Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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»Nun, wie geht es heut? Besser, natürlich! Das sehe ich schon. Wenn Sie an der Staffelei stehen, dann ist's ein gutes Zeichen.«

Mit diesen freundlich und heiter gesprochenen Worten trat Stephan in die vier Treppen hoch gelegene kleine Werkstatt seines Namensvetters Robert Sumiersky, der im Malerkittel, Pinsel und Palette in Händen, bei der Arbeit war.

Der Angeredete legte sein Werkzeug sofort beiseite und begrüßte, sichtbar erfreut, den Gast.

»Graf Stephan! Welche Überraschung! Also doch gekommen! Ihre Güte, Ihre Freundschaft sind wirklich Sonnenstrahlen in meinem armseligen Dasein!«

»Pst! Unsinn! Nicht solches Zeug reden! Demnach ist es Ihnen während der vier Monate, in denen wir uns nicht sahen, ganz leidlich ergangen? Das ist schön – – selbstverständlich auch finanziell. Ihr Name als Künstler wächst.«

Stephans Blicke flogen befriedigt über des jungen Malers Erscheinung hinweg. Diese schien allerdings gepflegter als vor zwei Jahren. Gesichtsausdruck, Haltung und Kleidung kennzeichneten zweifellos den gebildeten Mann besserer Stände, ja es lag sogar eine Art reizvoller Genialität über diesem, wie Stephan oft scherzend geäußert, Lord-Byron-Kopf, dessen braunes Kraushaar sich stets widerspenstig um Stirn und Schläfen sträubte.

Allein ein schärferer Beobachter erkannte sofort den schwer Lungenkranken in ihm. Unter den hageren Wangen brannte meist eine hektische Röte, was mit den fieberhaft glänzenden Augen und den kurzen Atemzügen seiner Brust eine beredte Sprache redete.

»Vortrefflich geht es mir!« Eine leichte Bitterkeit färbte den Ton. »Die blauen Lappen fliegen nur so zum Fenster herein. Dort, jene Isarniederung mit herbstlichem Gestrüpp, ist bereits verkauft, und hier das Pferdeidyll – nicht wahr, der zweite Franz Krüger – hat Gräfin Herlingen bestellt.«

»So? War meine Schwester kürzlich hier?«

Über Stephans Züge flog wieder ein Ausdruck innerer Befriedigung.

»Nein, Frau Gräfin sandte mir eine kleine Photographie und gab Größe und Maße an. Es sind die Lieblingsreitpferde von ihr und dem Herrn Grafen.«

Voll Interesse betrachtete Stephan den Entwurf.

»Ja, ich kenne die Gäule genau. Vortrefflich! An Ihrer Stelle würde ich nur Tiere malen. Darin entwickeln Sie eine besondere Kunst.«

Der Leidende lachte kurz.

»Vorläufig muß ich malen, was man von mir verlangt.«

»Freilich –! Hm!« gab Stephan sinnend zur Erwiderung.

Darauf setzten sich beide auf die einzigen Rohrstühle, welche der kleine Raum aufzuweisen hatte.

In zarter, taktvoller Weise erkundigte sich Stephan nun auch nach des jungen Malers Vater in Neuyork, ob derselbe, nachdem der sogenannte Vergleich endlich zustande gekommen war, den Sohn einigermaßen unterstütze. Der alte Mann sei doch moralisch dazu verpflichtet und dürfe die Zinsen des erhaltenen Kapitals unmöglich für sich allein beanspruchen.

Da wollte Robert anfangs gar nicht mit der Sprache heraus, und seine Züge hatten dabei einen todestraurigen Ausdruck bekommen.

Doch endlich faßte er, gleichsam hilfesuchend, nach des Gastes Hand und sagte gepreßt: »Mein Vater hat sich verleiten lassen – das Geld in einer – gewagten Spekulation anzulegen. Vor acht Wochen kam die Nachricht, daß – daß alles – verloren sei und er, durch Schreck und Gram darüber erkrankt, im Hospital läge. Auch seine Stellung hätte er dabei eingebüßt.«

»Und Sie – Sie müssen nun die Mittel hinüberschicken, den Vater zu unterhalten und verpflegen zu lassen?« fragte Stephan, während eine Zornesfalte seine Stirn verdüsterte.

»Zum Teil allerdings. Aber – das ist ja jetzt kaum von Belang. Ich verdiene wirtlich genug.«

Ein so wunderbarer Ausdruck von rührender Opferfreudigkeit, Güte, ja seelischer Verklärung lag über des Leidenden Gesicht, daß Stephan vom Sitz aufsprang und an die Staffelei trat.

Um keinen Preis wollte er dem andern seine tiefe Bewegung verraten.

Wohl noch eine Stunde blieb er darauf bei dem zutraulicher und mitteilsamer gewordenen jungen Maler, der auch in warmen Worten nach Stephans Angelegenheiten fragte.

Mit einem beinahe heiteren »Auf Wiedersehen!« trennten sie sich.

»Wenn der liebe Gott mich doch einst in die Lage versetzen wollte, diesem vortrefflichen Jungen einmal etwas Gutes anzutun!« murmelte Stephan sinnend, die vier Stiegen des schlichten Hauses wieder hinabsteigend.

Seit kurzem, ja seit dem Fest bei Exzellenz von Z..., lag überhaupt ein eigener, beklemmender Druck auf seiner Seele.

Ein Mensch wie er, mit seinen dreiundzwanzig Jahren, jung, hübsch, in bevorzugter Gesellschaftsstellung, der Licht- und Schattenseiten des Großstadtlebens zur Genüge kannte und sich wohl auch kaum Skrupel gemacht hatte über kleine Liebesabenteuer, die verrauscht und verflogen waren, gleich dem Frühlingsnebel, er errötete plötzlich bei dem Gedanken, daß seine Sinne, sein Wünschen und Begehren auf gefährlichen, nach Moral und Gesetzen unerlaubten Gebieten sich bewegten.

Das glich doch eigentlich einem Eingriff in fremden Besitz, fremdes Eigentum!

Was gingen ihn schließlich die wunderbaren blauen Augen, der holde Gesichtsausdruck, die süße Stimme einer Frau an, die das Weib eines anderen Mannes war?

Und dennoch – jede Minute des glänzenden Festabends hatte er dazu benutzt, in Frau von der Thanns nächster Nähe zu sein, sich möglichst viel mit ihr zu unterhalten und ihr kleine Dienste zu erweisen.

Wahrlich, er war doch weit davon entfernt, dieses seltsame Interesse, welches schon damals im D-Zuge für die junge Frau aufgekeimt war, als bloße Spielerei oder banale »Cour« zu betrachten; hatte er doch schon oft für viel hübschere Wesen geschwärmt und ihnen auch nahegestanden.

Nein, hier war etwas in seinem Innern wach geworden, eine Saite hatte zu tönen begonnen, die urplötzlich nur die edelsten, reinsten Empfindungen zur vollen Entwicklung brachte. Allein das eigene Empfinden durfte nicht maßgebend sein – nicht hier – das war eben Friedensstörung. –

Als Stephan jetzt auf seinem Eckplatze in der Elektrischen saß und mit wirren zerfahrenen Gedanken die vorbeihuschenden Straßen, Häuser und Läden betrachtete, da stand, wie herbeigezaubert – Arys schönes Gesicht vor seinem geistigen Auge.

O, wie er sie liebte – wie er doch in allem und jedem ihre Güte und Treue empfand. Dieses Mütterliche an ihr hatte ihm stets ein tröstliches Glücksempfinden bereitet. Warmes Mitgefühl wallte damals in Strelnow oft in ihm auf, wenn er ihre Jugend und Schönheit im Verkehr mit diesem roh veranlagten Vater verkümmern sah, und doch mußte sie, solange es die Pflicht gebot, bei ihm ausharren.

Und darauf kam die glänzende Heirat! Widerspruchlos – Stephan war Herlingens Persönlichkeit nie recht genehm gewesen – ja mit einer auffallenden Entschiedenheit hatte Ary des Vetters Antrag angenommen und war kaum sechs Wochen später Vinzenz' Frau geworden.

Oft hatte Stephan über diesen Punkt nachgedacht und war schließlich zu der Überzeugung gelangt, daß die Schwester sich befriedigt fühle und durchaus kein sogenanntes himmelanstürmendes Glück wünsche.

Da kam der Festabend bei Exzellenz von Z..., mit Augenblicken, die ihm gewissermaßen den Schlüssel zu einem verborgenen Geheimfach in der Schwester Herzen boten.

Er hatte sie während Professor von der Thanns Vortrag gesehen, hatte jede Miene des schönen Gesichts beobachtet; er hatte ferner, als er mit Vinzenz jene beiden in dem fast menschenleeren Salon allein angetroffen, bemerkt, wie ein Quell verhaltenen Wehs, aber auch schlecht bekämpfter Leidenschaft aus ihren feuchtschimmernden Augen hervorbrach. Plötzlich tauchte nun auch alles, was Stephan in der Strelnower Zeit einzig für harmlose Tändelei und eitle Gefallsucht gehalten, wieder beängstigend vor seiner Seele auf. Hier lag offenbar ein Geheimnis! Vielleicht gar eine alte Schuld! War er denn damals blind gewesen? Und Irene – die liebenswerte, holde, junge Frau?

Mit einem Ruck hielt der Wagen still. Das Ziel seiner Fahrt war erreicht.

* * *


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