Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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Der von Professor von der Thann vor einer geladenen Gesellschaft, im privaten Kreise gehaltene Vortrag über die letzte große Forschungsexpedition nach vorgeschichtlichen Nilniederlassungen und dort gemachten archäologischen Sammlungen, über Zahlensysteme und Zeitrechnung der alten Könige, ihre Kunstinteressen und die Riesenmonumente vieltausendjähriger Bauperioden wie Hieroglyphen war, von prächtigen Lichtbildern veranschaulicht, wirkungsvoll vorübergerauscht.

Nun wurden Erfrischungen herumgereicht, und die lebhaft plaudernden Gäste zerstreuten sich bald in den weiten Salons.

»Nun sagen Sie mal, bester Baron, wie kommt diese Koryphäe, was Fachkenntnisse und künstlerische Form des Vortrages anlangt, hierher nach München? Exzellenz von Z ... hatte meine Frau und mich zu einem kleinen Kunstgenusse eingeladen und so beiläufig von Lichtbildern und so weiter gesprochen, und nun wird uns solch eine grandiose Überraschung bereitet! Der junge Mann redet ja einfach klassisch. Ich armer Ignorant, der von altägyptischer Hochkultur keinen Schimmer von einer Ahnung hatte, bin durch eine so glänzende Aufklärung und Belehrung jetzt im Lande der Pharaonen wie zu Hause. Bitte, orientieren Sie mich doch etwas über den interessanten Professor.«

Mit diesen Worten faßte ein großer, auffallend blonder, vornehm aussehender Herr den Angeredeten am Rockärmel und zog ihn nach einer von schwerer Portiere halb verdeckten Nische hin, wo beide sich niederließen.

»Gern, Graf Herlingen, so viel ich selbst weiß, will ich Ihnen mitteilen. Dieser Professor von der Thann ist nämlich ein steter Reisebegleiter des bekannten Archäologen Ramberg, hat seit mehreren Jahren alle Forschungsexpeditionen mit diesem unternommen und soll – wie man natürlich sub rosa behauptet – seinen Meister bereits überflügelt haben. Nebenbei liest Herr von der Thann als Privatdozent in Berlin an der Universität, wo er großen Zulauf hat.«

»Ja, wie kommt er aber heut abend hierher?«

»Bitte, einen Moment, Herr Graf. Professor Ramberg ist ein alter Studiengenosse und Duzbruder von unserer Exzellenz und war nach seiner Rückkehr von Kairo kürzlich nach München gekommen, um einige öffentliche Vorträge zu halten. Für morgen war der erste im Odeon angesagt, wozu bereits Hunderte von Karten verkauft sein sollen. Heute abend hatte Ramberg Exzellenz von Z... versprochen, vor seinen Gästen ein wenig zu ›plaudern‹ – sozusagen ein kleiner Aufgalopp für morgen, wie Sie als Sportsmann sagen würden. Plötzlich kriegt der Mann gestern abend eine so heftige Gallenkolik, daß er nun ernstlich krank im Hotel liegt und vor Wochen kaum imstande sein dürfte, den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. Da ist eben auf Rambergs und vieler anderer Bitten Professor von der Thann hilfreich eingesprungen und ...«

»Und ich meine, der Tausch ist nicht schlecht,« unterbrach ihn Graf Herlingen lachend. In seinen Zügen lag wieder etwas Gönnerhaftes, als er hinzufügte: »Ich bin äußerst befriedigt vom eben Gehörten. Wird man für den Vortrag im Odeon noch Eintrittskarten kriegen? Das ist nämlich was für meine Frau, die bei dem bloßen Worte Ägypten gleich in Ekstase gerät und schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, heute eine Einladung hierher zu erlangen.«

»Schwerlich, Herr Graf. Allein vielleicht nur durch Herrn von der Thann selbst. Seine Frau ist ebenfalls anwesend. Ich kenne beide.«

»Ach was – hier im Saal?«

»Ja – dort, jene junge Dame in Weiß. Sie spricht soeben mit Ihrem Schwager Sumiersky. Nicht gerade schön, doch sehr anmutig und dem berühmten Gatten entschieden geistesverwandt.«

»Famos! Die Gelegenheit zeigt sich ja günstig. Bitte, Baron, wollen Sie mich da gleich mal vorstellen? « bat Herlingen in seiner etwas burschikosen Art.

Die Herren erhoben sich und schritten nach der bezeichneten Stelle hin. – –

Eine halbe Stunde später drängte alles zu den im Nebensaale aufgestellten Büfetts. Seidene Schleppen rauschten über das Parkett, Teller und Gläser klirrten, dabei Lachen, Scherzen und ein oft betäubend anschwellendes Stimmgewirr brauste durch die tageshell erleuchteten Räume.

Aus dem Gewühl heraus, Ruhe und Schutz suchend, betrat Job Christoph von der Thann einen nur matt erhellten, stillen Damensalon.

In einem lauschigen Sofaeckchen hatten sich drei junge Mädchen mit ihren Kavalieren, Offiziere des schweren Reiterregiments, niedergelassen, deren Interesse aber völlig ihrer heiteren Unterhaltung wie den kulinarischen Genüssen des gastlichen Hauses zugewandt schien. Keiner des kleinen Kreises hatte den Eintritt des einzelnen Herrn beachtet, noch beim Aufblicken den gefeierten Gelehrten in ihm wiedererkannt.

Job Christoph ließ sich, so weit wie möglich von der »Jugend« entfernt, in einen Sessel fallen und blickte gedankenverloren und finster vor sich hin.

Hatte er denn am heutigen Abend wirklich so glänzend gesprochen? Er wußte es selbst nicht einmal.

Erst durch das ihn fast peinigende Lob und die hohe Anerkennung seiner Zuhörer schien ihm klar geworden zu sein, daß er sich zu einem Feuer und einer Begeisterung hatte hinreißen lassen, die wohl doch einen Unterton innerer Erregung gehabt.

Ja, warum – warum? –

War denn die aus vielleicht 200 Personen bestehende Gesellschaft, waren all die vielen, ihm fast gänzlich fremden Gesichter gar nicht für ihn vorhanden gewesen?

Wie aus einem magischen Dunstschleier, einem Nebel leuchtend auftauchend, sah er nur einen Kopf, einen goldblonden Kopf, einen wunderbar weiß schimmernden Hals, eine Gestalt mit klassischen Formen und vor allem zwei Augen, deren strahlende Blicke immer nur auf ihn selbst gerichtet waren.

Raineria!

Kaum zehn Schritte von ihm entfernt saß sie, hochaufgerichtet, würdevoll, stolz, ganz die Gräfin Vinzenz Herlingen, – und doch, wer sie kannte, wie er, der sah sofort den ganzen Zauber weicher, zarter Weibesschönheit, ähnlich dem Mädchen im Strelnower Archiv, ähnlich dem bezwingenden, reizvollen Bilde im Glaspalast.

Und so hatte er denn nur für sie gesprochen – einmal nur noch, heute nur!

Nach Schluß des Vortrages war er geflohen – ihr entflohen! Wohin? Ja, zu Irene!

Wie diese klaren warmen Kinderaugen voll stolzer Befriedigung, von Glück und Anerkennung leuchteten! Und dann kamen Menschen, Menschen! Jeder wollte ihm die Hand drücken, Schmeicheleien sagen – Phrasen!

Was kümmerte es ihn! – Sie aber kam gottlob nicht! So mußte es sein – so war es gut!

Und nun hier, im stillen Salon, schien endlich, endlich Ruhe.

Er zog das Taschentuch und trocknete sich die feuchte Stirn. Man würde ihn nicht vermissen, jetzt nicht.

Das Materielle, der Gaumenkitzel, übt ja wohl eine gewisse Macht aus. O, kleiner Menschengeist! Die hehre Kunst trägt dich empor zu lichten Höhen! Dort drinnen ein krasser Gegensatz: Bei Sekt und Delikatessen ist die Begeisterung schnell vergessen! Pah!

Den Kopf in die Hand gestützt, schloß Job Christoph die Augen – aber ein leises Knistern von Seidenfalten – ein eigentümliches Parfüm in nächster Nähe ließ ihn aufblicken.

Nein – das war ja keine Einbildung, keine Täuschung – da stand sie ja dicht neben ihm, strahlend schön, leise lächelnd, doch mit vorwurfsvollem Zucken um den Mund.

»Warum meiden Sie mich so hartnäckig, Professor von der Thann? Ich versuchte verschiedentlich, mich Ihnen zu nähern – allein immer vergeblich – immer waren Sie mir im Gewühl entschlüpft.«

Wie diese Stimme doch jede Saite seines Innern vibrieren machte!

Er war emporgesprungen und verneigte sich tief, wobei er mit leichten Regungen von Trotz erwiderte: »Ich habe nach Beendigung meines Vortrages nicht mehr die Ehre gehabt, Sie zu sehen, Frau Gräfin.«

»Aber – während desselben?« Sie hob die dunkel bewimperten Augen voll und fest zu ihm empor.

»Ja!« Er stand wie unter einer hypnotischen Macht, und so vergingen ein paar Sekunden in fast bedrückendem Schweigen.

Den schönen, von einem prachtvollen Brillantdiadem umkränzten Kopf ein wenig nach hinten gebogen, lehnte Raineria an einem Sessel. Die kleinen, ihm so wohlbekannten Hände spielten lässig mit dem Fächer; allein keine ihrer Bewegungen war nervös oder verriet innere Unruhe, dagegen lag jetzt ein tiefer Schmerzenszug um die zusammengepreßten Lippen, und unter den halbgeschlossenen Lidern schimmerte es feucht.

Wortlos reichte sie ihm die Rechte hin; er küßte sie ehrerbietig, doch steif. Darauf sagte sie sehr ernst:

»Das Leben spielt mit uns, Professor von der Thann! Hier: kurze Glücksstunden, dort: Jahre, die der dürren Wüste gleichen, welche wir beide kennen. Aber das ist ja alles längst – vergessen. Ich wollte Ihnen nur das eine sagen – deshalb kam ich her – suchte Sie: Heute haben Sie ein sehr dankbares Auditorium vor sich gehabt und ungeteilten Beifall geerntet; aber das eigentliche Werden, Wachsen und Sein eines Künstlergeistes kann nur ich verstehen und aus tiefster Seele bewundern!«

Für Augenblicke flammte es wild und heiß auf in Job Christophs Herzen, und an seiner Willenskraft rüttelte und zerrte die alte Macht eines einstmals beseligenden Rechtes.

War es nicht wert zu ringen, ein ganzes Dasein lang zu ringen um den erneuten Besitz dieses Weibes willen? Gefühle, wie sie in ihrem, in seinem Innern gelodert, sie können niemals vergehen! O nein, unter der grauen Asche des Alltags sind sie nur scheinbar verglommen, um durch einen einzigen Funken sich wieder neu zu entzünden.

Kränkungen, Bitterkeit, Trotz und Qual, – gleich scheuen Fledermäusen vor dem Sonnenlicht schienen sie verflogen. Alles andere war Selbsttäuschung! –

Selbsttäuschung? Mit dieser Erkenntnis begann die unerträgliche Anspannung der Nerven nach und nach von ihm zu weichen. Seit der Stunde, ja, seit er ihr wunderbares Bild im Glaspalast gesehen, war er in einer Art Traumzustand herumgewandelt. Das Hirn zermartert hatte er sich über wahre und falsche Begriffe von Grundsätzen, über Gewissenspflicht, Moral, Haltlosigkeit des Mannesherzens und dergleichen, bis er in ein Stadium geraten war, wo die klare Vernunft aufhört und ein völliges Versagen klarer Denkkraft anfängt.

Die Nacht hatte er ruhelos im kleinen Hotelsalon neben dem Schlafzimmer verbracht, wo Irene, nachdem er ihr von Vorbereitungen für seinen Vortrag gesprochen, wohl längst schlummerte. Oder ob die Seele der lieben, kleinen Frau, seiner Frau, bereits ein heraufdämmerndes Unheil ahnte?

Und jetzt, wo die andere vor ihm stand und seine irrenden Gedanken wie hilfesuchend und in scheuen Angstgefühlen durch die Festsäle flogen und er im Geiste Irenes klares, blaues Auge mit festen, ruhigen Blicken vor sich auftauchen sah, da war es ihm auch möglich, sich wieder zu fassen.

Bei Gott, er war doch kein Schwächling, kein eitler Narr, der sich durch ein paar Schmeichelworte kopfscheu machen läßt! Sind Manneskraft und Manneswert denn eine Ware, die zerbricht wie Glas? – –

Über Job Christophs hohe, intelligente Stirn flog ein deutlich wahrnehmbarer Schatten, als er, sich abermals tief verneigend, sagte:

»Frau Gräfin sind sehr gütig, und ich weiß ein solches Lob hoch einzuschätzen. Gewiß, ich habe gearbeitet mit aller Energie und Zähigkeit. Jahre hindurch, um aus diesem Schaffen etwas Nutzbringendes ersprießen zu sehen; aber gerade dabei ist mir klar geworden, daß wir das sogenannte Lebensspiel bezähmen und unserem eigenen Willen unterordnen können.«

Jetzt sprach er ruhig, fast kalt, und wieder begegneten sich beider Blicke.

»Gehe – gehe! Sei barmherzig und kreuze du – du nie mehr meinen friedlichen Lebensweg!« lag in dem seinen.

Der Ausdruck müder Resignation und beinahe demütiger Trauer in dem ihren.

Raineria war wohl nie so schön, so weiblich hold gewesen wie in dieser verhängnisvollen Stunde.

So standen sie wieder wortlos, als eine laute Männerstimme vom Eingang des Nebensaales zu ihnen herüberklang:

»Hier also finde ich endlich den berühmten Mann! Du hast ihn ja ganz nett eingefangen, Ary – beneidenswert! Nun möchte ich den Herrn Professor auch kennenlernen. Servus, Herr von der Thann! Ich bin Graf Herlingen, der Sie aufrichtig bewundert!«

Nach dieser allerdings freundlichen, doch etwas derben Anrede streckte er Job Christoph die Hand entgegen, welche jener zögernd ergriff.

Gedachte er doch unwillkürlich der unhöflichen Behandlung, welcher derselbe Mann dem Reisenden dritter Klasse an der Strelnower Bahnstation zuteil werden ließ.

»Die mir in München gezollte, ehrende Anerkennung ist fast beschämend, Herr Graf,« antwortete er nur kurz und schlicht. Dann fiel sein Auge auf Stephan Sumiersky, der in einer Art stummer Teilnahmlosigkeit wenige Schritte hinter seinem Schwager stand und die Augen unverwandt auf die Schwester gerichtet hielt.

Hatte Raineria es wahrgenommen? Sie reckte jetzt in einer halb gelangweilten, halb spöttischen Schulterbewegung den Oberkörper und sagte ungeduldig:

»Wir wollen aber den interessanten Abend nicht bis in die tiefe Nacht ausdehnen« (sie blickte auf die diamantenbesetzte Uhr am Armband), »es ist bald eins. Herr von der Thann bedarf wohl auch der Ruhe. Also: Auf Wiedersehen!«

Damit nahm sie des Bruders Arm und eilte in einer beinahe auffallenden Hast dem Speisesaale zu.

In abgerissenen Sätzen hörte sie noch hinter sich des Gatten laute Stimme, der nun auf des Professors Gesellschaft offenbar Beschlag gelegt zu haben und ihn fürs erste nicht mehr loszulassen schien.

* * *


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