Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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Es war ein wunderbar schöner, goldiger Herbstmorgen.

Schon fing das Laub der prächtigen Baumkronen im Englischen Garten sich zu färben an. Dahlien, Astern, Georginen und Sonnenblumen blühten in leuchtendsten Farben, und die Schwalben rüsteten bereits, zu Scharen vereint, zum Fortzuge.

Allein über allen Reizen, aller glühenden Farbenpracht der Gottesnatur lag dennoch der leise Hauch des Absterbens, den die empfindsame Menschenseele nur ahnen, die Augen nicht wahrzunehmen vermögen.

Vergänglichkeit des Irdischen! Bald sind die Spuren aller Schönheit, alles Lebens verweht, und gleich einem wüsten, gebrochenen Lachen, abgerissen, rauh wird der Herbststurm durch die kahlen Bäume fauchen. – – –

Solcher Art waren die ernsten Gedanken des jungen Mannes, der, von Kissen gestützt, noch bleicher und verfallener als sonst, schwer atmend, im Lehnstuhl ruhte.

Seine träumerischen Augen verfolgten die neckischtanzenden Lichtreflexe am Zimmerboden, an den primitiven Möbeln, auf seiner Staffelei. Der winzige Wandspiegel gleißte und glitzerte, als ob ein vorwitziger Sonnenstrahl sich darin eingefangen hätte.

Am Fenster saß eine Nonne. Der Patient hatte am Abend vorher, vielleicht infolge gar zu anstrengender Arbeit, einen Blutsturz mit tiefem Ohnmachtsanfall gehabt, und auf Anordnung des Arztes war diese Pflegerin herbeigeholt worden.

Den bequemen Sessel hatte die mitleidige Hauswirtin ins Krankenzimmer bringen lassen.

Nun brütete tiefes Schweigen über dem dürftigen Gemach.

Ob es wohl Zufall sein mochte, daß die matten Blicke öfters nach dem Eingänge hinüberflogen?

Erwartete er, daß von dort etwas ganz Besonderes, Herzerfreuendes die Not und die Einsamkeit dieses traurigen Morgens erhellen müsse?

Graf Stephan! Ja, an ihn hatte der arme Verlassene zuerst gedacht, als nach langer Bewußtlosigkeit endlich wieder ein Gedanke in ihm aufblitzte.

Nach ihm sehnte sich das Herz – nach dieser treuen Freundeshand, nach seinen trostreichen Worten, seinen lieben, fröhlichen Augen.

Gestern, gerade ehe der schlimme Anfall kam, war Stephan noch da gewesen, und er hatte versprochen, bald, vielleicht noch den nächsten Morgen, nach ihm zu sehen.

Dort den Strauß von duftenden Herbstveilchen, auf den gerade die Sonne ihren Glanz ergoß, hatte Stephan gebracht.

Alles Liebe, Gute, Schöne in seinem kümmerlichen dasein kam stets von ihm. –

Auch die Hoffnung? – –

Gerade Stephans Einfluß war es zu danken, daß die bedrückte Seele bestmöglich alle trüben Zukunftsahnungen von sich fortgescheucht hatte.

Wollte er nicht leben, seiner teuren Kunst leben, sich nicht einen Namen erringen, um dann auf die alten Tage an einem schönen, stillen Erdenfleckchen ausruhen zu können von allen Mühen und Sorgen? – –

Der Arzt hatte so freundlich gelächelt und die sanfte Schwester ebenfalls, als er schüchtern gefragt, wann er denn wieder malen dürfe.

Und doch war er heute so sterbensmatt, und die schwache Brust rang so mühsam nach Luft.

Ach, sterben! Es mochte wohl doch der glücklichste Abschluß für ihn sein – erlöst von allem Ringen, allen Bitternissen, wie jetzt sein armer Vater, den Gott zur rechten Stunde abgerufen hatte.

Sterben! –

Die Hauswirtin öffnete vorsichtig die Tür und winkte nach der Schwester hinüber.

Auf leisen Sohlen kehrte diese bald darauf zurück und trat zum Leidenden.

»Fühlen Sie sich kräftig genug, einen Besuch zu empfangen?« fragte sie liebevoll.

»Besuch? Wer sollte zu mir kommen? Graf Stephan etwa? – O, gewiß – ich freue mich so sehr – ich warte ja – bereits auf ihn!«

Des jungen Malers Augen leuchteten im Fieberglanze, und jähe Röte flog über die wächserne Stirn.

Und dann erschien ihm plötzlich sein kleines Atelier in ein Lichtmeer gehüllt. Gab das Glück nicht neue Kraft? Vermochte eine teure Stimme, die gleich reinen Akkorden an sein Ohr klang, erschlaffte Lebensgeister nicht neu zu wecken?

Graf Stephan! Ja, da stand er wirklich vor ihm, und seine warme Hand strich sanft über das braunlockige Haar.

Zwar zuckte des Gastes Mund so eigentümlich schmerzlich, obwohl er sich zu einem Lächeln zwang, und in ermutigendem Tone sprach er:

»Nun wird und muß alles gut werden, Robert.« Er hatte den Kranken bisher noch nie beim Vornamen genannt. »Ich bringe nämlich eine überraschende, schöne Kunde mit, die in Ihrem Schicksale eine große Wendung hervorrufen soll!«

Der Angeredete lächelte nur wie ein müdes Kind. Über diese Enthüllung nachzugrübeln, vermochte er in seiner großen Schwäche nicht.

Beide waren allein, da die Schwester nicht zurückkehrte.

Nun setzte sich Stephan dicht an den Lehnstuhl des Leidenden.

»Ja, Robert, sobald Ihre Kräfte etwas gehoben sein werden – sollen Sie fort aus München – dorthin, wo milde Luft – und viel, viel Sonne ist! Lange Zeit müssen Sie nur der Gesundheit leben, um bald wieder Ihre alte Schaffenskraft zurück zu erlangen!«

»Ich – reisen – nach dem Süden? – Das kostet doch aber sehr – viel Geld,« stammelte der Maler sichtlich verwirrt.

»Einerlei! Jetzt spielt das keine Rolle mehr – denn du mußt genesen, Robert« – Stephans Stimme schwankte – »genesen und leben, um das dir von Gott geschenkte Gut voll zu genießen – leben – um meinetwillen!«

»Was – was ist denn geschehen?«

»O, viel, Robert. Nun höre: Der langvermißte Stammbaum unserer Familie ist doch im Strelnower Archiv gefunden worden und bekundet sonnenklar, daß nicht mein Vater, sondern der deine, also du allein der rechtmäßige Erbe des alten litauischen Onkels Sumiersky bist!«

Aber des Kranken Züge erhellten sich nicht. Es hatte sogar den Anschein, als ob ein Ausdruck von schmerzlicher Trauer über die eingefallenen Züge glitt.

Mühsam hob er den schmalen Oberkörper aus den Kissen und fragte ängstlich erregt:

»Und – Sie – du – Stephan? – Das darf ja nicht – sein!«

Dieser lächelte indes wieder in seiner sonnigen Art.

»Ich habe noch nie bisher Anspruch an jenes Geld erhoben, beunruhige mich auch nicht, wenn Strelnow verkauft werden müßte. Mein Beruf befriedigt mich vollkommen, und dich, Robert, nun sorgenfrei zu wissen, macht mich wahrhaft glücklich. Helfen will ich dir aber stets, wo immer du mich brauchen kannst. Vor allem – wozu der Allmächtige seinen Segen gebe – werde bald gesund!«

Immer ernster und trauriger wurde des jungen Malers Gesicht.

Seine durchsichtigen Künstlerhände umschlossen plötzlich mit krampfhaftem Druck des Freundes Arm, und mehr hauchend als sprechend, flüsterte er ein paar unzusammenhängende, halb unverständliche Worte:

»Ach, Stephan – jetzt ist es – doch schön! – Sterben! Das Leben – war – wertlos –! Mein Tod – reicher – Ersatz – dafür!« – – –

Nur wenige Tage später stand Stephan als einziger Leidtragender am Grabe des so früh Verblichenen.

Das Gute, das ich ihm stets anzutun wünschte – es kam zu spät! dachte er tief bewegt und reiste noch in der nämlichen Nacht nach dem Orte seiner Tätigkeit zurück.

* * *


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