Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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Ein großer, glockenartiger Strohhut bedeckte den blonden Kopf der Gräfin Ary Herlingen und ließ nur den unteren Teil des schmalen, rassigen Gesichts erkennen, so daß kaum jemand in der schlichten Gestalt die blendende Erscheinung aus den Sälen des Ministerpalais erkannt haben würde.

Die Ohren zierten ein Paar winzige Perlenknöpfe, und so schlenderte sie im schmucklosen, grauen Reiseanzug, den Katalog im Arm, hier und da vor einem Bilde haltmachend, durch die weiten Räume. Allein ein leichtes, nervöses Zucken um die Mundwinkel verriet, daß hinter jener scheinbaren Gleichgültigkeit und Ruhe sich heftige, seelische Erregung verbarg. Stephan hatte ihr zufällig von dem Besuch des Thannschen Ehepaares im Glaspalast erzählt, was ihr viel zu denken gab.

War es nun eine Eingebung gewesen, oder eine geheime, unerklärliche Macht, die sie seitdem fortgesetzt antrieb, schon den nächsten Morgen in aller Frühe jenen Platz aufzusuchen, wo sie denjenigen zu finden hoffte, der seit seinem Vortrag all ihr tiefinnerstes Empfinden in festen Banden hielt?

Was bedeutete Job Christophs kühle Abwehr, sein so gewiß herber Trotz. Pah! Verletzte Eitelkeit! Männer sind ja so kinderleicht zu durchschauen. Ein schneller Blick, als er Tränen in ihren Augen wahrgenommen hatte, hatte sie belehrt, daß in seiner Brust noch immer etwas fortleben mußte, was ihr gehörte.

Die einsame Frau – es war zur Zeit leer und still in den Sälen – atmete tief und schwer.

Zwei Jahre hatte sie in gleichmäßiger, oft ermüdender Seelenruhe dahingelebt, nichts war imstande gewesen, den trägen Schlag des Herzens etwas zu heben.

Erinnerungen? Ja, man frischt sie auf, man kramt in wohligem Vergnügen darin herum, aber Raum und Zeit verblassen die einst leuchtenden, Farben, der dürre Verstand sagt schließlich: Fort mit aller Sentimentalität! Wozu dem Einst wieder Leben und Gestalt geben?

Gewiß, das Interesse an einem Menschen, der uns einmal nahegestanden, erkaltet nie. Es ist genau so, als blättere man in alten, vergilbten Briefen und findet ein verdorrtes Rosenblatt; – sein feiner Duft zaubert noch immer beseligende Augenblicke längst entschwundener Tage hervor. So ist das Leben!

Aber gibt es nicht dennoch Selbsttäuschungen? Oder sind solche Gedanken unsinnig?

Raineria ist sich im Augenblick nicht klar darüber. Sie weiss nur, dass von dem Augenblicke an, wo Job Christophs Name wieder an ihr Ohr geklungen – von den Lippen seines jungen Weibes ausgesprochen – eine zügellose, brennende Eifersucht ihre Brust durchwühlt.

O, diese unbedeutende, kleine Frau! Wie sie am Vortragsabend in dem weissen Fähnchen so still, fast verschüchtert vor ihr gestanden hatte und doch mit einem seltsam herb trotzigen Ausdruck im Blick, da war ein beinahe roher, an des Vaters Brutalität erinnernder Zorn in ihr erwacht.

Du – oder ich!

Doch nein, nein, sie wollte ihr den vergötterten Gatten ja nicht stehlen! Verbriefte Rechte sind heilig – so besagt eine weltweise Moral!

Aber –!

Ja, warum dieses Aber?

Ein triumphierendes Lächeln umspielte den schönen, zuckenden Frauenmund.

Wer durfte ihr ein harmloses Plauderstündchen mit dem geistsprühenden Gelehrten wohl wehren?

Ob er heute wirklich kam?

* * *


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