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4.

U nterdessen hatte Camilla die Stunde für den Plan, welcher heute Morgen während der Unterhaltung im Park in ihrem feinen klugen Köpfchen plötzlich aufgeschossen war, so gut es gehen wollte, zu benutzen gesucht, und, da hübschen Kindern das Glück, wie billig, hold ist, Zeit und Mühe keineswegs verloren.

Mutter und Schwester und die Verwandten waren kaum aus dem Hause, als die junge Dame aus ihrem Zimmer zu Madame in die Küche kam, und die Gestrenge um etwas Weinessig bat, mit dem sie ihre schmerzenden Schläfen waschen wollte. Eine so bescheidene, und noch dazu in so freundlich-demüthigem Tone vorgetragene Bitte konnte selbst Madame nicht wohl abschlagen. Sie hatte der Kleinen den Essig gegeben, und als diese sich dankend entfernen wollte und dabei, wie einer Ohnmacht nahe, geschwankt hatte, etwas einer menschlichen Rührung ähnliches verspürt, ja die Mildherzigkeit so weit getrieben, die Waschung der schönen Stirn eigenhändig zu vollziehen. Aber kaum hatten ihre harten, spitzen Finger das volle Haar aus den zarten Schläfen gestrichen, als ein Paar schmachtende Augen sich zu ihr erhoben, ein Paar weiche Händchen ihre Knochenhände erfaßten und eine liebliche Stimme flüsterte: »Ach, wie wohl das thut! Was Sie doch für eine gute, liebe Frau sind!«

Frau Brigitte stutzte. Schlau, argwöhnisch und schlecht, wie sie war, klang das ihr gespendete Lob gar zu seltsam in ihren keineswegs verwöhnten Ohren. Sie warf einen ihrer schielenden Blicke auf das junge Mädchen und sagte in ihrer kalten, trockenen Weise:

»Umsonst ist der Tod. Wo soll's denn hinaus?«

»Wie meinen Sie, liebe Madame?« sagte das junge Mädchen mit trefflich gespielter Unbefangenheit.

»Warum ist denn das Fräulein gar so gnädig?« fragte Brigitte höhnisch. »Denken Sie denn, daß ich so dumm bin, und all die schönen Sachen glaube, die mir die Herrschaften aus der Stadt sagen? Denken Sie denn, daß ich nicht weiß, Ihr würdet mich Alle, wie Ihr da seid, wie einen Hund behandeln, wie einen räudigen Hund, wenn ich nicht zufällig bei dem da« – sie deutete auf eine Thür, die aus dem Zimmer in die inneren Gemächer führte, – »so viel gälte?«

»Aber liebe, beste, einzige Madame, wer wird auch so argwöhnisch sein!« rief das junge Mädchen, ihre Stimme, wie in großer Entrüstung, erhebend. »Ich gebe zu, daß nicht alles Schmeichelhafte, das Ihnen gesagt wird, ehrlich gemeint ist; aber ich habe Ihnen doch nie Grund zu einem solchen Verdachte gegeben. Ich versichere Sie, daß ich wenigstens es von Herzen gut mit Ihnen meine; ja wahrhaftig, von Herzen gut.«

»St, st!« murrte Brigitte, und schielte dabei gräulicher als je; »was soll das Geschrei! Ich glaube gar, Sie wollen –«

Frau Brigitte hatte nicht Zeit, zu sagen, was sie glaube, daß die junge Dame im Schilde führe, denn plötzlich ertönte nebenan die heisere, hohle Stimme des Generals:

»Was giebt's denn da, Brigitte? Mit wem sprichst Du denn da, Brigitte?«

»Dacht' ich's doch!« knirschte die Alte; »machen Sie, daß Sie aus dem Zimmer kommen, wird's?«

Aber damit war's jetzt zu spät, auch wenn sich die junge Dame mehr, als sie es that, beeilt hätte, dem Gebote Folge zu leisten, denn die Thür von nebenan wurde geöffnet und der General erschien, in seinen Sammmet-Schlafrock gehüllt, das kahle Haupt noch mit der weißen Nachtmütze bedeckt, auf der Schwelle.

Der General hatte seine Großnichte seit einem Jahre nicht gesehen (vorhin im Garten hatte er sie nicht sehen wollen), und die Schönheit der jungen Dame hatte sich während dieser Zeit so herrlich entfaltet, daß er sie jetzt, wie sie – diesmal in wirklicher Verlegenheit – tief erröthend und die braunen sanften Augen wie stehend auf ihn gerichtet, mit halb erhobenen Händen wenige Schritte vor ihm stand, zum ersten Male zu sehen glaubte. Seine schwarzen Augen blitzten vor Vergnügen.

»Sieh da, die kleine Hexe!« sagte er, und dabei zuckten die buschigen Brauen auf und nieder; »was steht der Grasaff' denn da, als ob's Donnerwetter neben ihm eingeschlagen hätte? Denkst, der alte Großonkel wird Dich fressen? hübsch genug bist Du dazu. Komm her und gieb dem Alten einen Kuß!«

Camilla warf einen schnellen Blick auf Brigitte, die vor Aerger am ganzen Leibe bebend dastand; dann eilte sie auf den Großonkel zu und drückte ihre rosigen Lippen wiederholt auf seine rauhen Knochenhände.

»Fürchte Dich nicht vor Der da,« sagte der General, welchem der Blick Camilla's nicht entgangen war, »sie ist nicht ganz so bös, wie sie in diesem Augenblick aussieht, und gönnt ihrer alten Excellenz wohl ein tête-à-tête mit einem hübschen Gänschen, wenn dieses Gänschen noch dazu seine Großnichte ist. Komm herein, kleine Hexe, und Du, Alte, sieh nach Deiner Arbeit.«

Bei diesen Worten zog der General das junge Mädchen noch näher an sich heran, während Brigitte etwas, das man nicht verstehen konnte, zwischen den Zähnen murmelnd, aus dem Zimmer eilte.

Der Alte grinste höhnisch hinter ihr her. »Möchte vor Aerger bersten,« sagte er, »wollte nur, sie thät's; schickte nach keinem Chirurgen, sie wieder zusammenzuflicken. Nun komm, kleine Hexe, so!«

Der General legte seinen Arm um den Nacken des jungen Mädchens und ließ sich von ihr durch das nächste Zimmer – sein Schlafcabinet – in ein zweites, daran stoßendes führen. Hier setzte er sich in einen bequemen Armstuhl, und Camilla, welche seine Bedürfnisse wohl kannte, rückte mit geschäftiger Emsigkeit die Fußbank zurecht und hüllte seine Füße in die wollene Decke.

»Bist ein Blitzmädel,« sagte der Alte, mit den zitternden Händen das rundliche Kinn des jungen, vor ihm knieenden Mädchens streichelnd; »machst das so geschickt, als ob Du Dein Leben lang nichts gethan hättest, als alte Knochen in Flanell wickeln; und hübsch bist Du, wie die Sünde, daß muß Dir Dein Feind lassen.«

»Es freut mich, wenn ich Ihnen gefalle, Großonkelchen,« sagte Camilla, sich aufrichtend und den General schelmisch aus ihren sanften Augen anlächelnd.

»Freut Dich, freut Dich? so, warum denn?«

»Weil Sie mich dann vielleicht ein bischen bei sich behalten und mir die Freude gönnen, Sie recht zu pflegen,« sagte Camilla, die eine der Hände des Großonkels ergreifend und an ihren Busen drückend.

»Ei, der tausend!« kicherte der Alte, »wie das Mädel spricht, wie ein Buch; Freude gönnen – Großonkelchen pflegen! Hast Deine Lection gut auswendig gelernt; sollst ein Stück Zucker haben, kleiner Papagei. Na, na, brauchst nicht roth zu werden! Wie die Alten sungen, zwitscherten die Jungen! Ha, ha, ha!«

»Ich bin kein Papagei, Großonkel!« sagte die junge Dame; »was ich sage, das meine ich auch.«

»Wirklich, wirklich? Und wenn ich Dich nun beim Wort nähme, wie lange würdest Du es denn bei dem Alten aushalten?«

»Das käme auf einen Versuch an, Großonkel. Lassen Sie mich bei Ihnen bleiben, und wenn Sie mich nicht mehr leiden können, schicken Sie mich wieder weg.«

»'s Mädel ist nicht so dumm, wie es aussieht,« sagte der General mit unverhohlener Bewunderung; »glaub' wahrhaftig, Du würdest am Ende gar mit der Alten fertig werden.«

»Warum nicht, wenn Sie recht gut sind, Großonkelchen, und die gute Person nicht in meiner Gegenwart ausschelten, wie vorhin.«

»Sie ist wirklich nicht so dumm,« wiederholte der General; »'s wäre ein guter Spaß – was giebt's?«

Der mürrische Bediente, Kilian, meldete, daß die Herrschaften jetzt sämmtlich da wären und daß Madame anfragen lasse, ob servirt werden solle.

»Ja, in drei Teufels Namen! Kann man denn nicht eine Minute ungeschoren bleiben?«

Der Mann wollte sich wieder entfernen. »Halt, Front!« schrie der General. »Wiederkommen! Mich anziehen! Herrschaften in den Speisesaal! Ein Abwaschen!– Und nun spring fort, Du kleiner Grasaff'! Sprechen noch weiter darüber.«

Camilla küßte dem Großonkel wiederholt die Hände und verschwand durch die Thür, die aus dem Zimmer in den Park führte. –



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