Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vor dem künstlerischen Bildnisse der Gräfin Herlingen unter der Rosenpergola stand Job Christoph von der Thann.

Er hatte sich wohl schon eine Viertelstunde völlig selbstvergessen in die zutage tretende künstlerische Auffassung des Meisters vertieft.

Er verharrte, bald seitwärts, bald rückwärts tretend, um jeden Pinselstrich, jede Lichtwirkung genau zu studieren.

Hier war nirgends flache Effekthascherei zu finden. Der Zauber des Porträts lag in der Haltung und Natürlichkeit, im Augenausdruck, der diese ihm so wohlbekannte suggestive Kraft ausübte, wie sie eben nur Ary Sumierska zu eigen war.

Und jene Augen hatten ihn heute hierhergezogen; trotz allen Sträubens, aller Vernunftgründe war er ihrer Gewalt erlegen.

Einmal nur noch hinschauen – dann Schluss! –

Nach dem Feste im Ministerpalais, als er mit Irene ins Hotel zurückgekehrt war, hatte er noch eine lange, bedeutsame Unterredung mit ihr gehabt.

Nicht, dass diese durch Fragen, Vorwürfe oder eifersüchtige Bemerkungen ihn dazu veranlaßt hätte. Nein. An ihrem stillen, tiefernsten Wesen, am leisen Beben des noch so kindlich süßen Mundes hatte er wahrgenommen, daß er ihr eine Aufklärung schuldig war, daß er jetzt Dinge berühren musste, die er um ihrer Ruhe willen bisher nie zu enthüllen gewagt.

Und als Job Christoph, in seiner klaren, knappen Weise, von den Strelnower Begebenheiten an bis zu seiner Heirat, sich selbst durchaus nicht schonend, berichtet hatte, da schloss er mit den fast feierlich klingenden Worten:

»Ich bin dir niemals untreu gewesen, Ire – auch in Gedanken nicht. Ich halte dich hoch als ein mir anvertrautes Kleinod, und jene Episode, die einst mein Leben in einer seltsam elementaren Gewalt durchtobt hat, sie ist wie ein Unwetter vorüberzogen. Du sollst, darfst und musst mir weiter vertrauen!«

Mehr zu sagen war er außerstande gewesen. Nur keine leeren Redensarten, keine Heuchelei! Gott würde ihm ja Kraft geben, jedwede neue Versuchung zu bestehen.

Ob sich Irene aber im tiefsten Innern damit begnügt hatte? Ob nicht im verborgensten Winkel des von jeglichen Leidenschaften, von Sünde und Schuldbewußtsein so freien Kinderherzens nicht dennoch das kleine Samenkorn des Mißtrauens aufgekeimt war und heimliches Weh erwachsen ließ?

Sie hatte ihm nur treuherzig und lieb die Hand gereicht, wie einem Kameraden, dem man Kränkungen schnell vergibt.

Und so war eine seelische Erleichterung in Job Christophs Brust eingezogen, weil er von Irenes Klugheit und vornehmer Denkungsart eine viel zu hohe Meinung hegte, um irgendwelches Mißverstehen bei ihr zu befürchten. Darin lag auch seine unbegrenzte Hochachtung vor dieser sanften, zielbewußten Frau.

Und das Wörtlein Liebe? War es während dieser Aussprache wirklich gar nicht gefallen? Warum dachte Job Christoph gerade jetzt daran? Hatte er sich gefürchtet, es auszusprechen?

Lächelten die sonderbaren Frauenaugen nicht plötzlich so verständnisvoll von dem Bilde zu ihm herab? –

Allein dergleichen Gedanken schienen jetzt Torheit, Phantastereien!

Ein Mann, der noch am nämlichen Abend vor mehr als hundert Zuhörern öffentlich sprechen – über Gegenstände die in ihrer Bedeutung beinahe das rastlose Studium eines Menschenalters ausfüllten, sprechen wollte, musste wohl jede unnatürliche Nervenaufreizung tunlichst vermeiden.

Darum also wirklich und unwiderruflich Schluß! Mit einem letzten, schnellen Blick nach dem Bilde warf Job Christoph energisch den Kopf zurück und schritt dann langsam dem Nebensaale zu.

Allein wie festgebannt blieb er stehen. Dicht vor ihm auf dem runden Diwan saß Gräfin Herlingen, das schöne Haupt an die Rückwand gelehnt, die Hände nachlässig im Schoß gefaltet und schaute gedankenvoll ins Leere.

Da stutzte sie, während ein unbefangen freundliches Lachen ihre Lippen umspielte.

»O, welch reizende Überraschung, Professor! Sie hier? Ich suche schon seit einer halben Stunde den Professor Herfort in allen Räumen, der an meinem Bilde noch einige Ptnselstriche andern soll – und finde den Vielbeschäftigten absolut nicht. Jetzt möchte ich mich von der ermüdenden Wanderung etwas erholen und ausruhen. Wollen Sie mir vielleicht Gesellschaft leisten, oder haben Sie, wie alle berühmten Männer, ebenfalls keine Zeit?«

Ein so reizender Ausdruck von Schelmerei umzitterte den leichtgeöffneten Mund, und in den goldschimmernden Augen blitzte nur Fröhlichkeit, daß der Angeredete sofort seine Fassung wiedergewann und im Nähertreten dieser Aufforderung nachzukommen geneigt schien.

»Bei praktischer Anwendung erübrigt man immer genügend dieses Sammelbegriffe Zeit, Frau Gräfin. Ich habe mich über Mangel derselben nie beklagt, zumal jede angenehm verbrachte halbe Stunde uns nützlich und lehrreich werden kann,« entgegnete er.

Prüfend und mit stillem Wohlgefallen streiften Rainerias Blicke die schlanke Männergestalt.

Job Christoph hatte den leichten Panama abgenommen, und sein edelgeschnittenes Gesicht mit der klugen Stirn und den geistsprühenden Augen strahlte sichtbare Befriedigung aus.

Die vornehme Sicherheit und Würde seines Auftretens kleideten ihn vortrefflich. Gedachte sie, vielleicht gerade jetzt seiner von ihr damals bespöttelten Bescheidenheit, da doch derselbe Mann, ungeachtet seines schlichten Anzuges, ihr schon gefallen und ihre empfänglichen Sinne gereizt hatte? Heute aber dünkte es ihr, der Gräfin Vinzenz Herlingen, Mühe zu kosten, ihm gegenüber den rechten Ton anzuschlagen. Das Leben hatte ihn hochgebracht – verwöhnt.

Aber Raineria war ja Meisterin darin, jeder Lage gerecht zu werden.

»Ach, und ich verfüge immer über so viel unnütze Zeit! Dann sind Sie ein glücklicher Mensch, Professor!«

Sie sprach fortgesetzt in anmutiger Natürlichkeit.

Er wurde unsicher; während sie auf den Platz an ihrer Seite wies, kam es daher merkbar gepreßt von seinen Lippen:

«Glücklich ist nur der, welcher dieses Wort im richtigen Sinne aufzufassen vermag und sich nicht untersteht, daran zu deuten und zu mäkeln, Frau Gräfin.«

»Und Sie gehören zu diesen?«

Jetzt hatte er den Platz auf dem runden Diwan neben ihr eingenommen.

Raineria sah nicht auf bei ihrer Frage; sie spielte mit den von ihren Fingern gestreiften Handschuhen.

»Ich habe es immer versucht,« gab er kurz zurück.

»Das ist sehr schwer. Ich kann es nicht,« sagte sie auffallend leise; aber er hörte das schnelle Atmen ihrer Brust.

Pause. – – –

Doch plötzlich hob Raineria den Kopf und fragte:

»Wie finden Sie mein Bild? Ich nehme an, daß Sie es gesehen haben, Professor?«

»Ja – bereits, als ich mit meiner – Frau den Glaspalast besuchte.« (Eine kleine Betonung lag auf jenem Wort.) »Der Maler hat hier ein wirkliches Kunstwerk geschaffen. Die Auffassung weicht so wohltuend ab von der sonstigen Dutzendarbeit,« lautete der etwas sachlich gegebene Bescheid.

Hatte sie mehr erwartet? War es nur Lebensklugheit, weltmännische Routine, Selbstdressur, daß nicht der kleinste Schimmer jener Gefühle von einst die Schranke des Herkömmlichen zu durchbrechen wagte?

Gab es durchaus keinen Rückfall? Würde Job Christoph sich nie mehr hinreißen lassen, wie damals in Strelnow, wo das Süßeste dieses erbärmlichen Erdendaseins ihn mit voller Gewalt bezwungen hatte?

Und dennoch fühlte sie seinen unbeweglichen, beinahe faszinierenden Blick, als ob er jeden Zug des ihm nur im Profil zugewandten Antlitzes mit Runenschrift in sein Inneres einzumeißeln wünsche.

Wo – wo lagen die Schlüssel zu diesem geheimnisvollen Instrument, daß es wieder klingen, klingen konnte? Die Brücken von ihm zu ihr? – – –

Langsam begann Raineria die Handschuhe über ihre schmalen, schöngeformten Finger zu streifen und griff darauf nach dem Sonnenschirm, der auf dem Diwan lag.

»Ich möchte Ihnen nun Lebewohl sagen, Professor von der Thann! Wir verlassen demnächst München, um mehrere Monate auf unseren Gütern zu bleiben. Wie leicht können zwei – drei Jahre vergehen, ehe man sich wieder begegnet.«

Sie senkte aufs neue den Kopf, so daß der Hut ihr Gesicht vollends beschattete.

»Aber heute abend – treffen wir uns doch – Gräfin? Hoffentlich haben Sie Karten für das Odeon erhalten?«

Rainerias Worte hatten eine Art elektrisierende Wirkung auf ihn ausgeübt.

Mit großen, angstvollen Augen betrachtete er die regungslose Gestalt. Fieberhafte Erregung ließ jeden Muskel in ihm vibrieren.

»O, Karten erhielten wir wohl, doch ich – ich denke, es ist richtiger – besser, wenn ich mir – den Genuss Ihres Vortrags – versage!«

Jetzt endlich begegneten ihre wundervollen Augen seinen erschreckten Blicken, und gleich grellen Sonnenstrahlen, die verdüsternde Nebelschleier zerreißen, so enthüllte sich ihm plötzlich ein Bild, das ihn in einen Zustand völlig willenloser Apathie versetzte.

Wo blieben jetzt Pflichtbewußtsein, Treue – innerer Halt, ja Manneswert? –

Es gab ja keine Gegenwart mehr – nur selige Vergangenheit – lebendige Zukunft, und die gehörte ihm!

Job Christoph war emporgesprungen, und wie aus wüstem Traum erwachend, griff er mit beiden Händen nach der Stirn.

Dann sagte er ächzend: »Gräfin! – Raineria! – Ary – so – so dürfen Sie nicht – gehen – wenn ich den Verstand behalten, wenn das – Leben – nicht jeglichen Reiz für – mich verlieren soll! – Beim Allmächtigen – ich habe ja übermenschlich gekämpft!«

Da trat sie auch schon dicht neben ihn, blaß und still; aber wieder mit dem Zug von Trauer und bitterer Resignation um den schöngeschnittenen Mund.

»Nein, nein, Job Christoph – bitte, gehen Sie! Der Kampf muss weiter gekämpft, dafür Ruhe und Entsagung aus unserem eigenen Selbst geboren werden! Es war ja nur ein Rausch – der über Sie – uns gekommen ist!«

Allein wild und zügellos heftig hatte er ihre Hand an sich gerissen.

»Jetzt – nicht mehr! Es ist zu spät – es ist unser Schicksal, Raineria!«

* * *


 << zurück weiter >>