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10.

C amilla war kaum bei der Mutter, als Lili, das Kammermädchen, die letzten Grüße des jungen Herrn von Hohenstein brachte, der sehr bedaure, bei der Plötzlichkeit seiner Abreise den Damen nicht persönlich Lebewohl sagen zu können. Weshalb Wolfgang abreisen mußte, wußten die Präsidentin und Camilla, und nicht blos seit den letzten Minuten, sondern bereits seit zwei Stunden, d. h. seitdem der Wagen, welcher Wolfgang in die Stadt bringen sollte, unter ihren Fenstern hielt. Die Wirkung, welche Wolfgangs Abreise auf die Situation der Damen im Allgemeinen und im Besonderen dem General gegenüber ausüben würde, war bereits der Gegenstand eines langen, eingehenden Gespräches zwischen Mutter und Tochter gewesen, dessen Resultat darin bestand, daß Camilla ihren Shawl um die zarten Schultern band und in den abendlichen Garten hinabstieg, den Cousin suchen zu helfen. »Er wird Dir diesen Beweis der Theilnahme hoch anrechnen,« sagte die Mama, »und unter diesen Umständen ist es besser, in der Bezeigung unserer freundlichen Gesinnung zu weit zu gehen, als es daran fehlen zu lassen.« Die Präsidentin hatte sich sogar, auch ihrerseits ihre Teilnahme zu beweisen, aus dem Bette erhoben, um dem lieben Neffen Adieu sagen zu können – und die Nachricht des Kammermädchens kam ihr sehr wenig gelegen. Desto neugieriger war sie nun, den Bericht ihres lieben Töchterchens zu vernehmen, um so mehr, als ihrem mütterlichen Scharfblick eine gewisse Erregtheit auf dem Gesicht und im Benehmen Camilla's bei deren Eintreten nicht entgangen war. Das Kammermädchen hatte kaum das Zimmer wieder verlassen, als die Präsidentin die junge Dame, welche unterdessen den Shawl abgelegt hatte, zu sich auf das Sopha zog und hastig fragte:

»Du hast ihn gesprochen? Was hat er gesagt? War er sehr bestürzt? War er Dir sehr dankbar?«

»Ich habe gar nicht mit ihm über Tante's Krankheit gesprochen,« erwiderte die junge Dame.

»Nicht? worüber denn? Wie konntest Du das unangenehme Thema vermeiden?«

»Er ließ mich gar nicht zu Worte kommen; er –«

»Nun?« fragte die Präsidentin gespannt, als Camilla mit einer gewissen Verlegenheit stutzte.

»Ich traf ihn auf einer Bank sitzend – dicht am Kastanienwäldchen, weißt Du, Mama, wo es zur Terrasse hinaufgeht – er hatte den Kopf in die Hand gestützt, so daß ich glaubte, er sei eingeschlafen. Ich dachte, daß ihn mein Kommen erwecken würde, und ging auf ihn zu. Da, als ich dicht vor ihm war, erhob er sich, und – mit einem Worte, Mama, er machte mir eine Liebeserklärung.«

»Das trifft sich gut,« sagte die Präsidentin; »Du hast ihm doch hoffentlich geantwortet, wie sich's gehörte, ihm vor allen Dingen keine Vertraulichkeiten irgend welcher Art verstattet?«

»Aber, Mamachen!« rief Camilla und richtete ihr schönes Haupt, wie in Unwillen, empor.

»Nun, nun, mein Kind,«,sagte die Präsidentin, die Hände des angebeteten Kindes nehmend und zärtlich streichelnd; »unter andern Verhältnissen wäre dergleichen vielleicht ganz angebracht gewesen; es bindet einen Liebenden nichts in der Welt fester, als ein Kuß; sie glauben, wenn sie nicht vollkommen blasirt sind, sich dadurch verpflichtet, und gegen einen Liebhaber, den man auf alle Fälle zu behalten wünscht, würde ich daher rathen, nicht allzu spröde zu sein. Aber Du hast Recht, so steht es mit Wolfgang bei weitem nicht. Er ist für den Augenblick in der größten Gunst beim Großonkel; noch gestern Abend spielte der General ziemlich deutlich darauf an, daß Wolfgang die beste Aussicht habe, sein Haupterbe zu werden. Aber freilich, freilich – wer kann auf des Großonkels Entschlüsse bauen? Heute so und morgen so, je nachdem er gerade bei Laune ist und Madame ihn gut oder schlecht behandelt hat. Es ist ein schrecklicher alter Mann, und ich bringe Dir ein unendlich großes Opfer, liebes Kind, daß ich hier in diesem abscheulichen Hause, in welchem einen die Langeweile aus allen Zimmern angähnt, so lange bleibe. Aber, was ich fragen wollte: was hast Du ihm denn eigentlich erwidert?«

»Ich habe ihm gesagt,« erwiderte Camilla mit großer Bestimmtheit, »daß mich seine Erklärung sehr überrasche, daß ich kaum wisse, was ich ihm darauf antworten solle, daß ich ihm geneigt sei, eine beinahe schwesterliche Zärtlichkeit für ihn fühle –«

»Du gutes, gutes Kind,« rief die Präsidentin, die kluge junge Dame an sich ziehend und ihr einen Kuß auf die Stirn drückend.

»Daß ich aber weder ja noch nein sagen könne, und ihn bitte, mir Zeit zur Ueberlegung zu gönnen.«

»Gut, sehr gut; und von mir hast Du nichts einfließen lassen?«

»Ich dachte, daß es besser sei, wenn Du vorläufig aus dem Spiele bliebest; ich dachte, es könnte Dich nur in Verlegenheit setzen, wenn Du Deine Entscheidung geben müßtest, bevor sich das Andere entschieden hat.«

»Du gutes, gutes Kind!« rief die Präsidentin von neuem in ihrem überwallenden mütterlichen Stolz. »Du hast ganz, ganz in meinem Sinne gehandelt; es darf in keinem Fall jetzt schon eine öffentliche Erklärung stattfinden. Ich bitte Dich, Kind, wenn der Großonkel andern Sinnes würde! – Nun ja, man würde zu brechen wissen, aber es wäre doch immer recht fatal. So ist es viel besser. Du kannst jetzt gegen Deine übrigen Verehrer Dich mit vollkommener Harmlosigkeit benehmen, und Willamowsky ist, wenn sein alter geiziger Vater stirbt, was ja über kurz oder lang doch geschehen muß, gar keine zu verachtende Partie. Da fährt der Wagen ab, zeige Dich doch noch einmal am Fenster – das kann auf keinen Fall schaden. Ach Gott, liebes Kind, ich wünsche von Herzen, daß wir endlich einmal aus diesem Provisorium, wie Dein Vater sagt, heraus wären. Diese Anstrengungen, uns an das Ziel unserer Wünsche zu bringen, sind entsetzlich. Ich bin überzeugt, daß mich die Tage, die ich in diesem abscheulichen Hause zugebracht habe, eben so viele Jahre meines Lebens kosten. Ich wundere mich, wie Du diese Leiden so muthig erträgst; ein halbstündliches Zusammensein mit dem alten schrecklichen Mann oder gar mit seiner widerwärtigen Person bringt meine Nerven in die grausamste Aufregung. Ich wünschte, ich wäre erst wieder fort, und lange halte ich es auch auf keinen Fall mehr aus.«

Die Präsidentin wollte sich eben, erschöpft von dieser langen Rede, bequem in die Sophaecke sinken lassen, als die Kammerzofe wieder erschien und meldete: »Excellenz wünschten das gnädige Fräulein, wo möglich sogleich, zu sprechen.« Die späte, ungewöhnliche Stunde setzte die Damen in Verwunderung, und es diente gerade nicht zu ihrer Beruhigung, als die gewandte Lili, die sichtbare Verlegenheit der Damen ausbeutend, weiter berichtete: es gehe unten sicher etwas vor, denn Excellenz habe sich in ihrem Zimmer mit Madame so laut gezankt, daß es ordentlich greulich mit anzuhören gewesen sei und sie (Lili) den Schrecken noch in allen Gliedern habe.

»Was bedeutet das?« fragte die Präsidentin ängstlich, als sich Lili auf ihren Wink entfernt hatte.

»Wir wollen sehen,« erwiderte die muthige Camilla und verließ, trotz des lebhafteren Pochens ihres Herzens, anscheinend so ruhig wie immer, das Zimmer.

Schon nach wenigen Minuten kam sie wieder.

»Nun, was giebt's?« rief die Präsidentin.

»Der Großonkel läßt sich Dir empfehlen und wünscht zu wissen, wann wir wieder nach der Stadt zu gehen gedächten.«

»Unmöglich!«

»Es waren seine eigenen Worte.«

»O, dann ist Alles vergeblich gewesen!« klagte die Präsidentin; »mein armes, armes Kind!«

»Ich hoffe die Sache steht nicht so schlimm,« erwiderte Camilla, nachdenklich die schönen Brauen zusammenziehend; »der Großonkel war trotz alledem sehr gnädig und zuletzt sagte er ganz leise, vermuthlich, damit es Madame, die sicher hinter der Thür lauschte, nicht hören sollte: er meine es gut mit mir und mit dem Wolfgang, und ob ich wohl Lust hätte, den Wolfgang zu heirathen, wenn er uns zu seinen Erben machte?«

Die Präsidentin schlug in freudiger Ueberraschung die fetten Hände zusammen und rief:

»Dann wirst Du Dich doch mit ihm verloben müssen, und das sobald als möglich.«

»Ich denke, das wird wohl das Beste sein,« sagte die kluge, junge Dame.

»Mein Goldmädchen, mein Herzenskind!« rief die zärtliche Mutter und schloß gerührt die folgsame Tochter in ihre Arme.



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