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2.

D er nächste Tag – ein Sonntag – war einer der lieblich schönen Tage, deren der Frühling des Jahres achtzehnhundertachtundvierzig so viele hatte. Von dem blauen, wolkenlosen Himmel schien die Sonne freudig herab auf die weite, reiche Ebene, durch die sich der herrliche Strom in majestätischen Schlangenlinien windet. Ueber den Wiesen und Saatfeldern, die von dem Strom in sanfter Böschung bis zu Schloß Rheinfelden aufsteigen, jubelten die Lerchen. In dem weiten verwilderten Park des Schlosses flöteten die Nachtigallen in den grünen Hecken und Büschen, und auf den riesenhohen Bäumen, deren mächtiges Gezweig hier und da noch braun in die blaue Luft ragte, bauten krächzende Krähen ihre Nester.

In einem der dem Schlosse zugewandten Gänge des Parks promenirten die Präsidentin Clotilde von Hohenstein und ihre beiden Töchter Aurelie und Camilla. Die Damen waren schon vor einer Stunde in ihrer Equipage aus der Stadt auf dem Schlosse angekommen, weil der Präsident dringend gewünscht hatte, daß seine Frau und Töchter die ersten aus der Familie wären, die der alten Excellenz zu seinem Geburtstage gratulirten und die schönsten Sträuße überreichten, welche des Gärtners Kunst hatte binden können.

Aber ach! die schönen Sträuße harrten noch immer ihrer Bestimmung entgegen! Da lagen sie auf der Steinplatte des Gartentisches, und die zarten Blumen begannen bereits so trübselig auszusehen, wie die Damen selbst. Es war aber auch zum Verzweifeln. Wohl funfzig Mal waren diese jetzt den Gang auf- und abgeschritten, immer die Blicke über den kleinen Teich, der sich zwischen dieser Stelle und dem Schlosse ausbreitete, nach den Fenstern von des Generals Schlafstube gerichtet. Als sie ihre Promenade begannen, hatte diese ganze Seite des Schlosses noch im Schatten gelegen. Sie hatten den Schatten allmälig verschwinden sehen; jetzt glänzte die ganze Façade im hellen Sonnenschein und noch immer wurden die blauen Rouleaux nicht aufgezogen. Bis jetzt hatte der General noch jedes Mal, wenn die Damen, die pflichtschuldigen Geburtstagsgratulationen darzubringen, gegen Mittag aus der Stadt gekommen waren, in seiner höhnisch-groben Weise »von Langschläfern« gesprochen, »die selbst einem alten Mann zu Liebe nicht aus den Federn kommen könnten«, und heute, wo sie es nun recht gut zu machen dachten, ließ er sie warten! Niemand hatte sie bei ihrer Ankunft willkommen geheißen; selbst »Madame« hatte sich nicht sehen lassen! Nachdem sie schon eine Viertelstunde vor dem Portale gehalten, war endlich der alte grobe Bediente, der Kilian, herausgekommen, hatte gesagt: Excellenz schliefen noch und »Madame« ebenfalls, und ob Frau Präsidentin wünsche, daß ausgespannt werde? … Die Präsidentin hatte sich zwar niemals eines besonders gastfreundlichen Empfanges auf Rheinfelden zu erfreuen gehabt – aber so schlimm war es denn doch noch nicht gewesen.

Die Damen hatten eben zum einundfünfzigsten Mal das Ende des Ganges erreicht und wie sie sich nun umwandten, kam das Sonnenlicht auch in den bis jetzt schattigen Weg und die Gestalten erschienen in der günstigsten Beleuchtung.

Die Präsidentin von Hohenstein war eine sehr stattliche Dame im Anfang der vierziger Jahre. Kollegen ihres Gemahls, geheime und andere Räthe, die sie als Fräulein von Slick in der Residenz gekannt hatten, bevor Herr von Hohenstein, damals Regierungs-Assessor, sich mit ihr vermählte, erinnerten sich noch jetzt mit Entzücken, wie schlank und fein Clotilde gewesen sei, wie wunderbar schön sie getanzt und wie sie alle ihre Tänzer durch ihre Munterkeit und Laune zu fesseln gewußt habe. Seitdem waren nun allerdings zwanzig Jahre vergangen und zwanzig Jahre können eine große Veränderung auch an der geschmeidigsten und leichtfüßigsten Gestalt und in dem ausgelassensten Naturell hervorbringen. Clotilde war im Laufe dieser Zeit corpulent und sentimental geworden; ihre Züge, die sich niemals durch Regelmäßigkeit ausgezeichnet hatten, waren jetzt durch Indolenz und Wohlleben stark in die Breite gezogen. Nur das noch immer schöne, glänzend dunkle starke Haar und die braunen, noch immer genußsüchtigen Augen erinnerten frühere Liebhaber an die Clotilde von ehemals, die gefeierte Königin der Residenz-Bälle.

Dieselben Autoritäten behaupteten, daß von den beiden Töchtern die ältere und kleinere ihrer Mutter am ähnlichsten sei; und in der That, wenn man die Quintessenz von dem Wesen der Mutter in der Sinnlichkeit fand, so war dieser Grundzug in der Erscheinung der neunzehnjährigen Aurelie sehr stark ausgeprägt. Sinnlich war der Glanz der nicht eben großen, aber desto glänzenderen dunklen Augen, sinnlich die etwas starken kirschrothen Lippen, sinnlich die satten Formen von Hals und Nacken und Büste, die jetzt, wie die junge Dame einen Augenblick die schwarzseidene Mantille auf die volle Hüfte gleiten ließ, wie Marmor in dem hellen Sonnenlicht leuchteten. – Dennoch war Aurelie in dem günstigsten Falle nur hübsch zu nennen; aber ihre zwei Jahre jüngere Schwester Camilla war ohne alle Frage eine Schönheit. Um einen halben Kopf größer als Aurelie und eben so viel kleiner als ihre fast zu stattliche Mutter, zeigte ihr schlanker Wuchs das reizendste Ebenmaß der Glieder und ihre Formen jene knospende Anmuth, die sich zur weiblichen Fülle verhält wie die Blüthe zur Frucht. Auch die Züge ihres lieblich ovalen Gesichts waren von einer ungemeinen Zartheit, ebenso wie der weiche, vielleicht etwas zu matte Ton der Haut. Kenner rühmten an der jungen Dame als besonders reizend, daß die Farbe ihres weichen, glänzenden Haars viel lichter war, als die Farbe der feingeschweiften Brauen und der langen, seidenen Wimpern, die sich so anmuthig über die dunklen, in feuchtem Glanze schwimmenden Augen senkten. »Wahrlich! wenn ein Engel vom Himmel auf die dunkle Erde herabgesandt worden wäre, er würde um die Vergünstigung bitten, in dieser Lichtgestalt den Menschen zu erscheinen!« hatte erst ganz vor Kurzem der Maler Kettenberg ausgerufen, als er in einer Abendgesellschaft beim Präsidenten während des Carnevals unter andern lebenden Bildern Fräulein Camilla als Mignon »gestellt« hatte.

»Ich bin müde, Kinder,« sagte die Präsidentin, indem sie sich auf der Bank neben dem halb umgesunkenen Tisch niederließ und die verwelkenden Blumen wehmüthig betrachtete; »Ihr auch?«

»Na, es geht noch,« meinte Aurelie, stehen bleibend und die Mantille über die Schultern ziehend; »ich finde es nur schauderhaft langweilig.«

Auf einmal fing sie an zu lachen und rief: »Gott, Camilla, was für ein Gesicht Du schneidest! Wenn Dich Herr von Willamowsky so sähe, er würde abermals über eine Illusion perdue zu klagen haben.«

Camilla hatte sich in die andere Ecke der Bank gesetzt. Ihr schönes Gesicht trug allerdings einen Ausdruck, der mit den sanften Zügen in einem höchst entschiedenen Widerspruch stand.

»Laß mich zufrieden,« sagte die junge Dame mürrisch.

»Mein Himmel, wer thut Dir denn was?«' meinte die Schwester; »was kann denn ich dafür, daß das gnädige Fräulein heute nicht ausgeschlafen hat? ich habe Dir gestern Abend oft genug gesagt, Du solltest nicht so viele Extratouren tanzen.«

»Damit Du doch ja nicht zu kurz kämest,« höhnte Camilla.

»O, mein Schatz, es hat mir bis jetzt noch nie an Tänzern gefehlt, trotzdem ich allerdings noch keinen Maler zur Desperation gebracht, auch sonst kein Malheur durch meine Schönheit angerichtet habe.«

»Müßt Ihr Euch denn immer zanken, Kinder,« sagte die Präsidentin, die Handschuhe von den fetten weißen Händen streifend, »ich dächte, unsere Situation wäre ohnehin schon unerquicklich genug.«

»Die Situation ist so schlecht nicht, Mama,« sagte das Fräulein, sich auf den Hacken wiegend, »wenn wir nur was zu essen hätten. Ich fange an, schauderhaft hungrig zu werden.«

»Das ist das zweite Mal in fünf Minuten, daß Du das Wort ›schauderhaft‹ in den Mund nimmst,« sagte Camilla.

»Du gebrauchst noch ganz andere Wörter,« entgegnete die Schwester.

»Aber, Kinder!« beschwichtigte die Mutter, die zusammengefalteten Handschuhe auf den Tisch werfend.

In der Unterhaltung der Damen entstand eine Pause, welche Aurelie dazu benutzte, flache Steinchen über die Fläche des Teiches zu schnellen. Plötzlich wandte sie sich wieder um und rief:

»Sage mir nur, Mama, warum machen wir eigentlich dem Großonkel so schaud – ich hätte wahrhaftig beinahe wieder schauderhaft gesagt, Camilla, – warum machen wir eigentlich dem Großonkel so entsetzlich die Cour?«

»Was nennst Du Cour machen?« fragte die Präsidentin.

»Ich nenne Courmachen, wenn man nicht abläßt, Jemanden, der so übermenschlich grob und häßlich gegen uns ist, wie der Großonkel, mit Zuvorkommenheiten aller Art zu überschütten; ihm unablässig Arbeiten stickt, die er im Leben nicht benutzt; ihm Briefe schreibt, die er nie beantwortet; ihm vor Allem Gratulationsvisiten macht, bei denen er einen, comme à présent, en canaille behandelt.«

»Ich dächte, das Thema wäre schon oft genug abgehandelt,« sagte Camilla, die Spitze ihres schmalen Fußes lässig betrachtend.

»So schlage ein besseres vor, wenn Du eins weißt,« rief Aurelie.

»Camilla hat Recht,« sagte die Mutter, »die Sache ist schon oft genug unter uns besprochen worden. Abgesehen davon, daß wir dem Großonkel, als dem Chef der Familie, diese Rücksichten schuldig sind, ist es auch Sache der allergewöhnlichsten Lebensklugheit, sich um die Gunst eines Mannes zu bewerben, von dessen Willen wir so zu sagen abhängen.«

»Aber ich denke, Du hast selbst ein bedeutendes Vermögen, Mama.«

»Nun ja, ich habe, oder vielmehr, ich hatte, das heißt –, sieh, mein Kind, wir brauchen sehr viel; das Leben ist jetzt erschrecklich theuer. Das lächerlich geringe Gehalt Deines Vaters und die Zinsen meines Vermögens reichen für unsere Ansprüche bei weitem nicht aus; wir müssen vom Kapitale zehren. Wie lange wird das dauern, so ist es aufgebraucht, und wenn, was doch jeden Tag passiren kann, Ihr Euch verheirathet – wovon sollen wir dann Eure Aussteuer beschaffen? Ich schauere, wenn ich daran denke.«

Die Präsidentin schlang den einen Arm um Camilla und zog sie an sich heran, als wollte sie das geliebte Kind vor einem Schicksal bewahren, das ihren Augen allerdings furchtbar erscheinen mußte.

»Ich meine aber,« fing Aurelie wieder an, »wir müssen ja doch den Großonkel so wie so beerben; wozu sich also so schaud – so horrible Mühe geben?«

»Wie Du sprichst!« sagte Camilla, noch immer halb an dem Busen der Mutter gelehnt; »als ob Du nicht wüßtest, daß Onkel Gisbert eben so viel Ansprüche hat, wie Papa.«

»Nun, dann laßt ihn doch! was ist denn an den paar tausend Thalern mehr oder weniger gelegen!«

Die Präsidentin seufzte. Sie dachte an verschiedene, seit geraumer Zeit laufende Rechnungen, von deren Existenz ihr Gemahl keine Ahnung hatte, und wie groß doch für ein Mutterherz, das für die Garderobe ihrer Töchter zärtlich schlägt, die Differenz von »ein paar tausend Thalern mehr oder weniger« in einem gegebenen Augenblicke sei. Camilla übernahm es, Aureliens unbedachte Aeußerung gebührend zurückzuweisen.

»Du wirst durch Dein albernes Geschwätz Mama noch um den letzten Rest ihrer guten Laune bringen,« sagte sie; »willst Du nicht lieber nächstens, wie Tante Antonie, in großer Gesellschaft erklären, daß Du Dich nicht einen Pfifferling um den Großonkel kümmertest?«

»Ich wollte, ich wäre so unabhängig, wie Tante Antonie, daß ich es dürfte!«

»Aber Du bist nicht unabhängig, wie Tante Antonie in ihrer doppelten Eigenschaft als Wittwe und reiche Frau, und deßhalb darfst Du es nicht,« sagte die Präsidentin beinahe heftig. »Liebes Kind,« fuhr sie freundlicher fort, »glaubst Du denn, Dein Vater und ich würden die Sache so ernsthaft nehmen, wenn nicht gerade jetzt Alles darauf ankäme, den Großonkel günstig für uns zu stimmen? Der Großonkel kann jeden Tag sterben, das hat mir noch gestern Abend der Medicinalrath gesagt, und es ist, wie Dein Vater meint, die höchste Wahrscheinlichkeit, daß er bis zu diesem Augenblick noch kein Testament gemacht hat. Stirbt er aber, was Gott verhüten wolle, ohne Testament, so fällt die Erbschaft zu gleichen Theilen an Deinen Vater und seine beiden Brüder.«

»Das würde dem armen Onkel Arthur gerade passen,« meinte Aurelie lachend.

»Uns aber desto weniger,« sagte die Präsidentin. »Onkel Arthur hat sich durch seine Heirath mit dem Frauenzimmer, wie heißt sie doch gleich! – und nicht weniger durch seine demokratischen Tendenzen die Gunst des Onkels für immer verscherzt. Macht also der Großonkel ein Testament, so ist Alles gegen nichts zu wetten, daß er den Stadtrath ohne Weiteres von der Erbschaft ausschließt; bleibt also, da Onkel Ernst, ich darf wohl sagen, Gott sei Dank! ohne Kinder gestorben und Tante Antonie also, abgesehen davon, daß sie von Hause aus reich ist, gesetzmäßig keine Ansprüche auf die Erbschaft hat, – bleiben also, sagte ich, nur noch der Vater und Onkel Gisbert. Der Obrist aber steht bei dem General sehr schlecht angeschrieben –«

»Ich denke aber, der Vater auch nicht besonders,« wandte Aurelie ein.

»Leider, leider,« seufzte die Präsidentin; »desto größere Mühe müssen wir, ich meine, müßt Ihr Euch geben, seine Neigung zu gewinnen. Launisch und schadenfroh, wie er ist, sollte es mich gar nicht wundern, wenn er Euch Beiden Alles vermachte.«

»Aber das wäre ja famos!« rief Aurelie in die Hände klatschend; »das sollte ein Leben werden! Das Erste wäre, daß wir den Park wieder in Ordnung bringen ließen, der wirklich jetzt wie ein Urwald aussieht. Und dann müßte der alte Kasten von Schloß da drüben neu angestrichen werden. Und dann alle Tage das Haus voller Gäste, und Abends hier um den Teich herum farbige Lampions und kleine Gondeln und ein Bal champêtre!Grands dieux! wie sich wohl Tante Selma ärgern würde! und Vetter Kuno und der himmlische Otto! Habe ich Dir denn noch nicht erzählt, Camilla, welch' geistreiches Compliment mir Kuno gestern Abend beim Cotillon gemacht hat?«

»Nun?« fragte Camilla, die schmachtenden Augen neugierig erhebend.

»Auf Ehre, Cousine!« hier schlug das junge Mädchen die Hacken ihrer Stiefelchen klappernd zusammen und wirbelte ein imaginäres Bärtchen auf der Oberlippe, »auf Ehre, Cousine, ich bin in einer grausamen Verlegenheit. Tanze ich mit Camilla, so glaube ich, ich müsse sie heirathen, tanze ich mit Dir, so erscheint es mir als eine Notwendigkeit, Deine Schwester sitzen zu lassen.«

»Der alberne Geck,« sagte Camilla, den reizenden Mund höhnisch verziehend.

»Liebe Kinder,« sagte die Präsidentin, »macht, daß Ihr in eine Lage kommt, wo Ihr, wie Tante Antonie, unter Euren Anbetern die Auswahl habt. Es liegt in Eurer Hand. Bietet Alles auf, den Großonkel bei guter Laune zu erhalten. Es muß diesmal etwas Entscheidendes geschehen. – Aber dies lange Wartenmüssen ist wirklich ärgerlich; und auch Madame läßt sich gar nicht blicken! Wir wollen nach dem Schlosse zurückgehen, ob wir nicht wenigstens etwas zu essen bekommen können; ich bin beinahe ohnmächtig vor Hunger!«

»Komm, liebes Mamachen!« sagte Aurelie, der Mutter den Arm bietend. »Camilla, nimm Du die Blumen mit! Wir könnten sie freilich eben so gut in den Teich werfen.«

Die Damen hatten einige Schritte gethan, als sie sahen, wie eins der blauen Rouleaux, auf welche sie noch immer die sehnsüchtigen Blicke gerichtet hielten, langsam in die Höhe gezogen wurde. Eine riesenlange Gestalt mit einer weißen Zipfelmütze auf dem Kopfe, den oberen Theil des Körpers in eine weite flanellene Nachtjacke gehüllt – den unteren Theil verbarg die hohe Brüstung – erschien hinter den Scheiben.

»Der Onkel – der Großonkel!« riefen Mutter und Töchter wie aus einem Munde.

Die weiße Gestalt öffnete den einen Fensterflügel und lehnte sich hinaus.

»Guten Morgen, Onkel! – guten Morgen, Großonkelchen!« riefen die Damen.

Die Entfernung zwischen ihnen und dem Schlosse betrug vielleicht hundert Schritt; nur ein Stück Garten und der Teich lagen dazwischen. Es schien unmöglich, daß der General sie nicht sehen sollte. Dennoch mußte es der Fall sein. Er wandte den Kopf nach rechts, er wandte den Kopf nach links; er lehnte sich noch weiter hinaus und blickte in die Stachelbeerbüsche unter dem Fenster.

»Hier; hier!« schrieen die Damen und winkten mit den Tüchern.

Der General richtete den langen Leib empor, legte die runzlige Hand über die buschigen Brauen und lugte scharf nach dem blauen Himmel. Als er auch dort Niemanden entdeckte, von dem die Rufe möglicherweise ausgehen konnten, schien er die Sache als hoffnungslos aufzugeben. Er schüttelte die Zipfelmütze und schloß bedächtig das Fenster.

»Hier, hier!« riefen die Damen, aber die Stimmen klangen sehr kläglich. Im nächsten Augenblicke war das blaue Rouleau wieder herabgelassen.

»Er hat uns nicht gesehen!« sagte die Präsidentin beinahe weinend.

»Oder nicht sehen wollen!« sagte Aurelie. »Nimm's Dir nicht zu Herzen, Mamachen, wir wollen auch Alles thun, um dem Großonkel zu gefallen. Der Gedanke, einmal hier einen großen Ball geben zu, können, ist wirklich zu schön!«

Die muntere Aurelie faßte die Mutter um die Taille und zog sie scherzend den Weg entlang, nach dem Schlosse zu. Camilla folgte langsam. Die feinen Brauen leise zusammengezogen und die seidenen Wimpern tief über die schwärmerischen Augen gesenkt, überlegte sie: ob es wohl möglich, und wie es anzufangen sei, daß der Großonkel sie, Camilla von Hohenstein, mit Uebergehung aller übrigen Verwandten zur alleinigen Erbin von Rheinfelden mache.



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