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3.

A ls die Damen durch die verfallene epheuberankte Pforte auf den Schloßhof getreten waren, sahen sie statt ihrer Equipage, die man unterdessen in den Schuppen gebracht hatte, ein paar Reitpferde am Zügel umherführen und eine offene Kalesche, von der eben die Pferde abgeschirrt wurden. Dieser Anblick steigerte die Verstimmung der Damen, wenn das noch möglich war. Während sie im Garten nutzlos promenirten, waren Obrist's angekommen, hatten sich jedenfalls bereits melden lassen und waren vielleicht schon vorgelassen worden.

»Aber ich werde dem Großonkel sagen, daß wir schon seit zwei Stunden hier sind,« rief die Präsidentin, die so viel Einfälle aus ihrer gewöhnlichen phlegmatischen Ruhe aufgeschreckt hatten, indem sie eifrig ihren Töchtern voran nach dem Schlosse zu ging.

Auf der Schwelle der weitgeöffneten Hausthür überzeugten sich die Damen indessen, daß sie sich ohne Grund ereifert hatten, denn sie fanden in dem hohen mit Steinfliesen ausgelegten und rings mit Gallerien versehenen, stattlichen Flur die Obristin von Hohenstein und ihre beiden Söhne, den Lieutenant Kuno und den Fähndrich Odo, in offenbar sehr großer Verstimmung, die bei dem unerwarteten Hereintreten der Damen einem verlegenen Schrecken wich.

»Ah, Du auch hier, liebe Clotilde?« sagte die Obristin, schnell ihre Fassung wiedergewinnend, und der Präsidentin mit offenen Armen entgegeneilend.

»Wie Du siehst, liebe Selma,« entgegnete die Präsidentin, die Umarmung sehr flüchtig erwidernd.

»Nein, wie reizend! Wann seid Ihr denn gekommen? Und Ihr Mädchen, wie frisch Ihr ausseht! wie die Rosen! Keine Spur von gestern mehr! Ihr könnt Euch ein Beispiel an Euren Cousinen nehmen, ihr jungen Herren.«

Den beiden jungen Herren schien es allerdings sehr noth, daß sie sich ein anderes und wo möglich besseres Beispiel nahmen, als das, welchem sie offenbar bisher gefolgt waren. Wenn ihr bleichgelbes Aussehen, die Mattigkeit ihrer wasserblauen Augen und ihre schlaffe Haltung in der That nur »Spuren von gestern« waren, so waren es mindestens sehr ausgeprägte Spuren. Besonders schien den Fähndrich das Leben schon stark mitgenommen zu haben. Sein Gesicht, auf dem sich eben der erste Flaum zeigte, hatte einen Zug, der an jene Greisenhaftigkeit erinnerte, die man oft bei ganz kleinen Kindern und bei vielen Affengeschlechtern wahrnimmt. Der Lieutenant hatte sich etwas besser conservirt, was indeß weniger eine Folge der größeren Solidität seiner Grundsätze, als der etwas derberen Structur seines Körpers sein mochte. Beide junge Leute waren lang, blond und ziemlich hübsch, und in allen diesen Eigenschaften Ebenbilder ihrer Mutter.

Das Benehmen der beiden älteren Damen war trotz aller scheinbaren Herzlichkeit ein sehr gezwungenes, ungefähr wie das zweier falscher Spieler, die sich nach den ersten Karten durchschaut haben und doch, um den Scandal zu vermeiden, die Partie ruhig zu Ende spielen müssen. Der Obristin schien diese Rolle am leichtesten zu werden. Sie bedauerte, nicht gestern Abend daran gedacht zu haben, daß man ja so gut hätte zusammen herausfahren können. Der Obrist komme um zwei Uhr mit dem Dampfschiff – auch der Präsident? – »nein, wie reizend sich das trifft! Sie werden wohl auch noch zu früh kommen! Der liebe gute Onkel schläft gewiß noch. Wir stehen hier nun schon seit einer Viertelstunde, und der Kilian – er heißt ja wohl Kilian? – den wir hineingeschickt haben, kommt nicht wieder. Auch Madame läßt sich nirgends entdecken. Habt Ihr denn schon das gute alte Geschöpf gesehen? Auch noch nicht? Aber Kinder, da geht es Euch ja noch schlechter wie uns. Warum seid Ihr auch so früh von Hause gefahren! Und die armen Blumen, wie die schon verwelkt sind! Wer wird aber auch so kostbare Blumen kaufen? Ihr habt ja ein ganzes Vermögen hineingesteckt! Da seht meine! die halten sich besser und kosten nicht halb so viel!«

»Es können auch nicht alle so gute Hausfrauen sein, wie Du, Tante Selma,« bemerkte Aurelie, die ihrer Mutter zu Hülfe kommen zu müssen glaubte.

»Es haben auch nicht alle Leute ein Vermögen zu verzehren,« erwiderte die Obristin, auf der Präsidentin allbekannte Verschwendungssucht anspielend.

Wahrscheinlich wären diese Reibereien, zumal bei der augenblicklich sehr gereizten Stimmung beider Parteien, wie schon oft bei ähnlichen Gelegenheiten, in einen Wechsel scharfer und beleidigender Worte ausgeartet, wenn nicht in diesem Augenblicke Frau Brigitte, eine ungeheure Haube auf dem Kopf und einen gewaltigen Schlüsselbund an dem Gürtel, oben auf der Gallerie, welche sich um den ganzen, durch beide Stockwerke des Schlosses reichenden Flur zog, erschienen wäre. Nachdem sie, sich über die Brüstung lehnend, ein paar Momente die Gesellschaft gemustert und sich im Stillen an der kläglichen Situation derselben geweidet hatte, stieg sie langsam die breite steinerne Treppe hinab, so daß die im Flur stehende hochadlige Gesellschaft hinreichend Zeit hatte, sich auf die schmachvolle Rolle, die sie zu spielen gezwungen war, vorzubereiten. Die Obristin war die erste, welche sich zum Unvermeidlichen entschloß. Sie eilte Madame entgegen, faßte sie, so wie sie den Fuß von der Treppe auf den Flur setzte, bei beiden Händen und rief: »Die gute, liebe Madame! Wie geht's? Nein, wie prächtig Sie aussehen! Wahrhaftig, Sie werden mit jedem Jahre jünger.«

»Das ist mehr, als man von den meisten Leuten sagen kann,« erwiderte Brigitte trocken.

Aber die Obristin ließ sich so leicht nicht zurückschrecken. »Und wie geht es der lieben Excellenz? Noch nicht auf, wie ich höre? Lassen Sie ihn ja schlafen, den guten alten Herrn! Besser, daß wir eine Stunde länger warten, als daß er um seine Ruhe kommt!«

»Excellenz haben heute Nacht sehr schlecht geschlafen und dürfen vor vier Uhr Nachmittags nicht aufstehen,« sagte Brigitte, nachdem sie auch die Huldigungen der Präsidentin und ihrer Töchter mit derselben beleidigenden Gleichgültigkeit entgegengenommen. »Die jungen Herren promeniren wohl etwas im Garten, während ich die Damen auf ihre Zimmer bringe; in einer Stunde wird im kleinen Saal das Frühstück servirt.«

Die Präsidentin und Aurelie warfen sich bei diesen letzten Worten klägliche Blicke zu, aber keine der Damen wagte gegen die Anordnungen der allmächtigen Haushälterin auch nur ein Wort einzuwenden. Stillschweigend folgten sie ihr die breite Treppe hinauf, und ließen sich ohne Widerrede in die häßlichsten und unbequemsten Zimmer sperren, welche im ganzen Schlosse zu finden waren.

Die jungen Herren gingen unterdessen, wie Madame es befohlen hatte, in den Park, und schlenderten zwischen den seit einem Vierteljahrhundert nicht verschnittenen Buchenhecken und den verwüsteten Beeten ziellos umher. Ihre Unterhaltung war, wie das zwischen Brüdern zu sein pflegt, nicht eben lebhaft. Die Abspannung nach der durchschwärmten Nacht, welche sie während des Reitens weniger gefühlt hatten, machte sich jetzt doppelt geltend.

»Ich bin müde wie ein Hund,« sagte Kuno, sich auf eine morsche Holzbank setzend und die Beine von sich streckend.

»Meinst Du etwa, ich nicht?« sagte Odo, dem Beispiele des älteren Bruders folgend.

Die Brüder verharrten in ihrem öden Schweigen, bis Kuno plötzlich fragte:

»Hast Du's der Alten gesagt?«

»Wann soll ich's ihr denn gesagt haben?« entgegnete Odo mürrisch und sah dabei noch einige Jahre älter aus wie gewöhnlich.

»Es wird aber die höchste Zeit.«

»Das weiß ich,« brummte Odo in demselben Ton.

»Meinetwegen mach', was Du willst!« sagte der ältere Bruder und gähnte.

»Du hast gut reden!« rief der andere ärgerlich; »wer war es denn, der heute Nacht nicht zufrieden war, bis gespielt wurde?«

»Wer hat Dich denn geheißen, so unsinnig d'rauf los zu pointiren?«

»Schöne Frage! ich dächte, Du solltest doch am besten wissen, wozu ich Geld brauchte!«

»Der verdammte Möllenhof hatte wieder seinen alten Treffer,« meinte der Lieutenant mit der objectiven Ruhe eines historischen Forschers.

»Ach, Möllenhof kümmert mich am wenigsten,« sagte der Fähndrich, »der wartet schon ein paar Tage und giebt auch Revanche; aber Abraham wartet nicht. – 's ist um sich todt zu schießen!« Und der junge Mensch starrte aus den blöden Augen verzweiflungsvoll vor sich hin.

»Wieviel ist es denn?«

»Fünfzig Pistolen, und ich habe keinen rothen Dreier mehr.«

»Deshalb meine ich, daß Du's der Alten sagen mußt, und daß je eher, je lieber.«

»Aber die Alte wird außer sich sein, und wenn's der Alte erfährt –«

Odo sprang von seinem Sitze in die Höhe und ging ein paar Mal auf und ab, dann warf er sich wieder auf die Bank.

»Weißt Du denn gar keinen Rath, Kuno?«

Der Lieutenant zuckte die Achseln. »Mir pumpt kein Mensch mehr,« meinte er.

»'S ist ein Hundeleben,« fing Odo nach einiger Zeit wieder an; »die lumpigen paar Thaler Gage und Taschengeld, dabei soll ein Mensch anständig leben. Und der Alte hat nie Geld; ich möchte bei Gott wissen, wo er damit bleibt.«

»Vergraben thut er's nicht, darauf kannst Du Dich verlassen,« sagte der ältere Bruder mit einem höhnischen Lächeln.

»Dann sollte er sich aber auch gegen uns nicht immer auf's hohe Pferd setzen; was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig.«

»Möglich; aber damit kommst Du nicht aus der Patsche heraus,« sagte der Lieutenant. »Hör' mal, Odo, wie wär's, wenn Du es Dem sagtest?« – hier wies er mit der Spitze seines Degens auf das Schloß – »vielleicht hat er heute seinen guten Tag.«

»Ich glaube, Kuno, Du bist verrückt!« rief Odo, seinen Bruder mit ungeheucheltem Erstaunen, ja Schrecken anstierend.

»In der Noth frißt der Teufel Fliegen,« sagte der Lieutenant.

Odo dachte über den eben gehörten Vorschlag nach, wie Jemand, dem zugemuthet wird, sich aus einer Todesgefahr durch einen Sprung von einem dreihundert Fuß hohen Thurm zu retten, und schüttelte den Kopf.

»Es ist unmöglich,« murmelte er, »ganz unmöglich; lieber sag' ich es doch der Alten.«

»Oder wenn Du an Tante Antonie schriebst?«

»Erstens ist sie verreist, und zweitens glaube ich nicht, daß sie noch einmal was herausrückt: wir sind ihr in der letzten Zeit zu oft gekommen; ich will's nur der Alten sagen, die muß Rath schaffen.«

»'S wird wohl auch das Beste sein,« sagte der Lieutenant, das Taschenmesser, mit welchem er sich die Nägel beschnitten hatte, zuklappend und aufstehend. »Ich glaube, die Zeit ist um, wollen sehen, ob's was zu essen giebt; wird freilich wieder eine schöne Atzung werden.«

Das Frühstück, bei welchem sich unter Madame's Vorsitz die Gesellschaft zur bestimmten Zeit zusammenfand, übertraf in Hinsicht der Speisen und Getränke die trübsten Erwartungen des Lieutenants. Nichtsdestoweniger fand man einstimmig die keineswegs frischen Eier, den zähen Schinken, das saure Brod, die ranzige Butter ausgezeichnet, und der Lieutenant erklärte den herben, auf Rheinfelden selbst gewachsenen Rothwein für deliciös.

Nach dem Frühstück schlug die Präsidentin einen Spaziergang nach dem Dorfe vor, um das Dampfschiff zu erwarten, welches um diese Zeit den Präsidenten und den Obristen bringen mußte. Alle machten sich auf den Weg, mit Ausnahme Camilla's, die über Kopfschmerz klagte, und um die Erlaubniß bat, zurückbleiben zu dürfen.

Für den Fähndrich war jetzt die Stunde gekommen, wo er, wenn es heute überhaupt noch geschehen sollte, sein Anliegen bei der Mutter vorbringen mußte. Er wußte es, indem er der Mutter den Arm bot, so einzurichten, daß er mit dieser ein wenig zurückblieb, während der Lieutenant die Tante und Aurelien mit seiner Unterhaltung beglückte. Leider fand Odo die Mutter in einer Stimmung, die seinem Plane wenig günstig schien. Die Obristin war in einer fürchterlichen Laune. Sie ließ sich in Worten, die für eine geborene Gräfin von Düren-Lilienfelde nicht immer ganz passend erschienen, über die ihr zugefügten Unbilden aus, nannte Dame Brigitte eine freche Hexe, die Präsidentin eine alte falsche Katze, die jungen Damen abscheuliche Zierpuppen – und wie sich denn sonst ein heftiges, übelwollendes Gemüth in solchen Lagen Erleichterung zu verschaffen sucht.

»Aber ich fahre noch heute Abend wieder zurück,« schloß sie ihre Rede; »ich will mich nicht von den Hunden unter meinen Fenstern die ganze Nacht um den Schlaf bringen lassen, mag der Vater dagegen sagen, was er will; kümmert er sich doch auch in dieser letzten Zeit weniger als je um meine Wünsche.«

Dies war nun freilich für den Fähndrich die ungünstigste Wendung, welche das Gespräch nehmen konnte, indessen die Verzweiflung giebt Muth. Er bat die Mutter, den Vater doch ja nicht zu erzürnen, da er – der Fähndrich – in einer »grausamen Klemme« sei, und nun kam, begleitet von einem kläglichen Lächeln, das scherzhaft sein sollte, die klägliche Geschichte, daß er sich neulich, um Spielschulden – eine Ehrenschuld, sagte der junge Mann – zu bezahlen, funfzig Louisd'or von Abraham Hirsch geliehen habe, daß Hirsch gedroht habe, sich an den Obrist von Nolte– Odo's Regimentschef– zu wenden, falls er nicht morgen Mittag zwölf Uhr das Geld in seinem Comtoir habe; daß bei den strengen Grundsätzen des Obristen zu erwarten sei, er werde ein furchtbares Aufheben aus der »Lumperei« machen, und wie zu befürchten stehe, daß er (Odo) cassirt werde, wenn die »Affaire« nicht »vertuscht« würde.

Ein bis an den Rand volles Gefäß wird durch einen Tropfen zum Ueberlaufen gebracht, geschweige denn durch einen Kübel Wasser, der auf einmal hineingeschüttet wird. Die Obristin gerieth über die Mittheilungen ihres trefflichen Sohnes außer sich vor Zorn. Wenn sie ihn nicht ohrfeigte, so geschah es nur deshalb nicht, weil sie ihrer Schwägerin die Freude eines solchen Triumphes nicht gönnen wollte; sie begnügte sich deshalb, den zukünftigen Offizier einmal über das andere einen dummen Jungen, einen Taugenichts, einen elenden Menschen zu nennen, der durch seinen Leichtsinn seine arme Mutter noch in's Grab ärgern würde.

Der Fähndrich hatte schon zu oft im Feuer des mütterlichen Zornes gestanden, um nicht zu wissen, wie er sich in dieser Lage zu benehmen habe. Er ließ die Mutter so lange eifern, bis er merkte, daß ihre leidenschaftliche Hitze auf dem Punkte stand, sich in Thränen aufzulösen, dann sagte er mit trefflich gespielter Resignation:

»Laß es gut sein, liebe Mama; Du schaffst mir durch Dein Schelten das Geld nicht, an dem mir Eurethalben mehr gelegen ist, als meinethalben. Ich kriege höchstens ein paar Wochen Arrest und werde cassirt; aber der Vater dauert mich, denn ihm muß die Sache in seiner Stellung am ungelegensten kommen; und Du dauerst mich auch, denn Tante und die Andern werden es Dir bei jeder Gelegenheit auftischen.«

Der schlaue Bursche hatte durch seine wohlberechneten Andeutungen die Angelegenheit in das für ihn günstigste Licht gerückt. Mama vergaß ganz, daß dem Leichtsinn des jungen Mannes Vorschub leisten, ihm den Weg zur Hölle nur ebnen heiße; sie dachte an nichts, als an das bedauernde Achselzucken der Kameraden ihres Gatten und der Damen ihres Kreises, vor allem an die heimliche Schadenfreude der Präsidentin – und dann war Odo immer ihr Lieblingskind gewesen, und Du lieber Gott, der arme Junge sah so blaß und elend aus!…

»Wir wollen sehen, was sich machen läßt!« sagte sie, den Arm ihres Sohnes, den sie in ihrem Zorn hatte fahren lassen, wieder nehmend; »ich will mit dem Vater sprechen, und nun quäle Dich nur nicht so, daß Du am Ende gar noch krank wirst. Laß Dir vor Allem der Tante gegenüber nichts merken; wir wollen etwas schneller gehen, damit unser Zurückbleiben nicht auffällt.«

Dies Zurückbleiben war in der That schon bemerkt und von der scharfsinnigen Aurelie ziemlich richtig gedeutet worden. »Der gute Odo wird heute etwas besonders Schweres zu beichten haben,« meinte sie. »Wo seid Ihr jungen Herren denn heute Nacht noch gewesen, als Ihr von uns ginget? Herr von Brinkmann, dem wir heute Morgen zu Pferde begegneten, meinte: es würde bei Catalini wohl noch ein kleines Spielchen gemacht sein.«

»Ah bah, Cousine, wie kannst Du glauben, daß nach der Aufregung eines Balles, und noch dazu eines so deliciösen Balles, die Aufregung des Spiels noch von irgend einem Interesse sein könnte.«

»Freilich,« erwiderte Aurelie, »besonders für Jemand, um den sich, wie um Dich, die hübschesten Damen reißen! Was braucht der noch die todten Kartendamen!«

»Und doch soll auch Dein erklärter Anbeter, Herr von Brinkmann, dieser letzten Sorte nicht ganz gram sein.«

»Wer hat Herrn von Brinkmann zu meinem Anbeter erklärt?« fragte das junge Mädchen nicht ohne einige Heftigkeit.

»Nun, ohne allen Grund wird er doch heute Morgen um sechs Uhr nicht schon im Sattel gewesen sein,« lachte der Lieutenant.

»Ich finde, daß Du den Scherz etwas zu weit treibst, lieber Kuno,« sagte die Präsidentin, um ihrer Tochter, die allerdings den hübschen Husarenoffizier ganz besonders auszeichnete, zu Hülfe zu kommen.

»Ich habe nicht angefangen zu necken,« sagte Kuno.

»Dafür bist Du auch Cavalier, und mußt Dir von den Damen etwas gefallen lassen können, ohne ausfallend zu werden.«

Kuno wollte etwas erwidern, hielt es aber für gerathener, die Mutter der schönen Camilla, die er, so weit seine Blasirtheit ein solches Gefühl überhaupt noch aufkommen ließ, halb ihrer Schönheit wegen und halb aus Eitelkeit liebte, nicht zu erzürnen. Die Unterhaltung wollte indessen nicht wieder in Gang kommen, und man ließ sich deshalb nicht ungern von den beiden Zurückgebliebenen einholen, die freilich in der Stimmung, in welcher sie waren, sehr wenig zur Heiterkeit der Gesellschaft beitragen konnten. Glücklicherweise sah man, kaum im Dorfe Rheinfelden angelangt, das Dampfschiff schon den Strom herabkommen. Wenige Minuten später stiegen die Brüder aus dem Boote, welches sie vom Schiffe abgeholt hatte.

Die beiden Brüder von Hohenstein hatten außer der übermäßig langen und hagern Statur wenig Aehnlichkeit mit einander. Philipp von Hohenstein, der Präsident, war von dem Scheitel seines kleinen, wohlgeformten Kopfes mit dem dunklen, kurzgehaltenen, hier und da schon ergrauenden Haar bis zu den Sohlen seiner eleganten Lackstiefeletten jeder Zoll der hohe Staatsbeamte aus der vormärzlichen Schule. Mit den feinen Zügen seines glattrasirten Gesichts stimmte Alles an ihm auf das vollkommenste: die ruhige, diplomatische Haltung, die leise Stimme, ja selbst das weiche, schwarze Tuch seines Fracks, in dessen Knopfloch das Band des blauen Geierordens zweiter Klasse zierlichst befestigt war.

Wenn bei dem Präsidenten, die Absicht, zu gewinnen, fast allzu ersichtlich hervortrat, so konnte man von dem Obristen beinahe das Gegentheil behaupten. Sein von der Sonne verbranntes, mit einem militärisch kurzgeschorenen, offenbar schwarz gefärbten Bart bedecktes Gesicht war so wenig als möglich anziehend. In seinen grauen Augen lag jene Starrheit, die auf ein heftiges unliebenswürdiges, durch Krankheit vielleicht noch mehr verbittertes Temperament schließen läßt. Seine Stimme war, sei es durch das Commandiren auf dem Exercierplatz, sei es durch organische Ursachen, unangenehm rauh und heiser. Wenn man den Mann sah, so glaubte man gern die Geschichten, die man sich von seiner Rohheit und Brutalität gegen die Untergebenen erzählte, denn selbst seine Galanterie gegen die Damen hatte etwas Höhnisches und Cynisches, wie man es oft in dem Betragen von Wollüstlingen findet.

So waren die beiden Männer, welche an dem Ufer von den Ihrigen begrüßt wurden. Es schien heute ein Uuglücksstern über der ganzen Familie Hohenstein zu walten; man konnte auf den ersten Blick sehen, daß auch die Laune der beiden Herren nicht die beste war. Der Obrist war auf dem Dampfschiffe durch das Benehmen einer Schaar junger Männer aus dem Volke, die Freiheitslieder gesungen und Hochs auf Schleswig-Holstein, ja sogar auf die künftige deutsche Republik ausgebracht hatten, auf das empfindlichste beleidigt worden. Nur mit Mühe hatte der Präsident ihn bereden können, in die Cajüte hinabzugehen, um dem Uebermuth der jungen Leute, die es offenbar auf den finstern Obrist abgesehen hatten, auszuweichen. Unten in der Cajüte hatte dann zwischen den Brüdern eine Unterredung politischer Natur stattgefunden, im Verlauf welcher der Militär den Büreaukraten geradezu der Feigheit bezüchtigte und andere Beschuldigungen vorbrachte, welche auch ein diplomatisch geschultes Gemüth zum mindesten nicht ohne eine innere Erregung hinnimmt.

So ging man denn äußerst verstimmt und mißmüthig hinter einander her, durch die Kornfelder und Weingärten den Weg nach dem Schlosse, voran der Obrist und seine Frau, die nicht wagte, ihren Gatten mit der bewußten fatalen Angelegenheit zu behelligen; sodann der Präsident mit seinen Damen, welche die betrübenden Erlebnisse des Morgens mittheilten, zuletzt die beiden jungen Herren, die es gar nicht mehr der Mühe werth hielten, eine Conversation anzuknüpfen.



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