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16.

I ndessen war die Gefahr, in welcher die Stadt durchaus schweben sollte, keineswegs so groß, als sie den Herren vom Rathe durch das hundertmalige Vergrößerungsglas ihrer Angst erschienen war; oder, um der Wahrheit die Ehre zu geben: eine wirkliche Gefahr war gar nicht vorhanden. Wie Dr. Holm vorausgesagt, war die Volksversammlung im Römer anstatt von sechstausend, auf welche der sanguinische Münzer und Peter Schmitz gerechnet hatten, kaum von eben so vielen Hundert besucht worden, und selbst unter diesen sechshundert waren sehr Wenige für einen entscheidenden Schritt gewesen. Die Ansprachen des Herrn von Hohenstein an die Arbeiter der verschiedenen großen Fabriken waren nicht ohne Eindruck geblieben. Die Leute hatten die Volksversammlung entweder gar nicht besucht, oder zeigten sich keineswegs eifrig für die gemeine Sache. Sie äußerten ganz offen, daß sie sich von dem Nutzen einer allgemeinen Volksbewaffnung nicht überzeugen könnten, so lange die Löhne nicht bei kürzerer Arbeitszeit erhöht würden. Wenn sie jetzt noch Wache stehen und Patrouillendienst verrichten sollten, so müßten ihre Weiber und Kinder gar verhungern. Vergebens, daß Münzer, Peter Schmitz, zuletzt auch Dr. Holm ihre Beredtsamkeit erschöpften und den Leuten zu beweisen suchten, daß sie die Sache gerade auf den Kopf stellten, daß in der Politik und im Staatsleben die Macht das Erste und die Rechte das Zweite seien, daß alle Rechte, die ihnen jetzt vielleicht die Angst der Besitzenden concedirte, in dem Augenblicke, wo Jene sich wieder in dem Besitz der Macht fühlten, in Frage gestellt und zurückgenommen werden würden – es wollte heute Abend kein Feuer in die Versammlung kommen, und Münzer, welcher den Vorsitz übernommen hatte, hütete sich, zu Beschlüssen zu drängen, deren Unausführbarkeit für diesmal bei der geringen Zahl der im Römer Anwesenden, auf der Hand lag. Dennoch zog er absichtlich die Verhandlungen in die Länge, um mit dem Dunkel der Nacht das klägliche Scheitern der so pomphaft angekündigten Demonstration möglichst zu verhüllen. Zuletzt wurde beschlossen, vom Römer aus in Colonne durch die Stadt auf den Marktplatz zu ziehen und dort Angesichts der vor dem Rathhause aufmarschirten Bürgerwehr mit einem Hoch auf die Freiheit auseinander zu gehen. Einige Heißsporne in der Versammlung – unter ihnen besonders der Schlossergeselle Christoph Unkel – murrten freilich laut gegen einen so mattherzigen Entschluß, aber sie wurden überstimmt und um halb zehn Uhr setzte sich der Zug, voran die Leiter der Versammlung: Münzer, Peter Schmitz, Holm (der Letztere gestützt auf den Arm des starken Christoph) und Andere, unter Absingung des Schleswig-Holstein-Liedes, in Bewegung.

Vor dem Rathhause hielt Münzer eine Ansprache an das Volk, in welcher er für das ihm geschenkte Vertrauen dankte, und erklärte, daß man nun auch die Haltung, zu der man sich einmal entschlossen, streng bewahren müsse.

»Wir haben,« rief er und seine mächtige Stimme scholl weit hin über den wimmelnden Marktplatz, »heute Abend den Entschluß gefaßt, unseren Gegnern durch unsere Enthaltsamkeit, unsere Mäßigung zu beweisen, daß es nur ihr schlechtes Gewissen ist, was sie hindert, uns in ihren Reihen aufzunehmen. Man kann die Klugheit dieses Entschlusses in Frage stellen, man wird den Edelmuth, der ihn dictirte, anerkennen müssen. Wir wollen stark sein durch unsere Schwäche, wir wollen erwerben dadurch, daß wir nichts erstreben, wir wollen siegen, ohne daß wir kämpfen. Mögen unsere Gegner von uns lernen! Mögen sie nicht vergessen, daß der nicht immer im Rechte ist, der im Besitze ist, und daß der rechtlose Besitz ein Schwert ist, welches der Rost zerfrißt. Lassen wir diesen Rost fressen! er thut sein Werk langsam, in Jahrhunderten, Jahrtausenden, und unser Leben, wenn es hoch kommt, dauert siebenzig und achtzig Jahre. Aber das Volk ist ewig, das Volk hat Zeit; es lebe das edelmüthige, geduldige, unsterbliche Volk! Und hiermit löse ich die Versammlung auf; es gehe ein Jeder ruhig in seine Wohnung; es ist Schlafenszeit, und unsere Gegner sollen nicht sagen, daß wir auch nur eine der Pflichten des guten Bürgers versäumt haben.«

»Hoch, Dr. Münzer soll leben! Hurrah hoch, und abermals hoch!«

Die Hunderte und aber Hunderte, welche der Rede Münzer's gelauscht hatten, zerstreuten sich lärmend hierhin und dorthin.

»Ich glaube, Münzer, Sie haben die Leute verhöhnen wollen,« sagte Dr. Holm, der nebst Peter Schmitz und einigen Anderen noch in Münzer's Nähe stand.

»Und hatte ich nicht Fug und Recht dazu?« rief Münzer wild; »ist das ein Volk? Eine Heerde ist's! weiter nichts! Treibe sie, wer will; ich habe es satt!«

Er zog den Calabreser tief in die Stirn und eilte mit großen Schritten von den Freunden fort in die Nacht hinein.

Ein düsterer Unmuth hielt seine Seele gefangen. Er hatte sich heute Abend gegenüber der in seinen Augen einsichts- und energielosen Menge so viel Gewalt anthun müssen, und nun, da er allein war, brach all der finstere Zorn und Groll wie ein Lavastrom aus seinem heißen, stolzen Herzen. In wilden Worten, von denen eins oder das andere durch die übereinandergepreßten Zähne brach, schalt er das Volk, wie ein Vater den ungerathenen Sohn, auf den er in seiner parteiischen Zärtlichkeit so große Hoffnungen setzte. Er wiederholte sich mit bitterm Hohngelächter das Göthe'sche Wort von denen, »die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, dem Pöbel Schau'n und Fühlen offenbarten«, und versprach sich hoch und theuer, »von diesem Augenblicke an die Sisyphusarbeit der Volksleitung denen zu überlassen, die noch nicht erfahren, daß der träge Block immerdar die Tiefe sucht.«

So stürmte er durch die Nacht dahin, ohne der Menge, die fast noch in allen Straßen unruhig durcheinandertrieb, zu achten. Er dachte nicht daran, nach Hause zu gehen. Was sollte er da, jetzt, wo seine Seele nach Freiheit schrie, wie der Hirsch nach Wasser, wo sein Herz springen wollte von vulkanischen Leidenschaften, wo er sich nach einsamen Alpenhöhen sehnte, der gequälten Seele im Anblick des Ungeheuren, Unfaßbaren eine Befriedigung zu gewähren, die er in dem Verkehr der Menschen vergeblich suchte? Was sollte er zu Hause in der quetschenden Enge bürgerlich nüchterner Zimmer? Sich von der Frau über die Erlebnisse des Abends, an die er nicht erinnert sein wollte, ausfragen lassen? oder sie durch seinen Unmuth, seine Heftigkeit betrüben? oder die Kinder ruhig in ihren Bettchen schlafen sehen? Die Kinder! warum wurden sie geboren, zu einem Leben geboren, das ihnen so wenig Freude, so wenig Befriedigung ihrer Wünsche gewähren würde? Freilich, sie hatten nicht des Vaters leidenschaftgetränkte Seele; es war in ihnen Allen ein unverkennbarer Zug von dem stillen, duldenden Sinn der Mutter – aber auch so! – warum wurden sie geboren? was ist, was bedeutet ein Leben, das dem friedlichen Bache gleicht, der sich durch träges Weideland behaglich schlängelt? ein Leben – nun ja, wie Clara's Leben? Und weshalb ihm, dem Wilden, Unbefriedigten, Ruhelosen, die Sanfte, Bescheidene, Friedfertige? – Und wenn sie noch glücklich gewesen wäre! aber auch sie war es nicht. Trug sie nicht immer das Gefühl mit sich herum, daß sie nicht die rechte Gefährtin ihres Gatten sei, nicht das Weib, dessen er, der Ringende, Kämpfende bedurfte? Hatte dies Gefühl ihr nicht, wie ein schleichendes Gift, vor der Zeit die Jugendblüthe geknickt? Sah man es nicht deutlich in dem schmerzlichen Zug, der so oft um ihren Mund lag, in dem düsteren Blick ihrer Augen, wenn sie sich unbeachtet glaubte? Stand sie nicht Morgens mit diesem Gefühl auf? Legte sie sich nicht Abends damit zu Bett? Wer trug die Schuld, wenn man anders Schuld nennen kann, was aus der Wirkung geheimnißvoll sich suchender und fliehender Kräfte mit organischer Notwendigkeit herauswächst? Hatte er geahnt, als er vor zwölf Jahren um die Achtzehnjährige freite, daß der Strudel der Zeitkämpfe ihn so bald und so mächtig erfassen und hineinwirbeln würde in schaurige Tiefen, wohin sie, die Zarte, nicht folgen konnte? Und sollte er darum das rettende Ufer zu gewinnen suchen, und vom sichern Hafen einer friedfertigen Häuslichkeit die Gefährten sich abmühen sehen? kämpfen, untergehen sehen? Nimmermehr! Wer den Drang und die Kraft in sich fühlt, im Großen zu wirken und zu schaffen, der darf sich nicht in den engen Pferch bürgerlicher Alltäglichkeit einsperren lassen. Wer sich dem Volke weiht, kann nicht auf jede Wolke achten, die über seines Weibes Stirn zieht. Nicht in dem Glück des Hauses – in dem Wohl des Staates sieht er seine Aufgabe, und seinen Lohn muß er nicht in dem sanften Lächeln und in dem sanften Wort der Gattin – er muß es finden in dem tausendstimmigen Beifall, mit dem ein dankbares Volk seinen Tribunen auf seinem Wege von dem Forum in den Senat begleitet. – Ein dankbares Volk! diese stumpfsinnigen, brutalen Gesellen, die nicht handeln können, wie Männer, sondern nur toben und schreien, wie Buben! Ja wohl! ja wohl! Schreit nur zu, werft ein paar Fenster ein, legt euch mit der Ueberzeugung zu Bett, Heldenthaten vollführt zu haben, und wenn Ihr morgen mit dem katzenjämmerlichen Gefühl Eurer Erbärmlichkeit aufwacht, werdet Ihr Euch ja desto geduldiger in's Joch spannen lassen!…

Münzer war, ohne zu wissen, wie? und warum? in eine Straße gekommen, die sich sonst durch ihre vornehme, geschäftslose Ruhe auszeichnete, heute Abend aber, gleich den Nachbarstraßen, von Haufen lärmender, halbtrunkener Menschen durchzogen wurde. Ein solcher Haufe, der anfänglich nur aus einigen Wenigen bestanden haben mochte, jetzt aber mit jedem Augenblick in reißender Geschwindigkeit zunahm, pfiff, lärmte und schrie vor einem Hause, aus dessen zum Theil geöffneten Fenstern des oberen Stocks das blendende Licht der Kerzen in die dunkle Straße hinabstrahlte. In der Nähe einer ebenfalls weit geöffneten Fensterthür des Mittelbaues, die auf einen zierlich ausgeführten säulengetragenen Balcon führte, mußte ein Flügel stehen, dem zwei kunstgeübte Hände die tollsten Fortissimos und die muthwilligsten Capriccios in übermüthigster Laune entlockten. Je lauter und drohender unten auf der Straße die Stimmen wurden, desto mächtiger und majestätischer rollten oben die Töne des herrlichen Instrumentes, und sobald unten eine Pause in dem Schelten und Lärmen eintrat, perlten und scherzten oben die neckischen Triller, als spottete ein luftiger Ariel dem Wüthen eines Kaliban.

So wenigstens erschien dem leidenschaftlich erregten Manne, welcher jetzt dem Hause gerade gegenüber an die Mauer eines Gartens gelehnt stand, dieses wunderliche Concert. Seine Theilnahme wurde in eigenthümlicher Weise erregt. Er hatte das Haus, das sich durch seine zierliche Bauart sehr vortheilhaft vor den Häusern der Nachbarschaft auszeichnete, schon oft auf seinen Wanderungen durch die Stadt bemerkt, und seine allzeit geschäftige Phantasie war mit dem wilden Wein an den Pfeilern des Balcons hinaufgeklettert, hatte von dem Balcon aus in aristokratisch ruhige Teppichgemächer geblickt und dort schöne Gestalten geschaut, wie sie der Dichter in anmuthigen Novellen braucht. Er hatte mit Absicht nicht gefragt: wem das Haus gehöre, er wollte sich seine Illusionen nicht durch die Antwort stören lassen, daß dort der Banquier So und So, oder der Rentier Der und Der sich von der sauern Arbeit des Couponabschneidens auf schwellenden Divans erhole. Aber die Finger, die dort auf den Tasten lachten und scherzten, gehörten sicher keiner Hand, die in schmutzigem Gelde zu wühlen gewohnt war; wer so dem immer drohender anwachsenden Zorn einer erregten Menge zu trotzen sich erkühnte, war zum mindesten kein gewöhnliches Wesen, und Münzer's Kenntniß des menschlichen Herzens sagte ihm, daß mit solcher Keckheit die Selbstherrlichkeit seiner Laune zur Geltung bringen nur eine Frau im Stande sei.

»Sollen wir uns von den Aristokraten zum Narren halten lassen?« sagte ein grober Baß in seiner Nähe.

»Wir wollen ihnen zeigen, mit wem sie es zu thun haben!« schrie ein Anderer.

»Das übermüthige Volk verbrennt an einem Abend mehr Licht, als wir während des ganzen Jahres brauchen!« kreischte eine Weiberstimme.

»Werft ihnen die Fenster ein! – Wir wollen auch Musik machen! – Werft ihnen die Fenster ein!« – so schrieen die Wüthenden, und zwischendurch perlten die Läufe und tanzten die Triller immer lustiger, immer ausgelassener, als wäre das drohende Geschrei des Pöbels enthusiastisches Bravorufen eines elektrisirten Parterres.

Da klirrte ein Stein durch die Scheiben, und plötzlich verstummte das Spiel; eine hohe weibliche Gestalt in einem dunklen wallenden Kleide erschien in der offenen Balconthür und blieb dort einige Augenblicke, die Arme über der Brust verschränkend, ruhig stehen, als wollte sie dem wüsten Publikum unten Zeit lassen, sich zu überzeugen, daß man es mit einer Dame zu thun habe. Dann verschwand die Gestalt wieder und einen Moment darauf perlten die Läufe und tanzten die Triller, lustiger, ausgelassener, als zuvor.

Diese Kühnheit, weit entfernt, dem Pöbel zu imponiren, entfachte seinen Zorn zu hellen Flammen.

»Zum Teufel mit der frechen Aristokratenbrut! – Werft ihr die Fenster ein, daß ihr die Scherben um den Kopf fliegen! – Laßt keinen Stein auf dem andern!«

Mit drei Sätzen war Münzer über die Straße hinüber und auf der obersten Stufe der Treppe, die zu der Thür des Hauses führte. Einen Augenblick stand er, die Hand auf dem Thürgriff, unschlüssig, ob er eintreten solle oder nicht; aber noch einen Blick auf die Menge, die sich immer wüthender gebehrdete – und er drückte die Thür auf, welche die Dienstboten aus Feigheit oder Verwirrung zu verschließen nicht gewagt, oder versäumt hatten, trat in das Haus, eilte an ein paar zitternden Gestalten in Livree vorüber, die teppichbedeckte Treppe hinauf zu dem Flur des oberen Stockes, und öffnete, den noch immer lustig fort schmetternden Tönen des Flügels folgend, eine Thür.

Ein blendender Glanz von sehr vielen Kerzen auf Kronenleuchtern und Kandelabern strahlte ihm entgegen, zu grell fast für ihn, der eben aus dem Halbdunkel der Straße heraufkam. In dem großen herrlichen Gemache war Niemand, als die Dame, die er vorhin am Fenster gesehen. Sie saß, mit dem Rücken nach der Eingangsthür, noch immer am Flügel und wandte sich nicht nach dem Eintretenden um, dessen Schritt auf den dicken Teppichen sie vor dem rauschenden Fortissimo das eben unter ihren schlanken, kraftvollen Fingern emporrauschte, und dem Lärm auf der Straße auch wohl nicht hören konnte. Im nächsten Momente war Münzer an ihrer Seite und jetzt wandte sie ihr Antlitz zu ihm empor. Ihre Hände blieben auf den Tasten ruhen, ihre großen, strahlenden, braunen Augen blickten mehr erstaunt, als erschrocken zu dem edlen, bleichen, von dunklem Haar und Bart umwallten Gesicht, das plötzlich, wie eine phantastische Erscheinung, mit einem Ausdruck halb des Schreckens und halb der Bewunderung sie anstarrte.

Aber ehe sie die üppigen Lippen zu einem fragenden Worte öffnen konnte, hatte Münzer ihre Hände ergriffen, sie mit sanfter Gewalt von ihrem Sessel am Flügel emporgezogen und tiefer hinein in das Zimmer geführt.

»Verzeihen Sie, meine Gnädigste!« sagte er, und dabei zitterte seine tiefe Stimme vor Erregung. »Sie schweben in einer größeren Gefahr, als Sie glauben. Gestatten Sie mir, von jenem Balcon aus ein paar Worte zu den Wüthenden unten zu sprechen. Ich weiß kein anderes Mittel.«

Er wandte sich, ohne ihre Antwort abzuwarten, von ihr ab, eilte durch das Gemach und trat hinaus auf den Balcon. Es war die höchste Zeit. Die Tumultuanten hatten sich mit Ziegelsteinen von einem in der Nähe befindlichen Bauplatz bewaffnet und eine rauhe Stimme schrie: »Alle auf einmal! – Eins, zwei –«

»Halt!« donnerte Münzer, die Rechte gebieterisch emporstreckend, halt!«

Die unerwartete Erscheinung des gewaltigen Mannes und seine mächtige Stimme machten die Menge stutzen. Sie standen, die Steine zum Wurf erhoben, aber auch nicht Einer wagte den Wurf zu thun. Münzer ließ ihnen keine Zeit, sich von ihrem Erstaunen zu erholen.

»Seid Ihr freie Männer?« rief er – und seine tiefe Stimme grollte wie rollender Donner – »oder seid Ihr losgelassene Sklaven, daß Ihr in heillosem Wüthen und unsinnigem Zerstören Eure Kraft nutzlos verschleudert? Seid Ihr schwach vor der Tyrannei? und stark nur da, wo Euch kein Widerstand entgegengesetzt wird? Ist das Eure Freiheit, daß Ihr dem Einzelnen verbieten wollt, zu leben, wie er will und mag, wenn Niemandem unter Euch dadurch ein Leides geschieht? Wohl! kühlt Euren frevlen Muth! schleudert Eure Steine in ein friedliches Haus! aber ich werde nicht von dieser Stelle weichen, und wenn Ihr Alle nach mir und nur nach mir zieltet!«

Die Menschen unten blickten einander betroffen an, und ließen die erhobenen Arme sinken. Es waren Einige unter ihnen, die Münzer persönlich kannten, die heute Abend noch in der Volksversammlung seinen Worten gelauscht hatten. »Es ist Dr. Münzer!« murmelte es durch den Haufen; »ein wackerer Mann – was Dr. Münzer sagt, ist wahr – er meint es gut mit uns. – Münzer soll leben! Hurrah hoch und abermals hoch!«

Die leichtbewegliche Menge stimmte lustig in den von ein paar Kehlen erhobenen Ruf ein. Es kam den Leuten augenscheinlich nur auf Schreien und Lärmmachen an, ob wider Jemand oder für Jemand, ob mit, ob ohne Sinn – darnach fragten die Wenigsten.

»Ich danke Euch!« sagte Münzer mit kaum verhehlter Ironie; »nun aber thut mir den Gefallen, und gehe ein Jeder ruhig in seine Behausung. Morgen ist auch noch ein Tag und für heute ist's genug und über genug. Gute Nacht!«

Er winkte mit der Hand, trat zurück und schloß die Fensterthür. während die draußen: »Hoch, Dr. Münzer, hoch, und abermals hoch!« schrieen, und, der Mahnung Münzer's Folge leistend, auch wohl zum Theil des Lärmens müde, die Steine aus den Händen warfen und singend oder ruhig die Straße hinabzogen.



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