Walter Seidl
Anasthase und das Untier Richard Wagner
Walter Seidl

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18.

Noch lange kann Anasthase trotz entnervender Müdigkeit keinen Schlaf finden. Erst jetzt, da er allein ist, beschäftigt das Erlebnis ganz seinen Geist: Sie war Jungfrau!! – Und ist Bulgarin – (Anasthase sucht sich die Landkarte vorzustellen) – hat im Vorjahr durch einen Autounfall beide Eltern verloren. Ihr Vormund, ein Erzmucker, hält sie sehr streng. Da hat sie sich von einer verheirateten Freundin kurzerhand Geld ausgeborgt, ist nach Bayreuth gefahren und will auch noch zum ganzen »Ring« dableiben. Für den Vormund hat sie einfach einen Brief hinterlassen, er möge sich nicht ängstigen, sie sei schon irgendwo gut aufgehoben; nur soll er sie nicht vor Ablauf einer Woche zurückerwarten. »Haha – das ist ein wundervoller Fratz!« jubelt Anasthase ganz laut. Dann umarmt er beschämt seinen Polster. »Eine ganze Woche noch mit diesem Prachtmädel – was bin ich denn nur für ein ganz 135 ungeheuerlicher Glückspilz! Und jeden Abend gemeinsam mit ihr diese namenlos schöne Musik genießen . . . ach so! . . .? . . . Aber was, ich pfeif auf meine sogenannte vorkämpferische Sendung und auf die ganze Moderne! . . . Na . . . nein – ich bin ja auf einmal wie ein Lausbub! Aber – wenn schon?! Wenigstens fühle ich einmal mich – mich! Und ich bin ja froh, wenn nichts als ein Lausbub dahintersteckt, haha! Jetzt lebe ich! – Nun ja, ist ja wahr, sind ja lauter Albernheiten schließlich: Moderne oder nicht Moderne, mit oder ohne Wagner – was geht das mich an?! Und damit hab ich mich immer herumgequält, mit solchen Interessen! ›Verdrängungen‹, hat mir der Docteur Blondel schon immer gesagt – und er hatte recht. Jedenfalls ist Wagner ein ganz Großer, das hat sich gestern gezeigt; gewaltiger als die ganze Moderne zusammen. Na, als ob vielleicht die ›Kantate über einen Prospekt für landwirtschaftliche Maschinen‹ oder die symphonische Dichtung ›Pause in einem Fußballmatch‹ mir hätten ein solches Geschöpfchen in die Arme werfen können – so ein hundsfalsches Gejaure!!« – Und er lächelt in der Erinnerung an die Eremitage. – »Das kann eben nur der Papa Wagner!« – Anasthase gähnt. – »Da stecken halt Gemü–ü–ütswerte darin! . . . Gemütswerte . . .!« – versichert er sich nochmals, schlaftrunken – –

 

Erst gegen Mittag erwacht er. Beim Ankleiden singt er immer wieder mit komisch schallender Stimme: »Wer meines Speeres Spitze fürchtet . . .« Wobei er unausgesetzt an die Stunden im Park der Eremitage denkt . . . »Der süße Fratz! Ihr schönes Stilkleidchen wird gewiß arg verdorben sein. Wie mag sie übrigens in einem 136 andern Kleid aussehen? Sicher ist auch sie gerade erst aufgestanden. Also rasch zu ihr! Sie darf jetzt nicht allein bleiben! Sonst könnte sie sich im Köpfchen am Ende noch schlimme Gedanken machen. Wie ist das also? Zunächst gehen wir einmal miteinander essen, natürlich. Nachmittags machen wir einen Ausflug, am Abend übersiedle ich dann in ihr Hotel . . . Herrgott, was wird das heute erst für eine wunderbare Nacht werden! Nein – bin ich ein Glückspilz! Schaut's nur – der Wagner!« – Anasthase lacht, ihm bewußt trottelhaft, in das Handtuch hinein, mit dem er sich abtrocknet. – »Ja, richtig«, besinnt er sich plötzlich, »Saul Ring! . . . Saul Ring . . . Ach, dem sage ich doch einfach die Wahrheit! Natürlich. Da wird er sehr gut begreifen, daß ich mich ihm jetzt nicht weiter widmen kann, haha. Oder soll ich ihm mein Mäderl vorführen? In einem Zwischenakt vielleicht – da würde es ja nichts ausmachen. Und er ist doch so ein lieber, kluger Mensch! Wie ihn der ›Tristan‹ gestern zusammengerissen hat, tiens, tiens, tiens . . . Ich hätte ihn eigentlich nicht für so ungeheuer empfänglich gehalten . . . Für viel abgeklärter! Ja, ja – nur in solchen Momenten gelingt es, einen Blick hinter die Alltagsmasken der Menschen zu werfen! – Sicher hat er heut morgen schon bei mir angeklopft und ich hab's nicht gehört. Na – Wunder! Nach der Nacht, haha! Nun, jedenfalls wird er ja beim Portier unten Botschaft hinterlassen haben, wo ich ihn treffen kann. – Also – wie ist das? –: morgen ›Rheingold‹, übermorgen ›Walküre‹, Freitag ›Siegfried‹, Samstag . . . nichts . . . Oho!! Samstag den ganzen Tag ›Mäderl‹ (!) – und Sonntag ›Götterdämmerung‹, die herrliche ›Götterdämmerung‹! Herrgott, wird das schön!! Sechs ganze Tage noch!! – Jetzt kauf 137 ich mir nur noch rasch ein Paar neue Handschuhe – feine, diese crêmefarbenen Handschuhe! – die alten sind so schon nicht mehr . . .! Sicher wartet sie schon, das süße Kleinchen, juhu, bin ich ein Glückspilz!!«


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