Friedrich Spielhagen
Noblesse oblige
Friedrich Spielhagen

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Viertes Kapitel.

Was ich will, das will ich nicht halb; was ich tue, das tue ich ganz. Dies Wort, das Minna auf der Fahrt nach Hause zu Billow gesagt, kam ihr wieder in Erinnerung; und sie gelobte sich, fest bei ihm zu stehen und es zur vollen Wahrheit zu machen. Sie konnte ja nicht irren, wenn sie genau das tat, wofür ihr der Geliebte das Beispiel gegeben. Hatte er in dem Streite zwischen Liebe und Pflicht gewiß nicht ohne heißen, schweren Seelenkampf sich für die letztere entschieden, nun wohl, sie durfte ebensowenig wie er vergebens mit sich selbst gerungen haben. Hatte er die Geliebte ihrem irdischen Geschick überlassen für seinen Kaiser, mit dem für ihn sein Vaterland stand und fiel, so mußte sie ihm seine Erdenwege segnen, um sich ihrerseits ihrem Vaterlande zu widmen, das den heiligen Namen nicht verdiente, solange es in Knechtschaft schmachtete. Auch für die Frau war jetzt die Zeit gekommen, wo sie ihren Anteil nehmen mußte an dem großen Befreiungswerke; ja, Minna sprach es aus: es kann ohne uns Frauen nicht zu einem guten Ende geführt werden. Wie sollen die Männer mutig in den Kampf gehen, von dem heulende Mütter und Weiber, Schwestern und Töchter sie hatten zurückhalten wollen? dem Tod sich weihen, der in den Augen jener ein Verbrechen ist? Der Mann ist von Haus aus tapfer; er wird nur feig durch die Weiber. Schafft tapfere Weiber, und es wird keine feigen Männer mehr geben!

Sie ließ es nicht bei den Worten, und indem sie ihre Gesinnungen in Taten umzusetzen suchte, bemerkte sie zu ihrem großen Erstaunen, daß ihr, wie über Nacht, seelische Eigenschaften gekommen waren, die sie sich früher völlig abgesprochen haben würde. Sie hatte sich immer für stolz bis zur Hoffart gehalten und scheu bis zur Menschenfurcht. Stets hatte sie sich suchen lassen: von ihren Anbetern, ihren Freundinnen; nie hatte sie den einen oder den anderen einen Schritt entgegengetan. Als im Frühjahre das Geschäft des Vaters schlecht zu gehen anfing, war sie es gewesen, die in der Familie darauf drang, daß man sich von den reichen und wohlhabenden Häusern, in denen man bis dahin verkehrt hatte, zurückziehen müsse, bevor jene den Verarmten ihre Türen schlossen; und es war für sie eine traurige Genugtuung gewesen, als sich aus so manchen Anzeichen herausstellte, daß sie die Denkungsart der sogenannten Freunde ganz richtig taxiert hatte. Jetzt plötzlich trat sie uneingeladen über die so sorgsam gemiedenen Schwellen: sie mußte doch den Erstaunten persönlich und vertraulich mitteilen, daß sie sich mit Theodor Billow verlobt habe, da man in dieser traurigen Zeit sich schicklicherweise öffentlich nicht verloben könne! Sie schien beglückt durch die ihr gespendeten Glückwünsche, dankbar für die Beteuerungen einer Freundschaft, die man so ungern unterbrochen gesehen habe; erwiderte die Bitte, von nun an in alter Weise fest zusammenzuhalten: und dann wußten die Betreffenden nicht, wie das Gespräch sich plötzlich auf die politische Lage, auf die Zustände in der Stadt gelenkt hatte, und aus demselben Munde, der eben noch von häuslichen Dingen in der üblichen Frauenweise geredet, Feuerworte kamen von Vaterland und Freiheit und den heiligen Pflichten, die den Frauen oblägen in so schwerer Zeit. Das hörten denn die einen mit stumpfer Verwunderung an, andere gar mit Kopfschütteln; aber es fanden sich doch immer solche, in deren Seelen die Feuerworte als zündende Funken fielen; und die Eifrige freute sich ihres Erfolges und klopfte wieder an eine andere Tür.

Hätten wir mehr solcher Mädchen wie Sie, und Frauen wie die meine, rief Friedrich Perthes, wieviel besser stände es um uns! Aber wo soll man euresgleichen finden!

Minna ging jetzt in dem Perthesschen Hause aus und ein. Sie war mit Karoline Perthes früher nur obenhin bekannt gewesen; jetzt suchte sie eifrig die Freundschaft der trefflichen Frau, die mit der innigsten Frömmigkeit klarstes Verständnis der weltlichen Dinge, herzliche Bescheidenheit mit entschlossener Tatkraft auf das schönste zu vereinigen wußte und, indem sie nur ihrem Gatten und der zahlreichen Kinderschar zu leben schien, an dem Gange der politischen Dinge im großen wie im kleinen leidenschaftlichen Anteil nahm.

Ganz, wie Sie, liebes Fräulein, sagte Friedrich Perthes. Ach, welche Wonne ist es, mit einer Frau reden zu dürfen wie mit einem Manne, während es so viele Männer gibt, denen man stundenlang Vernunft umsonst predigt!

In dem Perthesschen Hause traf Minna auch die Männer, welche die sich vorbereitende Bewegung leiteten, ja, sie durch ihren Einfluß, ihre Initiative wesentlich erst hervorgerufen hatten: den feurigen, vornehm-absprechenden von Heß, den bescheidenen, von idealem Schwunge getragenen Doktor Beneke, den wortkargen, nur auf Taten sinnenden, zum Äußersten entschlossenen Dachdeckermeister Mettlerkamp, und so manchen anderen, der fest und treu zur guten Sache stand, wenn der eine auch nur zu raten wußte, der andere nur zu taten vermocht hatte, und der dritte nur den besten Willen mitbrachte.

An den Beratungen, die unter diesen Männern je nach der Wichtigkeit des Gegenstandes bald in weiterem, bald in engerem und engstem Kreise gepflogen wurden, konnte Minna selbstverständlich nicht teilnehmen; aber Herr Perthes hielt »die Freundin«, wie er sie jetzt mit Vorliebe nannte, immer auf dem laufenden, selbst über die wichtigsten und geheimsten Dinge. Dabei drängte er sie stets, ihre Ansichten, auch wenn sie mit den seinigen nicht übereinstimmten, frei zu äußern ohne Rücksicht auf seine etwa größere Erfahrung und Weltklugheit. Minna machte von dieser Erlaubnis in bester Form den ausgiebigsten Gebrauch. Dabei stellte es sich denn wiederholt heraus, daß sie, die Unerfahrene, Weltfremde, als sei sie mit Seher- und Prophetengabe ausgestattet, die gegenwärtige Lage richtiger verstanden, das Kommende klarer vorausgeschaut hatte als er, der im Mittelpunkte der städtischen Ereignisse stand und über die große Politik mit den namhaften und einflußreichen Freunden korrespondieren konnte, die er überall in Deutschland und weit über die deutschen Grenzen hinaus zu den Seinen zählte. So hatte er von der guten Stimmung, die in Berlin herrsche, und von der er sich bei einem kurzen Aufenthalt, welchen er neuerdings dort gemacht, selbst überzeugt, des Rühmlichen nicht genug berichten können; und, als nun gar der Abfall Yorks, von dem man in Berlin schon gemunkelt hatte, sich bestätigte, erklärt, daß Preußen binnen vier Wochen losschlagen müsse und dann ganz Norddeutschland mit sich reißen werde. Aber Woche um Woche verging, und die sehnlich erharrte Kriegserklärung blieb aus. – Sie scheinen recht behalten zu sollen, liebe Freundin, sagte Friedrich Perthes, Minna traurig die Hand drückend. Der König ist einmal ein Kunktator, wie jener alte römische Konsul, nur daß der Beiname Maximus schlecht dazu passen dürfte, man müßte denselben denn direkt auf Kunktator beziehen. Wissen Sie schon, daß eine andere Prophezeiung von Ihnen sich erfüllen wird? Wir werden die Bürgerwehr, über deren Organisation wir so viele Stunden beraten haben, und die in unseren Köpfen und auf dem Papiere einen so schönen Fortgang nahm, schwerlich zustande bringen. Herr von Heß –

Ich weiß, sagte Minna, er hat ja öffentlich ausgesprochen, daß die Bürgerwehr verpflichtet sein solle, unseren Bedrängern Schutz zu gewähren, im Falle es zu einem Volksaufstande kommt. Wer mag sich für ein solches Zwitterding begeistern? Als ob wir mit ein paar hundert wohlerzogenen und wohlgedrillten Bürgerssöhnen die Franzosen zum Tore hinaus manövrieren könnten! Als ob sie nicht unsere Herren bleiben werden bis zu dem Tage, an dem das Volk aufsteht und der Sturm losbricht!

Ich habe grenzenloses Vertrauen zu dem Mute und der Opferfreudigkeit des Volkes, erwiderte Perthes, und zweifle keinen Augenblick daran, daß wir der vielleicht zweitausend Franzosen, die wir nach Lauristons Abzug etwa hier haben, wenn wir wollten, noch heute Herr werden könnten. Aber ein solcher Aufstand, liebe Freundin, würde selbst im Falle vollkommenen Gelingens erfolglos sein. Und daß ich's nur offengestehe: mir liegt an der Befreiung Hamburgs so gar viel nicht, wenn nicht Deutschland zugleich frei wird; vielmehr, ich sehe die Rettung unserer Stadt nur in der allgemeinen Schilderhebung. Ein vereinzelter Aufstand ist ein Schlag ins Wasser. Glauben Sie mir: mit dem Volke allein ist in Deutschland allewege nichts, was Bestand hat, ins Werk zu richten; so müssen wir auch die Fürsten für uns haben. Ich, der ich aus einem Fürstenstaate bin, weiß das besser, als Sie Republikanerin es wissen können. Sie sehen mich in der Vorbereitung zu einer Reise. Ich will Ihnen, wie immer unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, sagen, wohin sie geht: nach Eutin zu dem Präsidenten von Maltzan, der mir eine Schrift, die ich aufgesetzt habe, an den Herzog von Oldenburg übermitteln soll. Der Herzog ist ein treuer, deutscher Mann. Wenn der, und wäre es auch nur mit einer kleinen Truppenzahl, in unserer Gegend auftritt und dann selbstverständlich an unsere Spitze sich stellt, ich bin überzeugt, so haben wir gewonnen. Die Fürsten und der Adel, das Volk – alle und alles wird zu ihm stehen, und Deutschland wird mit Gottes Hilfe ohne die gefährliche Bundesgenossenschaft der Russen allein durch sich selbst frei bis an den Rhein. Und jetzt muß ich Ihnen Lebewohl sagen. Behalten Sie guten Mut und grüßen Sie mir Ihren Bruder! Lassen Sie ihn immerhin noch ein Paar Wochen in Warnesoe an seinen Ketten rasseln! Sie haben mein Wort, daß ich ihn rufen werde, sobald die rechte Stunde geschlagen hat.

Minna durfte den verehrten, eilfertigen Mann durch ihren Widerspruch nicht aufhalten und betrüben; aber als sie dann nachdenklich durch die engen Gassen nach Hause ging, sprach sie bei sich selbst: Wenn wir harren wollen, bis alles auf dem Papiere in Ordnung ist, und die Fürsten ihre Siegel daruntergedrückt haben, wird die rechte Stunde nie schlagen.


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