Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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»Puh! Tolle Hitze heut! Jetzt abends halb neun Uhr noch sechsundzwanzig Grad Reaumur! Berlin ist ein wahrer Backofen, und wer nicht unbedingt nötig hat, sich in diesem Schwitzkasten aufzuhalten, der verdufte lieber schnell,« sagte ein großer, hagerer Mann Mitte der Vierzig, mit frischrotem, gutgeschnittenem Gesicht, blitzblauen Augen und einer regelrechten Adlernase.

Diesen Kopf mit den martialischen Zügen hätte man sich recht gut unter der Sturmhaube deutscher Ritter denken können; im Grunde aber war Baron Flemming der friedliebendste, menschenfreundlichste Herr von der Welt, nur gewaltig cholerisch und in seinen Ausdrücken nicht immer wählerisch.

Er war nach jenen Worten an den nur für wenige Personen reservierten Tisch in einem der ersten Hotels getreten.

Kopf an Kopf saßen elegante Leute ringsum, und das Stimmengewirr übertönte oft die einschmeichelnde Zigeunermusik im Nebenraum.

Zwei bereits an diesem Platze sitzende Gäste begrüßten ihn mit freundschaftlicher Handbewegung.

»Na, mach' dir's nur bequem, Silvius,« sagte der Älteste von ihnen. »Ich habe schon bestellt: Oxtailsuppe; Forellen, Hamburger Hühner und Haselnußcreme.«

»Ach was, ich habe keinen Appetit. Es ist alles faul – faul sage ich euch! Justizrat Westernheim hat mir soeben dreiviertel Stunden Vortrag über die Sache Herlingen gehalten, daß mir noch der Kopf brummt. Die reine Schweinerei dort. Ich vor allem – und du, Onkel, und du auch, Lex« – er wies auf den Sitzenden – »sind natürlich gelappt worden. Kostet mich fast eine halbe Million Märkel. Der Vinzenz ist zwar mein richtiggehender Vetter und ich hatte eigentlich, außer daß ich ihn für einen selbstbewußten, aufgeblasenen, im Grunde aber saudummen Kerl gehalten, stets eine leidliche Meinung von ihm. Anständig war er immer und hat seinen Namen nicht verschandelt; allein er wollte die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, und da ist er mal reingeplumpst. Die Sequestration der Besitzungen ist schon eingeleitet. Nicht ein roter Heller da in bar, zur Deckung der Schlußbilanz! – Scheußlich!«

»Ja, das ist doch eigentlich undenkbar bei Herlingens vielen Gütern, die sind sicher ein paar Millionen wert. Im guten Glauben, dem Vinzenz gefällig zu sein, habe ich erst kürzlich mal bei einer Sache für ihn gutgesagt,« rief nun auch der dritte, sichtlich erregt, und warf die halbgerauchte Zigarre fort.

»Und mich hat Herlingen noch vor kaum sechs Wochen breitgeschlagen, in diese ungarische Waldankaufs- Spekulation neunzigtausend Mark zu stecken, wobei, wie er meinte, ein Dutzend unserer deutschen Magnaten beteiligt sind. All die Leute wollen doch verdienen. Wenn auch dabei wirklich mal einer danebenpfeift, so gibt das noch keinen Krach. Es wird eben nie so heiß gegessen, wie's gekocht wird – und viel dazu gelogen.«

Der alte Herr mit dem grauen Spitzbart, welcher jenen Einwurf tat, schüttelte ungläubig den Kopf.

»Verehrter Onkel, laß mich doch erst mal ausreden. Gewiß, aus der Spekulation könnte eventuell was herausleuchten, wie hätte ich Schlaumeier mich sonst darin vergaloppiert. Aber es steigen mächtige Gewitterwolken am politischen Himmel auf. In spätestens vier Wochen haben wir den Krieg!«

Baron Flemming setzte sich nach diesen wie einen Trumpf ausgespielten Worten wuchtig nieder und schnitt eine Grimasse.

»Krieg? Lächerlich, mein Junge! Wer soll denn anfangen? Nur keine Schwarzseherei! Der Serajewoer Mord hat eben alle Gemüter so bedenklich erregt, daß die Menschen überall Gespenster sehen. Genau wie vor einigen Jahren, da war es noch brenzlicher, und alles hat sich wieder ausgeglichen,« warf der mit Lex Angeredete etwas überlegen lächelnd ein.

Allein der alte Herr war sehr ernst geworden. Er rückte noch näher an seinen Neffen heran, und da man am Nebentische bereits die Ohren zu spitzen begann, äußerte er flüsternd:

»Es liegt in unserer menschlichen Natur, das Unangenehme solange wie möglich von uns abzuwehren oder nicht daran glauben zu wollen. Ich selbst halte es aber keineswegs für ausgeschlossen, daß der Vulkan, auf dem wir längst stehen, über kurz oder lang einmal zum Ausbruch kommt. Dann wird's allerdings bös! Gott bewahre uns davor.«

Im selben Augenblick erregte der Eintritt einer Dame in den Speisesaal die Aufmerksamkeit der zunächst sitzenden Gäste.

Die große, schlanke Gestalt war durchaus nicht auffallend angezogen, nur daß das weiße Batistkleid ihre schönen Formen, der herrschenden Mode entsprechend, vielleicht zu deutlich heraushob. Vorzüglich aber schien es der an ihrer ganzen Erscheinung haftende Hauch von fast unnahbarer Vornehmheit, wie der halb blasierte, halb spöttische Ausdruck des schönen Gesichts zu sein, welcher Neugier und Bewunderung erregte.

»Gräfin Herlingen!« tuschelten mehrere Stimmen.

Jetzt streifte sie den Tisch, woran Baron Flemming und seine Begleiter saßen.

Alle drei erhoben sich leicht und grüßten.

Doch ersterer konnte nicht unterlassen, etwas boshaft zu murmeln: »Da geht sie hin – und singt nicht mehr! Augenblicklich wohl nur das traurige Lied vom armen Mann! Ja, ja, schöne Frau Raineria, mit der euch ausgesetzten Rente wirst du keine so großen Sprünge mehr machen können.«

»Hat sie verschwendet?«

»Das wohl gerade nicht; aber gerechnet hat sie auch nie. Wie das so geht: blutarmes Mädel, leichtlebiges polnisches Blut – da war's so schön, bissel im Golde zu manschen. In München hat der Vinzenz seine Frau voriges Jahr bei einem berühmten Künstler malen lassen. Vierzigtausend Mark kostete der Spaß, na und so weiter. Jetzt wohnen die Herlingens mit Kammerdiener, Jungfer und so weiter schon seit Wochen hier im Hotel, und wir Esel müssen für ihre Schulden aufkommen!«

»Hm, dann schadet es ihnen wahrlich nicht, mal für ein paar Jahre krumm zu liegen. Ich habe nie Mitleid mit Leuten, die verschwenden,« meinte Lex und holte sich seine nur halb gerauchte Zigarre wieder aus der Aschenschale, die er aufs neue entzündete.

»Lebt denn der alte Ignaz Sumiersky noch auf seiner verlotterten Raubfeste?« fragte jetzt der Ältere und sah Raineria voll Interesse nach, als sie sich seitwärts an einem für sie reservierten Platze niederließ.

»Lebt und säuft. Früh fängt er mit Pommery an und endet abends mit Schnaps, der alte Sünder! Gott, wenn ich so ein Hundedasein geführt hätte wie der, ich schösse mich mausetot. Strelnow ist mit Herlingenschen Hypotheken belastet, aber Zinsen haben sie nie besehen. Nur dem Sohne gibt er seltsamerweise noch pünktlich die Zulage, wie ich hörte. Irgend so ein verrostetes Möbel von Inspektor wirtschaftet noch das Denkbarste aus der Klitsche 'raus, daß sein Herr gerade nicht verhungert. Ob der alte Ignaz in seinem alten Fuselkoppe noch so viel Verstand haben wird, den Herlingenschen Krach zu kapieren? Strafe muß sein – basta!«

Baron Flemming schlug bei dieser Schlußbemerkung mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten.

»Und der Sohn?«

Jetzt bekamen Flemmings blitzblaue Augen einen noch intensiveren Glanz, dann sagte er merkwürdig weich:

»Leider hab ich keine Jungen; aber solch einen Bengel hätte ich mir wahrhaftig mal gewünscht. Vom Scheitel bis zur Sohle ein Ehrenmann, schlicht und treu – nie Schulden, nie über die Verhältnisse gelebt, dabei im Wesen und Auftreten stets der vornehme Mann. Gerade dem gönnte ich alles Gute; doch solche Prachtkerle sind meist stiefmütterlich von der Vorsehung behandelt und müssen oft für die Sünden anderer Schubbejacks bluten, eben weil ...«

Er verstummte.

Der Kellner trat mit der Suppe an den Tisch.

* * *


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