Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

W olfgang fand den General, der ihn eine halbe Stunde später hatte rufen lassen, in dem Gartensaal zu ebener Erde, mit einem Zeitungsblatt in der Hand, in seinem Lehnstuhl sitzend. Er wollte von dem jungen Manne Auskunft haben über einen Professor der Universität, welcher kürzlich bei einer Volksversammlung eine sehr freisinnige Rede gehalten hatte, die jetzt zum Theil in dem Blatte abgedruckt war. Wolfgang war in der Volksversammlung zugegen gewesen, und indem er nun, dem Verlangen des alten Herrn willfahrend, die Rede des Professors aus dem Gedächtniß ergänzte, ließ er sich in ein politisches Gespräch verwickeln, das denn sehr bald, wie es unter diesen Umständen auch wohl kaum anders sein konnte, eine für den jungen Mann sehr unerfreuliche Wendung nahm. Der Alte wurde erst zornig und zuletzt in seiner rohen Weise satyrisch.

»Du bist ein junger Mensch,« schrie er, »und denkst, das sei nun was Rechtes, daß sie hier und da ein paar Barrikaden errichtet, ein paar Fenster eingeworfen und sich heiser gesoffen und geschrieen haben. Pah! ein lahmer Gaul schlägt auch wohl mal hinten aus, wenn sie ihm den Karren zu voll packen und gar zu unsinnig auf ihn los dreschen, bleibt darum aber doch, was er ist, und zieht seine Last geduldig weiter, wenn er sieht, daß ihm das Ausschlagen nichts hilft. Gerade so ist es mit dem Volke auch. Es muß lahme Gäule geben, die sich für uns zu Tode schinden, und armes Gesindel, das sich für uns zu Tode plackt. Das ist so gewesen, seitdem die Welt steht, und wird so bleiben, bis sie untergeht. So lange Leute da sind, die gern Champagner trinken und Straßburger Gänseleberpasteten essen, darf es auch nicht an armem, schieläugigem, plattköpfigem Volk fehlen, das sich von Kartoffelschnaps und Kohlstrünken nährt. Was willst Du dagegen thun? Religion? Nun ja! es werden sich immer von Zeit zu Zeit ein paar gutmüthige Schächer finden, die sich die Finger verbrennen, um andern Leuten die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber aus den Heiligen werden morgen Schelme, aus den Einsiedlern lustige, dickbäuchige Mönche, und zuletzt – ist die Welt rund und muß sich drehen. – Revolutionen? Mon cher, ich war Anno siebenzehnhundertneunundachtzig gerade so ein Gelbschnabel, wie Du jetzt trotz Deines schönen schwarzen Schnurrbartes bist, und weil ich ein wilder Bursche war und als Cornet bei den Husaren von meinem Escadronchef viel auszustehen hatte, gefiel mir das mit der liberté und vor Allem mit der halbnackten Göttin der Vernunft sehr gut. Habe mit meinen Kameraden der Zeit viele Bowlen getrunken und › allons enfants‹ gesungen und schöne Mädchen dabei auf den Knieen geschaukelt. Hernach, als ich selber Escadronchef war und die schönen Mädchen zu allen Teufeln wünschte, habe ich meine Cornets gerade so gefuchtelt, als man mich gefuchtelt hatte. Egalité! Fraternité! Laß Dir doch nichts weiß machen! Wer die Macht hat, hat das Recht, und wenn er sich die Macht entreißen läßt, so lange er's hindern kann, ist er ein großer Esel, nichts weiter. Zum Teufel! warum machen die Fürsten es nicht im Großen, wie ich es siebenzehnhundertzweiundneunzig in der Campagne machte? Waren da ein paar vorlaute Bursche in der Escadron, die den Andern einen Floh in's Ohr setzten. Will euch Mores lehren, ihr Galgenvögel, dachte ich. Dauert nicht lange, schwenkt die ganze Escadron beim Exerciren auf dem Platze rechts ab, als ich links commandire, und links, wenn ich rechts commandire. ›Halt! Warum reitet Ihr nicht, wie Ihr sollt?‹ ›Weil wir nicht wollen!‹ brüllt die ganze Escadron. ›So?‹ sage ich, ›weil Ihr nicht wollt?‹ und rufe den Schlimmsten vor die Front. Er kommt heraus und hält vor mir. ›Warum reitest Du nicht, wie Du sollst?‹ ›Weil ich nicht will!‹ antwortet der Kerl und lacht mich höhnisch an. ›Abgesessen!‹ schrie ich ihn an. Der Mensch rührt sich nicht. ›Abgesessen!‹ commandire ich noch einmal. Der Kerl grinst und rührt sich nicht. ›Nun denn, so soll Dich der Teufel holen!‹ schreie ich, ziehe mein Pistol, das schon seit Tagen geladen im Holfter steckte, und schieße den Hund über den Haufen. Von dem Augenblick hat Keiner wieder rechts geschwenkt, wenn ich links commandirte. Warum hieben mich die Kerls nicht in die Pfanne? Es hinderte sie Niemand; wir waren ganz allein auf dem Platze, eine halbe Stunde von der Festung; kein Mensch hätte mich helfen können. Warum thaten sie's nicht? Weil sie feig waren und ich das Herz auf dem rechten Flecke hatte. Und ich sage Dir, wenn sie in diesen Tagen das Herz auf dem rechten Fleck gehabt hätten, die Fürsten säßen in diesem Augenblick so bequem auf ihren Thronen, wie ich hier in dem Lehnstuhl sitze. Bist Soldat gewesen, Junge?«

»Ich habe mein freiwilliges Jahr abgedient.«

»Wo?«

»In der Universitätsstadt.«

»Hm! hm!«

Der General schwieg und paffte dicke Wolken Tabacks aus seiner kurzen Meerschaumpfeife. Wolfgang betrachtete das alte, verwitterte und doch noch immer von Leidenschaft zuckende Gesicht mit einem aus Abscheu und Staunen gemischten Gefühl. Er schämte sich, daß er nicht den Muth hatte, dem grauen Tyrannen da vor ihm zu widersprechen, aber die Zunge war ihm wie gelähmt, und als jetzt die stechenden schwarzen Augen unter den borstigen Brauen so forschend auf ihn geheftet waren, empfand er etwas von dem, was ein Vogel empfinden mag, dem die Schlange in's Nest starrt.

»Warum bist Du nicht dabei geblieben?« fing der Alte plötzlich wieder an; »paßt besser dazu, als Deine rothhaarigen, spindelbeinigen Cousins. Der Soldatenstand ist der einzige, der sich für einen Edelmann schickt.«

»Ich erlaube mir, Sie daran zu erinnern, daß ich nur ein halber Edelmann bin,« erwiderte Wolfgang mit einem etwas gezwungenen Lächeln.

»Warum? weil Deine Mutter eine Bürgerliche ist? 's ist freilich schlimm genug, daß sich Dein Vater durch seine Heirath mit einem Bürgermädchen encanaillirt hat, indessen –«

Die Röche des Zorns stieg in Wolfgang's Gesicht auf. »Sie scheinen zu vergessen, Herr General,« sagte er mit fester Stimme, »daß Sie von meiner Mutter sprechen.«

»He?« sagte der General, seine Augenbrauen drohend zusammenziehend und den jungen Menschen, der in diesem Tone mit ihm zu sprechen wagte, finster anblickend. »He?«

Aber Wolfgang ließ sich hier, wo es die Ehre seiner Mutter galt, nicht einschüchtern.

»Ich wollte nur bemerken,« sagte er, »daß kein Mann auf Erden sich durch die Verbindung mit meiner Mutter entehrt haben würde, und daß ich stolz auf meine Mutter bin; ja, Herr General, sehr stolz, und daß ich keinen Augenblick länger in einem Hause bleiben werde, in welchem, ohne daß ich es hindern kann, so über meine Mutter gesprochen wird.«

Wolfgang hatte, während er so sprach, sich erhoben und stand jetzt, bebend vor innerer Erregung, aber mit Festigkeit in Blick und Haltung, vor dem General. Er war auf einen Zornausbruch des alten Tyrannen gefaßt und deshalb nicht wenig erstaunt, als der General plötzlich in ein heiseres Lachen ausbrach und zwischen Husten und Lachen rief:

»Hat Race, der Junge – freut mich – freut mich! Mußt bei einem alten Kerl nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. – Deine Mutter ist eine Dame, die mich sehr gefallen hat. – Hast ganz recht, ganz recht – und nun geh und ruf' mich mal die Brigitte – uff! uff! – der verdammte Husten!«

Wolfgang wollte dem alten Mann Hülfe leisten, aber der winkte abwehrend mit der Hand, und er eilte aus dem Zimmer, froh, so leichten Kaufes davon zu kommen.

»Der Schulmeister hat Recht,« sprach er bei sich, als er auf seinem Zimmer angekommen war, »es ist ein fürchterlicher Herr, ein wahrer Teufel von einem eisgrauen, finsterblickenden, wuthschnaubenden, alten Löwen; aber trotz alledem scheint er nicht so schlimm, als der Vater und die Andern ihn mir geschildert haben. Ob es wohl möglich wäre, diesen Eisengrimm zu zähmen, und ob das sich wohl der Mühe verlohnte?«

Wolfgang versank am offenen Fenster stehend und mit verschränkten Armen in die Parkwildniß hinausblickend, über welche jetzt der Abend seine Schatten breitete, in ein Meer von unruhig hin und her wogenden Gedanken, bis ein Diener hereintrat und ihn zum Nachtessen rief.

Die Präsidentin war zurückgekommen und hatte auch für Wolfgang einen kleinen Koffer mitgebracht, den die Mutter in aller Eile mit den für einen längeren Aufenthalt nöthigen Sachen angefüllt hatte.

Die Präsidentin war während der Tafel, an welcher weder der General noch Dame Brigitte Theil nahmen, äußerst gnädig. Sie konnte kaum Worte genug finden, um Wolfgang zu sagen, welchen angenehmen Eindruck seine Mutter auf sie gemacht, und wie sie sich freue, daß sie – wenn auch spät, so doch hoffentlich nicht zu spät – diese liebenswürdige Frau kennen gelernt habe.

Wer ihm die Mutter lobte, war sicher, von Wolfgang mit günstigem Auge betrachtet zu werden. Wolfgang fand die Präsidentin ganz angenehm, fand auch daß Camilla, die sich sehr still verhielt und die seidenen Wimpern kaum einmal aufschlug, bei Kerzenlicht fast noch schöner sei, als bei Tage; und als er sich nicht lange nachher auf sein Zimmer zurückzog, das ihm jetzt mit den heruntergelassenen schweren seidenen Vorhängen doppelt stattlich und vornehm däuchte, that es ihm gar nicht mehr leid, der Grille des Großonkels und den Bitten der Eltern nachgegeben zu haben. Das mächtige Himmelbett umfing den Müden wie mit weichen gastlichen Armen, einzelne Strahlen des Mondes stahlen sich durch die Gardinen und bewirkten eine wollüstige Dämmerung in dem hohen stillen Raume, und aus der Dämmerung blickten ein Paar braune träumerische Augen so zärtlich und dabei so schelmisch, daß Wolfgang lächeln mußte und mit einem Lächeln auf den Lippen einschlief.



 << zurück weiter >>