum sollten wir nicht Freunde sein? sagte sie, ihm die Rechte reichend, während die Linke intonierte: »Kehr' bei mir ein! Laß mich dich lehren, wie süß die Wonne reinster Treu'!«

Gewiß, gewiß! rief der Graf, einen langen, feurigen Kuß auf die dargebotene Hand drückend. Warum sollten wir nicht Freunde sein!

Nicht wahr? Die Freundschaft zwischen reinen Seelen ist so süß! Aber die Welt ist nicht rein! Sie liebt, das Strahlende zu schwärzen, sie will Garantien. Geben Sie ihr die in diesem Falle einzig mögliche: Heiraten Sie!

Und das raten Sie mir?

Gerade ich, ich werde einen unschätzbaren Vorteil davon haben: Ich werde Sie nicht ganz verlieren. Mehr kann ich nicht verlangen, mehr verlange ich nicht.

Und Carla spielte mit beiden Händen: »Laß zu dem Glauben dich belehren: Es gibt ein Glück, das ohne Reu'!«

Großer Gott, Carla – mein gnädiges Fräulein, wissen Sie, daß ich etwas Ähnliches – in fast denselben Worten –

Von Herrn Giraldi gehört habe, sagte Carla, als der Graf verlegen schwieg. Sprechen Sie es ganz ruhig aus; es beleidigt mich nicht: Er ist der klügste der Menschen, vor dem man keine Geheimnisse haben kann, selbst wenn man wollte, und – ich will es nicht; Sie – sollten es auch nicht wollen. Er liebt Sie sehr; er will Ihr Bestes – glauben Sie mir! Und trauen Sie ihm!

Ich glaube es, sagte der Graf; – und ich würde ihm unbedingt trauen, wenn die Verbindung, um die es sich handelt, nicht auch einen ganz kleinen geschäftlichen Beigeschmack hätte. Sie wissen, ich habe heute den Warnowschen Komplex gekauft. Ich hätte schwerlich ein so ungeheures Risiko auf mich genommen, gar nicht auf mich nehmen können, wenn man nicht hätte durchblicken lassen, daß ich zum mindesten die Hälfte des Kaufgeldes in Form der Mitgift –

Verschonen Sie mich mit dergleichen, lieber Graf, rief Carla; ich verstehe ein für allemal nichts davon! Ich weiß nur, daß meine Schwägerin ein entzückendes Geschöpf ist und daß Sie ein schrecklich blasierter Mensch sind, vor dem jedes ehrliche Mädchen ein Grauen empfinden müßte. Und jetzt gehen Sie in den Salon.

Der Graf nahm ihre Hand von den Tasten, drückte auf dieselbe leidenschaftliche Küsse und eilte in einer Bewegung, die halb gemacht und halb empfunden war, in den Salon.

Er ist doch ein lieber Narr, flüsterte Carla, über die Schulter gewandt, dem Enteilenden mit der Lorgnette vor dem Auge nachblickend.

Das ist er, sagte eine Stimme neben ihr.

Mon Dieu, Signor Giraldi!

Wie immer zu Ihren Diensten!

Wie immer zur gelegenen Stunde! Sie sind noch nicht im Salon gewesen? Natürlich nicht! Kommen Sie! Plaudern wir noch ein paar Minuten! Ein tête-à-tête mit Ihnen ist ja ein vielbeneideter Vorzug.

Und dabei ist dies respektable tête-à-tête nicht ganz so gefährlich wie das vorhergehende, sagte Giraldi, sich zu Carla auf ein kleines Sofa setzend, das in der Tiefe des Zimmers unter einem Wandkandelaber stand. – Haben Sie mit ihm gesprochen?

Soeben!

Und was hat er erwidert?

Er begreift alles, nur nicht –

Also doch nicht alles.

Lassen Sie Ihr ironisches Lächeln: Er ist wirklich so unbedeutend nicht. Er ist zum Beispiel klug genug, nach dem Interesse zu fragen, das Sie speziell an seiner Verbindung mit Else nehmen können.

Zürnen Sie nicht, wenn ich noch ein ganz klein wenig weiter lächle, sagte Giraldi. Der Herr Graf fragt nach dem Interesse, das ich an der Sache habe, er, auf dessen Seite der ganze Vorteil liegt? Nun ja, ich gebe es zu: Der Verkauf hätte sich in die Länge gezogen, da der Herr General aus purem Eigensinn überhaupt nicht und Ihr Herr Bruder aus Gründen der Schicklichkeit nicht an das Gründungskomitee direkt verkaufen will und durchaus eine Mittelsperson verlangt; ich gebe weiter zu, daß der Graf nicht nur die in jeder Hinsicht bequemste, schicklichste, sondern auch die für uns lukrativste ist, weil er als Nachbar wirklich mehr bezahlen kann als jeder andere. Aber das ist ein Vorteil für uns, den wir durch andere Vorteile, die wir ihm gewähren, auf das reichlichste kompensieren. Glauben Sie mir, liebes Fräulein, das alles weiß der Graf so gut wie ich; und er spielt auch nur den Unwissenden und infolgedessen Zaghaften, aus Gründen, die ich Ihnen der Reihe nach nennen will. Erstens: Es ist immer gut, wenn man die Hand nicht sieht, die uns das Glück in den Schoß wirft – man kann dann gelegentlich so undankbar sein, wie man will; zweitens, er liebt Sie und – wer möchte es ihm verdenken? – hält seine Sache noch nicht für durchaus verloren, solange Sie nicht vermählt sind; drittens ist er gar nicht sicher, daß er von Fräulein von Werben akzeptiert wird, und zu dieser Unsicherheit hat er in der Tat gegründetere Veranlassung, als sich seine Philosophie und Eitelkeit zusammen träumen lassen.

Sie deuteten bereits wiederholt auf eine Neigung hin, die Else zu dem hübschen Schiffskapitän haben sollte, sagte Carla. So sehr ich Ihren Scharfsinn auch bewundere, lieber Giraldi, hier ist die Grenze meiner Gläubigkeit.

Und wenn ich unumstößliche Beweise, – wenn ich es schwarz auf weiß habe von der Hand der vertrautesten Freundin Elses, jenes kleinen Fräuleins von Strummin, das so Hals über Kopf abgereist ist, um uns aus der Sicherheit ihrer Insel heraus durch die Nachricht ihrer Verlobung mit dem Bildhauer Justus Anders zu überraschen? Bitte lachen Sie nicht; es ist alles positiv, was ich Ihnen erzähle. Herr Justus Anders aber ist wieder der vertrauteste Freund des Herrn Kapitäns; die Freundespaare, scheint es, haben hinüber und herüber keine Geheimnisse, jedenfalls hat Fräulein von Strummin keine vor ihrem Verlobten.

Sehen Sie, liebes Fräulein: Jene Mitteilung von Elses maritimen Neigungen und Beziehungen würde am Ende doch den Grafen bestimmen, seine Bewerbung aufzugeben, und bis jetzt waren wir ja der Ansicht, es sei das bequemste für alle Teile, ihn an Else zu verheiraten. Wollen Sie ihn für sich selbst – und es scheint so – nun, so kann auch gewiß dazu Rat werden. Nur übereilen würde ich an Ihrer Stelle nichts. Wir können ja das Spiel so lange hinauszögern, wie es uns beliebt. Weshalb sollten Sie auch die Süßigkeit des Brautstandes nicht bis zum letzten Tropfen auskosten? Um so mehr, als Ottomar – große Seelen beleidigt die Wahrheit nicht – das Glück, das ihn in den Armen der anmutigsten, der geistreichsten aller Frauen erwartet, wohl schwerlich nach seinem wahren Wert zu schätzen weiß.

Das heißt, sagte Carla, Ottomar muß tun, was Sie wollen: Sie haben ihn in der Hand. Nun, lieber Freund, ich weiß ja, wie mächtig Ihre Hand ist; aber ich gestehe, nicht zu begreifen, worin in diesem Falle die Macht besteht. Daß Ottomar Maitressen gehabt hat, vermutlich noch hat – nun, ich habe auch meinen Schopenhauer gelesen, der von der Monogamie nicht spricht, weil er sie nirgends hat entdecken können. Und ich möchte nicht gerade die erste Frau sein, die ihren Geliebten deshalb weniger interessant findet, weil er anderen Frauen interessant ist. Seine Schulden? Nennen Sie mir einen, der keine hätte!

Treffen wir also, wenn wir sonst d'accord, danach unsre Maßregeln, erwiderte Giraldi. – Mitte Februar bereits finden Sie, daß Ihre so zart organisierte Natur den Anstrengungen der Saison nicht länger gewachsen ist, daß Sie, bevor Sie in den neuen Abschnitt Ihres Lebens eintreten, durchaus der Sammlung und Ruhe bedürfen, die Ihnen die Stadt ferner nicht zu gewähren vermag. Und da trifft es sich nun herrlich, daß um dieselbe Zeit die Baronin, meine liebe Freundin, von dem Bedürfnis nach Ruhe getrieben, eine Zuflucht in dem stillen Warnow sucht. Ich habe mir Schloß und Park von dem Herrn Grafen, der seit heute morgen Besitzer der Güter ist, eigens zu diesem Zwecke für die Monate Februar und März reserviert. Er wird entzückt sein, daß Fräulein von Wallbach die Zurückgezogenheit der Tante ihres Verlobten teilen will. Nicht allein! Die Baronin wird auf ihren dringenden Wunsch von Fräulein Else begleitet werden. Der Herr Graf, dem um diese Zeit seine Geschäfte – in erster Linie der Hafenbau in Warnow – den Aufenthalt auf dem Lande zur Pflicht machen, wird alles tun, die Einsamkeit der Damen zu beleben und zu erheitern. Welches Schauspiel das Erwachen des Frühlings auf dem Lande, am Ufer des Meeres zu beobachten, vielleicht auch das Weiteraufblühen von der lieben Else stiller Neigung zu dem Manne ihrer Wahl, der es auf seinem neuen Posten – er ist seit einigen Tagen Lotsenkommandeur – genau so weit nach Warnow hat wie der Graf von seinem Schlosse aus! Wie scheint Ihnen mein kleiner Plan?

Entzückend! sagte Carla; – aber ob ausführbar?

Das lassen Sie meine Sorge sein. Geben Sie mir nur Ihre beiden schönen Hände darauf, daß Sie mich unterstützen wollen.

Hier haben Sie sie!

Und auf beide drücke ich als Siegel der Bestätigung meine Lippen.

*


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